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Lucinde Untertitel Bekenntnisse eines Ungeschickten ist ein Roman von Friedrich Schlegel der 1799 als erster Teil eines vierteiligen Romanprojektes erschien 1 Er beschreibt in Briefen Dialogen Aphorismen Tagebucheintragen und anderen literarischen Formen die Liebe von Julius und Lucinde Der Autor nicht nur Schriftsteller sondern auch Literaturtheoretiker Historiker und Philosoph artikuliert in und mit diesem Buch sein fruhromantisches Romankonzept Ein wichtiger Grundsatz dessen besagt dass ein Roman stets sowohl einen Roman als auch seine eigene Theorie darstellen soll Titelblatt der Erstausgabe 1799 Inhaltsverzeichnis 1 Uberblick 2 Inhalt 3 Rezeption 3 1 Zeitgenossische Rezeption 3 2 Neuere Rezeption 4 Analyse 4 1 Das Konzept 4 2 Der Stoff 4 3 Ein asthetisches Ungeheuer Die Struktur des Buches 4 4 Das Liebesmodell 4 4 1 Soziologisch verstanden Ehe ist Liebe und Liebe ist Ehe 4 4 2 Poetologisch verstanden Alles ist beseelt fur mich 4 4 3 Die Funktion des Liebesdiskurses 5 Fortsetzungen 6 Literatur 6 1 Verwendete Literatur 6 2 Weiterfuhrende Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseUberblick BearbeitenDas Buch besteht aus 13 Teilen und einem Prolog Jeweils sechs kurze teils fragmentartige Texte gruppieren sich um den Mittelteil in dem im Ruckblick die Entwicklung Julius zum Mann und seine Liebe zu Lucinde in der Personalen Form beschrieben werden In den Rahmenstucken preist Julius seine alles umfassende romantische Liebesbeziehung euphorisch und teilt seine Erkenntnisse uber die Welt und die Menschen mit die er durch die Gemeinschaft mit Lucinde gewonnen hat Inhalt BearbeitenPrologDer Autor beginnt mit einer Devotionsformel mit der Frage was sein Geist seinem Sohn geben solle der gleich ihm so arm an Poesie ist als reich an Liebe und lenkt sogleich den Blick mit dem Bild von Leda und dem Schwan auf sein Thema Julius an LucindeJulius beschreibt seine Vision der Eine n ewig en und einzig en Geliebte n in vielen Gestalten seinen tiefen Blick in das Verborgene der ewig lebenden Natur und seinen Traum von einer allumfassenden Verbindung mit Lucinde als eine romantische Verwirrung von all diesen Dingen ein wundersames Gemisch von den verschiedensten Erinnerungen und Sehnsuchten Dithyrambische Fantasie uber die schonste SituationHymnus vom Ideal der harmonischen korperlich geistigen irdisch himmlischen Liebesbeziehung gesteigert bis zum Tausch der mannlichen und weiblichen Rolle Charakteristik der kleinen WilhelmineDas zweijahrige Kind als Ideal der unkonventionellen Naturlichkeit als kleine s Kunstwerk schoner und zierlicher Lebensweisheit in beneidenswurdige r Freiheit von Vorurteilen ohne falsche Scham Allegorie von der FrechheitEin Beschutzer fuhrt Julius ein allegorisches Schauspiel vor einige Junglinge am Scheideweg Die gesellschaftliche Situation der Mannigfaltigkeit und Zugellosigkeit wird dann in eine innere Handlung in reinerer Form projiziert Julius erkennt i nnere Saturnalien die schlagartig abgelost werden von dem Auftrag als Schriftsteller die Botschaften des ewigen Geistes zu verkunden Vernichten und Schaffen Eins und Alles Die Zeit ist da Das innere Wesen der Gottheit kann offenbart und dargestellt werden alle Mysterien durfen sich enthullen und die Furcht soll aufhoren Weihe dich selbst ein und verkunde es dass die Natur allein ehrwurdig und die Gesundheit allein liebenswurdig ist Julius ruhmt die angeborenen Vorzuge des weiblichen Geistes und der Liebeskunst der Frauen Nur durch Fantasie konnten sich die Manner der intensive n Unendlichkeit