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Das Fussebinden war ein bis ins 20 Jahrhundert in China verbreiteter Brauch bei dem die Fusse von kleinen Madchen durch Knochenbrechen und anschliessendes extremes Abbinden irreparabel deformiert wurden Hintergrund war eine vermutlich bereits seit dem 10 Jahrhundert existierende Schonheitsnorm fur den Frauenfuss die Lotosfuss oder Lilienfuss genannt wurde Angestrebt wurden kleine Fusse von etwa 10 Zentimetern Lange Frauen mit abgebundenen Fussen um 1910Normaler und abgebundener FussVor allem Madchen aus hohergestellten Familien wurden in meist fruhem Kindesalter Opfer dieses Brauches der gravierende gesundheitliche Schaden mit sich brachte den Gang behinderte und nur unter Schmerzen ermoglichte Bereits 1911 verboten und teilweise heimlich weitergefuhrt wurde das Fussebinden 1949 durch Mao Zedongs gesetzlich verankertes Verbot endgultig abgeschafft Gipsabguss eines durch Einbinden deformierten FussesInhaltsverzeichnis 1 Hintergrunde und Ursprung des Fussebindens 2 Beschreibung der Prozedur 3 Gesellschaftliche Bedeutung 4 Abschaffung des Fussebindens 5 Rezeption 6 Fotogalerie 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseHintergrunde und Ursprung des Fussebindens BearbeitenWahrend die Stellung der Frauen zur Zeit der liberal gepragten Tang Dynastie innerhalb der Familie und der Ehe von Achtung und Selbstbewusstsein gepragt war anderte sich dieses Rollenbild allmahlich wahrend der darauffolgenden Song Dynastie Die zeitgleich aufkommende Mode der eingebundenen Fusse begunstigte dabei die zunehmend untergeordnete Position der Frau Aufgrund der eingeschrankten Bewegungsfahigkeit waren Frauen meist zu Hause und entsprechend ihren Moglichkeiten an den Haushalt gebunden Sie waren dadurch von ihren Mannern abhangiger 1 Der Brauch des Fussebindens geht angeblich auf eine Tanzerin zuruck die Geliebte von Li Houzhu war des letzten Herrschers reg 961 976 des Sudlichen Tang Reiches Sie bandagierte sich die Fusse 2 um auf der goldenen lotosblutenformigen Buhne die der Kaiser ihr bauen liess besondere Leistungen vollbringen zu konnen Yu Huai ein chinesischer Historiker des 17 Jahrhunderts spurte der Wurzel des Fussebindens nach und fand dabei Folgendes heraus In alten Zeiten bestand zwischen den Fussen der Manner und denen der Frauen kein Unterschied Meine Nachforschungen haben ergeben dass das Fusseinbinden zur Zeit Li Houzhus der Sudlichen Tang Dynastie Mode zu werden begann Er hatte eine konigliche Dienerin namens Yao Niang die wegen ihrer zarten Schonheit und ihrer Tanzbegabung beruhmt wurde So liess er eine goldene Lotosblute anfertigen die sechs Fuss hoch und mit kostbaren Edelsteinen Girlanden und Seidenquasten geschmuckt war Diese goldene in vielen Farben leuchtende Lotosblute stand in der Mitte der Halle Yao Niang musste sich nun die Fusse mit Seidenbandern umwunden in diese Blute schmiegen und die Form der Mondsichel nachahmen Sie tanzte auf ihren weissen Socken auf der Lotosblute machte Pirouetten und erweckte den Eindruck als waren die weiten Armel ihres Gewandes Wolken Ihr Stil wurde von vielen nachgeahmt Yao Niang war also die erste die mit dem Fusseinbinden begann In dieser Zeit wurden die Fusse aber nur locker bandagiert und es kam nicht zu Verstummelungen wie spater In der Song Dynastie wurden unter dem Einfluss des Neokonfuzianismus die Rechte und Moglichkeiten von Frauen zunehmend eingeschrankt Von da an war es ublich die Fusse von Madchen aus den gehobenen Schichten ab dem fruhen Kindesalter einzubinden Der Brauch