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Wil Sultanowitsch Mirsajanow russisch Vil Sultanovich Mirzayanov in englischer Transkription Vil Sultanovich Mirzayanov 9 Marz 1935 in Starokangyschewo Baschkirische ASSR Russische SFSR Sowjetunion ist ein russischer Chemiker Er ist bekannt fur die Enthullung der Entwicklung der Nowitschok Kampfstoffe in der Sowjetunion und Russland Inhaltsverzeichnis 1 Karriere im Nervenkampfstoffprogramm der Sowjetunion 2 Enthullung des Nowitschok Programms Anfang der 1990er Jahre 3 Emigration in die USA 4 Literatur 5 EinzelnachweiseKarriere im Nervenkampfstoffprogramm der Sowjetunion BearbeitenMirsajanow wurde in einer Kleinstadt auf der europaischen Seite des Urals geboren und ist ethnischer Tartar Sein Vater war Schullehrer und uberzeugter Kommunist Er brach mit der Familientradition dass der alteste Sohn muslimischer Prediger werden sollte 1 Mirsajanow studierte bis 1958 an der Akademie fur Feinchemie in Moskau mit dem Abschluss als Chemieingenieur fur die Erdolindustrie 2 Danach arbeitete er an einem Forschungsinstitut fur synthetische Treibstoffe und dann uber Borane als Raketentreibstoffe Ausserdem arbeitete er an seiner Dissertation am Institut fur Petrochemie der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften und wurde 1965 mit einer Dissertation uber ein Thema der Gaschromatographie in der analytischen Chemie promoviert Nach der Promotion wurde er an das Staatliche Forschungsinstitut fur Organische Chemie und Technologie GosNIIOKhT in Moskau empfohlen und nach einer Sicherheitsuberprufung 1966 eingestellt Er war dort zunachst mit Umweltanalysen betraut und analytischen Aspekten der Kampfstoffentwicklung war aber nicht direkt an der synthetischen Kampfstoffentwicklung im Nowitschok Programm beteiligt Er wurde Mitglied der Kommunistischen Partei und leitete zuletzt ab Ende der 1980er Jahre die Abteilung technische Spionageabwehr Dazu zahlte die Analyse der Kampfstoffruckstande und Kampfstoffe in der Umwelt deren Nachweismoglichkeit im Sinn des Nowitschok Programms so gering wie moglich sein sollte Auch die Ruckstande und Produktionsmittel sollten auch fur Inspektoren der internationalen Chemiewaffenkontrolle oder Geheimagenten moglichst unauffallig sein Mirsajanow war zunehmend beunruhigt daruber dass zwar offiziell von Staats und Parteichef Michail Gorbatschow das Nowitschok Programm eingestellt wurde die Entwicklung aber insgeheim weiterging Auch uber die Umweltgefahren war er beunruhigt 1990 sollte er die Chemiewaffenfabriken in Wolgograd und Nowotscheboksarsk im Rahmen eines anstehenden Kontrollbesuchs von Chemiewaffenexperten aus den USA im Rahmen des gerade verhandelten Chemiewaffenkontrollabkommens vorbereiten Dafur hatte die Sowjetunion ihr Nowitschok Programm nicht offengelegt und sich ansonsten zur Vernichtung der Bestande an Nervenkampfstoffen bereiterklart Schon 1987 hatte Gorbatschow offiziell den Stopp der Chemiewaffenproduktion bekanntgegeben Bei der stillgelegten Soman Produktionsanlage in Wolgograd fand Mirsajanow im Schornstein funfzig bis hundertmal hohere Konzentrationen des Kampfstoffs als erlaubt 3 und er fand das Abwasser hochgradig verseucht vor Der Fabrikleiter beteuerte zwar dass Soman Tests mit Acetylcholinesterase nicht anschlugen das war wie Mirsajanow fand aber auf eine Wechselwirkung mit Salzen im Wasser zuruckzufuhren Als er daraufhin bei seinem Chef Victor Petrunin Alarm schlug bedeutete man ihm Stillschweigen zu bewahren da dies Probleme fur das Institut mit sich bringen wurde Petrunin gab gegenuber Mirsajanow offen seine Vermutung kund dass in der zweiten grossen Chemiewaffenfabrik in Nowotscheboksarsk ahnliche Verunreinigungen und Umweltgefahren zu finden