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Der Portratkopf eines Mannes ist ein antikes romisches Kunstwerk in der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen Inventarnummer 770 Die unbekannte dargestellte Person lebte wie die Haarmode zeigt zur Zeit der Kaiser Vespasian und Titus Robert Eisler identifizierte sie 1930 als den judisch romischen Historiker Flavius Josephus Eisler Kulturhistoriker judischer Herkunft wollte bei der dargestellten antiken Person judische Augen vor allem aber eine unromische Form der Nase erkannt haben Portratkopf eines Mannes Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen Inhaltsverzeichnis 1 Beschreibung 2 Provenienz 3 Identifikationsversuche 4 Rezeption 5 Literatur 6 Weblinks 7 AnmerkungenBeschreibung BearbeitenDer Kopf ist 44 cm hoch das Material ist weisser Marmor Die dargestellte Person ist ein junger Mann etwa in den Zwanzigern Er hat kurzes lockiges Haar und einen Flaumbart Die kleinen krausen Locken am Vorderkopf sind typisch fur die Haartracht der fruhen Flavierzeit Sie ermoglichen die Datierung des Portratkopfes ins 1 Jahrhundert n Chr 1 Abgesehen von kleinen Beschadigungen im Bereich der Ohrmuscheln und der Haare am Vorderkopf ist der Portratkopf aussergewohnlich gut erhalten Eine Inschrift oder ein sonstiger Hinweis auf die Identitat des Dargestellten findet sich nicht Provenienz Bearbeiten nbsp Erstveroffentlichung des Portratkopfs 1832 damals in der Sammlung Borghese in Rom Fundort und Fundumstande des Portratkopfs sind unbekannt Er gehorte im fruhen 19 Jahrhundert zur Sammlung der Familie Borghese in Rom Der von Antonio Nibby verfasste Katalog bezeichnete das Werk 1832 als unbekannten Kopf die darin enthaltene Tafel ist die fruheste bekannte Abbildung dieses antiken Kunstwerks 2 1882 widersprach Johann Jakob Bernoulli der Meinung bei dem in der Villa Borghese im Zimmer des Hermaphroditen als Nr 13 aufgestellten Portratkopf handle es sich um eine Darstellung des Gnaeus Domitius Corbulo in dessen jungen Jahren Sehr zu Unrecht ist der Name Corbulo auch auf jugendliche Bildnisse von zufalliger Formenahnlichkeit ubertragen worden wie z B auf den vortrefflichen Kopf mit der hockerigen Nase in Villa Borghese der eher mit einem namenlosen im Vasenzimmer des Capitols Nr 50 und einem farnesischen in Neapel zusammenzustellen ist 3 Ende des 19 Jahrhunderts interessierte sich Carl Jacobsen fur die Antikensammlung der Familie Borghese Jacobsen wurde in Rom durch den Klassischen Archaologen und Kunsthandler Wolfgang Helbig vertreten Nachdem Marcantonio Borghese 1889 bereit war einen Teil der Sammlung zu verkaufen wurde uber die Buste des Corbulo wie sie trotz des Einspruchs von Bernoulli weiterhin hiess verhandelt Im Sommer 1890 gelangte sie aber zunachst in den Besitz von Agnese Boncompagni Ludovisi geborene Borghese Durch Vermittlung des Kunstsammlers Michel Tyszkiewicz erwarb Jacobsen 1891 von ihr die vermeintliche Corbulo Buste Sie befindet sich seither in der Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen seit 1897 Ny Carlsberg Glyptotek Identifikationsversuche BearbeitenDer von Jacobsen 1892 herausgegebene Sammlungskatalog verzichtete auf die Identifizierung des Dargestellten mit einer historischen Personlichkeit und bezeichnete ihn nur als Romer Er ruhmte den hervorragenden Erhaltungszustand des Portratkopfes In schonungslosem Realismus werde insbesondere die lange Nase in ihrer ganzen Hasslichkeit dargestellt 4 Damit fand eine Neubewertung statt denn bis dahin war der Portratkopf stets als schon bezeichnet worden Frederik Poulsen vertrat in dem Museumskatalog von 1925 erstmals die von ihm seither wiederholte These die dargestellte Person sei sicher ein junger Jude Er stellte eine Ahnlichkeit mit dem sogenannten Drusus von Pompeji im Archaologischen Nationalmuseum Neapel fest 5 Die halbnackte heroische Statue war 1821 im Macellum von Pompeji gefunden worden Bernoulli hatte den