Abraham ben Meir iben Esra (auch Abraham Ben Ezra, Aben Esra, Avenesra, Ebenesra; Akronym Raba; geboren um 1092 (zwischen 1088 und 1097) in Tudela, Spanien; gestorben am 23. oder 28. Januar 1167) war ein spanischer Gelehrter und Schriftsteller. Er befasste sich unter anderem mit Grammatik, Astrologie, Philosophie und der Bibelauslegung. Ibn Esra gehört zu den Vorreitern einer wissenschaftlichen biblischen Exegese.
Leben Bearbeiten
Sein Leben gliedert sich in zwei deutlich unterscheidbare Perioden. Bis etwa 1139 lebte er in Spanien, von wo aus er zahlreiche Reisen nach Marokko, Algerien, Gabès in Tunesien und vielleicht auch Ägypten unternahm. In Spanien befreundete er sich mit seinem jüdischen Glaubensgenossen Jehuda ha-Levi, bereiste mit ihm die Städte des Landes und begleitete ihn bis nach Nordafrika.
Nach 1140 führte Ibn Esra bis zu seinem Tode ein Wanderleben, schrieb während dieser Zeit die meisten seiner Werke und notierte den Ort ihrer Entstehung. In Rom verfasste er ein Buch über den Aufbau der hebräischen Sprache (Mosnei Leschon Ha-Kodesch), das 1546 in Venedig gedruckt wurde, und übersetzte drei Bücher über die hebräische Grammatik aus dem Arabischen ins Hebräische (1849 veröffentlicht). In Rom scheint Ibn Esra Schwierigkeiten mit Vertretern der jüdischen Gemeinde gehabt zu haben und zog von hier weiter nach Lucca, wo sein Aufenthalt 1145 bezeugt ist. Hier verfasste er Kommentare zu verschiedenen Büchern der Bibel und eine Verteidigungsschrift für Saadia Gaon gegen seinen Schüler Dunasch ben Labrat. Von Lucca zog er weiter nach Mantua und Verona, wo er mathematische und astronomische Werke schrieb. 1147 verließ er Italien und zog in die Provence, besuchte Narbonne und Béziers und ging weiter nach Nordfrankreich (Rouen und Dreux). In Frankreich schrieb er exegetische sowie astrologische Werke. Hier befreundete er sich mit Rabbenu Tam und tauschte mit ihm einige Gedichte aus; in den Tosafot ist eine Frage von Ibn Esra an Rabbenu Tam überliefert. 1158 reiste er nach London und kehrte 1161 nach Narbonne zurück. Der Ort seines Todes ist nicht sicher bekannt. Ältere Autoren haben ihn in England (so zuerst Rabbi Moses von Taku, 13. Jh.), im nordspanischen Calahorra (Josef ben Zadik, 1487, mit noch anderen Angaben, die eine Verwechslung mit Moses ibn Esra nahelegen), oder im palästinensische Dorf Kabul (Abraham Zacuto um 1500) lokalisiert, während die Forschungsmeinungenen in jüngerer Zeit zwischen England und Rom geteilt sind.
Werk Bearbeiten
Ibn Esra hinterließ ein umfangreiches und vielseitiges literarisches Werk, das größtenteils in der zweiten Lebensperiode entstand.
