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DIK1 1 ist die wissenschaftliche Bezeichnung fur das fossile Skelett eines weiblichen Kleinkinds von Australopithecus afarensis das aufgrund seines aussergewohnlich guten Erhaltungszustands weit reichende Einblicke in das Verhalten dieser fruhen Vormenschenart gewahrt Es wird von seinem Entdecker auch Selam Friede genannt und im englischen Sprachbereich nach dem Fundort Dikika in Athiopien als Dikika Girl oder Dikika Baby Madchen von Dikika bezeichnet Gut erhaltene Kinderskelette waren zuvor abgesehen vom Schadel des Kindes von Taung eines Australopithecus africanus und einigen teilweise deformierten Fragmenten nur vom Neandertaler Fund aus der Hohle von Dederiyeh Syrien bekannt DIK 1 1 oder Selam Inhaltsverzeichnis 1 Der Fund 2 Die Analyse 3 Literatur 4 Dokumentarfilme 5 Weblinks 6 BelegeDer Fund Bearbeiten nbsp Fundstelle des Australopithecus afarensisAm 10 Dezember 2000 hatten Zeresenay Alemseged damals Postdoc an der Arizona State University und sein Begleiter Tilahun Gebreselassie von der athiopischen Antiquitatenbehorde in der Region Dikika nordostliches Athiopien erste Schadelfragmente des gut erhaltenen ungefahr dreijahrigen weiblichen Individuums geborgen dessen Alter aufgrund der Bodenbeschaffenheit mit 3 3 Millionen Jahren angegeben wird DIK1 1 ist somit etwa 150 000 Jahre alter als die beruhmte Lucy deren letzte Ruhestatte nur ca 10 km nordlich auf der anderen Seite des Flusses Awash lag In den Grabungsperioden 2002 und 2003 wurde das Skelett durch zusatzliche Knochenfunde immer weiter vervollstandigt So konnte der komplette bis auf zwei Zahne vollstandig bezahnte Schadel samt versteinerter Innenabdrucke rekonstruiert werden so dass auch Aussagen uber die Oberflache des Gehirns ermoglicht werden Das Zungenbein wurde ebenso gefunden wie beide Schulterblatter ferner grosse Teile der oberen Wirbelsaule im Bereich des Brustkorbs alle Rippen Teile eines Armes einschliesslich eines Fingers beide Kniescheiben grosse Stucke der Schienbeine und ein kompletter Fuss Es gilt daher als das bislang vollstandigste Fossil der Art Australopithecus afarensis Erstmals publiziert wurde die Entdeckung der Forschergruppe um Zeresenay Alemseged vom Max Planck Institut fur evolutionare Anthropologie in Leipzig im September 2006 1 Die Analyse BearbeitenAus der Fundsituation schliessen die Forscher dass das Kind unmittelbar nach seinem Tod von Wasser weggespult kurz darauf unter Sand begraben wurde und moglicherweise durch Ertrinken zu Tode kam Seine Uberreste wurden in einem zementartigen Sandsteinblock eingebettet und blieben so ortlich fixiert Die Sandkorner wurden vom Entdecker in einer funfjahrigen mehrere tausend Stunden umfassenden Geduldsarbeit einzeln mit Zahnarztwerkzeugen entfernt Der Schadel hat ein Volumen von ungefahr 275 bis 330 cm und gleicht insofern dem eines dreijahrigen Schimpansen Ein Unterschied zum Schimpansen Schadel besteht aber darin dass dieser im Alter von drei Jahren bereits 90 Prozent der Grosse eines Erwachsenen aufweist DIK1 1 hingegen besitzt erst zwischen 65 und 88 Prozent eines ausgewachsenen Australopithecus Schadels und steht daher in dieser Beziehung den modernen Menschen naher als den modernen Menschenaffen Das Volumen des Schadels im ausgewachsenen Zustand hatte den Forschern zufolge 375 bis 435 cm betragen Um das Lebensalter des Kindes bei seinem Tod zu bestimmen wurde die Beschaffenheit seiner zum Teil noch nicht durchgebrochenen zweiten Zahne mit der Bezahnung junger Schimpansen und junger Menschenkinder verglichen Da jedoch die Entwicklungsgeschwindigkeit junger Australopithecinen bis heute kaum bekannt ist war das zunachst auf diese Weise berechnete Alter drei Jahre Bernard Wood zufolge allenfalls eine naherungsweise Schatzung 2 Da die Zahnentwicklung bei Menschen und Menschenaffen vor der Geburt beginnt und wahrend des Heranwachsens andauert werden Entwicklungsgeschwindigkeit und Zeit dabei fortwahrend als Wachstumslinien im Zahnschmelz und Zahnbein gespeichert Diese bleiben dort unverandert uber Millionen von Jahren erhalten Daher konnte mit hochauflosender Synchrotron Mikrotomographie 3 am European Synchrotron Radiation Facility ESRF in Grenoble das Sterbealter des Kindes viel genauer mit 861 Tagen ermittelt werden Somit wurde das Kind nicht einmal zweieinhalb Jahre alt 4 Auch das Geschlecht des Kindes wurde durch den Vergleich seiner Zahnkronen mit den Zahnen erwachsener Australopithecinen bestimmt Vom Zungenbein das in menschenahnlichen Fossilien nur ganz extrem selten erhalten geblieben ist ausser beim Dikika Fund nur bei einem einzigen Neandertaler 5 erhoffen sich die Forscher Ruckschlusse auf die Artikulationsfahigkeit von Australopithecus Einer ersten Analyse zufolge ahnelt es dem Zungenbein der Gorillas und nicht dem der Menschen Zwar fehlen beim Madchen von Dikika das von der Online Ausgabe der Fachzeitschrift