verbreitete sich bis zu Beginn des 20 Jahrhunderts in allen Schichten der Bevolkerung mit Ausnahme der armsten Bauern die fur die Feldarbeit Frauen mit intakten Fussen benotigten Auch die Mongolen die von 1279 bis 1368 die Yuan Dynastie stellten und die Mandschu die von 1644 bis 1911 China regierten schlossen sich diesem Brauch nicht an Im Gegensatz zu den Han Chinesen hielten die Mandschuren nichts von Lotosfussen daher konnte man Mandschurinnen leicht an ihren normal entwickelten Fussen erkennen Beschreibung der Prozedur Bearbeiten nbsp Bildbeschreibung Kleine Madchen die junger sind als acht oder neun Jahre spielen glucklich auf der Strasse aber wenn sie alter werden sitzen sie mit schmerzverzerrten Gesichtern auf den Turschwellen und halten ihre gequalten Fusse In Yunnan sind nicht einmal die Frauen der Kuli Klasse ausgenommen und man sieht sie auf den Feldern herumhumpeln kaum in der Lage auf ihren gebundenen Fussen zu gehen Yvette Borup Andrews The American Museum Journal 1917 nbsp Abgebundener Fuss mit Bandagen um 1918Den meisten Madchen wurden die Fusse im Alter von funf bis acht Jahren von der Mutter oder der Grossmutter abgebunden Voraussetzung war dass das Kind das Alter der Vernunft erreicht hatte und fur Argumente der alteren Frauen zuganglich war 3 Zunachst wurde der Fuss in einer Flussigkeit aus Krautern und Alaun eingeweicht die Zehennagel so kurz wie moglich geschnitten um ein Einwachsen und damit einhergehende Infektionen zu vermeiden und der Fuss dann massiert Der Fuss wurde anschliessend so eng mit Bandagen umschlungen dass er im Wachstum gehemmt und zum Klumpfuss verformt wurde Dann wurden die Madchen gezwungen mit kleinen Schuhen zu laufen um die Durchblutung der Fusse zu fordern Mit Ausnahme der grossen Zehe wurden alle Zehen gebrochen und unter die Fusssohle gebogen Den jungen Madchen wurden die Zehen dabei alle zwei Tage erneut mit nassen und immer engeren Bandagen die beim Trocknen noch enger wurden unter die Fusssohle geschnurt damit sie schmale spitze Fusse bekamen Mit solcherermassen deformierten Fussen konnten die Frauen keine weiten Strecken mehr gehen Die gebrochenen eingeschnurten Klumpfusse fuhrten oft zu Komplikationen eingewachsene und entzundete Fussnagel eitrig infizierte Knochensplitter verfaulte Haut und abgestorbene Zehen 4 5 Gesellschaftliche Bedeutung Bearbeiten nbsp Rontgenaufnahme um 1929 nbsp Yunnan China August 2010Die Eltern betrachteten das Abbinden der Fusse als notwendige Investition in die Zukunft ihrer Tochter Das Fussebinden wurde in den oberen Bevolkerungsschichten zu einem Zeichen von Wohlstand Tochter armerer Familien aus der Landwirtschaft entgingen der Verstummelung da sie bei der Feldarbeit benotigt wurden 1 Angestrebt wurden beim Fussebinden eine Fusslange von drei Cun 10 cm solche Fusse wurden goldene Lotos genannt 6 und entsprechen etwa der Schuhgrosse 17 Tatsachlich erreichten jedoch nur wenige Fusse diese Lange Im Durchschnitt massen abgebundene Fusse 13 cm bis 14 cm 4 In der Regel wurden die Bandagen parfumiert und kunstvoll gestaltete Spezialschuhe getragen Bandagen und Schuhe wurden meist auch im Bett anbehalten da diese nicht abgenommen werden konnten um das weitere Wachstum der Fusse zu verhindern Durch die irreparable Deformation waren die Frauen nicht mehr in der Lage sich ohne massive Schmerzen fortzubewegen was ihre Bewegungsfreiheit einschrankte Reiche Frauen liessen sich in einer Sanfte tragen die von allen Seiten verhangt war Die eingeschrankte Bewegungsfahigkeit liess viele Frauen zudem fulliger