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Unter dem Begriff Fussachaffare oft auch Fussach 1964 wurde in Osterreich eine politische Auseinandersetzung im Jahr 1964 bekannt Der Name der kleinen Vorarlberger Bodensee Gemeinde Fussach ist Synonym geworden fur einen Skandal der sich an der Taufe eines Bodenseeschiffes des spateren Motorschiffes Vorarlberg entzundete Der Versuch des Bundesministeriums fur Verkehr das Schiff auf den Namen des ehemaligen Bundesprasidenten Karl Renner zu taufen wurde von grossen Teilen der Vorarlberger Bevolkerung als Provokation empfunden Der auch durch Vorarlberger Medien geschurte Arger daruber entlud sich anlasslich der Schiffstaufe am 21 November 1964 in gewaltsamen Protesten in der Fussacher Werft Die Vorkommnisse in Fussach sind seither zum Sinnbild des Widerstands gegen zentralistische Bestrebungen der osterreichischen Bundespolitik geworden und werden in Foderalismus Diskussionen bis heute immer wieder referenziert Demonstration in der Fussacher Werft am 21 November 1964Das Passagierschiff Vorarlberg im Jahr 2001 Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Schiffstaufe 3 Auswirkungen 3 1 Debatte im Nationalrat 3 2 Strafanzeigen 3 3 Endgultige Namensgebung 3 4 Medien 4 Politische Symbolik 4 1 Symbol Fussach 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseVorgeschichte Bearbeiten nbsp Altbundesprasident Karl Renner um 1905 auf seinen Namen sollte das Schiff ursprunglich getauft werdenVon den Osterreichischen Bundesbahnen OBB zu einem Namensvorschlag aufgefordert hatte die Vorarlberger Landesregierung 1955 beschlossen ein Bodenseeschiff auf den Namen Vorarlberg zu taufen Erst im Winter 1963 wurde dann mit dem Bau des Schiffs begonnen das die OBB aus Eigenkrediten finanzierten Das Verkehrsministerium dem die OBB zugeordnet waren hatte damit das formelle Recht der Namensgebung Trotz Erneuerung des Beschlusses der Landesregierung kamen im April 1964 Geruchte auf das Schiff wurde auf den Namen des ehemaligen osterreichischen Bundesprasidenten Karl Renner getauft werden Die Stadt Bregenz intervenierte und gab zu bedenken dass es auf dem Bodensee zur Verhinderung von Personenkult seit dem Ende der Donaumonarchie keine Personennamen als Schiffsnamen mehr gegeben habe Trotzdem gab der osterreichische Verkehrsminister Otto Probst am 1 Oktober 1964 offiziell bekannt dass das Schiff auf den Namen Karl Renner getauft werden wurde Weitere Interventionen der Vorarlberger in Wien blieben erfolglos In dieser Situation kam die Tageszeitung Vorarlberger Nachrichten VN mit ihrer Berichterstattung ins Spiel Durch das im selben Jahr stattfindende Rundfunkvolksbegehren schon auf die Koalitions Zentralisten in Wien eingeschossen kam ihr die Schiffstaufe nicht ungelegen sich in Vorarlberg weiter zu profilieren Am 17 November entschloss sich die Vorarlberger Landesregierung nachdem sie zuvor eher passiv agiert hatte zur Schiffstaufe keine offiziellen Vertreter zu entsenden Diesem Boykott schlossen sich nicht nur etliche andere Vorarlberger Gebietskorperschaften und die einheimische Presse sondern sogar verschiedene Vertreter von Bundesbehorden in Vorarlberg an Der vom Verkehrsminister propagierte Name Karl Renner spielte dabei eine untergeordnete wenn auch nicht unpikante Rolle am 11 Mai 1919 hatten 80 der Vorarlberger Bevolkerung dafur gestimmt dass Verhandlungen mit der Schweiz uber einen Beitritt Vorarlbergs zur schweizerischen Eidgenossenschaft aufgenommen werden sollen Zu einer Volksabstimmung uber einen wirklichen Beitritt kam es aber nie Die politischen Eliten Vorarlbergs warfen dem damaligen Staatskanzler Renner vor dieses Anliegen bei den Friedensverhandlungen von St Germain nicht eingebracht zu haben und fuhlten sich in der Folge auch wahrend Renners Bundesprasidentschaft nach dem Zweiten Weltkrieg