Konrad Rieger (auch Conrad Rieger; * 28. März 1855 in Calw; † 21. März 1939 in Würzburg) war ein deutscher Psychiater, Klinikdirektor, Hochschullehrer und Psychiatriehistoriker.
Leben Bearbeiten
Rieger, Sohn eines Pfarrers, sollte eigentlich Theologe werden, entschied sich aber für ein Medizinstudium und studierte in Tübingen und Würzburg. In Tübingen wurde er Mitglied der Studentenverbindung Normannia. 1878 wurde er bereits mit 23 Jahren Assistent bei Franz von Rinecker in der Psychiatrischen Abteilung des Juliusspitales in Würzburg. Er war dort Nachfolger von Emil Kraepelin, mit dem er über Jahrzehnte in Freundschaft verbunden blieb. Nach Studien in Paris bei Jean-Martin Charcot, in Leipzig und Berlin hat sich Rieger, der Paris auch im Laboratorium von Charles-Édouard Brown-Séquard gearbeitet hat, 1882 in Würzburg habilitiert. Nach Rineckers Tod hatte er dessen Stellvertretung bis 1884 inne und wurde 1887 Nachfolger von Hubert von Grashey, zunächst als außerordentlicher und ab August 1895 als ordentlicher Professor der Psychiatrie. 1888 entwarf Rieger ein erstes Verfahren zur Messung von Intelligenzdefekten. Er prüfte dabei Wahrnehmung, Auffassungsgabe, Gedächtnis und wie der Getestete Sinneseindrücke benennt.
Die psychiatrischen Verhältnisse im Juliusspital Würzburg waren in den 1880er Jahren gänzlich unhaltbar geworden, so dass Rieger den Bau einer selbstständigen Psychiatrischen Klinik an der Universität Würzburg initiierte, die 1893 bezogen werden konnte. Diese Klinik am Schalksberg brachte insofern einen grundsätzlichen Fortschritt, als schon in den Planungen der wissenschaftlichen Forschung ein besonderer Platz zugewiesen wurde. Die Psychiatrischen Klinik an der Universität Würzburg war also nicht nur bloßes Krankenhaus, sondern auch wissenschaftliches Institut. Dennoch waren die finanziellen Mittel, die vom bayerischen Staat für die Psychiatrische Klinik bereitgestellt wurden, äußerst gering, so dass sowohl das Klinikgebäude als auch die Krankenversorgung kaum den bescheidensten Anforderungen genügten. Rieger konnte bis zu seiner Entpflichtung im April 1925 keine wesentlichen baulichen Veränderungen an der Klinik mehr vornehmen lassen.
Riegers fachwissenschaftliche Veröffentlichungen behandeln Gebiete aus der Schädellehre, neurologische, physiologische, psychologische und psychopathologische Fragen, Muskelzustände (denen er sein besonderes Interesse zuwendete), Hirnlokalisation und Hirngeschehen, Intelligenz, Hypnotismus, Hysterie, psychische Epidemien und Aphasie.
Veröffentlichungen (Auswahl) Bearbeiten
- Über die Beziehungen der Schädellehre zur Physiologie, Psychiatrie und Ethnologie (1882).
- Über die Irrenabtheilung des Juliusspitsld zu Würzburg und die Verhältnisse der Geisteskranken in Unterfranken überhaupt. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und ihre Grenzgebiete. Band 39, 1883, S. 577–600.
- Der Hypnotismus. Psychiatrische Beiträge zur Kenntniss der sogenannten hypnotischen Zustände (G. Fischer, Jena 1884).
- Experimentelle Untersuchungen über die Willensthätigkeit (1885).
- Beschreibung des Intelligenzstörungen in Folge einer Hirnverletzung, nebst einem Entwurf zu einer allgemein anwendbaren Methode zur Intelligenzprüfung (1888).
- Leitfaden zur psychiatrischen Klinik (1889).
- Die Psychiatrie in Würzburg von 1583–1893. Erster Bericht aus der Psychiatrischen Klinik der Universität Würzburg. Stahel, Würzburg 1899. Zuvor in: Verhandlungen der Physikalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würzburg. Neue Folge, Band 27, 1893, S. 57–74, Band 29, 1895, S. 77 ff., Band 30, 1896, S. 1–63, Band 31, 1897, S. 123–170.
- 1. Bericht für die Mitglieder des Vereins zum Austausch der Anstaltsberichte aus der psychiatrischen Klinik der Universität Würzburg, enthaltend Aufsätze von dem Vorstand der Klinik: Ueber die Psychiatrie in Würzburg seit dreihundert Jahren. Würzburg 1898.
