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Schiffsmodelle in Kirchen sind Schenkungen von Gilden oder Privatpersonen Viele europaische Kirchen in Kustennahe besitzen solche Modelle Sie wurden in katholischen Landern als Votiv und Dankesgaben fur Rettung aus Seenot gestiftet und werden darum auch Votivschiffe genannt 1 In den protestantisch gepragten Nord und Ostseelandern uberwiegt die Bedeutung als berufsstandische Reprasentation Die grosste Dichte an historischen Schiffsmodellen in Kirchen weist Danemark mit etwa 1400 Exemplaren auf Sie werden auf Danisch kirkeskib Kirchenschiff genannt 2 Urania aus der Dorfkirche Grosssolt Schifffahrtsmuseum Flensburg Evangelische Kirche Garz mit Schiffsmodellen Inhaltsverzeichnis 1 Besonderheiten 2 Funktion 3 Bevorzugte Schiffstypen 3 1 Kriegsschiffe 3 2 Segelschiffe 4 Der Begriff Votivschiff 4 1 Mittelalterliche Schiffsvotive 4 2 Schiffsreliefs und modelle als berufsstandische Selbstdarstellung 4 3 Das Votivschiff von Landkirchen 4 4 Katholische Votivschiffe 5 Weblinks 6 Literatur 7 EinzelnachweiseBesonderheiten BearbeitenDie alteren Schiffe wurden meist in einiger Hohe im Kirchenraum aufgehangt Weil sie von unten betrachtet werden sollten ist ihre Takelage vergrossert der Schiffsrumpf dagegen verkleinert dargestellt Gleichfalls vergrossert sind die Kanonen der im 17 und 18 Jahrhundert haufig dargestellten Kriegsschiffe 3 Sie stehen fur Wehrhaftigkeit Die Bezeichnung als Schiffsmodelle ist angesichts dieser Verstosse gegen den massstabsgerechten Nachbau nur begrenzt zutreffend Es wurden bevorzugt Eindruck machende Schiffe nachgebildet die nicht der Alltagswirklichkeit entsprachen sondern mehrere Nummern zu gross waren 4 Als eine Art Traumschiffe brachten sie die grosse Welt in die Kirchen der kleinen Hafenstadte und Kustendorfer 4 Reparaturen waren besonders an der empfindlichen Takelage immer wieder notwendig Das geschah bis in jungste Zeit nicht durch einen Restaurator sondern durch ein Gemeindeglied mit Kenntnissen vom Schiffsbau Dabei wurde das Modell oft hinsichtlich der Takelungen der Farbgebung und der Beflaggung modernisiert 5 Beispielsweise erhielt die Vergatte von Dierhagen ein Modell von 1779 im Zuge der Restaurierung eine moderne Takelung und die Kriegsflagge der Weimarer Republik Funktion BearbeitenDer protestantische Kirchenraum in dem sich die Gemeinde zum gemeinsamen Sonntagsgottesdienst versammelte war nach Konrad Kostlin ein Ort gesellschaftlicher offentlicher Reprasentation Dem entspricht die Stiftung von Altargerat Leuchtern Kirchenfenstern und anderen Ausstattungsstucken jeweils mit Namen und Wappen wichtiger Familien oder Berufsgruppen 4 Unter diese Ausstattungsstucke reihten sich die Schiffsmodelle ein Eine Gruppe von Schiffsmodellen die um 1900 entstandenen Dioramen sind seemannische Freizeitarbeiten die erst nachtraglich in den Kirchenraum gelangten und ursprunglich in Familienbesitz waren 6 Im 20 Jahrhundert wurden mancherorts Schiffsmodelle als Teil einer modernen Erinnerungskultur gestiftet man bezog sich damit gemeinsam auf die maritime Vergangenheit des Ortes 7 Bevorzugte Schiffstypen Bearbeiten Seemannskirche Prerow Dreimastfregatte Peter Kraft 1780 Typisch fur das 20 Jahrhundert Kleinfahrzeuge wie dieses