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Enfer ɑ ˈfɛʁ franzosisch fur Holle wird ein besonderer Bestand der Bibliotheque nationale de France in Paris genannt Er gehort zur Reservatensammlung und vereinigt meist franzosischsprachige Druckwerke erotischen oder pornografischen Charakters die wegen ihrer Seltenheit und Kostbarkeit nur mit Bewilligung eingesehen werden durfen Der Enfer wurde zwischen 1836 und 1844 eingerichtet und gilt als einer der beruhmtesten Remota Fonds Bis ins Jahr 2013 ist der Enfer auf etwa 2 600 Bande vom 16 Jahrhundert bis zur Gegenwart angewachsen Inhaltsverzeichnis 1 Einrichtung 2 Name 3 Bestand und Katalogisierung 4 Zweckwandel 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseEinrichtung BearbeitenDie Wurzeln des Enfer in der franzosischen Nationalbibliothek reichen bis ans Ende des 17 Jahrhunderts zuruck Bereits der Katalog der in der damals noch koniglichen Bibliothek eingefuhrt wurde trennte gute Bucher von schlechten 1702 wurden die orthodoxen und die heterodoxen theologischen Lehrschriften oder die akademisch anerkannte Literatur und die unterhaltenden Romane Liebes und Abenteuergeschichten mittels spezieller Signaturen unterschieden Zu letzteren gehorten Mitte des 18 Jahrhunderts auch 24 ouvrages licencieux anstossige Werke 1 allen voran Pietro Aretinos Ragionamenti Diese Texte wurden zum grossten Teil in einem cabinet wahrscheinlich gleichbedeutend mit einem speziellen Schrank aufbewahrt und ihre Zahl durfte bis zur Revolution von 1789 kaum die 50 uberschritten haben obwohl schon 1537 Konig Francois I das Pflichtexemplar eingefuhrt hatte was mit sich brachte dass die Bibliothek das in Frankreich zirkulierende Schrifttum eigentlich moglichst umfassend dokumentieren sollte Allerdings waren ouvrages licencieux in Frankreich in der Regel verboten so mussten sie in Holland oder der Schweiz gedruckt und in den Buchhandlungen sowie von den Hausierern unter der Hand verkauft werden und sie fanden ihren Weg in die Bibliothek des Konigs oft nur uber Beschlagnahmungen seltener als Geschenke oder Ankaufe Hier wurden sie dem Lesepublikum nicht zur Verfugung gestellt obwohl dieses durch die publizierten Bibliothekskataloge von ihrer Existenz wusste nbsp Ehrenhof der alten Bibliotheque Nationale de France nbsp Der gegenwartige Standort des Enfer ist der 1996 eroffnete und 1998 bezogene Neubau Site Francois Mitterrand Wahrend der Franzosischen Revolution trugen die Buchersammlungen emigrierter Adeliger oder sakularisierter Kloster erheblich zum Wachstum der offentlichen Bibliotheken bei Zu den aus dieser Quelle stammenden verbotenen Schriften gesellten sich bald diejenigen die der strengen Zensur unter Napoleon I unterlagen viele Publikationen wurden aber auch vernichtet In der Bibliotheque nationale die ehemalige konigliche Bibliothek wurden ab 1795 erstmals besonders bemerkenswerte Bucher aus der allgemeinen Systematik ausgegliedert und so die Grundlagen der spateren Reserve Reservatensammlung seltener und kostbarer Bucher gelegt Diese nahm 1836 den Betrieb auf 1844 erschien in ihren Inventaren erstmals der Begriff noch nicht die selbstandige Signatur Enfer fur den Teilbestand moralisch bedenklicher Schriften welche der Bibliotheksleiter Joseph Naudet 1849 wie folgt charakterisierte fort mauvais mais quelquefois tres precieux pour les bibliophiles et de grand valeur venal cet enfer est pour les imprimes ce qu est le Musee de Naples pour les antiques 2 extrem verwerflich aus bibliophiler Sicht jedoch zuweilen hochst wertvoll und von grossem Verkaufswert diese Holle ist fur die Druckschriften das was das Museum von Neapel fur die antiken Kunstwerke ist Die genauen Umstande sind nicht bekannt unter denen wahrend der Regierung Louis Philippes dieser fur die Offentlichkeit geschlossene Bestand an Buchern aufgebaut wurde Einen wesentlichen Einfluss auf diese Entwicklung durfte das nachrevolutionare Burgertum genommen haben diese Gesellschaftsschicht fur deren wachsenden Einfluss die Herrschaft des Burgerkonigs ein wichtiger Schritt voran war setzte die Trennung von offentlicher und privater