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Als Familie Zero bezeichnete der Schweizer Psychiater und Eugeniker Josef Jorger 1905 seine Untersuchungsobjekte die Menschen einer jenischen Familie im Kanton Graubunden Indem er con amore die Lebendigen verfolgte den Toten in Urkunden und Gerichtsakten nachstoberte und so Elend uber Elend auf einen Namen haufte begann Jorger 1886 seine erbbiologischen Studien uber die Mitglieder jenischer Familien Eine nach seiner Einschatzung durch Abirrungen vom gewohnlichen Familientypus wie Vagabundismus Alkoholismus Verbrechen Unsittlichkeit Geistesschwache Geistesstorung Pauperismus charakterisierte Gruppe der Jenischen nannte er die Familie Zero 1905 konnte Jorger diese Studie im Munchener Archiv fur Rassen und Gesellschaftsbiologie veroffentlichen 1 Eine zweite Studie Jorgers uber eine Familie Markus wurde 1918 in der Zeitschrift fur die gesamte Neurologie und Psychiatrie abgedruckt und 1919 zusammen mit der Studie uber die Familie Zero unter dem Titel Psychiatrische Familiengeschichten als Buch vom Springer Verlag herausgegeben 2 3 Jorger kam zum Schluss dass die Familie Markus eine ursprunglich aus dem Deutschen Reich stammende im 18 Jahrhundert aus Osterreich nach Graubunden gekommene vagabundierende Familie sei die auf einen Bauernstamm die Familie Zero aufgepfropft wurde eine Bastardierung von Bauer und Vagantin Die Schweizer Schriftstellerin Mariella Mehr beschreibt in mehreren ihrer Werke die Verfolgung der Jenischen in der Schweiz deren psychiatrisch eugenische Grundlagen auf den Thesen Jorgers fussten Jorgers Arbeiten uber Schweizer Jenische waren auch fur die nationalsozialistische Rassenhygiene in Deutschland von grosser Bedeutung Nicht nur eine Vielzahl eugenisch rassenhygienischer Schriften bezog sich auf die Familie Zero sogar fur das Unterrichtsmaterial der Volksschule wurden Jorgers Arbeiten verwendet Im Protokoll einer Lehrerratssitzung vom 15 Februar 1935 ist zu lesen Hierauf sprechen die Fachlehrer fur Biologie uber ihre bisher gemachten Unterrichtserfahrungen und betonen vor allem das sehr grosse Interesse das von seiten der Schulerinnen dem Stoff entgegengebracht wird Vom Ministerium empfohlene Wandtafeln fur den rassen und vererbungskundlichen Unterricht enthielten die Beschriftung Minderwertiges Erbgut Familie Zero 4 Psychiatrische Familiengeschichten BearbeitenSeine Psychiatrischen Familiengeschichten lieferten anhand der kommentierten Stammbaume von zwei jenischen Familien deren Kollektivdiagnose als erbkrank Die von Jorger erfundenen anonymisierenden Decknamen fur jenische Sippen ubernahm der Leiter des Hilfswerks Kinder der Landstrasse bei der Pro Juventute Alfred Siegfried Familie Mehr wurde so zur Familie Zero entwertet Josef Jorgers wissenschaftliche Diffamierung der Jenischen fand in den Forschungen des deutschen Rassentheoretikers Robert Ritter ihren Fortgang Ritter berief sich auf Schweizer Gewahrsleute und verfertigte psychiatrische Familiengeschichten und Stammbaume von fahrenden Familien in Deutschland Mit Unterstutzung von Unterbehorden und Polizei erfasste die von Ritter geleitete Rassenhygienische und Bevolkerungsbiologische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt ab 1937 in einem Zigeunersippenarchiv Zigeuner Voraussetzung fur die Auschwitz Deportationen ab Februar Marz 1943 spater dann in einem Landfahrersippenarchiv das allerdings seine Nachforschungen regional eng begrenzt betrieb und sie 1944 beendete Jenische und andere zu Asozialen erklarte Fahrende 5 1911 beschrieb Jorger die Familie Zero mit den Worten Die Familie Zero ist aus einem tuchtigen Bauerngeschlechte hervorgegangen durch Heirat mit heimatlosen und vagabundierenden Weibern Ihre Geschichte zeigt wie durch Alkohol speziell Schnaps und durch schlechtes Milieu diese beiden Faktoren sind in unserm Falle immer unzertrennlich verbunden eine Sippe von Wanzen der menschlichen Gesellschaft entsteht und sich fortpflanzt 6 Sekundarliteratur BearbeitenUte Gerhard beschreibt in ihrer Arbeit Nomaden Zur Geschichte eines rassistischen Stereotyps und seiner Applikation den Zusammenhang zwischen den Arbeiten Jorgers und der Verfolgung der Jenischen im Nationalsozialismus Fur Eugenik und Rassenhygiene werden Entwurzelung Zerstreuung und Vermischung zu Faktoren des Degenerationsprozesses und gleichzeitig zu Merkmalen des Degeneriertseins Hervorheben mochte ich an dieser Stelle vielmehr den auf diese Weise konstruierten Vaganten bzw den nichtsesshaften Mensch der in den 30er Jahren zum Objekt disziplinierender und insbesondere eugenischer Massnahmen wird Instanzen dieser Entwicklung sind vor allem genealogische Studien wie die des Direktors der Irrenanstalt Waldhaus Chur Dr J Jorger Jorgers Arbeit erlangt zumindest in Deutschland ziemliche Popularitat und wird an verschiedenen Stellen als gelungenes Beispiel fur die wissenschaftliche Arbeit und als Beweis fur die Notwendigkeit eugenischer