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Heuerlingswesen auch Hauslingswesen bezeichnet eine in Westfalen und in Nordwestdeutschland vom 17 Jahrhundert bis in die erste Halfte des 20 Jahrhunderts haufige zeitweise und mancherorts bestimmende Auspragung der Agrarverfassung samt deren sozial wirtschafts und siedlungsgeschichtlichen Voraussetzungen und Folgen Die rechtliche Grundlage waren Vertrage zwischen Bauern und landlosen Heuerlingen oder auch Heuerleuten die dem Bauern gunstige Hand und Spanndienste sowie Zahlungen in Form von Geld und Naturalien und den Heuerleuten im Austausch ein Dach uber dem Kopf und ein Stuck Ackerland verschafften Diese Vertrage waren z T jahrlich kundbar Die Betriebsflache der Heuerstellen lag typischerweise in Form von Kampen um den Hof Heuerlinge waren keine vollberechtigten Mitglieder der Bauernschaft Sie besassen kein Stimmrecht brauchten keine Kirchenbeitrage zu bezahlen mussten aber fur das Totengelaut eine Gebuhr entrichten Das sprachliche Erbe dieses Wesens findet sich bis heute in der Redewendung jemanden anheuern mit der Bedeutung einer zeitlich und aufgabenbefristeten Anstellung von Personen zur Tatigkeitsbewaltigung Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Beispiel 3 Literatur 3 1 Monographien 3 2 Aufsatze 4 Fussnoten 5 WeblinksGeschichte BearbeitenDas Heuerlingswesen breitete sich in Westfalen und in Nordwestdeutschland seit dem Ende des 16 Jahrhunderts und vor allem in der zweiten Halfte des 17 Jahrhunderts aus Auf Hofstellen die u a infolge des Dreissigjahrigen Krieges wust geworden waren wurde zunachst in leerstehenden Spiekern Backhausern und anderen Nebengebauden eine neue soziale Schicht neues Rechtsverhaltnis angesetzt die Heuerlinge 1 Sie waren weder vollwertige Bauern noch deren auf dem Hof lebende Knechte sondern landliche Mieter In der Grafschaft Ravensberg machten Heuerlingsfamilien um 1770 bereits zwei Drittel der gesamten Bevolkerung aus 2 Zur Abgeltung ihres Wohnrechtes und der Nutzung ihrer kleinen vom Bauern gepachteten Ackerflachen waren die Heuerleute oft auf Abruf gegen Lohn verpflichtet ihrem Bauern zur Hand zu gehen insbesondere in der Erntezeit 3 Die eigene kleine Landwirtschaft reichte fast nie aus um Futter fur das Vieh der kinderreichen Heuerlingsfamilien ohne Zukauf zu sichern Fur viele Heuerleute und deren Kinder war es ein Leben am Rande der Existenz wahrend des Aufkommens der Industrialisierung und der Bevolkerungsexplosion Seit Ende des 17 Jahrhunderts waren die Manner aus den Heuerlingsfamilien im Munsterland im Emsland im Oldenburger Munsterland und im Osnabrucker Land in freier Zeit oft Saisonarbeiter sogenannte Hollandganger In Ostwestfalen verdienten sich die Heuerlingsfamilien ein Zubrot durch Heimarbeit als Spinner und Weber im Verlagssystem 4 Angehorige von Heuerlingsfamilien machten einen Gutteil der Auswanderer aus die im 19 Jahrhundert in der Hoffnung auf ein besseres Leben geschenktes Farmland Goldrausch etc vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika aber auch in Sudbrasilien in grosser Zahl ihre westfalische Heimat verliessen 5 Mit dem Beginn der Weimarer Republik schlossen sich die nordwestdeutschen Heuerleute in Interessenorganisationen zusammen um ihre soziale Not politisch zu bekampfen Fur den Osnabrucker Raum entstand der Nordwestdeutsche Heuerlingsverband unter Leitung des spateren SPD Reichstagsabgeordneten Wilhelm Helling im Emsland Grafschaft Bentheim und Teilen des Landkreises Bersenbruck der Verein Christlicher Heuerleute spater Verband Christlicher Heuerleute Kleinbauern und Pachter unter dem spateren Provinziallandtagsabgeordneten Heinrich Kuhr in Sudoldenburg der Verband Landwirtschaftlicher Kleinbetriebe gegrundet von Anton Themann der von 1925 bis 1933 fur