hervorragend erhaltenen Kopf so beschrieben Die Scheitellinie ist hier gewolbt unten hervortretend oben flach die Nase leicht gebogen und durch einen Einschnitt von der Stirn getrennt In den Augen die Pupillen angegeben Der Mund hat aufwarts gerichtete Winkel auf Oberlippe Kinn und Wangen ein leichter Flaumbart Das Gesicht mager und nach unten zugespitzt die Ohren abstehend Die Haare fallen schlicht in die Stirn haben jedoch oben und hinten einen welligen nicht lockigen Charakter Der Ausdruck des Gesichts etwas trube 6 Bevor die Buste aus Kopenhagen als Portrat eines Juden interpretiert wurde konnte sie als schoner Kopf bezeichnet werden Sobald sie jedoch als Darstellung eines Juden interpretiert wurde wurde sie negativ beschrieben 7 Im Sommer 1929 besuchte der Kulturhistoriker Robert Eisler die Ny Carlsberg Glyptotek 1929 erschien auch der erste Band seines Werkes Iesous basileus ou basileusas Jesus Konig der nicht herrschte Eisler vertrat darin die Meinung Jesus von Nazareth habe die Konigsherrschaft in Judaa angestrebt und sei deshalb von den romischen Behorden hingerichtet worden Sein politischer Anspruch mit dem er scheiterte sei im spateren Christentum gezielt unterdruckt und die Quellen entsprechend manipuliert worden Dem Werk des Flavius Josephus kam in Eislers Argumentation grosse Bedeutung zu damit auch der Personlichkeit des antiken Historikers Konnte man ihm eventuell sogar ins Gesicht sehen Eine Notiz des spatantiken Kirchenvaters Eusebius von Caesarea schien eine Moglichkeit zu offnen Von den damaligen Juden genoss Josephus weitaus das grosste Ansehen und zwar nicht bloss bei seinen Landsleuten sondern auch bei den Romern Er wurde in Rom sogar durch Aufstellung einer Bildsaule geehrt und die von ihm verfassten Schriften wurden der Aufnahme in die Bibliothek gewurdigt Eusebius von Caesarea Kirchengeschichte 3 9 BKV Eisler fragte in Iesous basileus ou basileusas ob dieses Standbild des Josephus nicht im Schutt des kaiserzeitlichen Rom erhalten geblieben sein konnte und sich unerkannt in einer Privatsammlung befande 8 Dann stellte sich die Frage wie man Josephus erkennen konnte wenn eine Inschrift fehlte Bei dem Besuch der Ny Carlsberg Glyptotek erregte der Portratkopf Eislers Aufmerksamkeit moglicherweise war ihm bereits bekannt dass Poulsen ihn als Darstellung eines namenlosen Juden deutete Eisler schlug vor dass es sich um den Kopf der von Eusebius erwahnten Standfigur des Josephus handle Er nutzte klassische antisemitische Stereotype um den angeblich judischen Typus type juif sowohl in der Physiognomie als auch im Charakter nachzuweisen 9 die unromische Form der Nase die traurigen dabei aber unruhigen und wachsamen Augen die lockigen Haare und nicht frisierten Schlafenlocken 10 der etwas verdrossene Mund mit leicht hangender Unterlippe der schuttere Bart der gemeine und heuchlerische Charakter der sich aus den Widerspruchen in Josephus Buchern ergebe 11 nbsp Nasothek Ny Carlsberg Glyptotek Hatte Poulsen eine Ahnlichkeit des Kopenhagener Portratkopfs mit dem Drusus von Pompeji gesehen so ging Eisler zwei Schritte weiter Er erklarte die Statue in Neapel ebenfalls zur Darstellung eines Juden und identifizierte sie mit Agrippa dem Sohn von Marcus Antonius Felix und Drusilla Mutter und Sohn starben 79 beim Ausbruch des Vesuvs Damit war eine Beziehung zu Pompeji gegeben Eisler meinte diese Statue entspreche dem judischen Typ viel besser weil die dargestellte Person dunkelhautig gewesen sei und schwarze Haare gehabt habe Die angeblich dunklere Hautfarbe von Juden spielte im rassistischen Diskurs des spaten 19 Jahrhundert eine wichtige Rolle sie begrundete Minderwertigkeit 12 Kein korperliches Merkmal wurde von Antisemiten des 19 und fruhen 20 Jahrhunderts so sehr betont wie die Form der Nase Antijudische Autoren der Antike zum Beispiel Tacitus erwahnen abgesehen von der Beschneidung keine korperlichen Besonderheiten von Juden 13 Jonathan P Roth