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Die venezianische Staatsinquisition war eine Gerichtsbarkeit der Republik Venedig die fur Staatsverbrechen wie Hochverrat Spionage Geheimnisverrat Sabotage Geldfalscherei oder Konspiration jeglicher Art zustandig war Sie war demzufolge von der kirchlichen Inquisition der Glaubensgerichtsbarkeit getrennt Die Bezeichnung Inquisitore wurde zu unterschiedlichen Zeiten fur Richter in ganz unterschiedlichen Bereichen gebraucht Generell deutet es auf den auf Beweisen gegrundeten von staatswegen gefuhrten Kriminalprozess hin im Unterschied zum Zivilprozess der die Klage eines Geschadigten voraussetzte und sich bis in die Neuzeit uberwiegend auf Aussagen der Beteiligten stutzte Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 Inquisitoren 2 Rezeption in der Literatur und der Geschichtsschreibung 3 Siehe auch 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenIm 9 Jahrhundert wurden dem Dogen als obersten Gerichtsherren zwei iudices an die Seite gestellt 1 Das wohl nach frankischem Vorbild Ende des 9 Jahrhunderts eingefuhrte den Dogen beratende und wohl auch wahlende placito oder placitum konnte sich als Gerichtshof curia konstituieren Eine relativ unabhangige Rechtspflege wurde zwischen 1207 und 1222 mit der Quarantia eingefuhrt Dieses aus 40 Mannern bestehende Gremium war ursprunglich ein Ausschuss des Grossen Rates der erstmals in einer Urkunde am 22 Dezember 1223 erwahnt wird Daneben gab es seit dem 12 Jahrhundert im Dogado Gerichtshofe deren Richter jahrlich vom Grossen Rat aus den eigenen Reihen neu gewahlt wurden Die Quarantia wurde im 14 Jahrhundert in eine Quarantia Civil Zivilgericht dessen Verhandlungen offentlich waren und eine Quarantia Criminal fur die nicht politischen Kriminalfalle geteilt Die Gerichtsbarkeit in Venedig war generell und das traf auch auf die dort gefuhrten kirchlichen und staatlichen Inquisitionsprozesse zu im Vergleich mit dem sonst in Europa ublichen milde und erstaunlich modern Es gab im Grundsatz eine Gleichheit aller vor dem Gesetz den Vorrang des Urkundenbeweises vor der Zeugenaussage ein Recht der Beschuldigten auf Verteidigung einschliesslich der Bereitstellung von Gefangnisanwalten fur Mittellose auf Staatskosten es gab Revisonsinstanzen und seit 1584 fur Verfahren der Staatsinquisition eine Art Kronzeugenregelung Falsche Beschuldigungen wurden streng bestraft So verurteilte der Rat der Zehn am 27 Marz 1610 einen Denunzianten zu lebenslangem Gefangnis weil er falschlich einen Juden des unublichen Umgangs mit seiner Frau und Tochter bezichtigt hatte Inquisitoren Bearbeiten Fur die politischen Falle wurde nach Niederschlagung der Revolte des Baiamonte Tiepolo am 10 Juli 1310 erstmals ein Gremium von zehn Mannern eingesetzt aus dem spater der sogenannte Rat der Zehn wurde und der erheblich mehr Mitglieder hatte Der Rat der Zehn setzte am 3 Januar 1313 spezielle Untersuchungsbeamte Inquisitori del Consiglio de Dieci ein um gegen Staatsfeinde vorzugehen Ihre Gewalt war zunachst sehr begrenzt 1335 wurden sie zu einer standigen Einrichtung Bis 1539 wurde aus den zunachst nur fallweise eingesetzten Inquisitori die Magistratur der drei Staatsinquisitoren die aus zwei Mitgliedern des Rates der Zehn und einem Dogenberater bestand Auf Beschluss des Rates der Zehn vom 20 September 1539 wurden die Inquisitoren erstmals am 25 Oktober 1539 fur die Dauer von einem Jahr gewahlt Sie waren ohne Amtspause wiederwahlbar Da die Arbeit der