Sphare und eine damit einhergehende Pruderie zunehmend durch Zwar lag kein amtlicher Beschluss vor doch richtete die Bibliothek einen Giftschrank fur obszone Bucher ein Die solcherart anstossigsten Werke wurden aus den normalen Sammlungen aussortiert und unter Verschluss gehalten um die gewohnlichen Leser vor einer Lekture zu schutzen die man als ihrer sittlichen Einstellung abtraglich erachtete Name BearbeitenDer erste Bucherbestand namens Enfer wird den sogenannten Feuillanten Zisterziensern in der Pariser Rue Saint Honore zugeschrieben Bei diesen sollen auf dem ironischerweise als Holle bezeichneten Dachboden eine grosse Zahl protestantischer Schriften aufbewahrt worden sein die dem Konvent 1652 ein Konvertit geschenkt habe Die Bezeichnung spielte moglicherweise auf die ewige Verdammnis an die den Verfassern und Lesern dieser haretischen Schriften drohte oder auf die Verbrennung von Werken die im Index Librorum Prohibitorum aufgefuhrt waren Ahnliche Sammlungen mit theologischem Schwerpunkt waren auch ohne stets diesen Ubernamen zu tragen weit verbreitet am bekanntesten jene in der Vatikanischen Bibliothek Spatestens zur Zeit des Zweiten Kaiserreichs hatte der Ubername Eingang in den allgemeinen Wortschatz gefunden Pierre Larousses Enzyklopadie Grand Dictionnaire universel du XIXe siecle Paris 1866 1877 definierte das Wort als endroit ferme d une bibliotheque ou l on tient les livres dont on pense que la lecture est dangereuse exemple l Enfer de la Bibliotheque nationale 3 Geschlossener Bereich einer Bibliothek wo sich die Bucher befinden deren Lekture als gefahrlich gilt zum Beispiel Die Holle der Bibliotheque nationale Als die Bibliotheque nationale 1913 die riesige Buchersammlung von Auguste Lesouef und seiner Schwester verheiratete Smith erhielt gab sie 34 Erotica die Signatur Enfer Smith Lesouef Die Druckgrafiken und Fotografien der Bibliotheque nationale erhielten ebenfalls eine besondere Signatur wenn sie als moralisch bedenklich galten Auch dieser Bestand wurde spatestens Ende des 19 Jahrhunderts ublicherweise Enfer genannt und nur mit Erlaubnis des Sammlungskonservators zuganglich gemacht Weitere Bibliotheken verfuhren ahnlich wie die Bibliotheque nationale und sonderten ihre Erotica aus Sie bezeichneten sie mit verschleiernden Signaturen wie Private Case Privatangelegenheit im Britischen Museum in der New York Public Library D griechisches Delta in der Library of Congress und F griechisches Phi lautmalerisch fur Pfui stehend in der Bodleian Library 4 Bestand und Katalogisierung BearbeitenDie geschlossene Abteilung hatte den Reiz des Verbotenen und regte die Phantasie an Die galante Bibliothek in der die Regale voller erotischer und pornografischer Literatur standen und die als Ort der Aufreizung und Verfuhrung diente war sogar ein Topos ebendieser Literatur gewesen Nach der Einrichtung des Enfer wurde daruber geratselt welche und wie viele Werke wohl in ihm zu finden seien Man vermutete eine sehr eindrucksvolle Sammlung da sie direkt aus der Buchproduktion des franzosischen Ancien Regime und damit der Blutezeit und dem Zentrum der literarischen Libertinage mit Autoren wie dem Comte de Mirabeau dem Marquis de Sade oder Retif de la Bretonne schopfte Von 1848 bis 1850 war der Enfer Gegenstand einer offentlich ausgetragenen Polemik als der Bibliothek der fahrlassige Verlust von Buchern in grosser Zahl zum Vorwurf gemacht wurde Im Enfer sollten so das Gerucht zwei Drittel von ursprunglich 600 Buchern verlorengegangen sein nicht zuletzt weil sich unbeaufsichtigte junge Angestellte daraus bedient hatten Tatsachlich gab die Bibliothek selbst eine Zahl von maximal 150 Buchern fur den erst kurz zuvor eingerichteten Enfer an abzuglich einiger Verluste und Ausscheidungen wertloser Werke und ohne Einberechnung der vorerst nur provisorisch verzeichneten Buchereingange seit der Revolution Der erste Supplementband des Grand dictionnaire universel du XIXe siecle von 1877 hielt es fur angebracht die popularen Meinungen uber den Enfer zu relativieren Il existe a la Bibliotheque nationale un depot qui n est jamais ouvert au public c