das Zentrum im Oldenburger Landtag sass nach 1945 fur die CDU im Niedersachsischen Landtag In Westfalen entstand der zentrumsnahe Pachter und Siedlerbund der sich in Westfalischer Pachter und Kleinbauernbund und dann 1927 in Westfalischer Bauernbund umbenannte 1925 besass er rund 5000 Mitglieder Vorsitzender war seit Oktober 1928 der Geistliche Ferdinand Vorholt aus Mecklenbeck bei Munster Dieses Aufbegehren wurde nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten mittels zwangsweiser Gleichschaltung und Eingliederung in den sogenannten Reichsnahrstand beendet 6 Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs dem beginnenden Wirtschaftswunder in den 1950er Jahren und den zunehmend besseren Verdienstmoglichkeiten in Handwerk und Industrie verschwand das Heuerlingswesen fast uber Nacht als die Bauern menschliche Arbeitskraft durch den Einsatz von Maschinen ersetzen 7 Beispiel BearbeitenMax Weber gibt als Beispiel fur Osnabruck an Einen Garten von 1 000 1 500 m 2 ha Acker 1 2 1 1 2 ha Wiese Das Recht auf 1 ha fur Hornvieh in der Mark Plaggenhieb auf bis zu 2 ha 29 Arbeitstage Spannhilfe auf die Familie verteilt ein Bauer in einem solchen Dienstverhaltnis hatte viele Vorteile gegenuber einem pachtenden Bauern gleicher Grosse z B nahezu halbe Miete kostenloses Heizen Kleidung uva 2 3 Milch und Arbeitskuhe in sehr guten Lagen wurde die 3 Kuh durch einen Ochsen oder gar ein Pferd ersetzt 1 2 Zuchtsaue die 2 5 Mastschweine pro Jahr erlaubten Kalberzucht selten Wenige Schafe 10 15 Huhner Ein Schlachtrind Man arbeitete 47 Wochen Jahr 7 12 Stunden pro Tag Jugendliche hochstens 6 in einer Familie bei 1 5 Arbeitskraften Futter fur das Mastvieh war nicht immer ausreichend vorhanden und musste zugekauft werden Man konnte Kapital ansparen und gab den Kindern eine Mitgift von bis zu anderthalb Jahresgehaltern Sie seien mit ihrer Lage ausserordentlich zufrieden Der Heuervertrag wurde anders als anderswo alle 4 Jahre mundlich neu geschlossen Der Grundherr musste bei Not Hilfe leisten 8 Literatur BearbeitenMonographien Bearbeiten Franz Bolsker Schlicht Sozialgeschichte des landlichen Raumes im ehemaligen Regierungsbezirk Osnabruck im 19 und fruhen 20 Jahrhundert unter besonderer Berucksichtigung des Heuerlingswesens und einzelner Nebengewerbe in Westfalische Forschungen 40 1990 Munster 1990 S 223 250 Lisa Borker Dalum und die Heuerleute 2 Aufl Sogel 1998 Johannes Drees Die Bedeutung des Heuerlingswesens innerhalb der landwirtschaftliche Lohnverfassung mit besonderer Rucksichtnahme auf die Verhaltnisse im Kreise Osnabruck Diplomarbeit Universitat Gottingen 1922 Johannes Drees Arbeitsausgleich zwischen Industrie und Landwirtschaft dargestellt am Heuerlingswesen im Kreise Osnabruck Diss Gottingen 1924 Walter D Kamphoefner Peter Marschalck Birgit Nolte Schuster Von Heuerleuten und Farmern Die Auswanderung aus dem Osnabrucker Land nach Nordamerika im 19 Jahrhundert Kulturregion Osnabruck Band 12 Bramsche 1999 Martin Meyer Johann Kritische Untersuchungen uber das Heuerlingswesen insbesondere die Einwirkungen der Kriegs und Nachkriegszeit auf dasselbe in Minden Ravensberg Diss Universitat Halle Wittenberg 1921 Birgit Nolte Schuster Jaap Vogel Winfried Woesler Arno de Jonge Zur Arbeit nach Holland Arbeitswanderung aus der Region Osnabruck zwischen 1750 1850 Osnabruck 2001 Heinrich Niehaus Das Heuerleutesystem und die Heuerleutebewegung Ein Beitrag zur Losung der Heuerleutefrage Verlag Kleinert Quakenbruck 1924 Hans Jurgen Seraphim Das Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland Veroffentlichung des Provinzialinstituts fur westfalische Landes und Volkskunde Reihe I Wirtschafts und verkehrswissenschaftliche Arbeiten Heft 5 Aschendorff Verlag Munster 1948 Bernd Robben Helmut Lensing Wenn der Bauer