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Ein Opioidentzug auch Entziehung Entgiftung engl withdrawal detoxification ist das abrupte oder schleichende Absetzen von Opioiden und Opiaten das als Kalter Entzug alleine bzw ohne arztlichen Beistand oder mit arztlicher Hilfe im ambulanten oder stationaren Bereich erfolgt Eine Entgiftung kann als erfolgreich bezeichnet werden wenn die belastenden Entzugssymptome vollstandig oder grossteils 1 abgeklungen sind und Opioide im Urin nicht mehr nachweisbar sind 2 Ob oder wann es zu einem Ruckfall kommt ist anhand dieser Definition zweitrangig Der alleinige Opioidentzug ohne weitergehende Massnahmen ist keine Therapie einer Abhangigkeit von Opioiden 3 4 Der Ruckfall nach einem stationaren Entzug ist durch die jetzt erniedrigte Toleranzabsenkung mit einem erhohten Risiko fur eine todliche Uberdosierung verbunden 5 Der Entzug soll deshalb zur Stabilisierung mit einer langeren Phase der psychosozialen Betreuung begleitet werden um einen Ruckfall zu vermeiden oder zu verzogern bzw um die unerwunschten Folgen eines neuerlichen Substanzgebrauchs im Sinne der Schadensminimierung harm minimization zu begrenzen So wird die Tatsache dass mit Methadon substituierte Abhangige gegenuber mit Dihydrocodein bzw Codein Substituierten und Heroinabhangigen ohne Substitution eine hohere Rate an erfolgreichen Entzugen aufwiesen mit der vorangegangenen strukturierten Begleitung im Methadonprogramm als unabhangigem Erfolgsparameter erklart 6 Inhaltsverzeichnis 1 Indikationen 2 Methoden 2 1 Medikamentengestutzte Entgiftung 2 2 Opioidgestutzte Entgiftung 3 Beendigung eines Substitutionsprogramms 4 Wirksamkeit der Opiatentzugsbehandlung 5 Geschichte 6 EinzelnachweiseIndikationen BearbeitenLaut Behandlungsleitlinien der medizinischen Fachgesellschaften ist eine suchtmedizinische Akutbehandlung bei abhangigem illegalem Opiatkonsum angezeigt Ist die Motivation seitens der betroffenen Person fur diese Behandlungsform aktuell nicht gegeben so sind andere schadensbegrenzende Massnahmen anzubieten 7 Methoden BearbeitenNeben dem kalten Entzug in Eigenregie des Patienten gibt es verschiedene qualifizierte 8 Methoden der Entgiftung den medikamentenfreien Entzug ebenfalls als kalter Entzug bezeichnet die medikamentengestutzte Entgiftung die opioidgestutzte Entgiftung warmer Entzug die forcierte Entgiftung unter starker Sedierung bzw unter Narkose Medikamentengestutzte Entgiftung Bearbeiten Als symptomatische Behandlung wird ein Benzodiazepin wie Diazepam gegen Angst Unruhe und Substanzverlangen ein Mittel zur Schlafinduktion wie Zopiclon oder Zolpidem ein an der glatten Muskulatur krampflosendes Mittel in der Regel Butylscopolaminbromid gegen Bauchkrampfe und Loperamid gegen Diarrhoe fur eine definierte Zeit in definierten Mengen eingesetzt wobei die Wirkweisen der einzelnen Medikamente und die Vorgehensweise mit dem Patienten besprochen werden sollen 9 a2 Sympathomimetika mildern die Beschwerden bei Opioidentzug zusatzlich wobei Lofexidin Handelsname Lucemyra Hersteller USWorldMeds bisher nur in den USA zugelassen 10 eine geringere blutdrucksenkende Wirkung als Clonidin aufweist 11 12 Clonidin und Lofexidin wirken auf das noradrenerge System und einige Entzugssymptome werden durch dessen Uberaktivierung verursacht Im Besonderen sind dies eine rinnende Nase und rinnende Augen Schwitzen Schuttelfrost und Gansehaut sowie Durchfall Opioidgestutzte Entgiftung