est l Enfer recueil de tous les devergondages luxurieux de la plume et du crayon Toutefois le chiffre de ce recueil honteux n est pas aussi eleve qu on l imagine generalement puisque le nombre des ouvrages n y est que de 340 et celui des volumes de 730 Mais il est bon de noter que cette categorie ne comprend que les livres d une obscenite revoltante ceux qu il est defendue de communiquer sous quelque pretexte que ce puisse etre In der Bibliotheque nationale gibt es einen Bestand der niemals fur die Allgemeinheit geoffnet ist es ist der Enfer Sammelplatz aller Ausschweifungen der Feder und des Stifts Indessen fallt die Bezifferung dieser beschamenden Sammlung nicht so hoch aus wie man sich das allgemein vorstellt da die Zahl der Werke nur 340 betragt und die der Bande 730 Aber man tut gut daran anzumerken dass diese Kategorie bloss die abstossend obszonen Bucher umfasst also diejenigen die unter welchem Vorwand auch immer in Umlauf zu bringen verboten ist 5 Einen neuerlichen Schub erlebte der Enfer im Zweiten Kaiserreich besonders aufgrund der verscharften Zensur Allein 1865 und 1866 wuchs der Bestand um mehr als 330 Exemplare 1876 zahlte man 620 Titel davon stammte mehr als die Halfte aus Beschlagnahmungen Im Jahr 1886 war der Bestand auf wenig uber 700 angewachsen darunter aber auch viele billige Nachdrucke libertiner Romane des Ancien Regime Der Enfer blieb weiterhin kaum zuganglich Um einen seiner Bande konsultieren zu durfen war eine nachdrucklich begrundete Eingabe an die Hauptverwaltung und der Beschluss eines Komitees notig Die erstmalige gesonderte Erschliessung des Bestandes unter der Signatur Enfer als Ersatz fur die meistens verwendete Signatur Y2 die seit Ende des 17 Jahrhunderts in Gebrauch gewesen war geschah ab 1876 spatestens ab 1886 die Titel erschienen 1896 im allgemeinen Katalog der Bibliotheque nationale Von 1909 bis 1913 verfassten Guillaume Apollinaire und andere ohne Unterstutzung oder Wissen der Bibliotheksleitung einen Spezialkatalog der 854 Titel verzeichnete und die Werke bibliografisch beschrieb Einen ersten weniger gut verschleierten Anlauf nach 1900 unternommen durch den Sprachwissenschaftler Robert Yve Plessis hatte die Bibliothek unterbunden Der kritische Katalog von Pascal Pia in der ersten Auflage aus dem Jahr 1978 fugte rund 700 Titel hinzu Am Verkaufserfolg dieser eigentlich unspektakularen Bucherlisten zeigte sich deutlich das Interesse der Allgemeinheit am Enfer Apollinaires Katalog wurde in einer Auflage von 1 500 Exemplaren abgesetzt eine zweite Auflage von 1919 zahlte 2 000 Stuck Zweckwandel BearbeitenDie Arbeiten Apollinaires und Pias trugen wesentlich dazu bei der Literatur des Enfer breite Anerkennung zu verschaffen obwohl bei manchen Werken sogar das Gegenteil erwunscht war Der Autor Edmond Haraucourt argerte sich daruber dass seine Legende des sexes 1893 unter die gewohnliche franzosische Dichtung eingereiht wurde Er hatte gehofft dass das Buch zur Holle fahre allat en Enfer Der Bestand des Enfer vergrosserte sich im 20 Jahrhundert hauptsachlich durch eigene Erwerbungen der Bibliotheque nationale im ordentlichen Buchhandel In den 1980er Jahren brachte der renommierte Verlag Fayard eine siebenbandige Auswahl von urheberrechtlich nicht mehr geschutzten Romanen des Enfer auf den Markt die mit Illustrationen ihrer Zeit und erklarenden Einfuhrungen versehen wurden Auch die Geschichtswissenschaft beschaftigt sich mit dem Material das der Enfer liefert Die Erforschung der vorrevolutionaren Pornografie findet vor allem im Rahmen der Neuen Kulturgeschichte statt Zu nennen ist insbesondere Robert Darnton der auf das emanzipatorische Potential der Texte hinweist bei denen die sittlichen Grenzuberschreitungen oft in Gesellschafts und Religionskritik eingebettet sind Die Entwicklung des Buchmarkts veranderte Moralstandards und die weitgehende Aufhebung zensurierender Gesetzgebung haben das Geprage des Enfer verandert Durch die massenhafte Verfugbarkeit erotischer und pornografischer Werke verlor er den Sinn als Ort ihres Wegschlusses Bereits ab 1909 wurden wiederholt ganze Nummerserien der