Unzertrennlichkeit ohne Mass und Ziel annahern Den hochsten Grad das Gefuhl von harmonischer Warme die wunderbare Mischung der Harmonie aller Sinne konne nur der Jungling oder der Jungling gebliebene Mann erreichen Idylle uber den MussiggangAls Gegenentwurf zum prometheisch aktiven der Erziehung und Aufklarung verpflichteten Menschen wird der kontemplative Typus und seine gottahnliche Kunst der Faulheit hervorgehoben Nur mit Gelassenheit und Sanftmut in der heiligen Stille der echten Passivitat kann man sich an sein ganzes Ich erinnern und die Welt und das Leben anschauen Das Sprechen und Bilden sei nur Nebensache der Kunst entscheidend seien Denken und Dichten Deshalb sei bei der Passivitat der Frauen mehr Genuss und mehr Dauer Kraft und Geist des Genusses Treue und ScherzDialog zwischen Julius und Lucinde uber Liebesspiele gesellschaftliche Konventionen Rollenbilder Eifersucht Freundschaft zwischen Frauen und Mannern Lehrjahre der MannlichkeitIn Er Form wird Julius Entwicklung erzahlt Sie beginnt mit einer Phase der Unbestandigkeit zwischen dem Anscheine der heftigsten Leidenschaft und doch zerstreut und abwesend in der s ein ganzes Dasein in seiner Fantasie eine Masse von Bruchstucken ohne Zusammenhang war Auf der nachsten Entwicklungsstufe lernt er drei Frauentypen kennen Bei der Liebe zu Luise blitzt ein heiliges Bild der Unschuld in seiner Seele auf ein gefahrlicher Traum entscheidend fur sein ganzes Leben Er hatte das Madchen noch an der Grenze der Kindheit fast verfuhrt wenn er nicht rechtzeitig zur Besinnung an das arme Schicksal der Menschen gekommen ware An einem neuen Wohnort begegnet er einer koketten Gesellschaftsdame die mit den sie bewundernden Mannern spielt und unvermittelt zwischen Anlockung und Zuruckweisung wechselt Hier verwirrt er sich immer mehr in die Intrigen einer schlechten Gesellschaft und wendet sich Lisette zu einem beinahe offentlich en Madchen Sie fasziniert ihn nicht nur wegen ihrer unerschopflichen Mannigfaltigkeit in allen verfuhrerischen Kunsten der Sinnlichkeit sondern auch wegen ihres Witzes und ihrer unverstellten Vorliebe fur Unabhangigkeit und Geld Sie verliebt sich in Julius doch als sie ihm die Ehre der Vaterschaft ankundigt verlasst er sie entrustet Mit den Worten Lisette soll zu Grunde gehen so will es das Schicksal das eiserne ersticht sie sich Julius sucht nun Freundschaften mit seelenverwandten fur Kunst und romantische Ideen begeisterungsfahigen Junglingen die allerdings ahnlichen Gemutsschwankungen ausgesetzt sind und diese weitergeben Dadurch vereinsamt er wieder und fallt in einen Zustand der Depression obwohl er sich in der Gesellschaft nichts anmerken lasst und frohlich wirkt Nach diesen Enttauschungen sucht er wieder Zuwendung und Liebe bei Frauen die in der Gesellschaft selbstbewusst auftreten Sinn fur Kunst und Literatur haben die Gefuhle und Sensibilitat zeigen und Lebenserfahrung mit Naturlichkeit und Spontaneitat Ernst und Scherz miteinander verbinden Zwei Frauen kommen seinen Idealvorstellungen der Originalitat am nachsten Die erste ist bereits mit seinem Freund verbunden und er muss seine Liebe zu ihr hinter einer geschwisterlichen Freundschaft verbergen Sie fordert ihn in seiner menschlichen und kunstlerischen Entwicklung seiner Zuwendung zu antiken Stoffen was ihn jedoch nicht vollkommen zufrieden stellt Durch die lebenserfahrene Freundin kann er seiner spateren grossen Liebe Lucinde gereift gegenubertreten Sie haben die gleiche romantische Lebenseinstellung differieren aber im Detail Ohne lange Werbung werden sie schnell ein Paar und erleben in ihrer Liebe