waren was sich spater bestatigte Als Mirsajanow dennoch einen Bericht hoheren Stellen zukommen liess wurde er gerugt und seine Glaubwurdigkeit in Zweifel gezogen Als er 1990 aus der Kommunistischen Partei austrat wurde er im Institut kaltgestellt Enthullung des Nowitschok Programms Anfang der 1990er Jahre BearbeitenEin Wendepunkt war die Verleihung des hohen Leninordens an drei Leiter des Nowitschok Programms 1991 fur Mirsajanow ein Zeichen dass die Sowjetunion das Nowitschok Programm nicht nur geheim halten sondern auch weiterverfolgen wollte Im Oktober 1991 veroffentlichte er Informationen zur Existenz von Nowitschok in der Moskauer Zeitung Kuranty was aber angesichts der turbulenten politischen Tagesereignisse in Moskau beim Zusammenbruch der Sowjetunion kaum offentliche Aufmerksamkeit fand Dennoch wurde Mirsajanow im Januar 1992 entlassen Wenig spater folgte auch die Entlassung vieler seiner Kollegen aufgrund allgemeiner Einsparungsmassnahmen Mirsajanow schlug sich durch indem er versuchte Gegenstande aus seinem Besitz auf dem Flohmarkt in Moskau zu verkaufen Mitte 1992 traf er Lew Fjodorow einen Professor fur organische Chemie am Wernadski Institut fur Geochemie und analytische Chemie der stark an der Geschichte der Chemiewaffen interessiert war Beide schrieben einen Artikel Vergiftete Politik der am 16 September 1992 in der Zeitschrift Moskowskije Nowosti erschien und diesmal fand Mirsajanow auch internationale Aufmerksamkeit Sie wiesen darauf hin dass im Fall eines Unfalls im GosNIIOKhT Institut grosse Gefahren fur die Moskauer Bevolkerung entstunden was sie mit dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 verglichen Mirsajanow gab auch dem Moskauer Korrespondenten der Baltimore Sun Will Englund ein Interview das dort im Oktober 1991 erschien Technische Einzelheiten gaben sie nicht bekannt Ein Jahr spater bekam Mirsajanow Besuch von Mitarbeitern des Inlandgeheimdienstes die seine Wohnung durchsuchten ohne sensibles Material zu finden und ihn in das Lefortowo Gefangnis brachten Auch Fjodorow wurde befragt aber freigelassen da er uber keinen Zugang zu Geheiminformationen verfugt hatte Elf Tage spater wurde Mirsajanow von einem Richter in Hausarrest entlassen unter der Auflage sich taglich beim Geheimdienst zu melden Grundlage der Anklage waren geheime Listen von Staatsgeheimnissen was nach geltendem russischen Recht fur eine Strafverfolgung eigentlich nicht mehr zulassig war Die Leitung seines ehemaligen Instituts drangte hingegen nachdrucklich auf Strafverfolgung Mirsajanow bekam Unterstutzung von Wladimir Ugljow einem der Nowitschok Entwickler Ugljow gab im Februar 1993 der russischen Zeitung Nowoje Wremja ein Interview und drohte mit der Offenlegung von technischen Einzelheiten wobei er als Stadtverordneter Immunitat genoss Aus der Sicht von Ugljow gab es keinen Grund das Nowitschok Programm weiter geheimzuhalten weil es militarisch obsolet war und nur der Karriere und dem Erhalt von Forschungsgeldern von hohen Vertretern des ehemaligen Chemiewaffen Komplexes diente Daraufhin begann man auch gegen Ugljow vorzugehen Mittlerweile engagierten sich viele Menschenrechtsaktivisten und Wissenschaftler im Westen fur Mirsajanow und zwei von ihnen Gale Colby und Irene Goldman in Princeton erreichten dass zwei wichtige Mitglieder des US Senatsausschusses fur auswartige Angelegenheiten Jesse Helms Bill Bradley in dieser Sache Briefe an den russischen Prasidenten Boris Jelzin schrieben Auch der US Botschafter in Moskau Tom Pickering gab eine Pressekonferenz in der er das Vorgehen gegen Mirsajanow als dem Geist des Chemiewaffenkontrollabkommens entgegenstehend bezeichnete Trotzdem begann im Januar 1994 ein geheimer Prozess wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen bei dem Mirsajanow bis zu acht Jahre Gefangnis drohten Erst nach sechs Wochen liess die Jelzin Regierung den Prozess aus Mangel an Beweisen einstellen Mittlerweile endete Mirsajanows Ehe in Scheidung was ihn mit zwei kleinen Sohnen zuruckliess Um wahrend seines Prozesses seine eigene Verteidigung vorbereiten zu konnen erhielt Mirsajanow von den russischen Behorden Zugang zu geheimen Unterlagen uber die Chemiewaffenentwicklung Nach eigenen Aussagen erfuhr er erst dadurch von der Existenz von Binarwaffen Versionen von Nowitschok 4 was er dann auch im Westen bekannt machte 5 Bei Binarwaffen ist der Umgang mit dem Gift viel gefahrloser und sie sind im Gegensatz zu den unitaren Versionen auch langer haltbar bzw konnen bei Bedarf aus kommerziell zuganglichen Chemikalien hergestellt werden und erst unmittelbar vor einem Einsatz in die hochtoxische Form uberfuhrt werden Emigration in die USA BearbeitenIm Februar 1995 reiste Mirsajanow nach Princeton USA wo er einen Preis Scientific Freedom and Responsibility Award der American Association for the Advancement of Science erhielt Wenig spater emigrierte er und liess sich in Princeton nieder wo er die Menschenrechtsaktivistin Gale Colby heiratete die sich zuvor fur ihn eingesetzt hatte Ihm wurde eine Stelle im US amerikanischen Chemiewaffenforschungslabor in Eaglewood angeboten die er aber ablehnte Mirsajanow interessierte sich in den USA weiter fur das russische Chemiewaffenprogramm und hegte den Verdacht dass es weiter vorangetrieben werde 2006 diente er als eine der Quellen fur das Buch von Jonathan Tucker uber die Geschichte der Nervenkampfstoffe 2008 veroffentlichte er im Selbstverlag seine Autobiographie in englischer Sprache eine Vorlauferversion war schon 2002 in russischer Sprache in Tatarstan erschienen in der er auch technische Einzelheiten einschliesslich der Strukturformeln der Nowitschok Kampfstoffe veroffentlichte was ihm diesmal auch Arger mit den amerikanischen Geheimdiensten verschaffte die gegen die Veroffentlichung technischer Einzelheiten waren 6 Das Buch fand allerdings von Chemiewaffenexperten abgesehen lange keine offentliche Aufmerksamkeit Erst anlasslich des Skripal Attentats im Marz 2018 stand er als derjenige im Zentrum offentlicher Aufmerksamkeit der zuerst das Nowitschok Programm aufgedeckt und die korrekten Strukturformeln veroffentlicht hatte und gab einige Interviews 1994 erhielt Wil Mirsajanow den Heinz R Pagels Human Rights of Scientists Award der New York Academy of Sciences Literatur BearbeitenV S Mirzayanov State secrets An insider s chronicle of the Russian chemical weapons program Outskirts Press Denver 2008 ISBN 978 1 4327 2566 2 Autobiographie Jonathan B Tucker War of Nerves Pantheon Books 2006 S 299ff S 315ff und weitere StellenEinzelnachweise Bearbeiten Kurze Biographie von Mirasajanow auf der Webseite zu seinem Buch Outskirts Press Karrieredaten nach dem Buch von Jonathan Tucker War of Nerves 2006 Tucker War of Nerves S 301 Interview von Mirsajanow Komersat FM 21 Marz 2018 Russisch Vil Mirzayanov Dismantling the Soviet Russian Chemical Weapons Complex An Insider s View In Chemical Weapons Disarmament in Russia Problems and Prospects Henry L Stimson Center 1995 Karel Knip Unknown newcomer Novichok was long known RHC Handelsblad Online Ausgabe 21 Marz 2018 Normdaten Person GND 139673016 lobid OGND AKS VIAF 102533445 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Mirsajanow Wil SultanowitschALTERNATIVNAMEN Mirzayanov Vil Sultanovich russisch KURZBESCHREIBUNG russischer ChemikerGEBURTSDATUM 9 Marz 1935GEBURTSORT Starokangyschewo Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Wil Sultanowitsch Mirsajanow amp oldid 229710928