Staatsinquisition wie man meinte niemals ruhen durfe wurde seit dem 23 Marz 1601 zusatzlich zu den drei Inquisitoren ein Ersatzmann Inquisitore di rispetto gewahlt Die Bereiche uber die sie Aufsicht fuhren sollten wurden immer weiter ausgedehnt wobei sie immer ausfuhrendes Organ des Rates der Zehn blieben und an seine Weisungen gebunden waren Ursprunglich bereiteten die Inquisitoren als Untersuchungsorgan nur Entscheidungen des Rates der Zehn vor Erst 1432 wurde ihnen das Recht gegeben selbst Strafen und zwar Verbannung oder Gefangnis gegen ihre eigenen Standesgenossen zu verhangen Seit 1587 konnten sie an Stelle der Verbannung Korperstrafen verhangen ab 1605 die Todesstrafe Am 15 Marz 1591 erhielten die Staatsinquisitoren im Dachgeschoss des Dogenpalastes fur die Staatsgefangenen die sogenannten Bleikammern Carceri sotto i piombi zugewiesen 1539 wurde dieser Magistrat in Inquisitori contra i propalatori de secreti am 2 September 1592 in Inquisitori di stato schliesslich 1669 in Tribunale supremo umbenannt Seine Zustandigkeit wurde auf die Entdeckung und Bestrafung aller Verrater also nicht nur jener unter den venezianischen Nobili und auf andere Bereiche wie Moral und Luxus Aufsicht uber die Kloster ausgedehnt Ihre eigenen Standesgenossen zu uberwachen blieb aber immer Hauptaufgabe der venezianischen Staatsinquisition denn schliesslich hatten alle venezianischen Nobili anders als das gemeine Volk weitgehende Einblicke in die Staatsgeschafte und in den ihnen stets befristet ubertragenen Amtern grosstenteils Handlungsfreiheit Der Staat wusste dass er durch die Wachsamkeit und Entschlossenheit der Staatsinquisitoren nicht selten Gefahren entgangen sei woraus ihn ganze Kriegsheere nicht hatten befreien konnen und jeder einzelne Burger betrachtete sie als eine Schutzwehr gegen die Unterdruckungen des herrschenden Adels und wunschte ihre Erhaltung 2 nbsp Bocca di leone Briefkasten am DogenpalastDie Inquisitoren verliessen sich seit 1583 auf ihre zahlreichen bezahlten Spitzel spirri confidenti seit 1584 auf die Folter und auf die sogenannten Lowenmauler das waren Briefschlitze fur anonyme Anzeigen die bereits 1387 eingerichtet worden waren Man erkannte bald dass Letzteres problematisch war und fuhrte dazu ein Quorum ein Um uberhaupt ein Verfahren einzuleiten war eine 4 5 Mehrheit des Rates der Zehn als die den Staatsinquisitoren vorgesetzte Behorde erforderlich und uber Urteile musste funf Mal abgestimmt werden Alle Denunziationen fur die es nicht mindestens zwei Zeugen gab wurden verbrannt Briefkasten zur Annahme anonymer Anzeigen gab es nicht nur beim Rat der Zehn sondern auch bei anderen Behorden um Verstosse gegen deren Richtlinien aber auch Unzulanglichkeiten bei der Arbeit der Behorden selbst anzuzeigen auch Vorschlage zur Verbesserung der Arbeit konnten eingeworfen werden Da die unterschiedlichsten Briefkasten mithin unterschiedliche Zustandigkeitsbereiche hatten waren dazu Erlauterungen notig Darauf wiesen Inschriften und Symbole hin Fast alle steinernen Briefschlitze mit ihren dazugehorigen Symbolen und Inschrifttafeln wurden durch Bildersturmer 1797 zerstort Dass ausgerechnet das Lowenmaul des Rates der Zehn im Dogenpalast einschliesslich Inschrifttafel erhalten blieb ist auch Bestandteil der einseitigen Geschichtsdarstellung derer die 1797 die Markusrepublik zerstort haben Vornehmlich kummerte sich die venezianische Staatsinquisition um Nobili also um ihre eigenen Standesgenossen uberwachte die Kontakte der Nobili zu