Bearbeiten In den USA und Grossbritannien wird vor allem Methadon zum Opioidentzug eingesetzt Bei einer 21 tagigen stationaren Entgiftung mit Methadon kommt es zu einem prolongierten Entzugssyndrom das unabhangig von der eingenommenen Dosis erst circa sechs Wochen nach Beginn der Entgiftung abgeklungen ist 13 Eine zehntagige stationare Entgiftung zeigt ahnliche Ergebnisse Patienten mit vermehrten Erwartungsangsten und Neurotisierung zu Behandlungsbeginn weisen schwerwiegendere 14 Patienten mit guter Aufklarung uber den zu erwartenden Verlauf mildere Entzugssymptome 15 auf Ein Entzug mit Buprenorphin durfte mildere Entzugssymptome mit sich fuhren und ist vor allem angezeigt wenn in der Folge Naltrexon zur Verhinderung eines Ruckfalls verordnet wird Bei Patienten mit einer kurzen Vorgeschichte und niedrigerem Heroinkonsum kann Dihydrocodein zum Einsatz kommen Beendigung eines Substitutionsprogramms BearbeitenVincent P Dole als einer der Begrunder des methadongestutzten Substitutionsprogrammes ging so weit zu behaupten dass jeder Entzug von Methadon bei Langzeitabhangigen im Substitutionsprogramm ein Experiment mit dem Leben des Patienten sei und meinte damit dass ein Substitutionsprogramm so lange fortgesetzt werden solle wie es der Patient wunsche 16 Eine aufgezwungene sofortige Beendigung einer Substitutionsbehandlung aus unterschiedlichsten Grunden entspricht einem kalten Entzug dieser ist korperlich und psychisch sehr belastend birgt hohe Risiken und Gefahrdungen in sich und ist obsolet da die Ruckfallgefahr und aufgrund einer erniedrigten Opioidtoleranz die lebensbedrohende Uberdosierungsgefahr sehr hoch ist 17 Da obsolet kann diese Vorgehensweise auch als Behandlungsfehler betrachtet werden Somit soll die Beendigung der Behandlung schrittweise und im Einvernehmen mit dem Patienten erfolgen Wirksamkeit der Opiatentzugsbehandlung BearbeitenWahrend bei einem selbststandig durchgefuhrten Entzug von Heroin eine Erfolgsrate im Sinne des Erreichens eines opiatfreien Zustands im Bereich 24 geschatzt wurde betragt diese Rate bei stationaren Behandlungen im Schnitt das zwei bis dreifache 6 18 19 Ausserdem wird davon ausgegangen dass die Erfolgsrate eines kalten Entzugs viel kleiner ist im Vergleich zu einem warmen Entzug Ein vollstandiger Opiatentzug allein wird allerdings in der Regel nicht als ausreichend zur Erreichung anhaltender Abstinenz betrachtet 7 Schliesst sich dem Opiatentzug keine Postakutbehandlung an wie beispielsweise eine stationare Langzeittherapie oder eine ambulante Behandlung unter Einsatz des Opiatantagonisten Naltrexon 20 so besteht ein erhebliches Risiko fur eine baldige Wiederaufnahme des Opiatkonsums Geschichte BearbeitenDie Frage wie und wie schnell Entzuge von Opioiden damals noch von Morphin durchgefuhrt werden sollten wurde schon im 19 Jahrhundert ahnlich widerspruchlich diskutiert Nach Scheffczyk 21 zitiert in der Dissertation 22 von Steinat wurde die plotzliche Entziehung von Levinstein 1875 eingefuhrt die allmahliche Entziehung von Burkart seit 1877 vertreten die sogenannte schnelle Entziehung von Adolph Erlenmeyer in seiner Monographie von 1887 erlautert 23 Erlenmeyer bezeichnet die allmahliche Abgewohnung als die alteste der verschiedenen Entziehungsmethoden die darin besteht dass die zuzufuhrende Morphiumdosis taglich um ein geringes Teil vermindert wird Diese Verminderung pflegt sich zu richten nach den Abstinenz Erscheinungen die