www.wikidata.de-de.nina.az
Triebstruktur und Gesellschaft ist eines der bekanntesten Werke des deutsch amerikanischen Soziologen und Philosophen Herbert Marcuse Das Buch wurde 1955 in den USA unter dem Titel Eros and Civilization A Philosophical Inquiry into Freud veroffentlicht die amerikanische Ausgabe widmete er seiner 1951 verstorbenen Frau Sophie Wertheim 1957 erschien die deutsche Ubersetzung im Klett Verlag unter dem Titel Eros und Kultur Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud 1965 veroffentlichte der Suhrkamp Verlag diese Ubersetzung unter dem veranderten Titel Triebstruktur und Gesellschaft Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud Der Autor versucht aus der Philosophie Karl Marx und der Psychoanalyse Sigmund Freuds eine an Horkheimer orientierte Synthese zu schaffen Die Arbeit gehort zu den grundlegenden Werken der Kritischen Theorie Im Rahmen der deutschen Studentenbewegung der 1960er Jahre wurde das Werk stark rezipiert Inhaltsverzeichnis 1 Uberblick 2 Inhalt 3 Rezeption 4 Einzelnachweise 5 Literatur 5 1 Ausgaben 5 2 Sekundarliteratur 6 Siehe auchUberblick BearbeitenDer Essay Triebstruktur und Gesellschaft ist einerseits als Beitrag zu dem Projekt der kritischen Theorie zu verstehen die analytischen Ergebnisse einer reflektierten marxistischen Gesellschaftskritik mit den Aussagen der psychoanalytischen Theorie zu verbinden 1 andererseits als eine direkte Antwort auf Freuds kulturtheoretischen Essay Das Unbehagen in der Kultur 2 Marcuse betont in der Einleitung dass der Zweck des Essays sei zur Philosophie der Psychoanalyse beizusteuern nicht zur Psychoanalyse selbst 3 Ziel der Unternehmung war es die Widerspruche moderner gesellschaftlicher Verhaltnisse mittels einer dialektisch verfahrenden die Tiefendimensionen unserer Kultur erfassenden Methode zu beschreiben und insbesondere den Zusammenhang zwischen Subjekt und Sozialitat in einem theoretisch ambitionierten Verfahren zu erhellen Andererseits versucht Marcuse auch aus der kritischen Analyse des Gegebenen Moglichkeiten einer befreiten Gesellschaft und einer befreiten Subjektivitat mithin einen positiven Entwurf kunftiger gesellschaftlicher Verhaltnisse zu extrahieren mit dem Anspruch nicht eine Utopie zu formulieren sondern in der Verfasstheit der gesellschaftlichen Wirklichkeit und des menschlichen Individuums selbst Ansatze einer kunftigen Befreiung ausfindig zu machen Marcuse entwarf darin eine Gesellschaft in der der wirtschaftliche und soziale Fortschritt ermoglichen wurde Vernunft und Eros zu harmonisieren Eros Kultur Kunst und das Gluck der Menschen wurden vitalisiert repressive leidvolle Arbeit werde nicht mehr notwendig sein 4 Inhalt BearbeitenI Unter der Herrschaft des RealitatsprinzipsNach Freud ist die Bedingung fur die Schaffung von Kultur und die Errichtung stabiler sozialer Beziehungen die Unterdruckung der destruktiven und antisozialen Triebe Das ursprungliche Lustprinzip gerichtet auf die unmittelbare und vollstandige Befriedigung der Triebwunsche gelangt unter dem Einfluss einer durch materiellen Mangel gepragten Wirklichkeit unter die Herrschaft des Realitatsprinzips Die Erfullung der Triebwunsche wird unter der Wirkung gesellschaftlicher Herrschaft zuruckgestellt dadurch entsteht das bewusste denkende und sich erinnernde Subjekt Das Lustprinzip wird ins Unbewusste verdrangt und nur die Phantasie gelangt nicht unter die Herrschaft des Realitatsprinzips Die Unterdruckung des Lustprinzips jedoch schwacht den Eros zugunsten der destruktiven Tendenz des Thanatos und fuhrt so zu den soziopathologischen Dynamiken moderner Gesellschaften wie Krieg und Massenmord Im Unterschied zu Freud jedoch sieht Marcuse die Ananke Lebensnot unter deren Einfluss die Repression der Triebe sich entwickelt als historisch kontingentes Faktum und nicht als zeitlose Bedingung menschlicher Existenz schlechthin an Die historisch vorherrschende Form des Realitatsprinzips ist das Leistungsprinzip Das Lustprinzip wird zeitlich auf die Freizeit und raumlich auf die Genitalitat begrenzt Dadurch wird ein Grossteil der Zeit und des