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Mit Pharmakos farmakos pharmakos wurde im antiken Griechenland ein menschliches Opfer bezeichnet das fur Reinigungsrituale vorgesehen war Inhaltsverzeichnis 1 Quellenlage und Begriff 2 Vorkommen des Rituals 3 Anthropologische Forschungsansatze 4 Literatur 5 AnmerkungenQuellenlage und Begriff BearbeitenDie Bezeichnung pharmakos fur das Menschenopfer das im ganzen griechischen Raum einheitliche Merkmale aufweist ist bereits bei einigen Autoren des 6 bis 4 vorchristlichen Jahrhunderts belegt darunter Hipponax aus Kolophon Aristophanes Lysias und Demosthenes Ihre Ausserungen geben zwar nur indirekt Aufschluss uber das Ritual doch ihre Verwendung des Ausdrucks und Anspielungen auf bestimmte Handlungen scheinen eine lebendige und gemeinverstandliche Begrifflichkeit vorauszusetzen Mehrere spatere Autoren wie Kallimachos Strabon und Plutarch liefern direkte Beschreibungen des Rituals die mit denen in lateinischen Quellen Vergil Aeneis III 57 Ovid und Petronius ubereinstimmen Durch spatere Grammatiker Lexikographen und Scholiasten Servius Suda Lexikon Johannes Tzetzes und andere sind auch einige Ursprungslegenden bekannt 1 Unklar ist ob das Wort pharmakon die geschlechtsneutrale Form von pharmakos ist Der Terminus pharmakon wurde von den Griechen sowohl in der Bedeutung von Gift als auch in der Bedeutung von Heilmittel verwendet Einige spatere Quellen wie zum Beispiel die Suda und Herodian verwenden auch das Wort katharma ka8arma Abfall unbrauchbare Reste des Opfers mit der gleichen Bedeutung wie pharmakos Ein haufiges Synonym fur pharmakos war peripsema peripshma Unrat Dreck 2 In der griechischen Ubersetzung des Alten Testaments der Septuaginta und im Neuen Testament wird das Wort pharmakos manchmal pharmakos mit der Bedeutung von Magier verwendet Vorkommen des Rituals BearbeitenVon diesem Ritual wird fur viele griechische Stadte und Kolonien des Mittelmeerraums berichtet Es wurde ausgefuhrt um die Stadt zu lautern wenn Seuchen Hungersnot Krieg oder sonstige Krisen und Gefahren befurchtet wurden oder eingetreten waren In manchen Stadten wie Abdera sei die Opferung jahrlich an einem bestimmten Tag durchgefuhrt worden Fur Athen und andere Stadte Ioniens ist eine Verbindung mit den Thargelion Feiern vermutet worden Im Allgemeinen wird aber angenommen dass die Opferung des pharmakos zumindest in ihrer ursprunglichen Form nicht Teil des offiziellen religiosen Kalenders war In allen Stadten sei als pharmakos ein Mann einige Quellen sprechen fur Athen von zwei Mannern oder von einem Mann und einer Frau aus den Armen Sklaven oder Fremden ausgewahlt oder wie in Abdera gekauft worden Fur den Sprung von den Klippen von Leukas wurde einer der zum Tode verurteilten Gefangenen ausgewahlt Der pharmakos sei entweder wegen seiner besonderen Hasslichkeit so in Kolophon oder zufallig ausgewahlt und auf Kosten der Stadt reichlich bekostigt worden in Marseille ein Jahr lang Fur die Opferung sei der Mann mit pflanzlichen Ornamenten behangen in einer Prozession oder Verfolgung durch die Stadt gefuhrt bzw gejagt mit Ruten gepeitscht mit Schmahrufen beschimpft und von den Stadtbewohnern unter Verwunschungen aus der Stadt gefuhrt worden In Abdera in Athen und in anderen ionischen Stadten sei der Mann anschliessend mit Steinen beworfen und verjagt oder gesteinigt worden In Marseille und Leukas sei er von einer Felsklippe ins Meer gesturzt worden In Kolophon wurde das Opfer wahrscheinlich verbrannt und die Asche ins Meer gestreut Ein pharmakos Ritual war wahrscheinlich auch die in Rhodos jahrlich vollstreckte Hinrichtung eines Verurteilten Porphyrios berichtet 3 dass der Verurteilte wahrend der Kronia Feierlichkeiten uber ein bestimmtes Tor aus der Stadt gefuhrt wurde und dass man ihm Wein zu trinken gab bevor man ihn totete Porphyrios zufolge war diese Hinrichtung ursprunglich das jahrliche Menschenopfer fur Kronos Alle Quellen berichten von der Teilnahme aller Stadtbewohner an der Opferung auch dort wo dies wie in Athen unwahrscheinlich scheint Einige Autoren 4 betonen dass viele Quellen von einer Aussendung und nicht von einer Totung des pharmakos sprechen und dass das Ritual keine Totung eines Menschen beinhaltet habe Dagegen sehen andere das Hauptmerkmal des pharmakos Rituals in der einmutigen Ausubung der Gewalt seitens der Stadtgemeinschaft 5 Sie weisen auch darauf hin dass in den Berichten die Totung oft absichtlich verschleiert wird 6 Jedenfalls ist davon auszugehen dass das