stiefmutterlich behandelt In der Vorarlberger Perzeption der Fussach Affare spielt aber gerade der Foderalismus verstanden als Selbstbestimmungsrecht eine zentrale Rolle Jedoch sorgte weniger der Name selbst als die Art seiner Durchsetzung fur Unmut Schiffstaufe BearbeitenAm 20 November schrieben die Vorarlberger Nachrichten in ihrer Freitagsausgabe von Geruchten uber eine angeblich bevorstehende Demonstration Am darauf folgenden Tag verwendeten sie ihre ganze Titelseite fur einen Demonstrationsaufruf Am Morgen des 21 November 1964 fanden sich rund 1000 Menschen am Bahnhof Bregenz ein um gegen die am selben Tag angesetzte Schiffstaufe zu protestieren Als der Sonderzug mit den Festgasten aus Wien im Bregenzer Bahnhof ankam wurden diese mit Tomaten beworfen passend zu den Sprechchoren Obst fur Probst und ausgebuht Fur die Festgaste stellte sich auch die weitere Anreise zur Fussacher Werft bei der sich schliesslich ca 20 000 Demonstranten einfanden beschwerlich dar Das letzte zu Fuss zuruckzulegende Stuck wurde fur sie zum Spiessrutenlauf Sie wurden von den Demonstranten gestossen mit Tomaten und faulen Eiern beworfen teilweise sogar mit Stocken attackiert In der Folge druckten die Demonstranten den Zaun des Werftgelandes ein ca 130 Gendarmen waren nicht in der Lage sie zuruckzuhalten Die Festgaste flohen auf die ebenfalls bereitstehende Osterreich Von dort konnten sie zusehen wie die osterreichische Flagge vom Rednerpult heruntergerissen wurde und von den Demonstranten eine Nottaufe auf den Namen Vorarlberg vorgenommen wurde Der Vorarlberger SPO Abgeordnete Ernst Haselwanter wurde mit Erdklumpen und Steinen beworfen und musste von der Gendarmerie in einer Bauhutte in Sicherheit gebracht werden Verkehrsminister Probst reiste uber den Bodensee in einem Motorboot an drehte aber wegen der aggressiven Atmosphare auf Anraten der Gendarmerie wieder um Die offizielle Schiffstaufe wurde daraufhin abgesagt Probst kehrte nach Bregenz zuruck wo er versuchte die beiden Tageszeitungen Vorarlberger Volksblatt und Vorarlberger Nachrichten wegen Aufforderung zum offenen Aufruhr beschlagnahmen zu lassen Die Staatsanwaltschaft Feldkirch lehnte dieses Ansinnen aber ab Neben drei verletzten Gendarmen umfasste die materielle Bilanz des Tages niedergerissene Zaune abgerissene Fahnen drei beschadigte Autos und mehrere Strafanzeigen Auswirkungen BearbeitenDebatte im Nationalrat Bearbeiten Die Fussach Affare wurde am 25 November 1964 im Nationalrat in einer politisch stark aufgeheizten Atmosphare debattiert die noch uber das zu dieser Zeit schon sehr schlechte Klima in der Grossen Koalition hinausging Schon im Vorfeld hatten sich die Parteien der grossen Koalition im Ministerrat nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme zu den Ausschreitungen in Fussach einigen konnen Die Debatte im Nationalrat fand dann im Rahmen zweier Dringlicher Anfragen statt SPO Abgeordnete wollten von Innenminister Hans Czettel um den Stand der Erhebungen wissen wahrend OVP Abgeordnete bei Justizminister Christian Broda anfragten warum dieser die Delegierung des Strafverfahrens von Feldkirch nach Wien beantragt hatte In der Folge war die OVP zwar bereit die gewalttatigen Ausschreitungen in Fussach zu verurteilen wollte aber im Gegenzug diese Verurteilung auf samtliche in diesem Jahr vorgekommenen Rechtsverletzungen ausdehnen die nach den gleichen rechtlichen Grundsatzen zu behandeln waren Dagegen wehrte sich die SPO waren doch die Unruhen rund um die Absetzung von Innenminister Franz Olah SPO bis zu diesem Zeitpunkt ohne strafrechtliche Verfolgung geblieben An den Themenbereichen der Anfragebeantwortung des Justizministers Broda in der er uber Grunde des Einschreitens bzw Nicht Einschreitens der Justiz in verschiedenen vorangegangenen Fallen berichtete kann man gut das damals sehr unruhige