pfeift dann mussen die Heuerleute kommen Betrachtungen und Forschungen zum Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland Haselunne Studiengesellschaft fur Emslandische Regionalgeschichte 2014 ISBN 978 3 9818393 1 9 10 Auflage Meppen 2021 Hans Triphaus Das Heuerlingswesen im Nordteil des Altkreises Bersenbruck im ausgehenden 19 und im 20 Jahrhundert Ein Beitrag zur Wirtschafts und Sozialgeschichte des Osnabrucker Nordlandes Schriftenreihe des Kreisheimatbundes Bersenbruck Nr 19 3 Aufl Verlag Thoben Quakenbruck 1981 ISBN 3 921176 62 X Aufsatze Bearbeiten Wilhelm Brandhorst Heuerlinge und Heuerlingshauser in Hartum Vom Heuerlingswesen in einem Dorfe des Mindener Landes Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins Jahrgang 51 1979 S 93 100 Werner Dobelmann Ein altes Heuerlingsgeschlecht In Heimat gestern und heute Mitteilungen des Kreisheimatbundes Bersenbruck Bd 11 1963 ISSN 0440 6141 Josef Grave Heuerleute West Ostsiedler Ruckwanderer Auf den Spuren emslandischer Familien in Hinterpommern und Ostbrandenburg In Jahrbuch des Emslandischen Heimatbundes Bd 41 1995 S 330 342 ISSN 0448 1410 Christof Haverkamp Die Heuerleutebewegung im 20 Jahrhundert im Regierungsbezirk Osnabruck In Studiengesellschaft fur Emslandische Regionalgeschichte Hrsg Emslandische Geschichte Bd 6 1997 S 89 107 ISSN 0947 8582 Heinrich Kuhr Das Heuerlingswesen im Emsland und in den Nachbargebieten In Jahrbuch des Emslandischen Heimatvereins Bd 12 1965 S 60 72 ISSN 0448 1410 Helmut Lensing Der Verein Christlicher Heuerleute 1919 bis 1933 Eine bedeutende Interessenorganisation landlicher Unterschichten im deutschen Nordwesten In Jahrbuch des Emslandischen Heimatbundes Bd 53 2006 S 45 90 ISSN 0448 1410 Ralf Weber Zur Lage der Heuerleute in den Kreisen Vechta und Cloppenburg in der ersten Halfte des 19 Jahrhunderts In Heimatbund fur das Oldenburger Munsterland Hrsg Jahrbuch fur das Oldenburger Munsterland 2012 Vechta 2011 S 115 134 Adolf Wrasmann Das Heuerlingswesen im Furstentum Osnabruck in Mitteilungen des Vereins fur Geschichte und Landeskunde von Osnabruck Teil I Bd 42 1919 Osnabruck 1920 S 52 171 und Teil II in Bd 44 1921 Osnabruck 1922 S 1 154 Fussnoten Bearbeiten Manfred Balzer Grundzuge der Siedlungsgeschichte 800 1800 In Wilhelm Kohl Hg Westfalische Geschichte Bd 1 Von den Anfangen bis zum Ende des Alten Reiches Schwann Dusseldorf 1983 S 231 273 hier S 266 Hans Jurgen Seraphim Das Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland Aschendorff Munster 1948 S 17 Clemens Wischermann An der Schwelle zur Industrialisierung 1800 1850 In Wilhelm Kohl Hg Westfalische Geschichte Bd 3 Das 19 und das 20 Jahrhundert Schwann Dusseldorf 1984 S 41 162 hier S 61 f Heinz Gunter Steinberg Die geographischen Grundlagen In Wilhelm Kohl Hg Westfalische Geschichte Bd 1 Von den Anfangen bis zum Ende des Alten Reiches Schwann Dusseldorf 1983 S 35 53 hier S 46 Walter D Kamphoefner Westfalen in der Neuen Welt Eine Sozialgeschichte der Auswanderung im 19 Jahrhundert Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen erweiterte Neuausgabe 2006 ISBN 3 89971 206 4 Dort Kapitel 2 Menschen und Regionen am Scheideweg der Einfluss regionaler okonomischer Entwicklungen auf die Migrationsmuster in Nordwestdeutschland und Kapitel 3 Arm aber nicht armselig personale Charakteristika und Motivationsfaktoren der nordwestdeutschen Auswanderung Heinrich Kleine Hakenkamp Die Ziele des Reichsnahrstandes im Heuerlingswesen des Munsterlandes Wurzburg 1939 Max Weber Die Lage der Landarbeiter in Deutschland 1882 S etwas uber 2 000 Max Weber Die Verhaltnisse der Landarbeiter in Deutschland 1891 Weblinks Bearbeiten400 Jahre Heuerlingswesen in Norddeutschland Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Heuerlingswesen amp oldid 234974186