Nature als Lucy s baby bezeichnet wurde das Becken sowie Teile des unteren Ruckens und der Beine Jedoch konnten die Leipziger Forscher erstmals bei einem noch nicht ausgewachsenen Australopithecus die Schulter die Hand und die Bogengange des Innenohrs untersuchen d h Korperteile die unmittelbar Auskunft geben konnen uber die Korperbewegungen Das grosse Hinterhauptsloch durch das hindurch sich der hinterste Gehirnteil zum Beginn des Ruckenmarks erstreckt ist deutlich starker unterhalb des Schadels angeordnet als bei dreijahrigen Affen d h unterhalb des Schwerpunkts Die Brustwirbelsaule besteht wie bei den meisten spateren Hominini aus 12 Wirbeln und nicht wie bei den meisten Schimpansen aus 13 Wirbeln 6 Die noch erhaltenen Fuss und Beinknochen bestatigten ebenfalls zweifelsfrei dass auch ein junger Australopithecus zweibeinig also aufrecht gehen konnte Jedoch ahnelt das sehr gut erhaltene rechte Schulterblatt eher dem eines Gorillas als dem eines modernen Menschen und verweist darauf dass DIK 1 1 noch haufig mit nach oben uber den Kopf hinweg gestreckten Armen gehangelt hat 7 Die Bogengange des Innenohrs ahneln denen der Schimpansen und auch der einzige erhaltene Finger weist langliche und gekrummte Knochen auf wie sie vom Schimpansen bekannt sind Diese Krummung wird bei Jungtieren in dem Masse starker in dem sie ihre Finger beim Klettern benutzen um sich an Asten festzuhalten Die Forscher deuten diese Befunde als Ausdruck davon dass das Kind von Dikika zwar aufrecht gehen aber ebenso leicht und haufig seine Arme uber Kopf halten also in Baumen hangeln konnte Allerdings scheinen die Ansatzflachen bestimmter Muskelgruppen weniger ausgepragt zu sein als bei den heute lebenden Menschenaffen so dass eine baumbewohnende Lebensweise nicht vorherrschend gewesen sein muss Die Autoren der Studie weisen aber ausdrucklich darauf hin dass der Zusammenhang von Korperbau und Verhalten bei den Menschenaffen kaum erforscht ist und man deshalb auch bei der Interpretation von Fossilfunden zuruckhaltend sein musse Der Fund ist auch insofern bedeutend als nun anhand des Kinderskeletts die korperliche Entwicklung der Australopithecinen vom Jugendlichen zum Erwachsenen nachvollzogen werden kann und wie rasch diese Entwicklung bei ihnen voranschritt 8 So erhoffen sich die Forscher von der Analyse des noch immer im Sandstein verborgenen grossen Zeh beispielsweise Erkenntnisse daruber ob dieser noch als Greifzeh ausgebildet war sich das Kind also mit Handen und Fussen am Fell der Mutter festklammern konnte Sollte dies bei Australopithecus afarensis nicht mehr der Fall gewesen sein konnten aus diesem Befund weit reichende Ruckschlusse auf deren Sozialstruktur gezogen werden 9 Literatur BearbeitenChristopher P Sloan Ist dies Lucys Kind In National Geographic Deutsche Ausgabe Dezember 2006 S 154 165 Kate Wong Lucys Baby In Spektrum der Wissenschaft Februar 2007 S 32 39 Dokumentarfilme BearbeitenThe Story of Selam Discovery of the Earliest Child Die Entdeckung des Dikika Kindes Auf youtube com zuletzt abgerufen am 5 April 2022 Weblinks BearbeitenMeet the Earliest Baby Girl ever Discovered Max Planck Gesellschaft 21 September 2006 Ein Baby fur Lucy Auf wissenschaft de vom 21 September 2006 Belege Bearbeiten Zeresenay Alemseged et al A juvenile early hominin skeleton from Dikika Ethiopia In Nature Band 443 2006 S 296 301 doi 10 1038 nature05047 an informed guess schrieb der Anthropologe Bernard Wood George Washington University Washington in einem Artikel uber A precious little bundle In Nature Band 443 2006 S 278 f doi 10 1038 443278a Alexander Rack Synchrotron Mikrotomographie in der Materialwissenschaft Institut fur Synchrotronstrahlung ISS ANKA Light Source Volltext online Max Planck Gesellschaft Christina Beck Virtueller Blick in alte Knochen dem Leben unser Urahnen auf der Spur In Biomax Nr 24 Neuauflage Fruhjahr 2021 Abschnitt Auf den Zahn gefuhlt S 2 Volltext Baruch Arensburg et al A middle palaeolithic human hyoid bone In Nature Band 338 1989 S 758 760 doi 10 1038 338758a0 Carol V Warda et al Thoracic vertebral count and thoracolumbar transition in Australopithecus afarensis In PNAS Band 114 Nr 23 2017 S 6000 6004 doi 10 1073 pnas 1702229114 David J Green und Zeresenay Alemseged Australopithecus afarensis Scapular Ontogeny Function and the Role of Climbing in Human Evolution In Science Band 338 Nr 6106 2012 S 514 517 doi 10 1126 science 1227123 Jeremy M DeSilva Corey M Gill Thomas C Prang Miriam Antoinette Bredella Zeresenay Alemseged A nearly complete foot from Dikika Ethiopia and its implications for the ontogeny and function of Australopithecus afarensis In Science Advances Band 4 Nr 7 2018 eaar7723 doi 10 1126 sciadv aar7723 Christopher P Sloan Ist dies Lucys Kind In National Geographic deutsche Ausgabe Dezember 2006 S 162 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title DIK 1 1 amp oldid 225531411