innenpolitische Umfeld des Skandals ablesen Attacke auf Broda in der Lowelstrasse Lichtabschaltung beim Wiener E Werk Vorfalle in Berndorf Komplex Schleinzer Wall Arztestreik Backereiarbeiterstreik Handelsarbeiterstreik Vorfalle in Wiener Neustadt Auch Mahnungen des Nationalratsprasidenten an die Abgeordneten werfen ein bezeichnendes Licht auf die aufgeheizte politische Atmosphare Ich bitte zu uberlegen dass das Haus hier nicht von einer Massenpsychose befallen werden soll sowie etwas spater Bitte um Ruhe fur den Herrn Minister sonst werde ich aus der Hausapotheke etwas Brom verteilen lassen Strafanzeigen Bearbeiten Die Voruntersuchungen gegen die Radelsfuhrer der Demonstranten fuhrten nicht zu einer gerichtlichen Anklage Im Fall der Vorarlberger Nachrichten wurde gegen einen Redakteur und den Herausgeber wegen 300 StG Aufwiegelung ermittelt Im September 1965 ordnete Bundesprasident Franz Jonas SPO auf Antrag des Bundesministers fur Justiz an die eingeleiteten Strafverfahren einzustellen Endgultige Namensgebung Bearbeiten nbsp Das schliesslich auf den Namen Vorarlberg getaufte Schiff im Bregenzer HafenNachdem sich die erste Aufregung um die Unruhen bei der offiziell abgesagten Schiffstaufe gelegt hatte begann sich ein Namenskarussell um die Bodenseeschiffe der OBB zu drehen Am 14 Juli 1965 kam es schliesslich zum Beschluss der Parteiexekutive der SPO das Schiff doch Vorarlberg zu nennen Am 30 Juli 1965 taufte Probst in der Bauwerft Korneuburger Werft im Rahmen eines Festakts das Bodenseeschiff offiziell auf den Namen Vorarlberg auf hoher See An Land wollte man die Feierlichkeiten aus Angst vor neuerlichen Kundgebungen nicht abhalten Medien Bearbeiten Die Kommentatoren der SPO nahen Zeitungen sahen sich an die 1930er Jahre erinnert und beklagten einen ihrer Auffassung nach noch immer in Osterreich vorhandenen latenten Faschismus etwa in der Arbeiter Zeitung vom 24 November 1964 Und dann stelle man sich vor dass diese Methoden zur Durchsetzung eines politischen Willens in den anderen Bundeslandern Schule machen Es braucht wenig Phantasie um zu sehen wohin das fuhrte Dorthin wo Osterreich bereits einmal stand und woran es schon einmal zugrunde ging zu Gewalt und Terror zum offenen Burgerkrieg Auch Dollfuss und Hitler haben einmal klein angefangen Die Vorgange in Fussach sollten und mussen allen aufrechten Demokraten deutlich vor Augen fuhren wie labil die politischen Verhaltnisse hierzulande noch sind Politiker und Beamte der OVP bereiten den Aufwieglern den Boden und sind jetzt bemuht ihnen den Ruckzug zu decken und aus der Terrorbewegung eine Heimatkundgebung mit tranenreichen Ansprachen und Landeshymne zu machen Neben der OVP wurde vor allem die FPO fur die Formierung dieser Terrorbewegung verantwortlich gemacht Dazu kamen in den Augen der SPO die Privatkapitalisten zu denen wohl auch die Besitzer der burgerlichen Tageszeitungen im Speziellen die Familie Russ als Eigentumerin der Vorarlberger Nachrichten gezahlt wurden Die burgerliche Presse verurteilte zwar die gewalttatigen Gesetze uberschreitenden Elemente der Demonstration in Fussach auf der anderen Seite wurde auch Verstandnis fur die Demonstranten entgegengebracht In der Tageszeitung Neues Osterreich vom 22 November 1964 hiess es Es ist aufgestaute Wut gegen den Wiener Zentralismus bis zum Sieden angeheizte Animositat der Foderalisten die in der Schiffstaufe am Bodensee ein Ventil gefunden hat Letztlich geht es ja gar nicht darum ob das Schiff nun Karl Renner oder Vorarlberg heissen soll Es geht um das Mitspracherecht der kleineren Gemeinschaft bei Entscheidung der grosseren um den Foderalismus Schlagzeilen machte die Fussach Affare auch in bundesdeutschen italienischen spanischen und sogar australischen Zeitungen Die in der Folge unternommenen Versuche strafrechtliche Bestimmungen zur