werden was positiv wahrgenommen wurde Lebenslange Schmerzen und die korperliche Behinderung der Frauen wurden von der damaligen Gesellschaft akzeptiert und von Mannern als attraktiv empfunden 1 Der kleinschrittige Gang wurde von chinesischen Dichtern und Poeten als erotisch beschrieben und die kleinen Fusse haufig als der erotischste Teil des weiblichen Korpers wahrgenommen Die Hilflosigkeit weckte angeblich den Beschutzerinstinkt der Manner 1 Es kam sogar vor dass Manner gar nicht mehr auf das Gesicht ihrer Braut achteten wenn nur die Fusse klein waren und dass Frauen mit grosseren Fussen diskriminiert wurden 7 Abschaffung des Fussebindens Bearbeiten nbsp Ohne BandagenNoch wahrend der spaten Qing Dynastie Anfang des 20 Jahrhunderts und in der Republik China war es ublich den Madchen die Fusse zu binden Wahrend der Industrialisierung entstand jedoch zunehmend der Bedarf nach Arbeitskraften um gegenuber den USA Europa und Japan konkurrenzfahig zu bleiben Auch entstanden mehrere gesellschaftliche Bewegungen die das Fussebinden ablehnten und unter anderem von der Frauenrechtlerin Qiu Jin unterstutzt und wie folgt kommentiert wurden Warum lassen wir Frauen uns das gefallen dass wir unser Leben fur zwei Fusse opfern deren Knochen zerquetscht und deren Fusse verkummert sind Die Ursache liegt nur bei euch selbst die ihr euch fur wertlose Wesen haltet und die ihr nicht danach trachtet euch beruflich zu qualifizieren so dass ihr eueren Lebensunterhalt selbst verdienen konnt Es ist eure Schuld dass ihr euch immer den Mannern anvertraut und eure ganze Energie daran wendet ihnen zu schmeicheln und tausend neue Wege zu finden wie ihr euch bei ihnen lieb Kind machen konnt Die Uberwindung des Fussebindens wurde unter anderem auch durch die Grundung von Elterngruppen forciert die sich gegenseitig versprachen weder ihren Tochtern die Fusse zu brechen und zu binden noch ihre Sohne an Frauen mit gebundenen Fussen zu verheiraten Damit wurden Kollektive mit neuen Verhaltensmustern geschaffen die von den Eltern als Bezugsgruppen akzeptiert wurden Teilweise wurden Lotosfusse als Symbol fur das traditionelle China so massiv abgelehnt dass bereits abgebundene Fusse wieder aufgebrochen wurden Ein Dekret gegen das Fussebinden wurde kurz nach dem Boxeraufstand 1900 durch die Kaiserinwitwe Cixi erlassen dann wieder aufgehoben 1902 wurde es erneut verboten jeweils nur mit bedingtem Erfolg 8 Nach dem Sturz des Kaiserreichs 1911 wurde auch von der Republik China das Fussebinden verboten Es wurde jedoch mit abnehmender Tendenz noch bis in die 1930er Jahre fortgefuhrt Fur die Frauen in diesem Ubergangszeitraum war die Situation besonders hart Manche Frauen die ihre Fusse als Kinder unter Schmerzen abgebunden hatten wurden von ihren Ehemannern verlassen oder wurden durch offentliche Entblossung ihrer Fusse gedemutigt 2 Nach Grundung der Volksrepublik China 1949 wurde der Brauch unter Mao Zedong endgultig verboten und geachtet vermutlich weil die Regierung die Gleichberechtigung der Frau verlangte und Arbeitskrafte benotigt wurden Frauen mit gebundenen Fussen mussten mit Sanktionen rechnen Heutzutage ist dieser Brauch sowohl verboten als auch unublich geworden Auch die fruheren chinesischen Damenschuhe werden heutzutage nicht mehr produziert Die letzte Fabrik die Spezialschuhe fur abgebundene Fusse herstellte schloss 1999 Noch heute leben in China altere Frauen mit sogenannten Lotosfussen Die Kunstlerin Beate Passow hat in ihrer Fotoserie Lotuslillies 2000 Fotos solcher Frauen inszeniert auf denen diese prachtvoll