eine zuvor nicht gekannte korperlich seelische Harmonie mit transzendentalem Bezug Julius stabilisiert seine Personlichkeit tritt in der Gesellschaft gelassen und freundlich auf und findet einen kreativen Freundeskreis MetamorphosenBetrachtungen uber die Entwicklung des kindlichen Geistes vom Narzissmus zur erganzenden Bildung der Gegenliebe Jeder gibt dasselbe was er nimmt alles ist gleich und ganz und in sich vollendet wie der Kuss der gottlichen Kinder In goldener Jugend und Unschuld wandelt die Zeit und der Mensch im gottlichen Frieden der Natur und ewig kehrt Aurora schoner wieder Nur im Licht der Liebe konne man die Welt finden und schauen Nur in der Antwort seines Du kann jedes Ich seine unendliche Einheit ganz fuhlen und wie ein Kunstler seine Seele bilden und die Gesetze des Lebens schauen Zwei BriefeJulius und Lucinde sind fur einige Zeit raumlich getrennt und konnen nur brieflich kommunizieren Lucinde erwartet ein Kind und sie kaufen ein kleines Landgut fur ihr Familienleben Das gemeinsame Kind bedeutet fur Julius die unauflosliche Bindung Nun hat das Heiligtum der Ehe mir das Burgerrecht im Stande der Natur gegeben In der landlichen Idylle erhofft er sich die Losung von der verderbten kranken stadtischen Gesellschaft Da konnten wenn alles ware wie es sollte schone Wohnungen und liebliche Hutten wie frische Gewachse und Blumen den grunen Boden schmucken und einen wurdigen Garten der Gottheit bilden Aber er weiss dass dies unrealistisch ist Julius schreibt er sei trotz der schmerzlichen Trennung von Lucinde jetzt heiliger ruhiger geworden und fuhle eine Weichheit und susse Warme in allen Vermogen der Seele und des Geistes wie die schone Ermattung der Sinne die auf das hochste Leben folgt Zugleich fuhlt er Zuversicht und Mut ein heldenmassiges Leben zu beginnen und auszufuhren und mit Freunden verbrudert fur die Ewigkeit zu handeln Das ist meine Tugend so ziemt es mir den Gottern ahnlich zu werden Die deinige ist es gleich der Natur als Priesterin der Freude das Geheimnis der Liebe leise zu offenbaren und in der Mitte wurdiger Sohne und Tochter das schone Leben zu einem heiligen Fest zu weihen Wie in den Lehrjahren preist er die Liebe als Zugang zur gottlichen Natur Der Sinn fur die Welt ist uns erst recht aufgegangen Du hast durch mich die Unendlichkeit des menschlichen Geistes kennen gelernt und ich habe durch dich die Ehe und das Leben begriffen und die Herrlichkeit der Dinge Der zweite Brief wurde nach der Genesung Lucindes geschrieben Als er von ihrer Schwester Amalie die Nachricht von ihrer schweren Erkrankung erhielt furchtete er ihren Tod und stellte sich in Tagtraumen sein Leben ohne sie vor seine Todeserfahrungen sein Eintauchen in eine geistige Welt ihre gottliche Gestalt umschienen von wunderbarem Glanz Seine Laufbahn wurde unvollendet enden Kunst und Tugend schienen ihm unerreichbar Ich ware verzweifelt hatte ich nicht beide in Dir gesehn und vergottert holdselige Madonna Und Dich und Deine milde Gottlichkeit in mir Eine ReflexionJulius reflektiert uber das Bestimmte als mannliches Prinzip und das Unbestimmte Namenlose als weibliches Beide erganzen sich sie sind die bewegenden Krafte des Universums die nach Symmetrie und Harmonie streben In ihrer Auseinandersetzung Leben und Weben entwickeln sie die ewig stromende Schopfung weiter Die Natur will den ewigen Kreislauf immer neuer Versuche und sie will auch dass jeder einzelne in sich vollendet einzig und neu sei ein treues Abbild der hochsten unteilbaren Individualitat Julius an AntonioIn zwei Briefen erklart Julius Antonio warum er nicht mehr mit