menschlichen Korpers fur die Verrichtung entfremdeter Arbeit frei so kann der Mensch sich und seine soziale Umgebung unter Bedingungen naturlichen Mangels reproduzieren Das Leistungsprinzip ist in der gegenwartigen Phase durch die Erfordernisse der produktiven Effizienz und der Konkurrenz gepragt Die entfremdete Arbeit schafft nun selbst Freiheitsgrade vor allem die Freiheit von naturlichen Zwangen und dient damit mittelbar dem Lustprinzip allerdings um den Preis einer unterdruckenden Kultur Marcuse pragt nun den Begriff der zusatzlichen Unterdruckung surplus repression die keine fur die Existenz von Kultur uberhaupt notwendige ist sondern der Organisation der Herrschaft des Menschen uber den Menschen dient Diese Herrschaft wird im Laufe der Geschichte immer wieder durch revolutionare Prozesse uberwunden aber gleich wieder aufgerichtet weil die Subjekte durch die internalisierte Unterdruckung die Herrschaft mit der Existenz lebenssichernder Ordnung schlechthin identifizieren So entsteht ein doppeltes Schuldgefuhl durch den Verrat an der Herrschaft und an den eigenen Wunschen nach Freiheit Produktion und Konsum rechtfertigen die Herrschaft und tauschen daruber hinweg dass die Menschen ihre Bedurfnisse selbst bestimmen konnten II Jenseits des RealitatsprinzipsDurch die Steigerung der Produktivitat in der entfremdeten Arbeit schafft das Realitatsprinzip jedoch im Laufe der Geschichte die Bedingungen dafur dass die herrschende Form des Realitatsprinzips abgeschafft werden konnte Je vollstandiger die Entfremdung desto grosser das Potential der Freiheit Marcuse sieht eine historische Phase gekommen in der die Menschen ihre Bedurfnisse selbst bestimmen konnten Durch die Automation der Produktion konnte die weiterhin lebensnotwendige entfremdete Arbeit auf ein zeitliches Minimum begrenzt werden Der Eros wurde in grossem Ausmass von seinen destruktiven Beschrankungen befreit Allerdings ware eine Vorbedingung dafur der Verzicht auf den erreichten Lebensstandard in der westlichen Welt Im Unterschied zu Freud geht Marcuse davon aus dass ein solcherart befreiter Eros nicht zum Untergang der Kultur fuhren wurde im Gegenteil Die Befreiung des Eros konnte neue dauerhafte Werkbeziehungen schaffen Es kame zu einer Selbst Sublimierung der Sexualitat die kultiviertere Beziehungen der Individuen untereinander ermoglichen wurde Marcuse geht von einer dem Eros innewohnenden libidinosen Moral aus die nach der Abschaffung der zusatzlichen Unterdruckung und der damit verbundenen Herrschaftsformen zur Auspragung einer befreiten Gesellschaft fuhren konnte Arbeit konnte dank der freigewordenen zeitlichen Ressourcen und der gesteigerten Moglichkeiten freier Wahl den Charakter des Spiels annehmen Antizipiert sieht Marcuse diese Entwicklungsmoglichkeiten in der asthetischen Aneignung der Wirklichkeit in der Kunst Diese entspringt der Phantasie die sich als einzige Form des Denkens von der Herrschaft des Realitatsprinzips freigehalten hat In der Kunst sieht Marcuse eine Form menschlicher Arbeit verwirklicht die weitgehend ohne Triebunterdruckung vor sich geht und ein hohes Mass an libidinoser Befriedigung bietet ohne destruktiv zu sein Im Kunstschaffen und in der Kunstrezeption kommt es zu einer wenigstens zeitweiligen Befreiung des Eros So kann die asthetische Erfahrung als Modell einer von repressiven Strukturen befreiten Welterfahrung dienen In einer befreiten Gesellschaft wurde das Lustprinzip als Realitatsprinzip eingesetzt ohne die Kultur zu zerstoren Rezeption BearbeitenAls eine Replik auf Marcuses Kritik der Neo Freudianischen Revision ist die aus dem Nachlass Erich Fromms von Rainer Funk herausgegebene Schrift Der angebliche Radikalismus von Herbert Marcuse zu verstehen Darin kritisiert Fromm unter anderem Marcuses Verzicht auf klinische Befunde sein Missverstandnis der Perversionen und eine Fehldeutung des Odipuskomplexes 5 Bernard Gorlich zufolge machte Marcuses Schrift ihn zum Begrunder einer Politischen Psychologie die ihren Gegenstand nicht bloss ausserlich mit Freudscher Begrifflichkeit garniert sondern im Freudschen Erkenntniszentrum