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Johann Wilhelm Gustav Sievers 1865 in Almstedt 16 Juni 1941 in Totungsanstalt Hadamar war ein deutscher Kunstler der Art brut Er schuf als Patient verschiedener psychiatrischer Anstalten Zeichnungen die in der Sammlung Prinzhorn uberliefert wurden Als Weber hatte Sievers den Fallschutzenwebstuhl erfunden und patentieren lassen 1900 wurde er nachdem er zuvor schon aufgrund der Verteilung sozialdemokratischer Schriften und Polizistenbeleidung Haftstrafen verbusst hatte als Folge padophiler Handlungen in die Provinzial Irrenanstalt Lengerich eingewiesen Bis zu seinem Lebensende verblieb er im Anstaltssystem und wurde in Luneburg und Gottingen behandelt 1941 wurde Sievers nach seiner Einstufung als unheilbar in der Totungsanstalt Hadamar im Rahmen der Aktion T4 von den Nationalsozialisten ermordet Die uberlieferten kunstlerischen Arbeiten Sievers sind Karikaturen und Bildergeschichten im Stil der Neuruppiner Bilderbogen mit meist gesellschaftlichen und politischen Inhalten In ihnen nahm er unter anderem Bezug auf den wilhelminischen Chauvinismus den Ersten Weltkrieg sowie den Kolonialismus und vertrat auch antiklerikale Positionen Inhaltsverzeichnis 1 Leben 1 1 Herkunft beruflicher Werdegang und politische Pragung 1 2 Leben in psychiatrischen Anstalten 1 3 Kunstlerisches Schaffen 1 4 Ermordung in der Totungsanstalt Hadamar 2 Rezeption 3 Literatur 4 EinzelnachweiseLeben BearbeitenHerkunft beruflicher Werdegang und politische Pragung Bearbeiten Gustav Sievers wurde 1865 in Almstedt geboren Er stammte aus armen Verhaltnissen und besuchte die Volksschule Im Anschluss arbeitete er in der Kantine des 79 Infanterie Regiments in Hildesheim Um sich des dortigen harten 18 stundigen Arbeitsalltags zu entziehen wurde er Tapetenjunge und dann im Alter von 16 Jahren Weber in einer Fabrik Dort begann er sich fur Philosophie und Politik zu interessieren In der Folge begann er sozialdemokratische sowie antiklerikale Positionen zu beziehen und verfasste auch eigene politische Schriften Sievers galt als ein aufsassiger Kampfer und wurde mehrmals straffallig So verbusste er Haftstrafen wegen der Verbreitung sozialdemokratischer Schriften Polizistenbeleidigung und Bettelns 1 Sievers lebte fur sieben Jahre in den Vereinigten Staaten Dort habe er sich oft in der offentlichen Bibliothek von Chicago aufgehalten und unter anderem Schriften von Charles Darwin Immanuel Kant Alexander von Humboldt und Voltaire gelesen In dieser Zeit unternahm er auch selbst dichterische Versuche und verfasste zwei Novellen 2 Sievers kehrte nach Deutschland zu seiner Jugendliebe zuruck mit der er drei Kinder hatte Als die Ehe der beiden nach einem Jahr endete unternahm Sievers einen Suizidversuch Nach der Genesung arbeitete er in Bocholt als Weber wo er den Fallschutzenwebstuhl der spater unter der Nummer 108661 vom Kaiserlichen Patentamt patentiert wurde erfand 1 2 Leben in psychiatrischen Anstalten Bearbeiten Im Marz 1900 wurde Sievers wegen padophiler Handlungen an einem zwolf und einem dreijahrigen Madchen auffallig Nachdem er anfangs die Tat geleugnet hatte gestand er sie spater ein und schrieb sie einer geistig nicht intakten Phase zum Jahresanfang zu fur die er die Zentrumspartei verantwortlich sah Die Tat habe er aus Angst vor der Einweisung in die Anstalt abgestritten Am 1 Juni 1900 wies das Konigliche Landgericht Munster Sievers dann zwecks beobachtung seines Geisteszustandes in die Provinzial Irrenanstalt Lengerich ein 2 Sievers versuchte immer wieder aus der Anstalt zu fliehen was ihm wiederholt gelang Im Oktober 1900 wurde er in die Untersuchungshaft zuruckgebracht in der Folge aber aufgrund