ihm sondern mit Eduard befreundet sein will Es gebe zwei Arten von Freundschaft Erstens den Bund der Helden der im heisse n Kampf des rastlosen Lebens gegen alles Bose kampft uberall dort wo die edle Kraft in grossen Massen wirkt und Welten bildet oder beherrscht zweitens die auf Erganzung und wunderbare Symmetrie des Eigentumlichsten abzielende innerliche Seelengemeinschaft die sich vor ausseren Gefahrdungen schutzen musse Er habe sich fur den ersten Typus entschieden Sehnsucht und RuheNach dem Muster des Hohelieds Salomos preisen sich die beiden Liebenden Julius und Lucinde im Wechselgesang der mit ihrer Sehnsucht nach der grossen Liebesnacht endet die Wunderblume seiner Fantasie die Priesterin der Nacht Ruhepunkt ihrer Seele ihr heiliges Sehnen das grosse Wunder seines wunderbaren Herzens Tandeleien der FantasieJulius beklagt in seiner das Werk abschliessenden Betrachtung dass das zarte Gotterkind Leben in der Umarmung der nach Affenart liebenden Sorge jammerlich erstickt wird der fruh entschlafene Sohn In seiner Fantasie umgibt ihn ein Zauberkreis E in frischer Hauch von Jugendblute zieht uber das ganze Dasein und ein Heiligenschein von kindlicher Wonne Der Mann vergottert die Geliebte die Mutter das Kind und alle den ewigen Menschen Nun versteht die Seele die Klage der Nachtigall und das Lacheln des Neugeborenen und was auf Blumen wie an Sternen sich in geheimer Bilderschrift bedeutsam offenbart versteht sie den heiligen Sinn des Lebens wie die schone Sprache der Natur Alle Dinge reden zu ihr und uberall sieht sie den lieblichen Geist durch die zarte Hulle Rezeption BearbeitenZeitgenossische Rezeption Bearbeiten Schlegels Lucinde erfuhr unmittelbar nach ihrem Erscheinen eine lebhafte bisweilen wutende Rezeption der Roman sei asthetisch betrachtet ein kleines Ungeheuer man fand Irrgange von Stimmungen und Reflexionen statt episch breiter behaglicher Erzahlung philosophische Erorterung und psychologische Charakteristik statt machtvoller Wirklichkeit Sprunge und Zertrummerung statt stetig fortschreitender Handlung 2 Die Bezeichnung Roman wurde als Mogelpackung empfunden Lucinde sei kein Roman im eigentlichen Sinne das heisst eine angenehm zu lesende Geschichte sondern eine trockene fur Laien schwer verstandliche Ausbuchstabierung der komplexen Theorie von einem romantischen Roman die der Autor umsetzte Somit wird dem Werk die Romanhaftigkeit abgesprochen Man orientierte sich damals an den Kriterien lineare koharente Handlung sowie Charaktere die eine psychologisch nachvollziehbare Entwicklung durchlaufen eingebettet in ein Weltgeschehen also ein soziales Umfeld eine Gesellschaft die meist auch ihr Denken Fuhlen und Handeln mitbeeinflusst bzw bewertet Als ein im Sinne der obigen Kritik gegluckter Roman der Romantik der also sowohl das Konzept umsetzt als auch im herkommlichen Sinne lesbar bleibt gilt gemeinhin Clemens Brentanos Godwi Zum anderen wurde Lucinde als hochst unmoralisch angesehen Der freizugige Umgang mit Sexualitat gekoppelt an eine in Richtung Emanzipation weisende Stellung der selbstbewusst liebenden Titelheldin brach mit zeitgenossischen Moralvorstellungen Noch 1816 als Friedrich Schlegel zum osterreichischen Legationssekretar am Bundestag in Frankfurt ernannt worden war wurde er fur die Lucinde bei der Obersten Polizei und Zensur Hofstelle in Wien anonym als hochst hirnloser und unzuchtiger Skribler angezeigt dem Buch wurde Argerlichkeit und Verworfenheit vorgeworfen 3 Die Hauptleidtragende war seine Gefahrtin Dorothea Veit die den Roman da sie das Konzept verstanden hatte und verehrte jedoch gegen