selbst aufsucht 6 Die Schrift verkunde alles andere als eine optimistische Losung Zwar habe Marcuse immer Bilder der Befreiung gesucht um den Emanzipationsgedanken zu fundieren aber in der Auseinandersetzung mit Freuds Unbehagen in der Kultur suchte er Antworten auf die Frage zu finden wo und warum diese Bilder begraben worden sind 7 Nach Gorlich hat Marcuse den fundamentalen Konflikt zwischen Eros und Kultur keineswegs geleugnet sondern ihn gleichsam historisiert Das von Freud fur deren Unversohnlichkeit verantwortlich gemachte Realitatsprinzip sei als historisch notwendiges Leistungsprinzip zu verstehen das eine Unterdruckung der Triebe notwendig gemacht habe welches aber in der Gegenwart tendenziell uberflussig geworden sei und nur durch die gesellschaftlichen Machtstrukturen mit ihrer zusatzlichen Unterdruckung aufrechterhalten werde 8 Der Philosoph Michael Werz verortete die Schrift die die Grenze zwischen Psychologie und Sozialphilosophie auflose im Kontext beginnender Befreiungs und Entkolonialisierungsbewegungen Marcuse habe den von Freud hervorgehobenen unversohnlichen Konflikt zwischen Lebens und Todestrieb zugunsten einer neuen utopischen Konzeption relativiert 9 Einzelnachweise Bearbeiten Micha Brumlik Marcuse Herbert Triebstruktur und Gesellschaft In Georg W Oesterdiekhoff Hrsg Lexikon der soziologischen Werke Westdeutscher Verlag Wiesbaden 2001 S 447 Bernard Gorlich Die Wette mit Freund Drei Studien zu Herbert Marcuse Nexus Frankfurt am Main 1991 S 7 Zitiert nach Bernard Gorlich Die Wette mit Freund Drei Studien zu Herbert Marcuse Nexus Frankfurt am Main 1991 S 9 Wiebke Walther Erotik In Metzler Lexikon Religion Gegenwart Alltag Medien J B Metzler Stuttgart Weimar 2005 Bd 1 S 289 f Erich Fromm Der angebliche Radikalismus von Herbert Marcuse In Ders Schriften aus dem Nachlass Band 3 Beltz Weinheim 1990 S 149 170 Als E Book Ausgabe hrsg von Rainer Funk Open Publishing Rights Munchen 2015 Bernard Gorlich Die Wette mit Freund Drei Studien zu Herbert Marcuse Nexus Frankfurt am Main 1991 S 15 Bernard Gorlich Die Wette mit Freud Drei Studien zu Herbert Marcuse Nexus Frankfurt am Main 1991 S 100 und 102 Bernard Gorlich Die Wette mit Freud Drei Studien zu Herbert Marcuse Nexus Frankfurt am Main 1991 S 72 f Michael Werz Marcuse Herbert Eros and Civilization In Kindlers Literatur Lexikon 3 vollig neu bearbeitete Auflage 2009 Aktualisiert mit Artikeln aus der Kindler Redaktion online Zugriff am 22 September 2019 Literatur BearbeitenAusgaben Bearbeiten Herbert Marcuse Eros and civilization A philosophical inquiry into Freud The Beacon Press Boston 1955 Nachdruck mit einem neuen Vorwort des Autors bei Vintage New York 1962Die deutsche Ubersetzung stammt von Marianne von Eckardt Jaffe Von ihr gibt es vier Ausgaben mit zwei verschiedenen Titeln Eros und Kultur Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud Klett Stuttgart 1957 Triebstruktur und Gesellschaft Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud Suhrkamp Frankfurt am Main 1965 Reihe Bibliothek Suhrkamp 17 Auflage 1995 ISBN 3 518 01158 8 Herbert Marcuse Schriften Bd 5 Triebstruktur und Gesellschaft Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud Suhrkamp Frankfurt am Main 1979 ISBN 3 518 07564 0 und ISBN 3 518 07554 3 Nachdruck dieser Ausgabe im Rahmen des Reprints der 1978 bis 1989 bei Suhrkamp erschienenen Schriften in neun Banden bei zu Klampen Springe 2004 ISBN 3 934920 46 2Sekundarliteratur Bearbeiten Micha Brumlik Marcuse Herbert Triebstruktur und Gesellschaft In Georg W Oesterdiekhoff Hrsg Lexikon der soziologischen Werke Westdeutscher Verlag Wiesbaden 2001 S 447 f Erich Fromm Der angebliche Radikalismus von Herbert Marcuse Hrsg Rainer Funk e Book Open Publishing Rights Munchen 2015 Bernard Gorlich Die Wette mit Freud Drei Studien zu Herbert Marcuse Nexus Frankfurt am Main 1991 ISBN 3 923301 39 1 Jurgen Seifert Freud als Marx Ersatz In Die Neue Gesellschaft 6 1959 68 70 Siehe auch BearbeitenKritische Theorie Frankfurter Schule Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Triebstruktur und Gesellschaft amp oldid 238117105