seiner psychischen Erkrankung freigesprochen und der Polizei ubergeben Im November 1900 wies man ihn aus dem Polizeigewahrsam wegen Gemeingefahrlichkeit erneut in die Anstalt ein Um ihn an der Flucht zu hindern wurde Sievers dauerhaft im Bett gehalten worauf er mit Suizidandrohung reagierte Er wurde zuerst auf der Wachstation interniert und ab Januar 1903 auf der Station D fur Unruhige behandelt 2 Auch unter den Bedingungen der Anstaltsverwahrung blieb Sievers seiner sozialdemokratischen Gesinnung treu und schrieb der Redaktion des Vorwarts sowie an August Bebel Seine Verhohnung der Kirche wurde von den anderen Patienten der Anstalt als verletzend empfunden 3 Sievers sah sich durch Freimaurer bedroht die ihm die Erfindung des Fallschutzenwebstuhl geneidet hatten Freimaurer waren fur den Tod seiner Schwester verantwortlich gewesen und hatten auch Versuche unternommen ihn selbst zu toten Sievers blieb in der Anstalt ein eifriger Leser der die Zeitung verlangte und studierte In seiner Akte wurde vermerkt dass er emsig Politik betreiben wurde und ihn dabei die Braunschweigische Frage besonders interessierte Er verfasste eine Geheimschrift wirkte literarisch und zeichnerisch 3 Im Oktober 1903 gelang Sievers die erneute Flucht aus der Anstalt Nachdem er wieder aufgriffen wurde wurde Sievers in die Heil und Pflegeanstalt Luneburg uberfuhrt Auch dort versuchte er zu fliehen und zeigte gewalttatiges Verhalten So zerschlug er Fensterscheiben bedrohte Warter griff seinen behandelnden Arzt an und plante ein Attentat auf den Direktor der Anstalt Aufgrund dieses Verhaltens wurde Sievers fur uber drei Jahre in einer Isolierzelle verwahrt die er fur einige Zeit taglich wechseln musste Zudem wurde er der Dauerbadtherapie unterzogen Im Jahr 1909 wurde Sievers in das Landes Verwahrungshaus Gottingen verlegt aus dem er im April 1934 wieder im Austausch gegen einen anderen Patienten in die Luneburger Anstalt zuruckkehrte Nun verhielt er sich zunachst ruhig und wurde mit textilen Arbeiten und Hausarbeit beschaftigt Im Oktober 1934 floh Sievers zu Verwandten in Hannover Die Anstalt beurlaubte in nachtraglich in der Hoffnung dass die Angehorigen ihn beaufsichtigen konnten Nach einem halben Jahr wurde er im Beisein seiner Tochter aus dem Polizeigefangnis in Hannover wieder in die Luneburger Anstalt uberfuhrt Ihm wurde Herumtreiben sowie das Bedrangen und unsittliche Beruhren seiner Grossnichte vorgeworfen weshalb er nun als Gefahr fur die Allgemeinheit klassifiziert wurde 2 Kunstlerisches Schaffen Bearbeiten In den Anstalten von Luneburg und Gottingen zeichnete und schrieb er 25 Jahre lang in seiner Zelle In der Krankenakte Sievers finden sich rund 50 Briefe sowie einige Bilderratsel und Zeichnungen 4 In seinen Karikaturen attackierte Sievers den wilhelminischen Chauvinismus und die Kirche 1 Nach dem Vorbild der Neuruppiner Bilderbogen schuf Sievers Bildergeschichten in denen er historische Personlichkeiten und Militars aus ihrem Kontext lost und in fantastische Erzahlungen verwickelt 4 Es handelt sich um Bleistiftzeichnungen die zwischen 1909 und 1919 in Gottingen zudem mit Deckfarben koloriert wurden Die Blatter sind meist in zwolf Bildfelder aufgeteilt und weisen zudem eine separate Leiste fur die Bildunterschriften auf Die Kommentierung nahm Sievers zuerst in Sutterlin dann in lateinischer Schrift vor Einige der Bildergeschichten nummerierte er so finden sich in fortlaufender Reihe die Geschichten 8 bis 22 In der Patientenakte Sievers wurde dazu Folgendes vermerkt Hat um Schreibpapier gebeten und zeichnet Neu Ruppiner Bilderbogen macht auch den recht abenteuerlichen Text selbst dazu 3 Ein Beispiel fur diese Werke ist die