Angriffe verteidigte 4 Neuere Rezeption Bearbeiten Die jungere Rezeption beurteilt Lucinde differenziert Zwar gibt es auch hier Ablehnung z B von Hermann Hesse 5 der dem modernen Leser den Roman gar nicht mehr empfehlen kann doch wird der Gattungsbegriff Roman weiter gesehen als zur Zeit Schlegels Lucinde sei ein Roman im Sinne der fruhromantischen progressiven Universalpoesie vgl Athenaumsfragment 116 und zeichne sich durch eine gattungsuberschreitende Offenheit aus 6 In den gender studies der 90er Jahre gilt die Lucinde nur als scheinbar emanzipatorisch Zunachst einmal wird das Liebesmodell kritisiert Denn obwohl es darum geht dass jeder sich selbst als ein Individuum herausbilde bleibe die Asymmetrie der Geschlechter erhalten Der Mann liebt das Lieben die Frau liebt den Mann sie liebt dadurch einerseits tiefer und ursprunglicher andererseits auch gebundener und weniger reflektiert 7 Die dargestellte Utopie des Rollentausches im Geschlechtsakt so beschrieben in der Dithyrambischen Fantasie uber die schonste Situation 8 wird als Schlusselszene zur Gleichberechtigung der Geschlechter begriffen jedoch bleibe im gesamten Buch die traditionelle Dichotomie Frau Natur Mann Geist erhalten wie auch die Frau als die Erloserin des Mannes auch wenn dieses mystische Erlebnis das gleichzeitig ein asthetisches sein soll Ehe genannt wird Analyse BearbeitenDas Konzept Bearbeiten Lucinde ist der einzige Roman Friedrich Schlegels der als Begrunder und Vordenker der fruhromantischen Philosophie und Literaturtheorie gilt Das Konzept der progressiven Universalpoesie hatte Schlegel seit 1797 in der Jenaer Zeitschrift Athenaum in Fragmenten und Aufsatzen entwickelt Ausgehend von zwei zunachst durchaus nicht als romantisch verstandenen Romanen seiner Zeit Johann Wolfgang Goethes Wilhelm Meister und Ludwig Tiecks Sternbald hatte er die Wichtigkeit selbstbezogener Reflexionen innerhalb der Romantexte betont sowie eingefordert dass ein Roman die Fahigkeit haben musse sein eigenes Konzept darzustellen Die Lucinde stellt Schlegels Versuch dar diese Konzeption umzusetzen Der Stoff Bearbeiten Das Thema des Romans ist die Liebe und das Reflektieren uber die Liebe in jeder denkbaren schriftlichen Form Briefe Tagebuch hingekritzelte Gedanken Zettelchen aufgezeichnete Dialoge Es ist oben bereits erwahnt worden dass die Lucinde keine koharente Handlung aufweist Dennoch liegt dem Buch naturlich ein bestimmter Stoff zugrunde und dieser ist autobiographisch Es hat dies seinen Grund ebenfalls wieder in der Theorie Friedrich Schlegels Ist der Roman doch dazu gemacht den Geist des Autors vollstandig auszudrucken so dass manche Kunstler die nur auch einen Roman schreiben wollten von ungefahr sich selbst dargestellt haben 9 Ein romantischer Roman stellt also notwendigerweise die ganz personlichen Empfindungen und Taten kurz die Lebensweise des Autors dar Und dies nicht in versteckter Weise so wie man im Rahmen einer autobiographischen Deutung gerne diverse Bucher mit der Biographie des Autors interpretiert vgl z B Franz Kafka Mark Twain James Joyce sondern ganz explizit Ein asthetisches Ungeheuer Die Struktur des Buches Bearbeiten Der Text verfolgt keine epische Erzahlung sondern bietet seinem gemass dem unbezweifelte n Verwirrungsrecht des Erzahlers Autors verwirrten Leser Stimmungen und Reflexionen der Hauptfigur Julius Es ist stets unsicher in welchem Bezug ein Textstuck zu einem anderen steht Und erahnt der Leser einen Zusammenhang der einer Handlung ahnelt wird dieser Eindruck bald wieder zertrummert Den Sprungen im Text kann der uberforderte Leser kaum