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Wilhelm Grafer 8 Oktober 1885 in Bad Gandersheim 5 April 1945 in Bodenwerder war von 1924 bis 1945 Burgermeister der Hansestadt Lemgo bevor er kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs von einem Standgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde Seine Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus ist umstritten Grab des ehemaligen Burgermeisters Wilhelm Grafer in LemgoInhaltsverzeichnis 1 Der Burgermeister 2 Kriegsende in Lemgo 3 Das Standgericht 4 Vergangenheitsbewaltigung 5 Kontroverse um Wilhelm Grafer 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseDer Burgermeister BearbeitenWilhelm Grafer aus Bad Gandersheim wurde am 19 Dezember 1923 als Nachfolger des Burgermeisters Karl Otto Floret zum Stadtoberhaupt gewahlt Von seiner politischen Einstellung her galt er als national konservativ In seine Amtszeit fiel im Jahr 1933 die Machtubernahme der Nationalsozialisten Zum 1 Mai 1933 trat er in die NSDAP ein Mitgliedsnummer 2 164 301 1 Grafer stellte sich rechtzeitig auf die neuen Machthaber ein hatte sich jedoch gegen einige Parteigenossen zu wehren die seinen Posten ubernehmen wollten 1936 wurde er aus der Partei ausgeschlossen weil er fruher Mitglied einer Freimaurerloge gewesen war bemuhte sich aber erfolgreich um eine Wiederaufnahme Der Lippische Staatsminister Adolf Wedderwille 1895 1947 beschrieb Grafer als wendigen und anpassungsfahigen Menschen Grafers Verhaltnis zur Partei war jedoch nicht ohne Spannungen das anderte sich auch nicht als er 1942 zum Burgermeister auf Lebenszeit ernannt wurde Die antijudische Politik wurde in Lemgo ebenso konsequent befolgt wie auch anderswo in Deutschland 2 Kriegsende in Lemgo BearbeitenDie Stadt Lemgo hatte den Krieg bis zum Fruhjahr 1945 nahezu unbeschadet uberstanden Am 1 April dem Ersten Osterfeiertag liess der Kampfkommandant der Hansestadt Hauptmann und NS Fuhrungsoffizier Walter Heckmann versprengte Truppenteile und einzelne Soldaten einsammeln um mit ihnen Lemgo zu verteidigen Sein Vorgesetzter war Generalmajor Paul Goerbig der von Ludenhausen aus den Befehl an Heckmann gab dass Lemgo bis zum letzten Mann zu verteidigen sei Heckmann wurde auf die Hilfe des Volkssturms verwiesen der auf Befehl der Parteileitung aufgestellt worden war Am 3 April naherte sich von Suden die 2 US Panzerdivision den von Heckmann errichteten Panzersperren an den Ausfallstrassen und eroffnete das Artilleriefeuer auf die Stadt Am fruhen Morgen des 4 April fuhr Burgermeister Grafer gemeinsam mit dem Fabrikanten Herbert Lupke 1912 2007 der gute Englischkenntnisse besass mit einer weissen Fahne nach Horstmar einem Dorf an Lemgos Stadtgrenze um mit dem amerikanischen Lieutenant Colonel Hugh R O Farrell 66 Panzerregiment 2 US Panzerdivision uber eine kampflose Ubergabe zu verhandeln Die US Amerikaner die durch ihre Luftaufklarung genaue Kenntnis uber die Lemgoer Verteidigungsstellungen hatten verlangten einen verantwortlichen deutschen Offizier zu sprechen und gewahrten dafur eine 30 minutige Feuerpause Grafer und Lupke fuhren direkt zum Gefechtsstand des Kampfkommandanten in der Bleidorn Kaserne um Heckmann zu unterrichten Heckmann liess die beiden Unterhandler unverzuglich verhaften und ordnete an beide nach Barntrup zu bringen Was genau geschah konnte spater nicht vollstandig geklart werden da die Aussagen der Beteiligten widerspruchlich waren Angeblich habe Heckmann Grafer angeschrien Das kostet Sie Ihren Kopf und Lupke mit dem Sonderstandgericht gedroht Heckmann behauptete bei seiner Vernehmung er habe gesagt Das ist Landesverrat ich muss Sie verhaften Herbert Lupke selbst konnte sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern Wahrend des bewachten Transportes nach