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Harun ibn Habib arabisch هارون بن حبيب DMG Harun ibn Ḥabib war ein Bewohner der Stadt Ilbira Elvira des spateren Granada gegen den wahrend der Herrschaft des umayyadischen Emirs ʿAbd ar Rahman ibn al Hakam reg 822 852 ein aufsehenerregender Blasphemieprozess gefuhrt wurde Der Prozess der sich wahrscheinlich 851 ereignete 1 hatte deswegen eine besondere Brisanz weil Haruns Bruder ʿAbd al Malik ibn Habib der fuhrende Rechtsgelehrte im Emirat von Cordoba war der auch in einem besonderen Naheverhaltnis zum Emir stand Fur die Geschichte des islamischen Strafrechts ist der Prozess unter anderem deswegen bedeutsam weil er einen der fruhesten Falle darstellt in dem die islamische Rechtsmaxime zur Anwendung kam der zufolge Hadd Strafen durch Verweis auf Ungewissheiten abzuwenden sind Die wichtigsten Quellen fur den Prozess sind die Sammlung von Biographien andalusischer Rechts und Traditionsgelehrter von Ibn al Harith al Chuschani st 971 sowie die malikitische Biographiensammlung Tartib al madarik wa taqrib al masalik von al Qadi ʿIyad st 1149 Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Der Prozess 2 1 Verteidigung durch den Bruder 2 2 Die Gutachten der anderen Rechtsgelehrten 2 3 Zweites Schreiben des Bruders an den Emir Freilassung 3 Politische Vorgeschichte 4 Literatur 5 EinzelnachweiseHintergrund BearbeitenUber die Biographie von Harun ibn Habib weiss man nicht viel weil die arabischen biographischen Werke ihm keinen Eintrag gewidmet haben allerdings ist bekannt dass er sich fur Kalam interessierte Nach der Beschreibung von al Qadi ʿIyad war Harun jahzornig ḍaiyiq aṣ ṣadr aufbrausend kaṯir at tabarrum und gegenuber den Bewohnern der Stadt Ilbira voreingenommen und redete schlecht uber sie 2 Die beiden Ausspruche die zu der Blasphemie Anklage gegen ihn fuhrten erfolgten zu zwei unterschiedlichen Gelegenheiten im Zustand des Zorns 3 Die erste Bemerkung tat er gegenuber einem Mann der eine Leiter bei ihm ausleihen wollte um damit Reparaturarbeiten an einer Moschee durchzufuhren Harun ibn Habib wies ihn mit den Worten zuruck Ich wurde sie Dir nur geben wenn damit eine Kirche repariert werden wurde Der Mann war uber diese Antwort schockiert und erinnerte Harun daran dass eine Moschee einer Kirche doch uberlegen sei Darauf antwortete Harun Nein bei Gott Ich habe gesehen dass derjenige der sich an Gott halt im Stich gelassen wird wahrend derjenige der sich an die Synagoge und die Hostien halt eine hohe Stellung hat und in einer guten Situation ist 4 Jorge Aguade vermutet dass Harun ibn Habib die religiosen Gefuhle seines Nachbarn tatsachlich verletzen wollte 5 Maribel Fierro sieht dagegen in dieser Bemerkung eher eine indirekte Kritik an dem Emir denn dieser liess die Steuern in der Provinz Ilbira durch einen Christen namens Rabiʿ einsammeln 6 Die zweite Bemerkung Haruns erfolgte als zwei Manner ihn besuchten als er gerade von einer schweren Krankheit genesen war Als sie nach seinem Gesundheitszustand fragten ausserte er dass er sich jetzt gut fuhle Dem fugte er hinzu Das alles was ich aber bei dieser Krankheit erlitten habe ware selbst in dem Fall dass ich Abu Bakr und ʿUmar getotet hatte nicht gerechtfertigt gewesen 7 Da jede negative Anmerkung uber Abu Bakr und ʿUmar zu jener Zeit als schiitisches Sektierertum