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Der Saturnier auch saturnischer Vers lateinisch versus saturnius und in antiken Quellen manchmal versus faunius faunisches Versmass ist eine antike Versform der lateinischen Metrik Er gilt als ursprunglich italisches Versmass ein fruher griechischer Einfluss wird allerdings fur moglich gehalten Sarkophag des Lucius Cornelius Scipio Barbatus mit einer Inschrift in Saturniern Als in Saturniern verfasst gelten die Odusia des Livius Andronicus eine lateinische Nachdichtung der Odyssee und das Epos Bellum Poenicum von Gnaeus Naevius Von beiden Werken sind nur Fragmente erhalten Als weitere Beispiele gelten die Sentenzen des Zensors 312 v Chr Appius Claudius Caecus und Inschriften im Grab der Scipionen Bei weiteren verstreuten Inschriften ist die Klassifizierung als Saturnier umstritten Insgesamt gibt es weniger als 200 uberlieferte Beispiele Nach Ennius wurde der Saturnier im Epos vom daktylischen Hexameter abgelost der auch im griechischen Epos fur die Gattung charakteristisch war Das Versmass der Grabinschriften wurde das elegische Distichon Problem des Saturniers BearbeitenAls das Problem des Saturniers wird in der klassischen Philologie der Umstand umschrieben dass uber diese Versform genau genommen absolut nichts Gesichertes gesagt werden kann und dass diese Situation nicht neu ist sondern offenbar bereits in der Antike bestand Im Einzelnen ist nicht bekannt bzw umstritten Name Es ist unklar ob und ab wann der Begriff als terminus technicus aufgefasst wurde der anfangs moglicherweise eher eine abfallige Bezeichnung fur einen altertumlichen Vers war Herkunft Ob er autochthon italisch griechischen Ursprungs oder die griechisch beeinflusste Uberformung einer indogermanischen Urform darstellt ist unklar und umstritten Versprinzip Es ist umstritten ob das zugrundeliegende Versprinzip akzentuierend die Silbenbetonung ist massgeblich oder quantitierend die Silbenlange ist massgeblich wie in der griechischen und dann in der klassischen lateinischen Metrik ist oder ob eine Mischform vorliegt Versmass vs Versgattung Die metrischen Abweichungen der uberlieferten Beispiele sind untereinander so gross dass es nicht klar ist ob es sich um ein festes Versmass gehandelt hat von dem die Autoren der uberlieferten Texte dann abgewichen waren oder ob es eher eine Versgattung oder eine Art Bauprinzip fur eine Gruppe ahnlicher Versmasse ist Zudem wurde Saturnier zumindest in der Spatantike als Sammelbezeichnung fur altertumlichen Vers allgemein verwendet Kruschwitz stellt in seinem Artikel zu den antiken Quellen der Begriffsgeschichte 1 die chronologische Entwicklung wie folgt dar Ausgangspunkt ist die bekannte Stelle im Proomium des siebten Buches der Annales des Ennius scripsere alii rem versibus quos olim Fauni vatesque canebant 2 Andere haben daruber geschrieben in Versmassen die einst Faune und Seher zum Vortrag brachten 3 Dies stellt nach heutiger Auffassung einen polemischen Seitenhieb auf das Bellum Punicum des Naevius dar dessen Versmass durch quos olim Fauni vatesque canebant als altertumlich abgewertet werden soll ahnlich wie heute etwas als altertumlich oder vorsintflutlich im Sinn von veraltet bezeichnet wird ohne damit zu meinen der betreffende Gegenstand stamme tatsachlich aus dem Altertum oder aus der Zeit vor der Sintflut ahnlich weit zuruckliegend und halb mythisch war fur Ennius das Zeitalter der Faunen und Seher 4 Man scheint aber die Ausserung des Ennius in der Folge wortlich genommen zu haben woraus die Auffassung entstand der Saturnier sei erstens ein sehr archaisches und zweitens ein kultisch sakrales Versmass gewesen Beides wird durch die Uberlieferung nicht gestutzt da die altesten Belege des Saturniers eben einmal 100 Jahre alter als die Annales des Ennius sind und die Verwendung hauptsachlich Epos und Epigramm gewesen zu sein scheint Weiter ist zu bemerken dass der Begriff versus bzw numerus saturnius bzw faunius hier explizit nicht erscheint Varro baut dann in seinem Buch De lingua latina die kurze Stelle des Ennius kraftig aus und schreibt Fauni dei Latinorum ita ut et Faunus