Barntrup wurde am Rieper Berg auf einen Holzgas LKW gewechselt Auf der ansteigenden Strecke Richtung Dorentrup musste der LKW halten Ein zu dem Transport gehorender Soldat gab den beiden Festgenommenen ein Zeichen zur Fluchtmoglichkeit Beide sprangen vom Wagen ab rannten in einen Wald und versuchten getrennt ihren Verfolgern zu entkommen Grafer wurde jedoch nach kurzer Zeit wieder festgenommen dem Fabrikanten Lupke gelang die Flucht Der LKW fuhr weiter bis zum Kerssenbrockschen Schloss in Barntrup Ein ortlicher Pfarrer konnte noch mit dem Burgermeister sprechen ehe er personlich noch am gleichen Tag mit Hauptmann Heckmann in dessen Wagen nach Lugde gefahren wurde wo eilig ein Standgericht eingerichtet wurde Zeitgleich verlief auch die Verlegung des Hauptquartiers der Kampfgruppe Goerbig nach Lugde 3 Das Standgericht BearbeitenAm Abend des 4 Aprils 1945 gegen 18 Uhr trat in Lugde ein eilig zusammengerufenes Standgericht zusammen das sich aus mehreren deutschen Offizieren und Generalmajor Goerbig als Vorsitzenden und zugleich Anklager zusammensetzte Einige Ortsgruppenleiter waren als Zuhorer und Hauptmann Heckmann als Zeuge zugegen Die Anklage gegen Grafer lautete auf Landesverrat und Grafer verteidigte sich indem er angab sich auf einen Erlass des Innenministers berufen zu haben wonach er das Recht habe mit Besatzungsmachten zu verhandeln Der als Gerichtsherr fungierende Generalmajor Goerbig erwiderte dass er dies erst nach dem Einrucken der Amerikaner hatte tun durfen Sein vorzeitiges Handeln sei Landesverrat und er habe als Zivilist in eine militarische Operation eingegriffen und die Schwache der deutschen Verteidigung verraten Nach der eher kurzen Verhandlung wurde das Urteil gefallt Der Angeklagte wird erschossen und erhangt Zur gleichen Zeit hatte die 2 US Panzerdivision die Stadt Lemgo ohne grossere Kampfhandlungen eingenommen und war am Abend uber Barntrup bis Gross Berkel vorgedrungen Bis zur Vollstreckung des Urteils verblieb Grafer in Gewahrsam des Generalmajors Karl Becher der fur die Verteidigung des Raumes Lemgo zustandig war Am Abend des 4 April verlegte Becher seinen Gefechtsstand nach Hehlen an der Weser Am nachsten Morgen in aller Fruhe wurde Grafer von Hehlen nach Bodenwerder gefahren wo er auf dem Marktplatz erschossen wurde Der Stabsgefreite Hubert Lentzen der als Fahrer des Majors Kreuter eingesetzt war gab die Ereignisse am 15 Juni 1945 einer Polizeidienststelle in Lemgo zu Protokoll wonach er beobachtet habe wie eine Gruppe von mehreren Soldaten nahe beisammenstanden darunter drei SS Soldaten und einige Zivilisten Plotzlich sah er einige Gewehrkolben durch die Luft fahren und anscheinend wurde mit dem Kolben geschlagen Gleich darauf horte er einen Schuss und danach buckten sich die Soldaten und hoben einen Korper auf Bis dahin sass er im Fahrzeug zusammen mit dem Major Kreuter worauf der Major den Befehl gab die Fahrt fortzusetzen Als er nach funf Minuten an den Tatort zuruckkehrte sah er den Kopf Grafers zur Unkenntlichkeit verstummelt und der leblose Korper hing an einem Baum und verblieb dort noch zwei Tage bis er kurz vor Eintreffen der US Amerikaner abgenommen wurde Hollandische Zwangsarbeiter die auf ihrem Heimmarsch durch Bodenwerder gekommen waren brachten die erste Nachricht vom Tod des Burgermeisters nach Lemgo Zehn Tage spater holten Lemgoer Burger Grafers sterbliche Uberreste aus Bodenwerder ab Viele Lemgoer gaben Burgermeister Grafer das letzte Geleit und die Nikolaikirche war beim Trauergottesdienst bis zum letzten Platz gefullt Der Beisetzung selbst wohnten jedoch nur die Familie Grafer und einige Honoratioren der Stadt bei Vergangenheitsbewaltigung BearbeitenAls Walter Heckmann im Juni 1945 aus der Kriegsgefangenschaft nach Lemgo zuruckkehrte musste er