folgen Damit sind Merkmale des modernen Romans vorweggenommen Die Forschung vergleicht die Lucinde gern mit James Joyce Ulysses oder Virginia Woolfs Mrs Dalloway Trotzdem ist der Text klar gegliedert Wir finden ein systematisches Chaos eine wie es in Schlegels Rede uber die Mythologie heisst kunstlich geordnete Verwirrung Diese fur die Schlegelsche Theorie typischen paradoxen Formulierungen meinen in der Praxis Folgendes Das Buch besteht aus 13 Teilen und einem Prolog Jeweils sechs kurze fragmentartige Textstucke gruppieren sich um den in der dritten Person erzahlten Mittelteil Julius weitere Entwicklung wird in den Rahmentexten dargestellt denn Das Mass fur die Lucinde ist der klassische Bildungsroman der Zeit Goethes Wilhelm Meister Das Liebesmodell Bearbeiten Anthologien uber die Entwicklung des Liebes und Ehemodells und des dazugehorenden Liebesdiskurses in Deutschland und Europa seien es soziologische historische oder literaturwissenschaftliche Arbeiten sehen in der Lucinde stets das paradigmatische Beispiel fur die Liebe in der Romantik wenngleich der Licht Name der Titelheldin und somit auch des gesamten Buches uber diese Metapher zunachst der Aufklarung verpflichtet zu sein scheint 10 Im Folgenden soll deshalb die Vorstellung von Liebe in diesem Buch dargestellt werden Soziologisch verstanden Ehe ist Liebe und Liebe ist Ehe Bearbeiten In Schlegels Lucinde finden wir zum ersten Mal in der Geschichte der Liebe in der Neuzeit die explizite Forderung danach dass radikale Liebe und Ehe also die grosse wilde Leidenschaft und der burgerlich brave Bund furs Leben zusammengehoren Dem Einwand dass es sich dabei um eine Utopie handele und dass lodernde Gefuhle nur schwer zwischen Kindergeschrei und Kuchendampfen dauerhaft vorstellbar seien setzen die Romantiker die Unterscheidung zwischen poetischen Menschen Enthusiasten und Spiessburgern Philister entgegen Dem romantischen Menschen spricht man die Fahigkeit zur ekstatischen Harmonie per definitionem zu Und die romantische Kunst wie auch die richtige Art hingebungsvoll zu lieben helfen dem Menschen seine poetische Seite auszubilden Auch hierzu mochte der Roman Lucinde einen Beitrag leisten Poetologisch verstanden Alles ist beseelt fur mich BearbeitenZudem bezieht sich nun in der Liebe nicht mehr ein liebendes Subjekt auf das geliebte andere sondern man liebt jetzt gemass dem romantischen Universalitatsprinzip die gesamte Welt durch den anderen Alles was wir sonst liebten lieben wir nun noch warmer Der Sinn fur die Welt ist uns erst recht aufgegangen Lucinde S 89 In Schlegels philosophischem System mit dem er Ende des 18 Jahrhunderts versuchte die unermessliche Welt der Poesie zu ergrunden hat die Liebe einen besonderen Stellenwert Sie galt ihm als der erste Schritt zu deren Verstandnis Denn sie ist unmittelbar zu empfinden und fuhrt dennoch zu dem Wunsch zur Reflexion daruber so dass in ihr zwei sich gemeinhin kontrar gegenuber stehende Prinzipien Unmittelbarkeit und Reflexion Unbewusstheit und hochstes Bewusstsein gleichzeitig umgesetzt werden Zudem ist die romantische Liebe unendlich wie die Poesie Die Funktion des Liebesdiskurses Bearbeiten Das Reflektieren der Liebe ist notwendig um eine Distanz herzustellen die letztlich zu einer Steigerung des Erlebten fuhrt In der Lucinde wird in Form von literarischen Dialogen reflektiert jedes Textstuck ist sowohl an Lucinde als auch an den Leser gerichtet Ja man kann sagen dass es sich dabei um einen einzigen grossen Liebesbrief handelt in den der Leser hinein schauen darf 11 Fortsetzungen BearbeitenDie Lucinde sollte der erste