et Fauna sit hos versibus quos vocant Saturnios in silvestribus locis traditum est solitos fari futura a quo fando Faunos dictos Antiqui poetas vates appellabant a versibus viendis ut de poematis cum scribam ostendam 5 Faune sind Gotter der Latiner wobei es sowohl Faunus als auch Fauna gibt diese sollen in Versmassen die man Saturnier nennt in bewaldeten Regionen gesprochen haben fari vom Wort fari abgeleitet nannte man sie Fauni Die alten Dichter nannte man vates hergeleitet davon dass sie Verse winden a versibus viendis wie ich wenn ich mein Buch De poematis schreiben werde zeigen will Hier wird die offensichtlich Polemik im Zitat des Ennius vollig ignoriert der Zeitbezug fur bare Munze genommen und die Ennius Stelle als Beleg fur die Sitten und Gebrauche zu Zeiten der Faune und Seher verwendet Hier taucht zudem erstmals der Saturnische Vers als Begriff auf versibus quos vocant Saturnios In einer Stelle in den Briefen des Horaz wird auf diesen Saturnischen Vers jetzt wieder abwertend Bezug genommen es bleibt aber unklar ob Horaz sich damit auf die Werke von Naevius und Livius Andronicus bezieht die er weiter oben im gleichen Text angefuhrt hat 6 oder ob er allgemein von einer bauerlich groben da vorgriechischen lateinischen Metrik spricht Graecia capta ferum victorem cepit et artis intulit agresti Latio sic horridus ille defluxit numerus Saturnius et grave virus munditiae pepulere sed in longum tamen aevum manserunt hodieque manent vestigia ruris 7 Griechenland ward jetzt unterworfen doch unterwarf es sich selbst seinen rauhen Besieger brachte ihm die Kunste ins landliche Latium So verschwand denn allmahlich jenes ungefuge saturnische Versmass und Sauberkeit verdrangte ublen Schmutz doch blieben sie fur lange Zeit und dauern selbst heute noch immer die Spuren bauerlichen Ungeschmacks Aus dem Kontext schliesst Kruschwitz dass hier eher von der zweiten allgemeineren Bedeutung auszugehen ist 8 Die erste uberlieferte Verslehre die sich mit dem Saturnier ausfuhrlicher beschaftigt ist ein dem Caesius Bassus einem Dichter des 1 Jahrhunderts zugeschriebenes Liber de metris 9 Der Verfasser ist ein Anhanger der Derivationstheorie die alle Metren aus dem griechischen jambischen Trimeter und daktylischen Hexameter herleiten will dementsprechend sieht er im Saturnier ein ursprunglich griechisches Versmass das durch den metrischen Unverstand der lateinischen Autoren derart bis zur Unkenntlichkeit verstummelt wurde dass es schwerfallt uberhaupt gultige Beispiele zu finden Es gilt uber den Saturnier zu sprechen von dem meinten unsere Landsleute er sei ein eigenes Produkt der italischen Landschaft aber sie tauschen sich Denn von den Griechen wurde er verschiedenartig und auf vielfaltige Weise genutzt nicht nur von den Komikern sondern auch von den Tragikern Unsere alten Dichter jedoch um deutlich auszusprechen was offensichtlich ist haben ihn genutzt ohne die Gesetzmassigkeit einzuhalten und die Einheitlichkeit so zu wahren dass die Verse untereinander ubereinstimmen sondern sie haben abgesehen davon dass sie ganz holprige Verse gebildet haben auch bald zu kurze bald zu lange Verse eingestreut so dass ich bei Naevius kaum einen Vers finde den ich als Beispiel anfuhren konnte Und er fahrt fort Aber aus all diesen Versen die ganz unebenmassig und zum Vorfuhren denkbar ungeeignet sind ist der am besten den die Meteller uber Naevius verfasst haben von dessen Dichtung sie einige Male provoziert worden waren Er zitiert dann den in den folgenden Zeiten immer wieder als Standardbeispiel des Saturniers wiedergegebenen Vers Malum dabunt Metelli Naevio poetaeDazu gibt er die folgende Interpretation Dieser Saturnier namlich besteht aus dem hinteren Versglied des jambischen Septenars und einem phallischen Metrum Diese metrische Interpretation bildet bis heute das erste der beiden den Beispielen des Saturniers unterlegten Grundschemata 10 die jeweils aus zwei durch Diharese getrennten Kola bestehen Das metrische Schema der ersten Grundform ist also ein katalektischer jambischer Quaternar und ein Ithyphallikos Die beiden Nebendiharesen werden ubrigens als Korschsche