laut Polizeibericht zu seinem Schutz vorlaufig in Schutzhaft genommen werden da die Wut der Bevolkerung gegen Heckmann sehr gross ist Freunde des fruheren Burgermeisters versuchten in den folgenden Jahren die Verantwortlichen fur die Hinrichtung ausfindig zu machen und vor Gericht zur Rechenschaft zu ziehen Ein Ermittlungsverfahren gegen Heckmann wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit wurde eingestellt die Beschwerde dazu wurde 1948 vom Generalstaatsanwalt Wilhelm Kessebohmer beim Oberlandesgericht Hamm mit der Begrundung eingestellt er habe nur seiner militarischen Pflicht entsprechend gehandelt Gegen den Vorsitzenden des Standgerichts General Goerbig wurde ebenfalls 1948 ein Ermittlungsverfahren eroffnet das im April 1949 zu seiner Verhaftung in Hamburg fuhrte Bei der Gerichtsverhandlung in Paderborn verteidigte sich Goerbig damit ihm sei vom Divisionsstab des Generalmajors Becher befohlen worden den Burgermeister von Lemgo wegen Verrats im Kampf um Lemgo zu erschiessen Diesen Befehl habe Becher wiederum von General Franz Mattenklott 1884 1954 erhalten General Mattenklott wurde ebenfalls in Paderborn vernommen bestatigte die Aussagen Goerbigs und ubernahm die volle Verantwortung Der Staatsanwalt war damit zufrieden und Divisionskommandeur Becher der 1957 starb wurde nicht einmal verhort Eine erneute Anzeige gegen Goerbig im Jahr 1959 veranlasste die Staatsanwaltschaft Paderborn weitere Ermittlungen aufzunehmen weil auch die ubrigen Mitglieder des Standgerichts belastet wurden Ausserdem wurde Grafer beschuldigt den Tod deutscher Soldaten auf dem Gewissen zu haben weil er eine amerikanische Einheit hinter die deutschen Linien gefuhrt und dabei eine deutsche Abteilung durch einen Feueruberfall der Amerikaner vernichtet worden sei Alle Behauptungen konnten jedoch nicht bewiesen werden und das Ermittlungsverfahren wurde daraufhin eingestellt 1968 erwirkten die Freunde Grafers erneut die Wiederaufnahme des Verfahrens beim Landgericht in Detmold denn sie hatten den amerikanischen Offizier in den USA gefunden mit dem Grafer verhandelt hatte Colonel Hugh R O Farrel sagte aus die Anschuldigungen gegen Grafer seien absurd Es habe niemals bei Lemgo eine Aktion hinter den deutschen Linien gegeben Das Gericht verzichtete auf die Vernehmung neuer Zeugen und der Leitende Oberstaatsanwalt beantragte Grafer unter Aufhebung des standgerichtlichen Urteils freizusprechen Das Standgerichtsverfahren sei mit erheblichen prozessualen Mangeln behaftet und Grafer sei zu Unrecht beschuldigt worden verantwortlich fur den Tod deutscher Soldaten zu sein Damit stand fest dass Grafer aufgrund falscher Behauptungen verurteilt und hingerichtet wurde Seine Bemuhungen Lemgo bei der absoluten militarischen Uberlegenheit der Amerikaner vor der Zerstorung zu bewahren ist offensichtlich auch nach den damals geltenden Bestimmungen nicht strafbar gewesen Durch Beschluss der 1 Grossen Strafkammer des Landgerichts Detmold vom 5 April 1970 wurde das Todesurteil gegen Wilhelm Grafer aufgehoben 4 Nach ihm wurden die Burgermeister Grafer Realschule und eine Strasse in Lemgo benannt An der Kirche von Bodenwerder befindet sich eine Gedenktafel der Stadt Lemgo mit dem folgenden Wortlaut Burgermeister Wilhelm Grafer Lemgo 8 Oktober 1885 5 April 1945 wurde an dieser Stelle unschuldig hingerichtet Er opferte sein Leben fur unsere Stadt Alte Hansestadt Lemgo Kontroverse um Wilhelm Grafer BearbeitenWilhelm Grafer wurde lange Zeit als der Mann gesehen der sein Leben fur die Stadt gegeben hatte So dominierte in der Nachkriegszeit das Bild vom selbstlosen Menschen der die Zerstorung Lemgos verhindern wollte und dafur hingerichtet wurde Landesprasident Heinrich Drake verfasste am 29 August 1945 den folgenden Nachruf Die Nachwelt