der Kranke darbietet Je unangenehmer und starker ausgepragt diese sind desto kleiner ist die Verringerung und desto langer zieht sich die ganze Cur hin Der Kranke wird dabei nicht uberwacht kann vielmehr sein ausseres Leben nach Belieben einrichten Erlenmeyer zogert keinen Augenblick mit dem Eingestandnis dass ein grosser Theil seiner morphiumsuchtigen Kranken ihn unter dieser Behandlung hintergangen habe Daneben erwahnt er aber auch als weiteren erheblichen Nachteil die zeitliche Verlangerung der Abstinenzerscheinungen Gerade durch die lange Dauer wird der Kranke in traurigster Weise maltraitirt werden seine Krafte erheblich consumirt 24 Laut Erlenmeyer kann die plotzliche Entziehung nach Levinstein in vier bis sechs Tagen durchgefuhrt werden wobei eine gewisse Bildung des Personals unbedingt erforderlich sei weil solche den aufgeregten Kranken einen bedeutsamen Ruckhalt und eine grosse Unterstutzung gewahre und sie davor hute sich in maassloser Weise gehen zu lassen Erlenmeyer selbst andert diese Entziehungsmethode dahingehend ab als er sie individualisiert und das Ausmass und die Dauer des Morphiumkonsums die Anzahl der vorangegangenen Entziehungskuren und den Kraftezustand des Patienten in seine Uberlegungen mit einbezieht In der Regel entzieht er zuerst die Halfte der bislang zugefuhrten Dosis sofort und wiederholt diese Verminderung um die Halfte noch ein oder zweimal wahrend der Kur Die erste Halbierung der Dosis werde deshalb meist gut ausgehalten weil die Arbeitsdosis die die meisten Morphinisten benotigen um arbeitsfahig zu sein von diesen oft uberschritten werde was er als Luxusdosis bezeichnet Mit dieser Methode ohne starre Regeln entzieht er in sechs bis zwolf Tagen Damit wurden die ausgepragteren Symptome im Vergleich zum allmahlichen Entzug durch die wesentlich kurzere Zeitdauer mehr als ausgeglichen und werde die Behandlung von den Patienten entsprechend geschatzt Im Sanatorium Bellevue wurden Morphinisten Ende des 19 Jahrhunderts teils mit Kokain im Sinne einer damals noch medikamentengestutzten Entgiftung teils ausschleichend mit Morphium selbst entzogen 21 Ernst Speer der sich entschieden gegen den durch den ungeheuerlichen Schock erzieherisch ausserordentlich wirksamen kalten Entzug auf einer geschlossenen Abteilung wandte 25 und diesen als unnotig und grausam bezeichnete setzte 1919 im Auftrag seines damaligen Chefs Hans Berger den Entzug im Dammerschlaf mit Luminal und Scopolamin auf einer offenen Abteilung ein Diesem Entzug hatte sich allerdings eine Psychotherapie anzuschliessen Speer blieb bei dieser Methode bis 1936 und beanspruchte fur sich eine Erfolgsquote von hundert Prozent Erfolg auch hier wieder abgeschlossene stationare Entgiftung Der deutsche Psychiater Paul Honekamp erprobte zur Entgiftung der infolge des Ersten Weltkriegs im Deutschen Reich stark gestiegene Zahl von Morphinisten das von Richard Bumm 1927 entwickelte Narkotikum Pernocton 26 und das giftbindende Detoxin 27 welches in den dreissiger Jahren zu einer weit verbreiteten Methode des Entzugs wurde 28 Dass ein alleiniger Entzug sinnlos war erkannte aber auch Speer Zu seinem Entzugsprogramm gehorte somit die psychotherapeutische Nachbehandlung zur Sicherstellung des Erfolgs auf die grosser Wert gelegt wurde Erfolgversprechend war diese Behandlung allerdings nur bei Neurotikern Die Haltlosen und somit Entarteten hatten keine Aussicht auf Heilung und wurden als Unerziehbare