Zeesboot 1936 von einem Fischer aus Kirchdorf Poel Insel Poel erbaut Kriegsschiffe Bearbeiten Unter den altesten Exemplaren sind eine Reihe dreimastiger Kriegsschiffe die sich in Dorfkirchen befinden 8 Petrikirche Landkirchen auf Fehmarn Adler von Lubeck 1617 Johanniskirche Flensburg Adelby Christian Quantus 1688 St Andreas Lubeck Schlutup 1712 Dorfkirche Grosssolt bei Flensburg Urania 1719 Nachbau in der Kirche Original im Schifffahrtsmuseum Flensburg Fachwerkkirche Luckow am Stettiner Haff um 1730 Kirche Garz auf Usedom 1770 Nachbau in der Kirche Original im Museum Wolgast Seemannskirche Prerow auf dem Darss Peter Kraft 1780 Schifferkirche in Arnis Deutschlands kleinster Stadt Ansul Arnis ca 1730 heute auf Schloss GottorfWolfgang Steusloff deutet diese Schenkungen als selbstbewusste Zeichensetzungen der prosperierenden Gruppe der landlichen Seefahrer 8 Es sind der Seemannsvolkskunst des 17 18 Jahrhunderts zuzuordnende Modelle typischerweise mit massiven aus einem Stuck gefertigtem und nachtraglich ausgehohltem Schiffsrumpf 9 Segelschiffe Bearbeiten Im 19 Jahrhundert wurden zunehmend unbewaffnete Handelsschiffe gestiftet bevorzugt Fregatt oder Vollschiffe Barken und Briggs Kleinere Kustenfahrzeuge kamen kaum in Betracht Fast immer waren es zeitgenossische Segelschiffe Ausnahmen ein Schraubendampfer in Wiek auf Rugen und ein Raddampfer in Wieck bei Greifswald Da die Schiffsmodelle in Kirchen dem Segelschiff verpflichtet blieben wurde der technische Fortschritt nicht nachvollzogen Deshalb waren die Schiffsstiftungen im 20 Jahrhundert einerseits historische Schiffstypen bis hin zum Wikingerschiff andererseits besegelte Kleinfahrzeuge Der Begriff Votivschiff Bearbeiten Eines von zwei Orlog Schiffsmodellen des 16 und 17 Jahrhunderts aus dem Schutting heute in der oberen Rathaushalle zu Bremen Votivschiffe und andere Votivgaben in der Kapelle Notre Dame de la Garoupe Cap d Antibes Alpes Maritimes Die Modelle in der Schifferkirche in Arnis wurden von ortlichen Schiffern gestiftet Votivschiff von 1738 in der St Christophorus Kirche in Friedrichstadt Mittelalterliche Schiffsvotive Bearbeiten Richard Andree entwickelte 1904 anhand der suddeutschen katholischen Volksfrommigkeit das Konzept der Votivgabe Fur Andree war es nicht zweifelhaft dass die Volksfrommigkeit in abgelegenen protestantischen Gegenden etwa an der Kuste sich aus der gleichen mittelalterlichen oder noch alteren Quelle speiste Fur diese These kann die Uberlieferung herangezogen werden dass Kaufleute in Seenot im 12 Jahrhundert die Hildesheimer Heiligen Bernward und Godehard anriefen und als Dank nach erfolgter Rettung Wachsschiffchen im Einzelfall auch ein silbernes Schiffchen und einen kleinen Anker aus Silber im Hildesheimer Dom aufhangen liessen Weitere schriftliche Hinweise zu mittelalterlichen Schiffsvotiven im Weserraum gibt es nicht 10 Das Ebersdorfer Koggenmodell ist eine Votivgabe des 15 Jahrhunderts uber die Umstande wie es in eine sachsische Wallfahrtskirche gelangte ist nichts bekannt Schiffsreliefs und modelle als berufsstandische Selbstdarstellung Bearbeiten Seefahrer haben Schiffsdarstellungen in verschiedener Weise fur ihre burgerliche Selbstdarstellung genutzt sei es als Bild Relief oder dreidimensionales