wird ihn als einen pflicht und verantwortungsbewussten deutschen Menschen und unbeirrt fur das Wohl der ihm anvertrauten Stadt eintretenden Burgermeister ehren und in Erinnerung behalten In den spaten 1970er und fruhen 1980er Jahren wurde die Ortsgeschichte in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur von jungen Leuten kritisch hinterfragt die Wilhelm Grafer vorwarfen allzu willfahrig die nationalsozialistische Politik durchgesetzt zu haben Es entbrannte eine erbitterte Kontroverse in der Offentlichkeit zwischen zwei Fraktionen Die einen wollten das ehrenvolle Andenken an den Burgermeister bewahren die anderen unterstellten ihm eine zu grosse Nahe zum Nationalsozialismus Eine studentische Arbeitsgruppe der Universitat Bielefeld untersuchte daraufhin wissenschaftlich die Position des Burgermeisters im NS Staat am Beispiel Wilhelm Grafers 5 Die angehenden Historiker beurteilten Grafers Arbeit als Burgermeister kritisch Die nationalsozialistische Judenpolitik wurde auch in Lemgo konsequent befolgt Insgesamt sei festzuhalten dass Wilhelm Grafer von 1933 bis 1945 in seiner Amtsfuhrung nationalsozialistische Politik durchgesetzt hat Grafers Aktion am Ende des Krieges und kurz vor dem Untergang des Regimes sei kein Indiz fur Widerstand sondern eine Massnahme in einer Ausnahmesituation gewesen 2 Am 14 Dezember 2009 entschied der Rat der Stadt Lemgo in namentlicher Abstimmung mit 27 Ja Stimmen 15 Nein Stimmen und 4 Stimmenthaltungen dass die stadtische Realschule kunftig nicht mehr nach Grafer benannt wird 6 Literatur BearbeitenKarl Meier Lemgo Die Geschichte der Stadt Lemgo Druck und Verlag F L Wagener Lemgo 1952 Josef Wiese Lemgo in schwerer Zeit Druck und Verlag F L Wagener Lemgo 1950 Arnd Bauerkamper Werner Freitag Rainer Tegt Zur Stellung des Burgermeisters im Nationalsozialistischen Staat Wilhelm Grafer in Lemgo Eine Fallstudie In Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde Band 51 1982 S 211 239 Hanne und Klaus Pohlmann Kontinuitat und Bruch Nationalsozialismus und die Kleinstadt Lemgo Verlag fur Regionalgeschichte Bielefeld 1990 ISBN 3 927085 17 0 Maria Junker Malte Leimbach und Jan Schmelter vom Detmolder Gymnasium Leopoldinum verfassten als Schuler eine Arbeit mit dem Titel Der Skandal um Wilhelm Grafer im Wandel von Zeit und Gesellschaft online verfugbar die 2011 mit dem 2 Preis des Geschichtswettbewerbs des Bundesprasidenten ausgezeichnet wurde 7 8 Weblinks BearbeitenLiteratur von und uber Wilhelm Grafer im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Ein Tag im April Wilhelm Grafer und das Kriegsende in Lemgo 1945 Zeitzeuge Herbert Lupke erinnert sich In Lippische Landes Zeitung 3 April 2004 An einem Baum In Der Spiegel Nr 9 1970 S 55 online Frenkel Haus in Lemgo NS Gedenkstatten de Abgerufen am 3 April 2014 Online Findbuch zum Nachlass Wilhelm Grafer im Stadtarchiv LemgoEinzelnachweise Bearbeiten Bundesarchiv R 9361 IX KARTEI 11640133 a b Kontroverse um Burgermeister Grafer Ein Tag im April An einem Baum In Der Spiegel Nr 9 1970 S 55 online Veroffentlicht in Lippische Mitteilungen 1982 Nr 51 Seiten 211 239 Realschule kunftig ohne Burgermeister Grafer Bericht in der Lippischen Landes Zeitung LZ Nr 293 vom 16 Dezember 2009 S 17 Eintrag in der Datenbank der Korber Stiftung Memento des Originals vom 4 Marz 2016 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www koerber stiftung de Stadtarchiv LemgoNormdaten Person GND 127791167 lobid OGND AKS VIAF 5965074 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Grafer WilhelmKURZBESCHREIBUNG Burgermeister von Lemgo 1924 1945 GEBURTSDATUM 8 Oktober 1885GEBURTSORT Bad GandersheimSTERBEDATUM 5 April 1945STERBEORT Bodenwerder Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Wilhelm Grafer amp oldid 233357857