Verjagen eines bereits schwer verletzten Menschen in unbewohntes Gebiet auf seinen Tod hinauslauft zumal seine Aufnahme durch andere Gemeinschaften ausserst unwahrscheinlich erscheint Die Opferung von pharmakos genannten Opfern wurde bis in die letzten vorchristlichen Jahrhunderte in ritualisierter Form praktiziert Anthropologische Forschungsansatze BearbeitenLouis Jules Gernet hat darauf hingewiesen dass Merkmale des pharmakos auch bei einigen mythologischen Personen zu finden sind So bei Dolon der in der Ilias als dreckig und schnell beim Laufen und von Euripides als armer Teufel beschrieben wird und bei Thersites Basierend auf einem Attribut estolismenos gerustet bewaffnet geschmuckt mit dem im Suda Lexikon der pharmakos beschrieben wird hat Gernet auch die Vermutung der pharmakos konnte eine Maske gewesen sein aufgestellt Er selbst weist aber darauf hin dass weitere Anhaltspunkte fur diese Vermutung nicht auszumachen sind Henri Jeanmaire hat hervorgehoben dass die Dokumente in denen die opferkultischen Praktiken des pharmakos und des Menschenopfers im Allgemeinen direkt erwahnt werden hauptsachlich von fruhchristlichen Autoren stammen die die heidnischen Kultformen damit verurteilen wollten Diese Zeugnisse berufen sich aber auf lokalgeschichtliche Werke von griechischen Philosophen und deren Zuverlassigkeit konne nicht angezweifelt werden Jean Pierre Vernant hat in seiner Analyse des Konig Odipus in der Figur des pharmakos das Motiv der Konigsopferung erkannt wie es auch in der Opferung des Narrenkonigs vorkommt Der Narrenkonig habe alle Merkmale des Konigs nur umgekehrt er verkorpert die Krisenzeit des Karnevals in dem alle gesellschaftlichen Werte umgedreht erscheinen und die kathartische Wiederherstellung der Ordnung durch seine feierliche Totung Die Cambridge Ritualists haben das pharmakos Ritual mit dem Tod und Wiederentstehungsmotiv des Wechsels der Jahreszeiten in Verbindung gebracht Walter Burkert halt die Erklarungsversuche nach dem Muster der Cambridge Ritualists fur Spekulationen die einen ebenso einfachen wie erschreckenden Charakter dieses Dramas 7 verdunkeln Er hebt den kollektiven Charakter der Opferung hervor und bringt dieselbe in Verbindung mit anderen Nachrichten uber mythisierte nicht ritualisierte oder gar politische 8 Formen des Menschenopfers oder der Ausstossung die in den antiken Quellen in grosser Menge vorliegen Rene Girard hat die pharmakos Rituale in der Aufstellung des Rahmens seiner Theorie des Sundenbocks extensiv thematisiert 9 Literatur BearbeitenWalter Burkert Griechische Religion der klassischen und archaischen Epoche Die Religionen der Menschheit Band 15 W Kohlhammer Stuttgart 1977 Louis Jules Gernet J P Vernant Hg Anthropologie de la Grece Antique Flammarion Paris 1999 Rene Girard Das Heilige und die Gewalt Fischer Frankfurt a M 1994 Rene Girard Das Ende der Gewalt Herder Freiburg 1983 Rene Girard Ausstossung und Verfolgung Fischer Frankfurt a M 1992 Irene Huber Rituale der Seuchen und Schadensabwehr im vorderen Orient und Griechenland Franz Steiner Verlag Stuttgart 2005 Dennis D Hughes Human Sacrifice in Ancient Greece Routledge London New York 1991 Henri Jeanmaire Dionysos Histoire du culte de Bacchus Payot Paris 1951 Jean Pierre Vernant Ambiguite et renversement Sur la structure enigmatique d OEdipe Roi in J P Vernant P Vidal Naquet Mythe et tragedie en Grece ancienne Ed La Decouverte Paris 2004 Anmerkungen Bearbeiten Weitere Quellen und genauere Angaben bieten Burkert S 139 141 Huber S 115 126 und Hughes S 139 164 Burkert S 140 Der Ruf Werde du unser Unrat peripsema begleitete die Opferung an Poseidon eines Junglings an den Klippen von Leukas De abstinentia 2 53 nach Hughes S 123 Hughes S 139ff u 189 Hughes verweist auf Widerspruche in den alteren Texten und auf mangelnde Quellenangaben in den spateren Lexikographen und Scholiasten Er vertritt die Auffassung dass die Historizitat jeglicher Form von Menschenopfer fur die griechische Antike nicht positiv zu beweisen sei Zur gleichen Folgerung kommt Huber 2005 So Burkert S 141 So berichtet beispielsweise Strabon dass man in Leukas das hinuntergesturzte Opfer wieder aufzufrischen versuchte siehe Burkert S 141 Burkert S 140 Fur Burkert wie auch fur J P Vernant ist die Institution des ostrakismos des Scherbengerichts die demokratische Rationalisierung einer dem Menschenopfer ahnlichen Tradition Die mimetische Theorie von Rene Girard Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pharmakos amp oldid 236503261