Bilderbogenserie unbek Verhaltnisse No 1 aus dem Jahr 1918 Zu dieser Serie zahlt unter anderem das Blatt Der Teufel u d deutsche Michel In dieser Fabel schildert Sievers eine Begegnung des deutschen Michel mit dem Teufel am Tag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges Dieser schildert dem Teufel dass die Soldaten von Gott zum Ausheben der Verteidigungsgraben zusammengerufen worden seien Dann schreiten die beiden die Linien ab und der Teufel rechnet dem Michel vor welche enorme Zahl von Soldaten benotigt wurde und entwickelt die strategische List mit dem Sturz des Zaren die notigen Krafte fur die Westfront freizumachen 4 Sievers griff immer wieder zeithistorische Bezuge auf So plante er in Drei Bilder zu einem Bogenentwurfe ein Volkerbunddenkmal und bezog sich auf den Spartakusaufstand 5 In weiteren Zeichnungen thematisierte er auch den Kolonialismus So beispielsweise in dem Blatt 1 Bild aus dem bevorstehenden Kriege das zwischen 1903 und 1909 entstanden ist die kolonialen Gewaltexzesse In diesem zeigt er sexuelle Gewalt als Mittel der Kriegsfuhrung eine genaue zeitliche Einordnung ist jedoch nicht moglich In zwei langen in den Bildhintergrund fuhrenden Reihen liegen Soldaten zwischen den gespreizten Beinen der Frauen unter der Aufsicht eines Offizieres Im linken Hintergrund befinden sich Baume an die Personen gefesselt zu sein scheinen im rechten Hauser Diese Zeichnung mag im Kontext der langsam einsetzten Kritik am Volkermord an den Herero und Nama durch deutsche Kolonialbeamte und Militars in Deutsch Sudwestafrika zwischen 1904 und 1908 entstanden sein 6 Mehrmals tauchen in Sievers Werken starke ubermachtige Frauenfiguren auf die selbstbewusst ihre Ziele erreichen Diese Uberlegenheit zeigt sich sowohl physisch wie im Blatt Die Vorsundfluthliche als auch mental wie bei der Amazona im Blatt Der Bischofstanz die einen Tanz mit dem Bischof im Dom zu Munster erhalt Im Blatt Vorsundfluthliche wirbt Anna die auf dem Bauernhof ihres Vaters die Arbeitskraft von zwei Mannern ersetzt um ihren Geliebten Der Ausserwahlte leistet am Ende bloss das Ja Wort am Altar aus eigenem Antrieb Sievers zeigt die Frauen laut Monika Jagfeld als stammige Matronen mit ausladenden Kurven die ihren schmalen Partner beim Tanz dominieren oder als moderne Frau auf dem Fahrrad sitzen Sie deutet dies als Auseinandersetzung Sievers mit der Neuen Frau die ihn zugleich beeindruckt und verunsichert habe 5 Ermordung in der Totungsanstalt Hadamar Bearbeiten Nach 39 Jahren in den verschiedenen Anstalten war Sievers 1939 im Alter von 74 Jahren gebrochen So wurde in seiner Akte vermerkt dass er gleichgultig vor sich hin gelebt still verhalten und jede Beschaftigung abgelehnt habe 1941 wurde er als stumpf gleichgultig verschroben beschrieben Dies stand im Gegensatz zum rebellischen und revoltierenden Verhalten das Sievers fur weite Teile seines Lebens ausgezeichnet hat In der Folge wurde er als Endzustand und ungeheilt in die Zwischenanstalt Herborn verlegt Am 16 Juni 1941 wurde Sievers in der Totungsanstalt Hadamar im Rahmen der Aktion T4 von den Nationalsozialisten ermordet 7 1 Rezeption BearbeitenIn der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg sind Werke Sievers aus den Jahren 1903 bis 1909 in Luneburg und bis 1919 in Gottingen uberliefert 3 Im Rahmen der Untersuchung der Schicksale der psychatrieerfahrenen Kunstler der Sammlung vor dem Hintergrund der Krankenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus durch eine interdisziplinaren Forschungsgruppe von Mitarbeitenden der Sammlung und historisch forschenden Psychiatern wurde von Monika Jagfeld Gustav Sievers bearbeitet Auf Basis der Patientenakten und von