verstanden wurde brachte sich Harun mit dieser Bemerkung ebenfalls in Gefahr 8 Die besagten Personen zeigten Harun ibn Habib wegen dieser Ausserungen beim Qadi von Ilbira ʿAbd al Malik ibn Salam al Maʿafiri an Der Qadi nahm ihre Zeugenaussagen auf liess Harun gefangen nehmen und in Ketten legen und schickte die Zeugenaussagen an den Emir Abd ar Rahman II nach Cordoba Er unterrichtete eine Anzahl von fuhrenden Rechtsgelehrten unter denen sich auch Haruns Bruder befand uber den Fall und forderte sie auf ihr Gutachten dazu abzugeben Der Prozess BearbeitenVerteidigung durch den Bruder Bearbeiten ʿAbd al Malik ibn Habib der Bruder Haruns ubernahm dessen Verteidigung und verfasste dazu ein zahlreiche Blatter umfassendes Schreiben in dem er urteilte dass keine Hadd Strafe oder Ermessensstrafe ʿuquba gegen seinen Bruder verhangt werden durfe Hinsichtlich der ersten Zeugenaussage argumentierte er dass sie wertlos sei weil entsprechend Koran und der Sunna des Propheten ohne zwei Zeugen kein Straftatbestand festgestellt werden konne 9 Des Weiteren argumentierte er damit dass man die beiden von seinem Bruder gemachten Ausserungen in der Weise deuten konne dass diese nicht anstossig seien und dies auch eine Pflicht fur jeden Muslims darstelle aufgrund des Ausspruches von ʿUmar ibn al Chattab Wenn ein Muslim einen anderen Muslim etwas sagen hort sollte er nichts Boses daruber denken sondern darin als Ausweg etwas Gutes finden Die Aussage seines Bruders Ich habe gesehen dass derjenige der sich an Gott halt im Stich gelassen wird musse man in dem Sinne verstehen dass er bei euch im Stich gelassen wird weil ihr ihm nicht helft und nicht sein Recht anerkennt 10 Und die Aussage dass derjenige der sich an die Synagoge und die Hostien halt eine hohe Stellung hat und in einer guten Situation ist sei ebenfalls in diesem Sinne zu verstehen Sein Bruder habe damit nur sagen wollen dass es in diesem Land wie in einem nicht islamischen Land zugehe und auf das Konzept der Verkommenheit der Zeit fasad az zaman angespielt 11 Was die zweite Ausserung anlangt so meinte ʿAbd al Malik dass sie weniger schwer wiege gestand aber zu dass sie einer vernunftbegabten Person unwurdig sei und eher der Rede von unwissenden und urteilsunfahigen Menschen entsprach Allerdings gab er zu bedenken dass sich viele Menschen in der Weise ausserten wenn sie ein Ungluck befalle 12 Derjenige der so etwas ausspreche musse zwar hart zurechtgewiesen und davon abgehalten werden es zu wiederholen eine Prugelstrafe oder Inhaftierung sei jedoch nicht notwendig Schliesslich verwies ʿAbd al Malik auf das angebliche Prophetenwort Wendet die Hadd Strafen durch Ungewissheiten von meiner Umma ab Idra u l ḥudud bi s subuhat ʿan ummati Wenn diese Regel schon fur Falle gelte in denen die Hadd Strafe anzuwenden sei musse sie erst recht fur alle anderen Falle gelten Wenn uberhaupt eine Strafe notwendig sei dann seien die sechs Monate die er bereits im Kerker verbracht hatte ausreichend 13 Die Gutachten der anderen Rechtsgelehrten Bearbeiten Ein anderer Rechtsgelehrter Ibrahim ibn Husain ibn Chalid entgegnete auf das Schreiben von ʿAbd al Malik ibn Habib mit einem eigenen langeren Schreiben und sprach sich darin fur die Hinrichtung von Harun aus Er wies auf Prazedenzfalle hin auf ʿUmar ibn al Chattab der einen gewissen Sabigh wegen seiner