betont Im Gegensatz zu modernen europaischen Schriften uber Juden worin die aussere Erscheinung von Juden stets ausfuhrlich behandelt wird fehlt diese Thematik in der antiken Literatur vollig Diese Tatsache wurde nicht immer gewurdigt und die Folge war die Ubertragung moderner Rassenvorstellungen in die Vergangenheit 14 Rezeption Bearbeiten nbsp Der Kopenhagener Portratkopf als Autorenportrat in einer Ausgabe von Josephus Judischem KriegPoulsen widersprach Eislers Identifikation des Dargestellten mit Josephus und infolgedessen wurde der Portratkopf in der Ny Carlsberg Glyptotek zu keiner Zeit so bezeichnet 15 Er schrieb 1939 dass er die Datierung der Kopenhagener Judenbuste in die flavische Zeit teile und daher liesse sich die von Eisler vorgeschlagene Benennung des Bildnisses als Flavius Josephus chronologisch sehr wohl aufrechterhalten sie ist aber doch bedenklich da es sich um ein Portrat handelt von dem wir keine Repliken kennen 16 Die rassistischen Argumente fur seine zwei identifizierten Bildnisse antiker Juden brachte Eisler in einem Beitrag der franzosischen Zeitschrift Arethuse wo sie kaum rezipiert wurden Seine Identifikation der Statue in Neapel mit Agrippa interessierte wenig da dieser junge Mann historisch unbedeutend geblieben war Ganz anders war das bei Josephus dessen Person und Werk seit Jahrhunderten stark beachtet wurden Breitenwirkung erreichte Eisler damit dass er dem zweiten Band von Iesous basileus ou basileusas 1930 ein Foto des angeblichen Kopenhagener Josephus Kopfes beifugte das dann auch in der englischen Ubersetzung The Messiah Jesus and John the Baptist 1931 zu sehen war 17 18 Und Iesous basileus ou basileusas erregte mit den darin enthaltenen Aussenseiterthesen zur Geschichte des Urchristentums und zum Werk des Josephus grosse Aufmerksamkeit Der Kopenhagener Portratkopf wurde fur verschiedene Werkausgaben des Josephus als Illustration ubernommen darunter fur die Ubersetzung der Antiquitates ins Neuhebraische Abraham Schalit 1944 Auch Robert Eisenmans weit verbreitetes und kontrovers diskutiertes Werk James the Brother of Jesus 1997 nutzte den vermeintlichen Josephus Portratkopf als Illustration was dessen wissenschaftlich einhellig abgelehnter Interpretation im spaten 20 Jahrhundert nochmal Schub gab 19 Steve Fine und Rene Bloch kritisieren die haufige Verwendung dieser Illustration in Onlinequellen die sich mit Josephus befassen zum Beispiel dem Josephus Artikel in verschiedenen Sprachversionen der Wikipedia Sie raumen aber ein dass der vermeintliche Josephus Portratkopf auch im akademischen Kontext ungebrochen Verwendung findet beispielsweise in Eilat Mazars 2000 veroffentlichtem Fuhrer zu den Ausgrabungen am Tempelberg oder im Programm eines Kolloquiums Josephus zwischen Bibel und Mischna 2019 der Bar Ilan Universitat 20 21 Die Abguss Sammlung Antiker Plastik der Freien Universitat Berlin besitzt einen 1986 erworbenen Gipsabguss des Kopenhagener Portratkopfes der dort als Josephus Flavius Buste bezeichnet wird Inv Nr VIII 225 28 86 3305257 22 Literatur BearbeitenRene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen In Ders Ancient Jewish Diaspora Essays on Hellenism Supplements to the Journal for the Study of Judaism Band 206 Brill Leiden Boston 2022 S 314 338 Magen Broshi Bread Wine Walls and Scrolls Journal for the Study of the Pseudepigrapha Supplement Series Band 36 Sheffield Academic Press London New York 2001 Robert Eisler Deux sculptures de l antiquite classique representant des juifs In Arethuse 7 1930 S 29 37 Frederik Poulsen Romische Privatportrats und Prinzenbildnisse Munksgaard Kopenhagen 1939 Online Steven Fine How Do You Know a Jew When You See One Reflections on Jewish Costume in the Roman World In Leonard J Greenspoon Hrsg Fashioning Jews Clothing Culture and Commerce Purdue University Press West Lafayette 2013 S 19 28 Online Weblinks BearbeitenSlots og Kulturstyrelsen Museernes Samlinger Romer