Massnahmen bis hin zur Sterilisation angepriesen Der Vagabundismus fungiert hier nicht nur als eine Devianz neben anderen sondern als Ursache der zahlreichen Abirrungen und Entartungen Schon die symbolische Dimension des Begriffs Abirrung scheint die generelle Verbindung zum Vagabundieren nahezulegen Die in der Erzahlung der Vagantengeschichte bei Jorger gebundelten symbolischen Merkmale bestimmen auch die eugenisch psychiatrische Diagnostik der nachsten Jahrzehnte Sie erfahren durch die Zuordnung des Vaganten zum getarnten Schwachsinn noch eine weitere Verscharfung die dann in der Figur des sesshaften Vaganten bei dem bekannten Zigeunerforscher Ritter ihre Erganzung findet Ihm geht es gerade auch um die Erfassung und Ausschaltung der Vaganten die gar nicht mehr vagant sind Fur den psychiatrischen Blick ist es die Figur des unsteten Psychopathen eines rein charakterologischen Vagabunden gekennzeichnet durch rasche Wechsel und das Fehlen ubergeordneter und beharrender Ziele Die von Werner Villinger etwa noch betonte fehlende Selbststeuerungsfahigkeit unterstreicht die fur den Vaganten und fur das dabei realisierte Stereotyp des Nomaden wichtige Merkmal namlich die in Opposition zum Wanderer nicht vorhandene autonome Individualitat 7 Die Autoren Gustav Hofmann Brigitte Kepplinger Gerhart Marckhgott und Hartmut Reese stutzen Teile ihres Gutachten zur Frage des Amtes der Oo Landesregierung ob der Namensgeber der Landes Nervenklinik Julius Wagner Jauregg als historisch belastet angesehen werden muss ebenfalls auf Josef Jorgers Familie Zero Die Verhinderung der Fortpflanzung Minderwertiger stand im Mittelpunkt der Bemuhungen der eugenischen Bewegung Man konzentrierte sich auf die Erforschung der Vererbung von Krankheiten und von Merkmalskomplexen wie Asozialitat Kriminelle Veranlagung Alkoholismus Schwachsinn sowie auf die Entwicklung entsprechender Massnahmenkonzepte Gleichzeitig erschien eine Reihe von Arbeiten in denen die Geschichte asozialer Familien dargestellt und als Beweis fur die Vererbbarkeit krimineller Anlagen herangezogen wurde Eine der fruhesten dieser Studien ist die Abhandlung Die Familie Zero Solche Familiengeschichten sollten in den folgenden Jahren vermehrt als Beleg fur die Notwendigkeit dienen Mitglieder dieser asozialen Familien von der Fortpflanzung auszuschliessen Als fiktive Namen der untersuchten Familien wurden immer Begriffe herangezogen die die inferiore Qualitat dieser Personen charakterisieren sollten Die Zero gehorten zu den Jenischen einem fahrenden Volk ahnlich den Roma und Sinti Sie wurden und werden bis in die Gegenwart ausgegrenzt und diskriminiert und gehorten wie Roma und Sinti zu den aus rassischen Grunden Verfolgten des Nationalsozialismus Allerdings eroffnet Ploetz mit seiner Neufassung die Moglichkeit einer wesentlichen Akzentverschiebung des Begriffsinhalts er stellt die Rasse als mogliches Objekt der Eugenik in den Mittelpunkt und nennt in seiner Definition explizit die Ausschaltung von Unterrassen aus dem Rasseprozess also die Reinigung einer bestehenden Rasse von rassefremden Elementen als Dimension der Rassenhygiene Auch in den entsprechenden Aufsatzen des Archiv fur Gesellschafts und Sozialbiologie wird der Begriff Rasse in allen oben angefuhrten Bedeutungen verwendet so z B ist die Rede von niedersachsischer Rasse oder die einige hundert Menschen umfassende Bevolkerung eines Schweizer Tales wird als Rasse bezeichnet ein einsames Bergtal der Schweiz ein Ort wo sich Rasseneigentumlichkeit und Rassenreinheit sehr gut entwickeln und erhalten konnten 8 9 Quellen Bearbeiten Josef Jorger Die Familie Zero In Archiv fur Rassen und Gesellschaftsbiologie Munchen 2 Jg 1905 S 494 559 Digitalisat Josef Jorger Die Familie Markus In Zeitschrift fur die gesamte Neurologie und Psychiatrie 43 1918 S 76 116 Digitalisat Josef Jorger Psychiatrische Familiengeschichten Springer Berlin 1919 ISBN 978 3 662 42100 0 Digitalisat Spurensuche Die judischen Schulerinnen und die Zeit des Nationalsozialismus an der Maria Theresia Schule Augsburg Michael Zimmermann Rassenutopie und Genozid Die nationalsozialistische Losung der Zigeunerfrage Hamburg 1996 auszugsweise zitiert aus Thomas Huonker Das verfehlte Ziel Eine Schweiz ohne Zigeuner Max von Gruber Ernst Rudin Hrsg Fortpflanzung Vererbung Rassenhygiene illustrierter Fuhrer durch die Gruppe Rassenhygiene der Internationalen Hygiene Ausstellung 1911 in Dresden Zweite erganzte und verbesserte Auflage In Christof Hamann und Cornelia Sieber Hrsg Medien in Konflikten Holocaust Krieg Ausgrenzung Duisburger Institut fur Sprach und Sozialforschung DISS Duisburg 2000 S 223 235 online PDF 2 4 MB Josef Jorger Die Familie Zero Archiv fur Rassen und Gesellschafts Biologie 2 1905 S 494 559 hier S 495 Download Gutachten Hofmann et al Memento vom 9 Dezember 2012 im Internet Archive PDF 604 kB Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Familie Zero amp oldid 230756617