Tendenz zum Streitgesprach gezuchtigt hatte auf das Vorgehen von ʿAli ibn Abi Talib gegenuber denjenigen die der Ketzerei zandaqa beschuldigt wurden und auf die Totung von Malik ibn Nuwaira durch Chalid ibn al Walid weil er Mohammed als Euer Mann ṣahibu kum bezeichnet hatte 13 Auf die gleiche Weise mussten auch Haruns Worte wortlich genommen werden Da sie auf einen Vorwurf der Ungerechtigkeit gegenuber Gott taǧwir Allah hinausliefen sei es notwendig ihn zu bestrafen Eine versteckte Andeutung sei wie eine offene Erklarung zu behandeln at taʿriḍ ka t taṣriḥ Fur eine Anwendung des Prinzips der Abwendung der Hadd Strafen durch Ungewissenheiten bestehe kein Raum Zwar sei richtig dass man den Herrscher nicht uber das Vergehen eines ehrbaren Mannes unterrichten solle aber Harun sei nicht als ein solcher ehrbarer Mann anzusehen Ibn Chalid schloss sein Gutachten mit der Empfehlung ab gegen Harun die Todesstrafe zu verhangen bzw wenn der Emir diese ablehne ihn heftig zu verprugeln und lebenslang inhaftieren und hinsichtlich seines Falls brieflich die Autoritaten im Orient zu befragen 14 Ein weiterer Rechtsgelehrter Ibrahim ibn Husain ibn ʿAsim ausserte sich dagegen ahnlich wie ʿAbd al Malik ibn Habib und machte geltend dass Harun in seiner zweiten Ausserung Abu Bakr und ʿUmar nicht verunglimpft sondern im Gegenteil ihren hohen Rang herausgestellt habe Da es in dem Fall von Harun Ungewissenheiten gebe riet er mit Verweis auf das angebliche Prophetenwort von der Anwendung der Todesstrafe ab 15 Auch der Qadi von Cordoba Saʿid ibn Sulaiman al Balluti schloss sich dieser Meinung an Er ausserte dass eine Totung nur bei Totschlag Lasterung Gottes oder einer seiner Propheten Apostasie oder Muharaba in Frage komme nicht aber bei Ubertretungen wie sie Harun begangen hatte 16 Zweites Schreiben des Bruders an den Emir Freilassung Bearbeiten Nachdem die anderen Rechtsgelehrten ihre Gutachten abgegeben hatten schrieb ʿAbd al Malik Ibn Habib einen zweiten langen Brief an den Emir in dem er Argumente gegen das Urteil von Ibrahim ibn Husain ibn Chalid vorbrachte und sich sehr herabsetzend gegenuber ihm den anderen Rechtsgelehrten und dem Qadi ausserte Er argumentierte dass der Hauptgrund fur den Prozess gegen seinen Bruder die Feindseligkeit der anderen Rechtsgelehrten ihm gegenuber sei sowie die Feindschaft des Qadis von Elvira gegenuber seinem Bruder 16 Er schloss sein Schreiben mit der Aussage ab dass der Emir wenn er seine Meinung akzeptiere nie mehr die anderen Rechtsgelehrten konsultieren moge Umgekehrt solle er wenn er jetzt auf die anderen Rechtsgelehrten hore nie mehr ihn ʿAbd al Malik konsultieren Der Emir stimmte schliesslich ʿAbd al Maliks Sicht zu und befahl Harun freizulassen ʿAbd al Malik bat daraufhin den Emir seinen Bruder nach Cordoba bringen zu lassen und ihn dort einzukerkern als Erziehungsmassnahme fur seine Frechheit und Widersetzlichkeit adaban li ǧurʾati hi wa ʿiṣyani hi 17 Politische Vorgeschichte BearbeitenWie Janina Safran gezeigt hat hatte der Prozess gegen Harun ibn Habib eine politische Vorgeschichte Der Emir ʿAbd ar Rahman II hatte am Anfang seiner Herrschaft den Posten des Qadis von Cordoba mit einem Rechtsgelehrten aus Ilbira namens Ibn Maʿmar besetzt Das Verhaltnis zwischen ihm und den anderen Rechtsgelehrten von Cordoba war sehr gespannt Diese Spannungen