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Zement ist ein Theaterstuck des deutschen Dramatikers Heiner Muller das 1972 nach dem gleichnamigen Roman von Fjodor Gladkow entstand Es wurde am 12 Oktober 1973 am Berliner Ensemble in der Regie von Ruth Berghaus uraufgefuhrt 1 Inhaltsverzeichnis 1 Handlung und Dramaturgie 2 Mythos und Emanzipation 3 Inszenierungen Auswahl 4 Gesprache und Interviews Auswahl 4 1 Print 4 2 Audio 5 Textausgaben Auswahl 6 Zitate 7 Literatur Auswahl 8 Einzelnachweise 9 WeblinksHandlung und Dramaturgie BearbeitenDas Handlungsgeschehen umfasst die Zeit von Ende 1920 bis Ende 1921 die Zeit des Ubergangs vom Kriegskommunismus zur Neuen Okonomischen Politik NOP in Sowjetrussland Gleb Tschumalow Schlosser von Beruf kehrt aus dem Burgerkrieg wo er Regimentskommissar war nach Hause zuruck Doch nichts ist mehr wie es war Das Zementwerk in dem er arbeitete ist zerstort und dient als Ziegenstall Die Arbeiter sind demoralisiert aber Gleb stellt sich die Aufgabe das Werk wieder in Gang zu bringen Seine Frau Dascha leistet als Parteiarbeiterin politische Arbeit fur die Sowjetmacht sie verweigert sich Gleb und der angestammten Rolle einer Hausfrau und Mutter Das gemeinsame Kind Njurka hat Dascha in ein Kinderheim gegeben Tschumalow muss den Ingenieur Kleist der ihn einst durch Weissgardisten erschiessen lassen wollte fur den Wiederaufbau des Zementwerkes gewinnen Kleists Fachkenntnisse sind unverzichtbar Das Ausbleiben der deutschen Revolution verandert die weltgeschichtliche Situation des Landes grundlegend Sowjetrussland bleibt auf sich allein gestellt der Aufbau des Sozialismus in einem einzelnen Land wird zur unabweisbaren Aufgabe Der 10 Parteitag der kommunistischen Partei KPR B zieht die Schlussfolgerungen Die Zwangseintreibung des Getreides wird abgeschafft wie in der Szene Die Bauern dargestellt der Kriegskommunismus durch die Neue Okonomische Politik ersetzt Widerspruche die wir heute als erste Symptome des spateren Stalinismus lesen mussen bestimmen im zweiten Teil des Stuckes das Geschehen Der burokratische Apparatschik Badjin gewinnt an Macht und Einfluss In einer grossen Auseinandersetzung zwischen Gleb und Dascha Medeakommentar erweist sich Weibliche Emanzipation ist sowohl Befreiung von patriarchalischen Fesseln als vorerst auch Verhartung und Verlust an Individualitat Sexualitat und Liebe mussen wo sich alles andert neu erlernt werden Die jungen tief uberzeugten Kommunisten Iwagin und Polja Mechowa werden anlasslich einer Sauberung aus der Partei ausgeschlossen Die Ehe der Tschumalows zerbricht Njurka verhungert im Heim Als am Ende das Zementwerk tatsachlich eingeweiht wird ist nicht der Arbeiter Tschumalow sondern der zum Automaten der Macht gewordene Funktionar Badjin der Festredner und die Szene wird dramaturgisch aus der Opferrolle Poljas und Iwagins perspektiviert Zeigte die neue Gesellschaft bis zur Szene Die Bauern und dem daran anschliessenden Prosatext Herakles 2 oder Die Hydra ihr Gesicht vorerst in Entbehrungen Chaos Hunger und dem schmerzhaften Verlust der angestammten Rollenbilder so wird das Stuck in seinem zweiten Teil zur proletarischen Tragodie im Zeitalter der Konterrevolution 2 Folgerichtig hat der Dichter eine ursprunglich noch folgende harmonisierende Schlussszene Die Befreiung der Toten wieder gestrichen Kompositorisch ist Zement einerseits ein traditionelles episierendes Handlungsdrama mit zeitlichem und logischem Kontinuum mit Figuren und situativen Szenen Andererseits sind in den Text als Prosatexte drei sogenannte Intermedien integriert die zu den Themen der eigentlichen Handlung in einem assoziativen bzw metatextuellen Verhaltnis stehen Sie vor allem tragen die Aneignung griechischer Mythologie Mythos und Emanzipation BearbeitenBereits die fruhe sowjetrussische Ikonographie der Oktoberrevolution bediente sich gern der altgriechischen Mythen um ihre eigenen Erfahrungen stilistisch zu uberhohen und heroisch zu verklaren 3 Heiner