Den wichtigsten und einflussreichsten Teil machen seine bibelexegetischen Schriften aus, die in die rabbinischen Bibelausgaben als Standardkommentare aufgenommen wurden und sich durch eine besondere Gewichtung des Litteralsinns auszeichnen, in Exkursen aber auch weitergehende mystische, zahlenexegetische und philosophische Darlegungen bieten. Ibn Esra verfasste Kommentare zum Pentateuch (hierbei zu einem Teil von Genesis und zu Exodus jeweils eine kürzere und eine längere Fassung), zu Jesaja, den zwölf „kleinen“ Propheten, den Psalmen, Hiob, den fünf Megillot (Hohelied, Ruth, Klagelieder, Prediger und Esther) und zu Daniel, außerdem heute verlorene Kommentare zu den älteren historischen Büchern (Könige und Samuel). Möglicherweise hat er auch Kommentare zu Jeremia, Ezechiel und den Sprüchen Salomos verfasst, die unter seinem Namen überlieferten Kommentare dieser Art werden ihm heute aber nicht mehr zugeschrieben. Seine Bibelkommentare und verwandten Traktate wie die „Schrift über den Namen“ Gottes (Sefer ha-shem) sind neben dem an Avicennas Ḥayy ibn Yaqẓān anknüpfenden, in Reimprosa verfassten allegorisch-mystischen Traktat „Lebendiger, Sohn des Wachen“ (Haj ben Meqis oder: Chaj ben Meqiz; vgl. auch Der Philosoph als Autodidakt), von dem sich Inhalte auch in Dantes Göttlicher Komödie wiederfinden, auch die wichtigsten Quellen für die Kenntnis seiner neuplatonischen Philosophie, da er im engeren Sinn philosophische Schriften nicht verfasst hat.
Unter seinen grammatischen Werken, die die Tradition der in Spanien entstandenen jüdisch-arabischen Grammatiken der hebräischen Sprache, insbesondere Judah ben David Hayyudj, fortsetzen und das Prinzip der dreikonsonantigen Wurzeln in Westeuropa bekannt machten, erlangten vor allem seine „Waage“ (Moznajim, 1140, oder: Mosnajim) und das „Buch der Reinheit“ (Sefar sahut, 1145, auch: Sefer tzachut), eine Gesamtdarstellung der hebräischen Sprache mit angehängter Metrik, für die nachfolgende Tradition und spätere christliche Hebraistik Bedeutung.
Großen Einfluss hatten auch seine astrologischen, astronomischen und mathematischen Schriften. Das sieben Traktate umfassende Corpus seiner astrologischen Schriften wurde später von einem Juden namens Hagin in altfranzösischer Übersetzung einem pikardischen Schreiber, Obert de Mondidier, diktiert und anschließend von Henri Bates de Malines in die lateinische Sprache übersetzt (1292 abgeschlossen). Unabhängig von dieser ersten lateinischen Fassung wurde die altfranzösische Übersetzung im darauffolgenden Jahr noch einmal von Pietro d’Abano und Anfang des 14. Jahrhunderts erneut von Arnoul de Quinquempoix ins Lateinische übertragen, so dass insgesamt drei lateinische Versionen verbreitet waren. Außerdem entstanden katalanische und mittelenglische Teilübersetzungen, wahrscheinlich jeweils nach der hebräischen Originalfassung. Nur lateinisch überliefert, wahrscheinlich auch von Ibn Esra schon in lateinischer Sprache verfasst, sind seine astronomischen Tabulae pisanae und Fundamenta tabularum, von denen die letzteren in der lateinischen Renaissance zu den wichtigsten Quellen algebraischer und trigonometrischer Kenntnisse gehörten. Hinzu kommen Schriften zum Astrolabium, zu Kalenderwesen und historischer Chronologie sowie zu Arithmetik und Zahlentheorie.
Ibn Esra verfasste außerdem zahlreiche sowohl religiöse, und dann zum Teil in die synagogale Liturgie aufgenommene, als auch weltliche Gedichte und führte in den letzteren die Gestalt des wandernden Sängers in die hebräische Poesie ein. Ein Gedicht über das Schachspiel, das als das älteste literarische Zeugnis dieses Spiels in Westeuropa gilt, ist in der Zuschreibung nicht unumstritten.
Sonstiges Bearbeiten
Nach Ibn Esra ist seit 1935 der Mondkrater Abenezra benannt.
Ausgaben Bearbeiten
- Bibelkommentare
- Bibelexegtische und mystische Traktate
- Astrologie, Medizin, Magie
- Mathematik, Numerologie
- Sprache und Grammatik
- Gedichte und Liturgica
Siehe auch Bearbeiten
Literatur Bearbeiten
- Friedrich Wilhelm Bautz: ABRAHAM ben Meir ibn Esra (Aben Esra). In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 1, Bautz, Hamm 1975. 2., unveränderte Auflage. Hamm 1990, ISBN 3-88309-013-1, Sp. 11–12 .