eskalierten als verschiedene fuhrende Personlichkeiten beim Emir Beschwerden uber dessen Amtsfuhrung einreichten Der Emir erkundigte sich darauf hin beim fuhrenden Rechtsgelehrten von Cordoba Yahya ibn Yahya ibn Abi ʿisa und entliess nach dessen zustimmender Stellungnahme zu den Beschwerden Ibn Maʿmar Wenig spater stellte der Emir fest dass die Beschwerden unbegrundet waren und setzte Ibn Maʿmar wieder in sein Amt ein Dieser lehnte von nun an jegliche Zusammenarbeit mit den Rechtsgelehrten von Cordoba ab und forderte dass ein weiterer Rechtsgelehrter aus Ilbira in das Gremium der Rechtsgelehrten von Cordoba aufgenommen wurde Dies war ʿAbd al Malik ibn Habib Safran vermutet dass die Feindschaft zwischen ihm und den anderen Gelehrten auf die ʿAbd al Malik ibn Habib in seinem zweiten Schreiben Bezug nimmt darin begrundet war Die Verurteilung von ʿAbd al Maliks Bruder als Gotteslasterer so nimmt sie an zielte darauf ab ihn selbst zu diskreditieren und aus seiner Position zu verdrangen 18 Literatur BearbeitenArabische QuellenIbn Ḥariṯ al Ḫusani Aḫbar al fuqahaʾ wa l muḥaddiṯin Hrsg von Maria Luisa Avila and Luis Molina Madrid 1992 S 248 253 al Qaḍi ʿIyaḍ b Musa b ʿIyaḍ al Yaḥṣubi Tartib al madarik wa taqrib al masalik li maʿrifat aʿlam madhhab Malik Wizarat al Auqaf Rabat 1965 83 Bd IV S 133 138 DigitalisatSekundarliteraturJorge Aguade El proceso contra su hermano in seiner Edition von ʿAbd al Malik ibn Habib Kitab at Taʾriḫ Consejo Superior de Investigaciones Cientificas Madrid 1991 S 35 41 Maria Isabel Fierro Bello La Heterodoxia en Al Andalus durante el periodo Omeya Instituto Hispano Arabe de Cultura Madrid 1987 S 63 70 Maribel Fierro Andalusian fatawa on blasphemy in Annales Islamologiques 25 1991 S 103 117 Digitalisat PDF Maribel Fierro Idraʾu l ḥudud bi l shubuhat when lawful violence meets doubt in Hawwa 5 2007 S 208 38 Hier S 230 f Declan Patrick O Sullivan Punishing Apostasy The Case of Islam and Shari a Law Re considered Ph D Thesis Durham University 2003 S 378 398 Digitalisat PDF 15 MB Janina Safran Defining Boundaries in al Andalus Muslims Christians and Jews in Islamic Iberia Cornell University Press Ithaca 2013 S 46 51 Einzelnachweise Bearbeiten Safran Defining Boundaries in al Andalus 2013 S 51 Siehe al Qaḍi ʿIyaḍ Tartib al madarik S 133 O Sullivan Punishing Apostasy 2003 S 238 Fierro Bello La Heterodoxia en Al Andalus 1987 S 63 Aguade El proceso contra su hermano 1991 S 37 Fierro Andalusian fatawa on blasphemy 1991 S 113 O Sullivan Punishing Apostasy 2003 S 239 Aguade El proceso contra su hermano 1991 S 38 Siehe al Qaḍi ʿIyaḍ Tartib al madarik S 134 Siehe al Qaḍi ʿIyaḍ Tartib al madarik S 134 f Fierro Bello La Heterodoxia en Al Andalus 1987 S 63 f Fierro Bello La Heterodoxia en Al Andalus 1987 S 64 f a b Siehe al Qaḍi ʿIyaḍ Tartib al madarik S 135 Siehe al Qaḍi ʿIyaḍ Tartib al madarik S 136 Siehe al Qaḍi ʿIyaḍ Tartib al madarik S 136 f a b Siehe al Qaḍi ʿIyaḍ Tartib al madarik S 137 Siehe al Qaḍi ʿIyaḍ Tartib al madarik S 138 Safran Defining Boundaries in al Andalus 2013 S 47 f PersonendatenNAME Harun ibn HabibKURZBESCHREIBUNG Bewohner der Stadt Ilbira gegen den ein Blasphemieprozess gefuhrt wurdeGEBURTSDATUM 8 Jahrhundert oder 9 JahrhundertSTERBEDATUM 9 Jahrhundert Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Harun ibn Habib amp oldid 217103790