- Die Castration in rechtlicher, socialer und vitaler Hinsicht. 1900.
- Der therapeutische Optimusmus der frühesten Zeiten. 2. Bericht aus der Psychiatrischen Klinik der Universität Würzburg. Würzburger Verlagsdruckerei, Würzburg 1905.
- Beiträge zur Geschichte Unterfrankens, zur Literatur-Geschichte und Geschichte der Medizin. Dritter Bericht vom Jahre 1908 aus der Psychiatrischen Klinik der Universität Würzburg. Kabitsch 1910.
- Aus dem Julius-Spital und der ältesten psychiatrischen Klinik. In: Hundert Jahre bayerisch. Ein Festbuch. Hrsg. von der Stadt Würzburg. Würzburg 1914, S. 303–334.
- Die Julius-Universität und das Julius-Spital. 5. Bericht aus den Jahren 1912–1916 aus der Psychiatrischen Klinik der Universität Würzburg. Kabitsch, Würzburg 1916. Vgl. hierzu Karl Köhl: Ein gefährliches Buch. In: Fränkischer Kurier Nürnberg. 28. Februar 1919, Nr. 105, und 8. März 1919, Nr. 108.
- Der dreihundertjährige Todestag des Fürstbischofs Julius und Leben? oder Tod? seiner beiden großen Stiftungen. 6. Bericht aus den Jahren 1916 bis 1920 aus Psychiatrischen Klinik der Universität Würzburg. Kabitsch, Würzburg 1920
- Karl Friedrich Marcus. In: Theodor Kirchhoff (Hrsg.): Deutsche Irrenärzte. Einzelbilder ihres Lebens und Wirkens. Springer, Berlin 1921, S. 204–206.
- Anton Müller. In: Theodor Kirchhoff (Hrsg.): Deutsche Irrenärzte. Einzelbilder ihres Lebens und Wirkens. Band 1 ff., Springer, Berlin 1921 ff., Band 1, 1921, S. 25–27.
- Die Psychiatrie und die Armen in Würzburg. – Und der Bischof Julius. – Und das jüngste Gericht. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und ihre Grenzgebiete. Band 90, 1929, S. 310–336.
- Autobiographie. In: Louis R. Grote (Hrsg.): Die Medizin der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Band 8. Meiner, Leipzig 1929, S. 25–27.
Literatur Bearbeiten
- August Lommel: Professor Riegers bellum julianum. In: Münchner Neueste Nachrichten. Nr. 484, 19. November 1920.
- Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg. Band III: Medizingeschichte. Herausgegeben vom Oberpflegeamt der Stiftung Juliusspital Würzburg anlässlich der 425jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung. Stiftung Juliusspital Würzburg (Druck: Bonitas-Bauer), Würzburg 2001, ISBN 3-933964-04-0, S. 292 und 349–358.
- Martin Reichardt: Konrad Rieger †. In: Archiv für Psychiatrie / European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience. Band 110, 1939, S. 165–168, 768 und 770.
- Konrad Rieger †. In: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. Band 166, (Dezember) 1939, S. 309–312.
- Theodor Spoerri: Konrad Rieger 1855–1939. In: Kurt Kolle (Hrsg.): Große Nervenärzte. 3 Bände. Thieme, Stuttgart 1956–1963; Band 1, S. 236–244.
- Herbert Strecker: Konrad Rieger zum 28. März 1935. In: Münchner Medizinische Wochenschrift. Band 82, 1935, S. 513–514.
- Rieger, Konrad Psychiater. In: Rudolf Vierhaus (Hrsg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE). 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Band 8: Poethen–Schlüter. De Gruyter, Berlin 2007, ISBN 978-3-11-094025-1, S. 399 (books.google.de – Leseprobe).
- Wilhelm Weygandt: Conrad Rieger zum 70. Geburtstag. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift. Band 51, 1925, S. 530–531.
Einzelnachweise Bearbeiten
- Konrad Rieger in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg. Band III: Medizingeschichte. Herausgegeben vom Oberpflegeamt der Stiftung Juliusspital Würzburg anlässlich der 425jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung. Stiftung Juliusspital Würzburg (Druck: Bonitas-Bauer), Würzburg 2001, ISBN 3-933964-04-0, S. 292 (1888 Rotkreuzstraße, 1893 Schalksberg).