Muller knupft daran auf eine sehr freie Weise an die traditionellen Deutungen der mythischen Geschichten durch eigene mehr oder weniger gegenlaufige Lesarten ersetzend Dramaturgisch wird diese metatextuelle Ebene auf dreierlei Art realisiert Erstens durch die Szenentitel Heimkehr des Odysseus Befreiung des Prometheus Sieben gegen Theben und Medeakommentar Zweitens durch eine komplexe assoziativ ermoglichte uber den Szenentitel hinausgehende Vergleichbarkeit von Mythos und Gegenwartshandlung in den Szenen Medeakommentar und Befreiung des Prometheus Drittens durch die drei eingefugten Prosatexte Intermedien Am ehesten noch ist der Titel Sieben gegen Theben als eine heroische Uberhohung des revolutionaren Kampfes gegen die Konterrevolution lesbar Der Heimkehrer Tschumalow hingegen ein neuer Odysseus wird von keiner liebenden Gattin erwartet er muss nicht sein Haus besorgen sondern die Produktion in Gang bringen Dascha verweigert Ehegemeinschaft und familiare Mutterschaft doch ihre Revolte ist anders als bei Medea keine barbarische die Mutterrolle negierende Verzweiflungstat Ich bin keine Mutter mehr Und werd es nicht mehr sein Mir ist wichtig dass unsere Kinder in den Heimen nicht mehr auf Stroh schlafen werden Diese gesellschaftlich emanzipative Mutterrolle beschreibt Gewinn und Verlust sie hat eine humane wie eine das eigene Kind wird dabei geopfert neuerlich barbarische Komponente Die Szene Befreiung des Prometheus enthalt zwei der drei Intermedien die den Gang der Handlung unterbrechen Das erste erzahlt die grausame Ermordung Hektors durch Achill aus Rache fur den Tod seines Freundes Patroklos und konfrontiert diesen Vorgang mit der Gewinnung des burgerlichen Spezialisten Kleist durch Tschumalow Dessen Verzicht auf Rache entspringt keinem abstrakten Edelmut sondern einzig der revolutionaren Notwendigkeit Die eigentliche Befreiungsgeschichte erzahlt das zweite Intermedium als Gegenentwurf zur uberlieferten Lesart Der Arbeiter Herakles wird aufgewertet gegenuber dem Intellektuellen Prometheus der sich nur widerwillig befreien lasst schliesslich aber auf Herakles Rucken die Haltung des Siegers einnimmt der auf schweissnassem Gaul dem Jubel der Bevolkerung entgegenreitet Zement Das Intermedium Herakles 2 oder Die Hydra ist ein langerer nach der Szene Die Bauern also zwischen erstem und zweitem Teil des Stuckes fur sich stehender Text sprachgewaltiges Protokoll eines Albtraumes vom Menschen der auf seinem Weg durch einen Urwald sich selbst zur Hydra wird Klassengesellschaft Zivilisation Revolution werden assoziierbar wahrend Wald Weg und Untier identisch werden und doch schreibt der Mensch seinen Bauplan mit der Handschrift seiner Arbeiten und Tode Zement Wahrend einer Schreibblockade war dieser Text nach einer Auskunft Heiner Mullers schliesslich die Drehscheibe um den nachsten Anlauf zu kriegen 4 Danach konnte das Stuck das als Revolutionsstuck in gewisser Weise zu Ende 5 war weitergehen als Stuck uber die Schwierigkeit des Weitergehens der Revolution Inszenierungen Auswahl Bearbeiten1973 Regie Ruth Berghaus Berliner Ensemble Urauffuhrung 1974 Regie Uta Birnbaum Hans Otto Theater Potsdam 1975 Regie Peter Palitzsch Frankfurter Schauspiel BRD Erstauffuhrung 1975 Regie Peter Konwitschny Nationaltheater Budapest Ungarn Ungarische Erstauffuhrung 6 1976 Regie Ekkehard Kiesewetter Erfurt Schauspielhaus 1979 Regie Sue Ellen Case Universitat Berkeley Austin Texas USA 1992 Regie Frank Patrick Steckel Schauspielhaus Bochum 1996 Regie Andreas Kriegenburg Volksbuhne Berlin 2006 Regie Konstanze Lauterbach Schauspiel Leipzig 7 2009 Regie Wojtek Klemm Wroclawski Teatr Wspolczesny polnische Erstauffuhrung Breslau Polen 8 2013 Regie Dimiter Gotscheff Residenztheater Munchen 9 2015 Regie Sebastian Baumgarten Maxim Gorki Theater Berlin 10 2016 Regie Klaus Gehre Theater Dortmund Dortmund 11 Gesprache und Interviews Auswahl BearbeitenPrint Bearbeiten Ermunterung im Klassenkampf Gesprach mit Elvira Mollenschott uber