Portratkopf eines Mannes Kopenhagen Ny Carlsberg Glyptotek in der archaologischen Datenbank ArachneAnmerkungen Bearbeiten Frederik Poulsen Romische Privatportrats und Prinzenbildnisse Kopenhagen 1939 S 4 Antonio Nibby Monumenti scelti della Villa Borghese Rom 1832 Tafel Online Johann Jakob Bernoulli Die Bildnisse beruhmter Romer mit Ausschluss der Kaiser und ihrer Angehorigen Romische Ikonographie Band 1 Spemann Stuttgart 1882 S 276 Carl Jacobsen Carlsberg Glyptotek Nyt Tillaeg til fortegnelse over kunstvaerkerne Nielsen amp Lydiche Kopenhagen 1892 S 229 Hier zitiert nach Rene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen Leiden Boston 2022 S 331 Anm 52 Rene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen Leiden Boston 2022 S 325 und 332 Vgl Johann Jakob Bernoulli Die Bildnisse der romischen Kaiser Das julisch claudische Kaiserhaus Romische Ikonographie Band 2 1 Spemann Berlin Stuttgart 1886 Tafel VIII Online Johann Jakob Bernoulli Die Bildnisse der romischen Kaiser Das julisch claudische Kaiserhaus Romische Ikonographie Band 2 1 Spemann Berlin Stuttgart 1886 S 172 Rene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen Leiden Boston 2022 S 328 Robert Eisler Iesous basileus ou basileusas S xlii hier wiedergegeben nach Rene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen Leiden Boston 2022 S 323 Anm 22 Robert Eisler Deux sculptures de l antiquite classique representant des juifs 1930 S 34 Vgl Ori Z Soltes Josephus Titus Flavius IV Visual Arts In Encyclopedia of the Bible and Its Reception EBR Band 14 De Gruyter Berlin Boston 2017 ISBN 978 3 11 031331 4 Sp 751 753 Antike griechische und romische Autoren erwahnen Schlafenlocken nicht Sicher nachgewiesen ist diese religiose Haarmode erst im europaischen Mittelalter Vgl Jonathan P Roth Distinguishing Jewishness in Antiquity In Jean Jacques Aubert Hrsg A Tall Order Writing the Social History of the Ancient World Beitrage zur Altertumskunde Band 216 Saur Munchen Leipzig 2005 S 48 Rene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen Leiden Boston 2022 S 328 Rene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen Leiden Boston 2022 S 325 327 Rene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen Leiden Boston 2022 S 327 f Jonathan P Roth Distinguishing Jewishness in Antiquity In Jean Jacques Aubert Hrsg A Tall Order Writing the Social History of the Ancient World Beitrage zur Altertumskunde Band 216 Saur Munchen Leipzig 2005 S 53 In contrast to modern European writing about Jews in which there is a great deal of discussion of Jewish appearance it is completely absent in the ancient literature This fact has not always been appreciated and has led to the imposition of modern racial ideas onto the past Rene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen Leiden Boston 2022 S 334 Frederik Poulsen Romische Privatportrats und Prinzenbildnisse Kopenhagen 1939 S 5 Rene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen Leiden Boston 2022 S 323 f und 333 f Robert Eisler The Messiah Jesus and John the Baptist New York 1931 Frontispiz Presumed portrait of Flavius Josephus First cent Roman marble head of Jewish type found in Rome Online und Tafel III S 29 Front view of presumed Josephus head Note the intentional assimilation of the face of the Flavian courtier to the type of Emperor Titus well known colossal bust in the Naples museum Online Rene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen Leiden Boston 2022 S 334 f Rene Bloch Testa incognita The History of the Pseudo Josephus Bust in Copenhagen Leiden Boston 2022 S 335 Steven Fine How Do You Know a Jew When You See One Reflections on Jewish Costume in the Roman World West Lafayette 2013 S 19 Abguss Sammlung Antiker Plastik Bestandskatalog Stand Fruhjahr 2022 S 263 Link zur PDF Version Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Portratkopf eines Mannes Ny Carlsberg Glyptotek 770 amp oldid 238595552