Teil eines vierbandigen Romanprojektes werden das die vier Arten des Romans verkorpern sollte Der erste Teil blieb jedoch der einzige In Friedrich Schlegels Nachlass fanden sich zahlreiche Notizen und Plane zur Fortsetzung Durchgefuhrt wenngleich nicht immer im Sinne Schlegels wurden drei Fortsetzungen Friedrich Schleiermacher Vertraute Briefe uber Friedrich Schlegels Lucinde Johann Bernhard Vermehren Briefe uber Friedrich Schlegel s Lucinde zur richtigen Wurdigung derselben Johann Wilhelm Christern Fr Schlegels Lucinde Herausgegeben und fortgesetzt von Christern 1842 Literatur BearbeitenVerwendete Literatur Bearbeiten Ernst Behler Friedrich Schlegel Lucinde In Paul Michael Lutzeler Hrsg Romane und Erzahlungen der deutschen Romantik Neue Interpretationen Reclam Stuttgart 1981 Nicola Kaminski Kreuz Gange Romanexperimente der deutschen Romantik Schoningh Paderborn 2001 Niklas Luhmann Liebe als Passion Zur Codierung von Intimitat Frankfurt M 1982 1 Aufl 1994 stw Peter von Matt Liebesverrat Die Treulosen in der Literatur Munchen 1989 2 Aufl 1994 dtv Karl Konrad Polheim Nachwort In Friedrich Schlegel Lucinde Reclam Stuttgart 1963 Revid u erweit Ausgabe 1999 mit Repertorium F Schlegelscher Begriffe zu Lucinde Weiterfuhrende Literatur Bearbeiten Hermann Hesse Die Welt im Buch I Rezensionen und Aufsatze aus den Jahren 1900 1910 Hermann Hesse Samtliche Werke in 20 Banden Band 16 Hrsg von Volker Michels Suhrkamp Frankfurt am Main 1988 Aufl 2002 ISBN 978 3 518 02683 0 Manfred Engel Friedrich Schlegel Lucinde Wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln Fruhromantische Potenzierung In Ders Der Roman der Goethezeit Band 1 Anfange in Klassik und Fruhromantik Metzler Stuttgart 1993 S 381 443 Mark Georg Dehrmann Lucinde In Johannes Endres Hrsg Friedrich Schlegel Handbuch Leben Werk Wirkung Metzler Stuttgart 2017 S 171 179 Albert Meier Erinaceinaeische Prosa Fragmentarische Explikation ihrer Logik Friedrich Schlegel Prolog zu Lucinde 1799 onlineWeblinks BearbeitenLucinde bei Zeno org Lucinde im Projekt Gutenberg DEEinzelnachweise Bearbeiten Friedrich Schlegel Lucinde Frolich Berlin 1799 Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv Karl Konrad Polheim Nachwort In Friedrich Schlegel Lucinde Stuttgart 1963 RUB S 112 Karl Konrad Polheim Nachwort Brief an Schleiermacher in seinem Zeitungsartikel vom 21 Januar 1900 in der Allgemeinen Schweizer Zeitung s Michels S 20 17 Z v u Ihre der romantischen Poesie Bestimmung ist nicht bloss alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Beruhrung zu setzen Sie will und soll auch Poesie und Prosa Genialitat und Kritik Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen bald verschmelzen Athenaumsfragment 116 Luhmann S 172 Eine unter allen ist die witzigste und die schonste wenn wir die Rollen vertauschen und mit kindischer Lust wetteifern wer den andern tauschender nachaffen kann ob dir die schonende Heftigkeit des Mannes besser gelingt oder mir die anziehende Hingebung des Weibes Aber weisst du wohl dass dieses susse Spiel fur mich noch ganz andre Reize hat als seine eignen Es ist auch nicht bloss die Wollust der Ermattung oder das Vorgefuhl der Rache Ich sehe hier eine wunderbare sinnreich bedeutende Allegorie auf die Vollendung des Mannlichen und Weiblichen zur vollen ganzen Menschheit Es liegt viel darin und was darin liegt steht gewiss nicht so schnell auf wie ich wenn ich dir unterliege Athenaumsfragment 116 So z B Niklas Luhmann Liebe als Passion oder Peter von Matt Liebesverrat Kaminski Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Lucinde amp oldid 238442299