www.wikidata.de-de.nina.az
Sexualitat und Wahrheit frz Originaltitel Histoire de la sexualite ist der Titel eines vierbandigen Werks des franzosischen Philosophen Michel Foucault uber die Herausbildung der modernen Sexualitat in den westlich abendlandischen Gesellschaften Der erste Band Der Wille zum Wissen frz La volonte de savoir erschien erstmals im Jahre 1976 Nach einer langeren Veroffentlichungsunterbrechung erschienen 1984 kurz vor Foucaults Tod der zweite und dritte Band Der vierte und letzte Band Die Gestandnisse des Fleisches frz Les aveux de la chair wurde aufgrund einer testamentarischen Verfugung erst 2018 und damit posthum veroffentlicht Inhaltsverzeichnis 1 Zur Genealogie der Sexualitat 2 Der Wille zum Wissen 2 1 Kritik an der Repressionshypothese 2 1 1 Die Anreizung zu Diskursen 2 1 2 Die Einpflanzung von Perversionen 3 Siehe auch 4 Literatur 5 AnmerkungenZur Genealogie der Sexualitat Bearbeiten Hauptartikel Genealogie Philosophie Fur ein besseres Verstandnis ist es zunachst wichtig zu begreifen was Foucault meint wenn er schreibt dass er Abstand gewinnen will von diesem so alltaglichen so jungen Begriff der Sexualitat 1 Es geht Foucault nicht darum eine bestimmte Position zum Thema Sexualitat zu verhandeln d h zum Beispiel sich mit patriarchalen Strukturen auseinanderzusetzen und objektiv existierende einseitige mannliche Herrschaftsformen zu kritisieren Ebenso wenig geht es darum neue Erkenntnisse zu den Themen Sexualitat Begehren usw bereitzustellen Foucault versucht zugespitzt formuliert nicht sich wissenschaftlich mit Sexualitat auseinanderzusetzen sondern er fragt woher die Dringlichkeit kommt sich wissenschaftlich mit Sexualitat auseinanderzusetzen Haufig geht Theorie davon aus sich innerhalb eines bestimmten thematischen Feldes um Erkenntnisse zu bemuhen Foucault hingegen ist an der Tatsache interessiert dass sich um Erkenntnisse bemuht wird und dass ein bestimmter Bereich in diesem Fall die Sexualitat als besonders erkennenswert eingestuft wird Der Ausdruck Sexualitat selbst ist dabei erst vergleichsweise spat im fruhen 19 Jahrhundert aufgetaucht 1 Foucault setzt diesen Begriff bzw die Erfahrung die dieser Begriff beschreibt gerade nicht als selbstverstandlich voraus sondern versucht ihm diese Selbstverstandlichkeit und Naturlichkeit zu nehmen Ziel der archaologischen Arbeit ist es hervortreten zu lassen dass es keineswegs selbstredend ist dass das Verlangen die Begehrlichkeit das sexuelle Verhalten der Individuen sich in einem Sexualitat genannten Wissens und Normalitatssystem ineinander fugen 2 Der Wille zum Wissen BearbeitenDer erste Band Der Wille zum Wissen wurde von Foucault als Ankundigungs und Eroffnungsschrift fur spatere Untersuchungen konzipiert 3 Inhaltlicher Ausgangspunkt ist dabei die Kritik hier zu verstehen im Sinne eines kritischen Be Fragens und nicht als pauschale Ablehnung an der Repressionshypothese Kritik an der Repressionshypothese Bearbeiten Foucault fuhrt das was er als Repressionshypothese bezeichnet ein als Diskurs uber die moderne Unterdruckung 4 der Sexualitat in den modernen burgerlichen Gesellschaften Diese im alltaglichen Wissen recht gelaufige Annahme nimmt er nun zum Anlass einmal genauer hinzusehen In der Folge nennt er zunachst drei bedeutsame Fragen die sich vor dem Hintergrund der Hypothese der Unterdruckung Untersagung sowie dem vermeintlichen grossen Schweigen rund um die moderne Sexualitat stellen Erstens ob diese Unterdruckung tatsachlich historisch evident sei Zweitens die Frage nach der Funktionsweise von Macht in modernen Gesellschaften Daran geknupft sind Foucaults Zweifel ob Macht in modernen Gesellschaften tatsachlich in erster Linie als Unterdruckungsmacht funktioniere Drittens ob ein vorgebrachter kritischer Diskurs gegen die Repression als solcher eingeordnet werden sollte oder ob ein solcher Widerstand nicht Teil desselben historischen Zusammenhangs sei wie das was er anklagt und zweifellos entstellt indem er es als Unterdruckung bezeichnet 5 Es geht Foucault also darum den Diskurs uber die moderne Unterdruckung der Sexualitat in einem allgemeineren globalen Machtzusammenhang anzusiedeln Um seine Sicht der Dinge darzulegen sieht es Foucault daher zunachst als notwendig an die Analyse von jenen Privilegien zu losen die man gewohnlich der Okonomie der Knappheit und den Prinzipien