Herabwurdigung des Staates und seiner Symbole erst 1974 nach 248 StGB gesetzgeberisch umzusetzen bezeichneten Medien auch als Lex Fussach Politische Symbolik BearbeitenIn der Fussach Affare wurde sehr stark mit politischer Symbolik gearbeitet Hatten die Vorarlberger zuerst die Benennung des neuen Bodenseeschiffes zu einem Symbol fur Selbstbestimmung oder Unterdruckung durch das Zentrum hochstilisiert so wurde beim Diskurs uber die Vorfalle vom 21 November die osterreichische Nationalflagge als Symbol fur die Treue zum Bundesstaat Osterreich verhandelt In Meldungen zu den Ereignissen in Fussach war berichtet worden dass die osterreichische Nationalflagge geschandet worden ware Dies wurde von der Bundes SPO als Beweis dafur gesehen dass die Demonstration von republikfeindlichen den osterreichischen Staat ablehnenden Kraften betrieben worden war Die Arbeiter Zeitung schrieb etwa am 26 November 1964 Zum erstenmal seit 1938 wurde auf osterreichischem Boden diese Fahne in den Schmutz getreten Vorfalle wie sie sich in Vorarlberg abgespielt haben finden eine Parallele nur in Ereignissen bei der Okkupation Osterreichs durch Hitler 1 Demonstranten und Vorarlberger Behorden behaupteten dagegen die Fahnen seien von den Demonstranten lediglich auf halbmast gesetzt und dann nur durch das Eingreifen der Gendarmerie unabsichtlich zu Boden gerissen worden Symbol Fussach Bearbeiten Hatte die Fussach Affare viel mit politischer Symbolik zu tun Schiffsname Flagge ist Fussach mittlerweile selbst zu einem politischen Symbol geworden Zeitungen aus anderen osterreichischen Bundeslandern nahmen selbst in den 1980er Jahren immer wieder Bezug auf Fussach So erinnerten Kommentatoren etwa im Zusammenhang mit dem Kongressgebaude bei der UNO City beim umstrittenen Truppenubungsplatz am Dachstein oder beim Konflikt um die Ladenschlusszeiten in Salzburg an Fussach Auch beim seit dem Fruhjahr 2005 diskutierten Verkauf der Bodenseeflotte durch die OBB an einen privaten Trager wurde von vielen politischen Seiten auf die wichtige Rolle der Bodenseeschifffahrt fur das Identitatsverstandnis Vorarlbergs hingewiesen Der Verkauf konnte dadurch zwar letztlich nicht verhindert werden aber die wiederholte Diskussion uber die Fussachaffare zeigt deren Bedeutung fur das foderalistisch gepragte Land Vorarlberg auf Die Vorarlberg ist heute noch auf dem Bodensee im Einsatz Literatur BearbeitenGerhard Wanner Vorarlberg kontra Karl Renner Die Fussach Affare um ein Bodenseeschiff 1964 1965 Schriftenreihe der Rheticus Gesellschaft 64 Feldkirch 2015 ISBN 978 3 902601 40 7 Gerhard Wanner Schiffstaufe Fussach 1964 Russ Bregenz 1980 DNB 860178862 Christian Dickinger Die Skandale der Republik Haider Proksch und Co Ueberreuter Wien 2001 ISBN 3 8000 3820 X Harald Dunajtschik Volksaufstand wegen Schiffstaufe Die Fussach Affare 1964 In Michael Gehler Hubert Sickinger Hrsg Politische Affaren und Skandale in Osterreich Von Mayerling bis Waldheim Kulturverlag Wien 1995 ISBN 3 85400 005 7 Studienverlag Innsbruck 2007 ISBN 978 3 7065 4331 6 Weblinks BearbeitenMarkus Barnay Die Fussach Affare Vorarlbergs Aufstand gegen Wien ORF 21 November 2004 abgerufen am 1 Februar 2021 Fernsehbeitrag des ORF im Bundeslander Archiv der ORF TVthek Motorschiff Vorarlberg Technische Daten und Bilder auf der Seite der Vorarlberg Lines Bodenseeschifffahrt Wolfgang Greber Als der Minister die Flucht ergriff diepresse com 9 April 2005 Fussach 1964 Vorarlberg Chronik Stefan Wunderl Die Geschichte der Schiffswerft Korneuburg PDF 642 kB Diplomarbeit an der Universitat Wien Historisch Kulturwissenschaftliche Fakultat 2008 Einzelnachweise Bearbeiten Kein Schutz fur Rot Weiss Rot In Arbeiter Zeitung Wien 26 November 1964 S 2 nbsp Dieser Artikel wurde am 11 Mai 2006 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Fussachaffare amp oldid 228287230