Diharesen bezeichnet 11 Das Schema der zweiten Form stimmt im ersten Kolon uberein wahrend das zweite als reizianisches Kolon interpretiert werden kann Das Problem dieser Schemata ist dass genau wie Caesius Bassus bemerkte sich kaum ein Vers findet der sie vollstandig realisiert dafur aber zahlreiche nicht ubereinstimmende Beispiele sodass die Gultigkeit der zugrundeliegenden Abstraktion fragwurdig wird Weitere Metriker wie Terentianus Maurus 2 3 Jhdt 12 und Marius Plotius Sacerdos 3 Jhdt 13 wiederholen im Wesentlichen das von Caesius Bassus Gesagte Bei Atilius Fortunatianus 14 Mitte 3 Jhdt wird dagegen die Theorie einer italischen Herkunft des Saturniers vertreten Das Saturnische Metrum hat man zuerst in Italien verwendet Es wurde namlich benannt nach Saturnia der altesten Stadt Italiens Ausserdem gibt er als Beispiel eines Saturniers summas opes qui regum regias refregitan einen Vers der sich bei Caesius Bassus nicht findet Atilius Fortunatianus scheint also noch auf andere Quellen zuruckgegriffen zu haben Im 4 Jahrhundert wird der Saturnier in den Schriften einiger Grammatiker mehr oder minder ausfuhrlich behandelt So findet sich bei Marius Victorinus 15 erstmals die Bezeichnung versus faunius Bei Flavius Sosipater Charisius 16 erscheint Saturnier als generische Bezeichnung fur alte Versmasse Ausserdem sagt er der Saturnier ware im Zeitalter des Saturnus als feierlicher Schluss der sententiae verwendet worden also als eine Art rhetorischer Klausel bzw nach anderen sei es der in der Apotheose des latinischen Konigs Saturnus verwendete Vers gewesen Ahnlich schreibt Diomedes Grammaticus 17 dass saturnium in honorem dei Naevius invenit der Saturnier sei von Naevius zu Ehren des Gottes erfunden worden Dazu gibt er die erstaunlich einfache Deutung des Saturniers als hypermetrischer jambischer Senar Und Flavius Mallius Theodorus 18 gibt an der Wende vom 4 zum 5 Jahrhundert ein ahnliches metrisches Schema an wie seine Vorganger namlich katalektischer jambischer Dimeter und trochaische Tripodie Von Maurus Servius Honoratius schliesslich gibt es zwei Stellen die sich auf den Saturnier beziehen Die eine im Georgica Kommentar nam hoc est versibus incomptis ludunt id est carminibus Saturnio metro compositis quod ad rhythmum solum vulgares componere consuerunt 19 Denn dieses sie scherzen in schlichten Versen d h in Liedern die im Saturnischen Metrum verfasst sind das die einfachen Leute allein ad rhythmum zu komponieren pflegten Das in der Bedeutung unklare ad rhythmum componere wurde als Beleg fur eine akzentrhythmische Deutung des Saturniers herangezogen Die zweite Stelle findet sich in De centum metris 20 wo Servius dann allerdings eine konventionelle rein quantitierende Angabe zum saturnischen Versmass gibt Der Ansatz einer akzentrhythmischen Deutung des Saturniers wurde von Wallace Martin Lindsay entwickelt 21 22 Die Interpretation des uberlieferten Materials unter der Annahme es lage den Versen ein akzentuierendes Prinzip zugrunde liefert zwar deutlich regelmassiger erscheinende Metrisierungen allerdings fallt es schwer anzunehmen dass eine so wesentliche Anderung bis auf eine zweifelhafte spatantike Servius Stelle unkommentiert geblieben sein konnte bzw dass ein korrekter akzentuierender Vortrag der alten Verse innerhalb relativ kurzer Zeit vollig in Vergessenheit geraten sein konnte Kruschwitz geht von einer quantitierenden Interpretation des Saturniers aus und Boldrini bezeichnet die akzentrhythmische Interpretation kurzweg als gescheitert 23 womit er wohl die Meinung der Mehrheit wiedergibt Dennoch mag das letzte Wort nicht gesprochen sein Dem von modernen Metrikern in der Nachfolge von Paul Maas gern geubten Verfahren die Schriften antiker Metriker in den Hintergrund zu stellen und antike Versmasse moglichst allein aus den uberlieferten dichterischen Texten zu rekonstruieren bietet der Saturnier eben aufgrund der bereits von den antiken Grammatikern festgestellten Uneinheitlichkeiten und zahlreichen Abweichungen wenn denn der Saturnier als festgelegtes Versmass je existiert hat erhebliche Schwierigkeiten Das Problem des Saturniers muss daher