bestickte Schuhe tragen Auf dem indirekten Weg der subtilen Inszenierung in der der schone Schein die harte Realitat verdeckt wird hier eine Anklage gegen die Unterdruckung der Frau zum Ausdruck gebracht 9 Rezeption BearbeitenDie Herberge zur 6 Gluckseligkeit US Filmdrama 1958 Pearl S Buck machte mit ihrem Roman Die gute Erde erstmals ein grosseres Publikum in den USA mit dem Fussebinden bekannt BINDING BODIES Perspektiven auf gebundene FusseFotogalerie Bearbeiten nbsp Ein weinendes Madchen bekommt die Fusse gebunden Diorama Museum fur die Geschichte der Lotosfusse in Wuzhen Xizha nbsp Utensilien zum Fussebinden oben Schuhe unten Krauter nbsp Gebundene Fusse sehen unterschiedlich aus nbsp Rontgenbild nbsp Gipsabguss und Seidenschuhe Hong Kong nbsp Bestickte Schuhe nbsp Spezialschuh nbsp Lederschuhe nbsp Chinesische Frauen 1909 nbsp Frau mit eingebundenen Fussen und Mann mit normalen Fussen vor 1908 nbsp Tanzerin 1919 nbsp Elevinnen einer Tanzschule in Peking 1934Literatur BearbeitenMichael Andritzky Hrsg Z B Schuhe vom blossen Fuss zum Stockelschuh Eine Kulturgeschichte der Fussbekleidung 4 AUfl Anabas Frankfurt 1998 ISBN 3 87038 138 8 S 210 213 Dorothy Ko Cinderella s Sisters A Revisionist History of Footbinding University of California Press Los Angeles 2005 Taschenbuchausgabe 2008 ISBN 0 520 25390 6 Gerry Mackie Ending Footbinding and Infibulation A Convention account In American Sociological Review Band 61 1996 S 999 1017 Beverley Jackson Splendid Slippers A Thousand Years of an Erotic Tradition 10 Ten Speed Press California 1998 ISBN 978 0898159578 Belletristik Jung Chang Wilde Schwane Drei Frauen in China von der Kaiserzeit bis heute Knaur TB 2004 ISBN 3 426 62705 1 Kathryn Harrison Die gebundenen Fusse Roman List Munchen 2001 ISBN 3 471 79432 8 Lisa See Der Seidenfacher Roman Bertelsmann Munchen 2005 ISBN 3 570 00875 4 Stephan Thome Gott der Barbaren Roman Suhrkamp Berlin 2018 ISBN 978 3 518 42825 2Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Fussebinden Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Goldener Lotus Memento vom 4 Mai 2006 im Internet Archive Living History 24 Projekt der Fotografin Jo Farrell Portrats von Frauen mit gebundenen Fussen 2014 abgerufen am 25 Juli 2014Einzelnachweise Bearbeiten a b c d Goldener Lotus Die gebundenen Fusse der Frauen in China Memento vom 18 Oktober 2007 im Internet Archive Bayerischer Rundfunk Radio Wissen a b Matt Schiavenza The Peculiar History of Foot Binding in China In The Atlantic 16 September 2013 abgerufen am 19 Januar 2019 englisch Dorothy Ko Teachers of the Inner Chambers Women and Culture in Seventeenth century China Stanford University Press Stanford 1994 ISBN 978 0 8047 2359 6 S 149 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche a b Perverses Schonheitsideal Memento des Originals vom 29 September 2009 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www springermedizin at Arztewoche Online Bound Feet Qualvolle Tradition Die letzten Frauen Chinas mit Lotusfussen Brigitte de Jihong Fu Das Frauenbild in den Abbildungen der Schulbucher in der Volksrepublik China und der Republik China Eine Inhaltsanalyse Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie der Universitat Hamburg 1999 S 49 PDF Volltext https www1 wdr de mediathek video sendungen planet wissen wdr video lotusfuesse 102 html Kai Vogelsang Geschichte Chinas Stuttgart 2012 S 484 Wolfgang Ullrich Burkas In beate passow de Abgerufen am 25 Mai 2017 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Fussebinden amp oldid 238303297