Zement In Neues Deutschland vom 10 Oktober 1973 S 4 Zu Zement Fragen von Luise Mendelsohn In Heiner Muller Zement Programmheft des Hans Otto Theaters Potsdam 1974 Die Differenz nicht wegmogeln Ein Gesprach mit Andreas W Mytze uber Der Lohndrucker Zement und die Rezeption der Produktionsstucke In Nurnberger Nachrichten vom 4 Juli 1974 Audio Bearbeiten Muller MP3 Heiner Muller Tondokumente 1972 1995 Alexander Verlag Berlin Koln 2011 ISBN 978 3 89581 129 6Textausgaben Auswahl BearbeitenHeiner Muller Werke 4 Die Stucke 2 Hrsg von Frank Hornigk Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001 ISBN 978 3518408964 Fjodor Gladkow Heiner Muller Zement Hrsg von Fritz Mierau Verlag Philipp Reclam jun Leipzig 1975 Heiner Muller Stucke Mit einem Vorwort von Rolf Rohmer Henschelverlag Berlin Ost 1975 Heiner Muller Geschichten aus der Produktion 2 Bilder Traktor Prometheus Liebesgeschichte Zement Rotbuch Verlag der Autoren Berlin 1987Zitate Bearbeiten Unser Kampf hat erst angefangen und wir haben einen langen Weg vor uns Wir werden ihn auf unsern Fussen nicht zu Ende gehen aber die Erde wird noch allerhand Blut saufen eh wir das Ziel wenigstens aus der Ferne sehn Tschibis in Zement Literatur Auswahl BearbeitenRudiger Bernhardt Geschichte und Drama Heiner Mullers Zement In Horst Nalewski Klaus Schuhmann Hrsg Selbsterfahrung als Welterfahrung Aufbau Verlag Berlin und Weimar 1981 S 21 40 Gottfried Fischborn Stuckeschreiben Claus Hammel Heiner Muller Armin Stolper Akademie Verlag Berlin 1981 S 43 95 Gerhard Fischer Zement In Heiner Muller Handbuch Hrsg von Hans Thies Lehmann und Patrick Primavesi Verlag J B Metzler Stuttgart Weimar 2003 ISBN 3 476 01807 5 Hans Jochen Irmer Die Urauffuhrung am Berliner Ensemble In Fjodor Gladkow Heiner Muller Zement Hrsg von Fritz Mierau Verlag Philipp Reclam jun Leipzig 1975 Heinz Klunker Fluchtpunkte des DDR Theaters In Theater heute Jahrbuch 1974 S 20ff Erhard Friedrich Verlag Seelze 1974 Fritz Mierau Zement funfzig Jahre danach In Fjodor Gladkow Heiner Muller Zement Hrsg von Fritz Mierau Verlag Philipp Reclam jun Leipzig 1975 Sigrid Neef Zement In dies Das Theater der Ruth Berghaus Berlin 1989 S 83 87 Henning Rischbieter Rezension zur Urauffuhrung von Zement In Theater heute 15 1974 Erhard Friedrich Verlag Seelze 1974Einzelnachweise Bearbeiten Heiner Muller Handbuch Hrsg von Hans Thies Lehmann und Patrick Primavesi Verlag J B Metzler Stuttgart Weimar 2003 ISBN 3 476 01807 5 Heiner Muller Handbuch S 293 Hrsg von Hans Thies Lehmann und Patrick Primavesi Verlag J B Metzler Stuttgart Weimar 2003 ISBN 3 476 01807 5 Bettina Gruber Mythologisches Personal In Hans Thies Lehmann Patrick Primavesi Heiner Muller Handbuch Verlag J B Metzler Stuttgart Weimar 2003 ISBN 3 476 01807 5 S 75 82 Gottfried Fischborn Stuckeschreiben Claus Hammel Heiner Muller Armin Stolper Akademie Verlag Berlin 1981 S 69 Gottfried Fischborn Stuckeschreiben Claus Hammel Heiner Muller Armin Stolper Akademie Verlag Berlin 1981 S 70 http www adk de de archiv archivbestand darstellende kunst kuenstler Peter Konwitschny 2 htm http www dradio de dlf sendungen kulturheute 474748 http www e teatr pl pl repertuar 36797 szczegoly html http www nachtkritik de index php option com content amp view article amp id 8066 zement dimiter gotscheff wagt sich in muenchen einmal mehr in einen woerter steinbruch seines leibdichters heiner mueller amp catid 38 die nachtkritik amp Itemid 40 http www deutschlandfunk de zement am maxim gorki theater retro revolution fuer oder 691 de html dram article id 308991 http blog schauspieldortmund de programmhefte rambozement heiner mueller war die droge ueber die ich ins theater gekommen bin Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Zement Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen http www heinermueller de de index php http muller kluge library cornell edu de videos php Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Zement Theaterstuck amp oldid 237396063