der Verknappung einraumt 6 Stattdessen mussten die produktiven Funktionen des Diskurses der Macht und des Wissens der Wahrheit in den Blick genommen werden 7 Die damit angesprochene Umwendung erlaubt es Foucault sowohl von einer Anreizung zu Diskursen als auch von einer Einpflanzung von Perversionen im Kontext der Herausbildung des Konzeptes einer modernen Sexualitat zu sprechen Die Anreizung zu Diskursen Bearbeiten Konkret stellt Foucault etwa ab dem 17 Jahrhundert bezeichnende Veranderungen auf der Ebene der Diskurse uber die Sexualitat fest Er spricht von Mechanismen des zunehmenden Anreizes sowie von einer diskursiven Explosion die rund um die moderne Sexualitat zunde 8 Obgleich das Vokabular eine polizeiliche Sauberung erfahren habe 9 sei die damit einhergehende sexuelle Diskretion letztlich zweitrangig insofern sie bloss ein Mittel sei durch welches hindurch die Macht sich gesellschaftlich akzeptierbar mache 10 Die Einpflanzung von Perversionen Bearbeiten Weiterhin spricht Foucault von einer Einpflanzung vielfaltiger Perversionen 11 Diese komme speziell ab dem 19 Jahrhundert zu tragen und manifestiere sich zunachst in einer zentrifugalen Bewegung gegenuber der heterosexuellen Einehe 12 Entgegen der jahrhundertelangen Handhabung in den traditionellen Codes fur sexuelle Praktiken kanonisches Recht christliche Pastoraltheologie sowie das alte Zivilrecht 13 richte die Macht ihr Interesse nun weniger auf das heterosexuelle Ehepaar als vielmehr auf sexuelle Abweichler Fur Foucault sind es Kinder Irre Kriminelle Homosexuelle und transgeschlechtliche Personen 14 die nun mitsamt ihrer Sexualitat ans Licht gezerrt und verhort werden Gleichzeitig hammere die Macht den Korpern diese Identitaten ein und verschaffe sich indem sie den Individuen Selbst Erkennungstechniken an die Hand gebe Zugang zum Korper 15 Siehe auch BearbeitenPastoralmacht Bio MachtLiteratur BearbeitenMichel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 Suhrkamp Frankfurt am Main 1977 frz La volonte de savoir Gallimard Paris 1976 Ubersetzt von Ulrich Raulff und Walter Seitter Michel Foucault Der Gebrauch der Luste Sexualitat und Wahrheit Bd 2 Suhrkamp Frankfurt am Main 1986 frz L usage des plaisirs Gallimard Paris 1984 Ubersetzt von Ulrich Raulff und Walter Seitter Michel Foucault Die Sorge um sich Sexualitat und Wahrheit Bd 3 Suhrkamp Frankfurt am Main 1986 frz Le souci de soi Gallimard Paris 1984 Ubersetzt von Ulrich Raulff und Walter Seitter Michel Foucault Die Gestandnisse des Fleisches Sexualitat und Wahrheit Bd 4 Suhrkamp Berlin 2019 ISBN 978 3 518 58733 1 frz Les aveux de la chair Gallimard Paris 2018 Herausgegeben von Frederic Gros Ubersetzt von Andrea Hemminger Anmerkungen Bearbeiten a b Michel Foucault Der Gebrauch der Luste Sexualitat und Wahrheit Bd 2 Suhrkamp Frankfurt am Main 1986 ISBN 3 518 57768 9 S 9 Michel Foucault Was ist Kritik Merve Berlin 1992 ISBN 3 88396 093 4 S 35 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 7 f Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 14 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 20 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 22 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 22 f Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 23 und 27 Foucault spricht in diesem Zusammenhang von einer Polizei der Aussagen an anderer Stelle von einer Polizei des Sexes Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 27 und 37 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 32 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 64 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 52 Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 51 Wenngleich Foucault selbst diesen Begriff nicht verwendet so lassen sich mit Foucault doch bedeutsame Verbindungslinien zur machtvollen Thematisierung solcher Transidentitaten wie etwa gegenwartig in Deutschland rund um die Debatte des sogenannten Selbstbestimmungsgesetzes erkennbar zeichnen Dabei weist der altere bei Betroffenen heute starker in Verruf geratene Begriff der Transsexualitat auf die Nahe zu Foucaults Sexualitatskonzept hin Michel Foucault Der Wille zum Wissen Sexualitat und Wahrheit Bd 1 6 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 S 59 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sexualitat und Wahrheit amp oldid 239216610