- David Rosin: Die Religionsphilosophie Abraham Ibn-Esra’s [posthum herausgegeben von David Kaufmann], in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums 42 [Neue Folge 6] (1898), S. 17–33, 58–73, 108–115, 154–161, 200–214, 241–252, 305–315, 345–362, 394–407, 444–457, 481–505 / 43 [Neue Folge 7] (1899), 22–31, 75–91, 125–133, 168–184, 231–240.
- Hermann Greive: Studien zum jüdischen Neuplatonismus. Die Religionsphilosophie des Abraham ibn Ezra. De Gruyter, Berlin/ New Yorl 1973 (= Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Judentums. Band 7). ISBN 3-11-004116-2.
- Hermann Greive: Abraham ben Meir ibn Ezra. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 1, de Gruyter, Berlin/New York 1977, ISBN 3-11-006944-X, S. 389–392.
- Leo Prijs: Die grammatikalische Terminologie des Abraham Ibn Esra. Sepher-Verlag, Basel 1950.
- Ch. [J.] Schirmann: תולדות השירה העברית בספרד הנוצרית ובדרום צרפת [The History of Hebrew Poetry in Christian Spain and Southern France]. [Hebr.] Jerusalem 1997, S. 13–92.
- Uriel Simon, Raphael Jospe: IBN EZRA, ABRAHAM BEN MEIR. In: Encyclopaedia Judaica. 2. Auflage. Band 9, Detroit/New York u. a. 2007, ISBN 978-0-02-865937-4, S. 665–672 (englisch).
- Michael Tilly: IBN ESRA, Abraham ben Meir. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Bautz, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8, Sp. 1241–1243 .
- Shlomo Sela: Abraham Ibn Ezra and the Rise of Medieval Hebrew Science, Koninklijke Brill, Leiden, 2003, ISBN 90-04-12973-1
Einzelnachweise Bearbeiten
- Gotthard Strohmaier: Avicenna. Beck, München 1999, ISBN 3-406-41946-1, S. 137 („um das Jahr 1138 aus Spanien fliehend“).
- Gotthard Strohmaier: Avicenna. Beck, München 1999, ISBN 3-406-41946-1, S. 150.
- PDF des Werkes "Lateinische Übersetzung des Kommentars zum Hohelied von Gilbert Genebrard" bei Google Books
- Shlomo Sela: Abraham Ibn Ezra and the Rise of Medieval Hebrew Science, Koninklijke Brill, Leiden, 2003, ISBN 90-04-12973-1, S. 18
- Onlineausgabe des Buches "Buch der Einheit"
- Shlomo Sela: Abraham Ibn Ezra and the Rise of Medieval Hebrew Science, Koninklijke Brill, Leiden, 2003, ISBN 90-04-12973-1, S. 18
Weblinks Bearbeiten
- Literatur von und über Abraham ibn Esra im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Eintrag in Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy. [plato.stanford.edu]
- Digitalisat des gleichen Drucks (Google Books, zuletzt aufgerufen am 24. Februar 2009)
- Hanna Liss: Ibn Esra, Abraham. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff., abgerufen am 2. September 2009.
- De Nativitatibus.. Magistralis compositio astrolabii. Venedig 1485, in der Nationalbibliothek von Portugal.
Personendaten | |
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NAME | Abraham ibn Esra |
ALTERNATIVNAMEN | Abraham ben Meir ibn Esra (vollständiger Name); Abraham Ben Ezra; Aben Esra; Avenesra; Ebenesra; Raba; Abraham Judaeus |
KURZBESCHREIBUNG | jüdischer Gelehrter und Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | um 1092 |
GEBURTSORT | Tudela, Spanien |
STERBEDATUM | 23. Januar 1167 oder 28. Januar 1167 |