Modell Beispiele aus dem Wesergebiet sind Reliefs einer Galeere und einer Galeone auf dem Gildehaus der Flandernfahrer in Hameln fruhes 16 Jahrhundert Relief eines Dreimasters unter vollen Segeln Zwerchgiebel der Marktfront des Schutting in Bremen 1594 Schiffsmodelle aus dem Schutting heute im Bremer Rathaus 16 17 Jahrhundert Eine religiose Komponente haben Schiffsdarstellungen in Zusammenhang mit dem Grabkult von Seefahrern Sargschilder Sprechende Grabsteine Oft wird ein Schiff dargestellt das gerade in den Hafen einfahrt bzw dort angekommen ist Diese Schiffsbilder weisen zugleich auf den Beruf des Verstorbenen hin 11 In diesen Kontext der reprasentiativen Standesgaben stellte Steusloff auch folgenden Quellentext aus Wismar Die Schiffszimmerleute grundeten 1411 eine Marienbruderschaft und stifteten anlasslich dieser Grundung das Schiff in St Nicolai und die Lichter vor dem Marienbild 12 Das Votivschiff von Landkirchen Bearbeiten Fur die Olympia Ausstellung Mensch und Meer 1972 wurde das Kirchen Schiff von 1617 das in der Petrikirche in Landkirchen auf Fehmarn hing restauriert es wurde im Zusammenhang damit abwechselnd als Schiffsmodell und als Votivschiff bezeichnet Das bis dahin so gut wie unbekannte Objekt wurde nun in der Kunsthalle Kiel frei aufgehangt der Offentlichkeit prasentiert und war als Kriegsschiff des 17 Jahrhunderts Kirchenschiffsmodell ausgewiesen Die Vermutung es handle sich bei der Schiffsschenkung von 1617 um eine Votivgabe wurde durch die damalige Untersuchung aber nicht bestatigt Seine ursprungliche Bestimmung war es der Stadt Lubeck als reprasentatives Dekorationsstuck zu dienen 13 Trotzdem war der Begriff Votivschiff damit in der Welt und wurde durch Publikationen vor allem von Henning Henningsen festgeschrieben 14 Fur den Zusammenhang Seenot Gelubde Rettung und Dank gibt es im nordeuropaischen protestantischen Kustenraum kaum einen Beleg und daher wird der Begriff Votivschiff von Steusloff als eine moglicherweise spontan ansprechende Deutung aber aus wissenschaftlicher Sicht als sachlich falsch beurteilt 15 Koslin kommt zu dem gleichen Schluss Gewiss wird man konzedieren mussen dass hinter jeder Stiftung an die Kirche der Versuch eines Menschen stehen kann sich Gott geneigt zu machen Aber diese Hoffnung unterscheidet sich doch prinzipiell von der klaren und veroffentlichten Struktur des Aktes der Votation 16 Katholische Votivschiffe Bearbeiten Echte Votivschiffe befinden sich in katholischen Kirchen an der Atlantik und Mittelmeerkuste Ein Beispiel ist die Bretagne Mitte des 17 Jahrhunderts wirkte der Jesuitenorden in dieser Landschaft und forderte das Votivwesen verbunden mit der Marien und Annenverehrung Sie galten als die Fursprecher die in Seenot geholfen hatten Haufig wurden Votivgaben durch die Buchstaben V F G A Votum fecit gratiam accepit der Seemann XY hat ein Gelubde abgelegt Maria die heilige Anna hat den Dank empfangen eindeutig als solche gekennzeichnet In der Bretagne waren Schiffsmodelle die ubliche Form einer maritimen Votivgabe Sie wurden in Kirchen und Kapellen an der Decke aufgehangt Das alteste erhaltene Exemplar ist ein Modell des Schiffs Maria in der Kapelle Notre Dame de Kermouster Kirchspiel Lezardrieux das laut Aufschrift durch mich