gesehen 1949 bezeichnete Speer die allmahliche Entziehung fruherer Zeiten als einen Kunstfehler und groben Unfug 1961 meinte er allerdings Es gibt keine wirklichen Heilungen von der Sucht Das was gelegentlich so aussieht hat in der Regel keinen Dauerbestand 22 Einzelnachweise Bearbeiten Eric C Strain Maxine L Stitzer The Treatment of Opioid Dependence 2 Auflage The Johns Hopkins Univ Press Baltimore 2006 R Pfab Chr Hirtl et al Der Antagonist induzierte Narkose gestutzte Opiat Schnellentzug AINOS Riskant und Vorteile nicht bewiesen Memento des Originals vom 30 November 2010 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www toxinfo org PDF In Munchner Medizinische Wochenschrift 1996 11 22 R Saitz M J Larson C Labelle J Richardson J H Samet The case for chronic disease management for addiction In Journal of addiction medicine Band 2 Nummer 2 Juni 2008 S 55 65 doi 10 1097 ADM 0b013e318166af74 PMID 19809579 PMC 2756688 freier Volltext A Wodak Managing illicit drug use A practical guide In Drugs Band 47 Nummer 3 Marz 1994 S 446 457 PMID 7514974 Review J Strang J McCambridge D Best T Beswick J Bearn S Rees M Gossop Loss of tolerance and overdose mortality after inpatient opiate detoxification follow up study In BMJ Clinical research ed Band 326 Nummer 7396 Mai 2003 S 959 960 doi 10 1136 bmj 326 7396 959 PMID 12727768 PMC 153851 freier Volltext a b M Backmund K Meyer D Eichenlaub CG Schutz Predictors for completing an inpatient detoxification program among intravenous heroin users methadone substituted and codeine substituted patients In Drug 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Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www oegabs at Osterreichische Gesellschaft fur arzneimittelgestutzte Behandlung von Suchtkrankheit OGABS Mattick RP Hall W Are detoxification programmes effective The Lancet 1996 347 8994 97 100 Tim Pfeiffer Gerschel u a Deutsche Suchthilfestatistik 2009 Alle Bundeslander Tabellenband fur Krankenhaus Abteilungen Tabelle 6 02 Munchen IFT Institut fur Therapieforschung 2010 Havemann Reinecke u a AWMF Leitlinien Postakutbehandlung bei Storungen durch Opioide Zeitschrift SUCHT Jahrgang 40 S 226 257 a b Stefan Frank Scheffczyk Die Kokaintherapie der Morphiumsucht am Beispiel des Sanatoriums Bellevue in Kreuzlingen 1884 1887 Med Diss Tubingen 1997 a b Jens Alexander Steinat Ernst Speer 1889 1964 Leben Werk Wirkung PDF 2 3 MB Dissertation an der Medizinischen Fakultat der Eberhard Karls Universitat zu Tubingen 2004 J A Albrecht Erlenmeyer Die Morphiumsucht und ihre Behandlung 1887 Die Methoden der Entziehung S 113ff Eliborn Classics J A Albrecht Erlenmeyer Die Morphiumsucht und ihre Behandlung 1887 Die Methoden der Entziehung S 116 Rainer Ullmann Geschichte der arztlichen Verordnung von Opioiden an Abhangige In Suchttherapie 2001 2 S 20 27 doi 10 1055 s 2001 18399 Paul Honekamp Das Hypnotikum Pernocton bei der Morphiumentziehungskur in Munchener medizinische Wochenschrift 75 1928 S 1415 1419 Paul Honekamp Schmerzlose Morphiumentziehung durch Giftbindung ein grundsatzlich neuer Weg in Psychiatrisch neurologische Wochenschrift 34 1932 S 162 165 O L Weiss Entziehungskuren mit Pernocton in Deutsche medizinische Wochenschrift 1932 S 1963f E Bucken Detoxin bei Morphiumentziehungen und Toxikosen in Munchener medizinische Wochenschrift 85 1938 S 1155 1157 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Opioidentzug amp oldid 237364633