Sievers verfassten Briefen legte sie einen biografischen Abriss und einen Uberblick uber sein kunstlerisches Schaffen vor Die Ergebnisse dieser Forschungen wurden im Jahr 2002 im Rahmen der Ausstellung Todesursache Euthanasie der Offentlichkeit prasentiert Die begleitende Publikation wurde im Jahr 2012 in uberarbeiteter Form noch einmal aufgelegt 8 Im Rahmen des Gedenkens an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren wurden 2014 einige der politischen und sozialkritischen Arbeiten von Gustav Sievers in den Ausstellungen Krieg und Wahnsinn Kunst aus der zivilen Psychatrie zu Militar und I Weltkrieg im Militarhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden sowie Uniform und Eigensinn Militarismus Weltkrieg und Kunst in der Psychatrie in der Sammlung Prinzhorn gezeigt und im gemeinsamen Katalog wissenschaftlich kommentiert Literatur BearbeitenSabine Hohnholz Thomas Roske Maike Rotzoll Hrsg Krieg und Wahnsinn Kunst aus der zivilen Psychiatrie zu Militar und I Weltkrieg Werke der Sammlung Prinzhorn Heidelberg 2014 ISBN 978 3 88423 481 5 Monika Jagfeld Karl Gustav Sievers Erfinder des Luftschutzenwebstuhls In Bettina Brand Claussen Thomas Roske Maike Rotzoll Hrsg Todesursache Euthanasie Verdeckte Morde in der NS Zeit Heidelberg 2002 ISBN 978 3 88423 204 0 S 155 163 Einzelnachweise Bearbeiten a b c d Sabine Hohnholz Gustav Siebert In Sabine Hohnholz Thomas Roske Maike Rotzoll Hrsg Krieg und Wahnsinn Kunst aus der zivilen Psychatrie zu Militar und I Weltkrieg Werke der Sammlung Prinzhorn Heidelberg 2014 S 250 a b c d e Monika Jagfeld Karl Gustav Sievers Erfinder des L uftschutzenwebstuhls In Bettina Brand Claussen Thomas Roske Maike Rotzoll Hrsg Todesursache Euthanasie Verdeckte Morde in der NS Zeit Heidelberg 2002 ISBN 978 3 88423 204 0 S 155 163 155 a b c d Monika Jagfeld Karl Gustav Sievers Erfinder des Luftschutzenwebstuhls In Bettina Brand Claussen Thomas Roske Maike Rotzoll Hrsg Todesursache Euthanasie Verdeckte Morde in der NS Zeit Heidelberg 2002 ISBN 978 3 88423 204 0 S 155 163 156 a b c Sabine Hohnholz Irrenanstaltsverwahrungshaus bommbendeveckt In Sabine Hohnholz Thomas Roske Maike Rotzoll Hrsg Krieg und Wahnsinn Kunst aus der zivilen Psychatrie zu Militar und I Weltkrieg Werke der Sammlung Prinzhorn Heidelberg 2014 S 98 a b Monika Jagfeld Karl Gustav Sievers Erfinder des Luftschutzenwebstuhls In Bettina Brand Claussen Thomas Roske Maike Rotzoll Hrsg Todesursache Euthanasie Verdeckte Morde in der NS Zeit Heidelberg 2002 ISBN 978 3 88423 204 0 S 155 163 156f Katja Protte Krieg und Wahnsinn Outsider Art im Militarhistorischen Museum der Bundeswehr MHM In Sabine Hohnholz Thomas Roske Maike Rotzoll Hrsg Krieg und Wahnsinn Kunst aus der zivilen Psychatrie zu Militar und I Weltkrieg Werke der Sammlung Prinzhorn Heidelberg 2014 S 18 23 22 Monika Jagfeld Karl Gustav Sievers Erfinder des Luftschutzenwebstuhls In Bettina Brand Claussen Thomas Roske Maike Rotzoll Hrsg Todesursache Euthanasie Verdeckte Morde in der NS Zeit Heidelberg 2002 ISBN 978 3 88423 204 0 S 155 163 157 Bettina Brand Claussen Thomas Roske Maike Rotzoll Vorwort In dies Hrsg Todesursache Euthanasie Verdeckte Morde in der NS Zeit Heidelberg 2002 ISBN 978 3 88423 204 0 S 7 8 Normdaten Person GND 1105582485 lobid OGND AKS VIAF 15146824671307630472 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Sievers GustavALTERNATIVNAMEN Sievers Johann Wilhelm Gustav Geburtsname KURZBESCHREIBUNG deutscher Kunstler der Art brut Opfer der NS EuthanasieGEBURTSDATUM 1865GEBURTSORT AlmstedtSTERBEDATUM 16 Juni 1941STERBEORT Totungsanstalt Hadamar Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gustav Sievers Kunstler amp oldid 234146045