MM Le Guen 1651 der Kirche geweiht wurde 17 An der Mittelmeerkuste sind Ex voto Schiffsbilder verbreiteter als Modelle Weblinks Bearbeiten Commons Schiffsmodelle in Kirchen Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Was sind Votivschiffe Nils Hansen Votivschiffe Gesellschaft fur Schleswig Holsteinische Geschichte Literatur BearbeitenDetlev Ellmers Das Schiff als Zeichen in Mittelalter und fruher Neuzeit Burgerliche Selbstdarstellung im Flussgebiet der Weser In Deutsches Schiffahrtsarchiv 19 1996 S 221 252 online Werner Jaeger Eine Nofretete unter den Schiffsmodellen Bericht uber die Entdeckung eines bislang unbekannten Schiffsmodelles aus dem Jahre 1617 In Deutsches Schiffahrtsarchiv 2 1978 S 47 60 online Konrad Kostlin Schiffsschenkungen in protestantischen Kirchen Von standischer Reprasentation zum Symbol lokaler Identitat In Deutsches Schiffahrtsarchiv 11 1988 S 291 302 online Wolfgang Steusloff Kirchen Schiffsmodelle im Wandel In Deutsches Schiffahrtsarchiv 23 2000 S 489 502 online Wolfgang Steusloff Kirchen Schiffsmodelle in Mecklenburg Vorpommern Rostock 2003 Hans Szymanski Schiffsmodelle in niedersachsischen Kirchen Gottingen 1966 Elizabeth Tingle The Sea and Souls Maritime Votive Practices in Counter Reformation Brittany 1500 1750 In Peter Bernard Clarke Hrsg God s Bounty Papers Read at the 2008 Summer Meeting and the 2009 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society Boydell amp Brewer 2010 S 205 216 Einzelnachweise Bearbeiten Dieter Sell Schwebende Kulturdenkmaler Votivschiffe in den Kustenkirchen zeugen von Macht und Dank landeskirche hannovers de 8 August 2005 http www votivschiff de Abgerufen am 10 Januar 2019 Wolfgang Steusloff Kirchen Schiffsmodelle im Wandel S 492 a b c Konrad Kostlin Schiffsschenkungen in protestantischen Kirchen Von standischer Reprasentation zum Symbol lokaler Identitat S 298 Wolfgang Steusloff Kirchen Schiffsmodelle im Wandel S 496 497 Wolfgang Steusloff Kirchen Schiffsmodelle im Wandel S 498 Konrad Kostlin Schiffsschenkungen in protestantischen Kirchen Von standischer Reprasentation zum Symbol lokaler Identitat S 301 a b Wolfgang Steusloff Kirchen Schiffsmodelle im Wandel S 490 Wolfgang Steusloff Kirchen Schiffsmodelle im Wandel S 494 Detlev Ellmers Das Schiff als Zeichen in Mittelalter und fruher Neuzeit Burgerliche Selbstdarstellung im Flussgebiet der Weser S 221 222 Detlev Ellmers Das Schiff als Zeichen in Mittelalter und fruher Neuzeit Burgerliche Selbstdarstellung im Flussgebiet der Weser S 244 248 Wolfgang Steusloff Kirchen Schiffsmodelle im Wandel S 489 Werner Jaeger Eine Nofretete unter den Schiffsmodellen Bericht uber die Entdeckung eines bislang unbekannten Schiffsmodelles aus dem Jahre 1617 S 49 Konrad Kostlin Schiffsschenkungen in protestantischen Kirchen Von standischer Reprasentation zum Symbol lokaler Identitat S 292 294 Wolfgang Steusloff Kirchen Schiffsmodelle im Wandel S 490 Konrad Kostlin Schiffsschenkungen in protestantischen Kirchen Von standischer Reprasentation zum Symbol lokaler Identitat S 296 Elizabeth Tingle The Sea and Souls Maritime Votive Practices in Counter Reformation Brittany 1500 1750 S 213 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Schiffsmodelle in Kirchen amp oldid 230866472