normalen Reserve offen gehalten um darin pornografische Werke des freien Buchhandels insbesondere sogenannte Flagellationsliteratur einzusortieren und vor Diebstahl zu schutzen Das weitere Anwachsen dieser billig produzierten Literatur fuhrte 1932 zu einer eigenen Signatur innerhalb der Reserve 1960 69 abgelost durch zwei weitere spezielle Signaturen des allgemeinen Katalogs die mittlerweile ihrerseits ersatzlos aufgegeben wurden Die Bibliotheque nationale schloss die Signatur Enfer 1969 offnete sie aber 1983 wieder aus praktischen Grunden fur die Bibliothekare und Bibliotheksnutzer war es einfacher alle Bucher eines Genres auch unter einer Signatur zu finden Die Anschaffungspolitik beruht aber nicht mehr nur auf dem Genre Es werden zwar weiterhin entsprechende Druckwerke gesammelt doch ist das ausschlaggebende Merkmal nun ihre Seltenheit oder bibliophile Qualitat Neben alteren Werken die bisher fehlten finden auch zeitgenossische und fremdsprachige Bucher Eingang in den Enfer Bis 2013 ist dieser auf rund 2 600 Bande seit dem 16 Jahrhundert angewachsen 6 Der Zugang zum Enfer unterliegt wegen der Gefahr der Entwendung oder Beschadigung durch unbeaufsichtigte Benutzer weiterhin besonderen aber seit 1977 nicht mehr strengeren Auflagen als fur den Rest der Reserve namentlich der Auflage wissenschaftlicher Forschung um nun in merkwurdiger Umkehr zum einstigen Zweck die Bucher vor der Allgemeinheit zu schutzen Literatur BearbeitenL Enfer de la Bibliotheque Nationale Fayard Paris 1984 1988 Siebenbandige Auswahl von 29 Romanen aus dem Bestand des Enfer Guillaume Apollinaire Fernand Fleuret Louis Perceau L Enfer de la Bibliotheque Nationale Paris 1913 Der erste Katalog des Enfer mittlerweile uberholt Robert Darnton Denkende Wollust oder Die sexuelle Aufklarung der Aufklarung Eichborn Frankfurt am Main 1996 ISBN 3 8218 4138 9 Essay zum Enfer und zur pornografischen Literatur der Aufklarungszeit Enthalt auch die deutsche Ubersetzung der RomaneTherese philosopheundHistoire de Dom B Pascal Pia Les livres de l Enfer bibliographie critique des ouvrages erotiques dans leurs differentes editions du XVIe siecle a nos jours Fayard Paris 1998 2 erweiterte Auflage ISBN 2 213 60189 5 Das Standardverzeichnis des Enfer enthalt weiterfuhrende Erlauterungen zum Bestand und zu einzelnen Werken Marie Francoise Quignard Raymond Josue Seckel L Enfer de la Bibliotheque Eros au secret Paris 2007 Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung thematische Vertiefungen reichhaltiges Bildmaterial aktueller Kenntnisstand Jeanne Veyrin Forrer L Enfer vu d ici In Revue de la Bibliotheque Nationale 14 1984 S 22 41 Geschichte des Enfer aktueller Kenntnisstand Weblinks BearbeitenDarstellung des Enfer mit einem langeren Zitat der Rechtsabteilung der Bibliotheque nationale zur Anschaffungspolitik Informationen zur Ausstellung der Bibliotheque nationale uber den Enfer 4 Dezember 2007 bis 2 Marz 2008 Artikel der Neuen Zurcher Zeitung uber den Enfer und die Ausstellung der Bibliotheque nationale 4 Dezember 2007 bis 2 Marz 2008 Einzelnachweise Bearbeiten Catalogue des livers imprimes de la Bibliotheque du Roy Belles Lettres 1re 2e partie Paris 1750 Zitiert nach Marie Francoise Quignard Raymond Josue Seckel L Enfer de la Bibliotheque Eros au secret Paris 2007 S 26 Grand dictionnaire universel du XIXe siecle Administration du grand dictionnaire universel Paris 1866 1877 Band 7 S 557 Sp 4 zitiert nach gallica bnf fr Dass die grosste pornografische Sammlung in der Vatikanischen Bibliothek zu finden sei ist allerdings eine weit verbreitete Legende Grand dictionnaire universel du XIXe siecle Administration du grand dictionnaire universel Paris 1866 1877 Suppl 1 S 366 Sp 3 zitiert nach gallica bnf fr Der Online Katalog der Bibliotheque nationale listet 2 706 Eintrage auf von denen rund 100 leer sind abgerufen am 9 Februar 2013 nbsp Dieser Artikel wurde am 17 Januar 2008 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen Normdaten Korperschaft GND 4749423 2 lobid OGND AKS VIAF 244305887 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Enfer amp oldid 230070711