trotz zahlreicher moderner Untersuchungen weiter als ungelost gelten Das hat nicht daran gehindert den problematischen Saturnier in Inschriften anderer italischer Sprachen Faliskisch Oskisch Umbrisch und der Sprache der Paeligni erkennen zu wollen oder ihn mit einem hypothetischen protoindoeuropaischen Versmass in Beziehung zu setzen so bei John Vigorita 24 und M L West 25 Literatur BearbeitenSandro Boldrini Prosodie und Metrik der Romer Teubner Stuttgart amp Leipzig 1999 ISBN 3 519 07443 5 S 86 90 A T Cole Saturnian In Roland Greene Stephen Cushman et al Hrsg The Princeton Encyclopedia of Poetry and Poetics 4 Auflage Princeton University Press Princeton 2012 ISBN 978 0 691 13334 8 S 1258 f eingeschrankte Vorschau http vorlage digitalisat test 1 3D 7B 7B 7B1 7D 7D 7D GB 3DuKiC6IeFR2UC IA 3D MDZ 3D 0A SZ 3DPA1258 doppelseitig 3D LT 3Deingeschr C3 A4nkte 20Vorschau PUR 3D in der Google Buchsuche Friedrich Crusius Hans Rubenbauer Romische Metrik 2 Auflage Hueber Munchen 1955 S 45 48 Hans Drexler Einfuhrung in die romische Metrik WBG Darmstadt 1967 S 79 84 Gerrit Kloss Zum Problem des romischen Saturniers In Glotta Bd 71 H 1 2 1993 S 81 107 Peter Kruschwitz Carmina Saturnia epigraphica Einleitung Text und Kommentar zu den Saturnischen Versinschriften Steiner Stuttgart 2002 ISBN 3 515 07924 6 zugleich Dissertation FU Berlin 1999 Peter Kruschwitz Die antiken Quellen zum saturnischen Vers In Mnemosyne Fourth Series Bd 55 Nr 4 2002 S 465 498 Friedrich Leo Der Saturnische Vers Weidmann Berlin 1905 Jed Parsons A New Approach to the Saturnian Verse and Its Relation to Latin Prosody In Transactions of the American Philological Association Bd 129 1999 S 117 137 Gero von Wilpert Sachworterbuch der Literatur 8 Auflage Kroner Stuttgart 2013 ISBN 978 3 520 84601 3 S 721 Einzelnachweise Bearbeiten Peter Kruschwitz Die antiken Quellen zum saturnischen Vers In Mnemosyne Fourth Series Bd 55 Nr 4 2002 S 465 498 Ennius Annales 7 206 f Ed Otto Skutsch The annals of Q Ennius Clarendon Press Oxford 1985 ISBN 0 19 814448 2 Ubersetzungen der Zitate nach Kruschwitz Nach der Rekonstruktion von Skutsch bezieht sich das andere Fragment Cum neque Musarum scopulos quisquam superarat Nec dicti studiosus erat fuit Romanus homo ante hunc auf Ennius selbst Vgl Skutsch Annals 1985 S 374 Varro De lingua latina 7 36 Horaz Epistulae 2 1 53 75 Horaz Epistulae 2 1 156 160 Kruschwitz Die antiken Quellen zum saturnischen Vers In Mnemosyne Fourth Series Bd 55 Nr 4 2002 S 471 f Caesius Bassus Liber de metris In Heinrich Keil Grammatici Latini Bd 6 Scriptores artis metricae Teubner Leipzig 1874 S 265 f Boldrini Prosodie und Metrik der Romer Stuttgart amp Leipzig 1999 S 86 f Theodor Korsch De versu Saturnio Moskau 1869 Terentianus Maurus De metris v 2497 2524 In H Keil Grammatici Latini Bd 6 Leipzig 1874 S 399 f Marius Plotius Sacerdos Artis grammaticae liber III In H Keil Grammatici Latini Bd 6 Leipzig 1874 S 531 f Atilius Fortunatianus Ars In H Keil Grammatici Latini Bd 6 Leipzig 1874 S 293 f Marius Victorinus Artis grammaticae liber III In H Keil Grammatici Latini Bd 6 Leipzig 1874 S 138 140 Flavius Sosipater Charisius Artis grammaticae liber IV In H Keil Grammatici Latini Bd 1 Leipzig 1857 S 288 f Diomedes Grammaticus Ars grammatica In H Keil Grammatici Latini Bd 1 Leipzig 1857 S 512 Flavius Mallius Theodorus De metris In H Keil Grammatici Latini Bd 6 Leipzig 1874 S 594 Servius Kommentar zu Georgica 2 385 Maurus Servius Honoratius De centum metris In H Keil Grammatici Latini Bd 4 Leipzig 1864 S 466 W M Lindsay The Saturnian Meter First Paper In American Journal of Philology Band 14 Nr 2 1893 S 139 170 JSTOR 288103 englisch W M Lindsay The Saturnian Meter Second Paper In American Journal of Philology Vol 14 Nr 3 The Johns Hopkins University Press 1893 S 305 334 JSTOR 288073 Boldrini Prosodie und Metrik der Romer Stuttgart amp Leipzig 1999 S 86 John Vigorita Indo European Comparative Metrics Dissertation University of California Los Angeles 1973 M L West Indo European Metre In Glotta 51 1973 S 161 187 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Saturnier amp oldid 227794758