Diplomaten Auslandsaufenthalte und auch Eheschliessungen Die Unerbittlichkeit und ausserste Strenge der Zehenmanner machte schon Jedermann beben sobald er nur die Vorladung erhielt ja oft bestand ein grosser unertraglicher Theil der Strafe darin dass man wiederholt an der Bussola im Vorsaale der X gemeint ist die Sala della Bussola im Dogenpalast sich stellen und bis zum Schluss der Sitzung warten musste ohne eine Entscheidung uber die Zukunft zu erfahren Durch solche Mittel erreichten die Zehenmanner allerdings ihr Ziel dass die innere Ruhe weder durch politische Agitationen noch durch religiose Zerwurfnisse gestort wurde Wenn man bedenkt was fur Unsicherheit durch das entartete Rittertum und welches Elend spater durch die Religionskampfe in anderen Landern herbeigefuhrt wurden Mayer sagt 1795 hieruber So despotisch und furchtbar uberhaupt die Macht dieses Tribunals ist so nothwendig ist sie zur Erhaltung und Verfassung des Staates Klagt der Burger oder Handwerker uber erweisliche Unterdruckung ungerechte gewaltthatige Behandlung oder Vorenthaltung des Seinigen so erhalt er schleunige Genugthuung wenn es auch einen der vornehmsten und angesehensten Edelleute ja selbst einen Inquisitor betrafe 3 Selbstverstandlich entwickelten die Staats Inquisitoren und der Rath der X damals den hochsten Grad ihrer Thatigkeit wenn die Republik in einen auswartigen Krieg verwickelt war Im achtzehnten Jahrhundert als sich die Republik fur das System der Neutralitat entschieden hatte liess die Strenge des Tribunals nach Es ist nach Cicogna historische Thatsache dass im Laufe des letzten 18 Jahrhunderts nur vierzehn Staatsverbrecher zum Tode verurtheilt wurden 4 Nach Angaben des letzten Staatsinquisitors Giuseppe Gradenigo fanden von 1553 bis 1775 insgesamt 1 273 Prozesse vor dem Tribunal der Staatsinquisition statt also 6 bis 7 pro Jahr 5 Rezeption in der Literatur und der Geschichtsschreibung BearbeitenDie venezianische Staatsinquisition die vielfach im Geheimen agierte war nicht nur gefurchtet sondern galt geradezu als blutrunstiges Terrorregime Dies machte sich die franzosische Propaganda zunutze und auch spater galt sie als Inbegriff staatlicher Willkur und Machenschaften eine Vorstellung der gelegentlich auch Historiker folgten Genahrt von der Polemik der Aufklarung vor dem Fall der Republik Venedig und dann von der franzosischen Propaganda fand diese Legende mit Hilfe der Phantasie von Romanautoren und Dichtern von James Fenimore Cooper und Michele Zevacco 1860 1918 bis Giovanni Battista Niccolini 1782 1861 Lord Byron ja sogar bis Alessandro Manzoni weite Verbreitung nicht einmal die Komponisten standen zuruck angefangen bei Ponchielli bis zu Donizetti und Giuseppe Verdi Die romantische Vorliebe fur das Unheimliche scheint auch einige Historiker angesteckt zu haben 6 Es gibt zeitgenossische Berichte uber Willkur des Rates der Zehn Consiglio dei Dieci und sein Gremium die Staatsinquisitoren aber Umstritten ist ob der Consiglio dei Dieci sich tatsachlich in willkurlicher und verfassungsgefahrdender Despotie uber geltendes Recht hinwegsetzte oder ob er seinen schlechten Ruf bei den adligen Zeitgenossen im Gegenteil seiner unbestechlichen Aufsicht uber die Verfassung und uber das Verhalten der Nobili verdankte 7 Der venezianische Schriftsteller und Abenteurer Giacomo Casanova 1725 1798 berichtet in seinem autobiografischen Werk Geschichte meiner Flucht Originaltitel Histoire de ma fuite des prisons de la Republique de Venise qu on appelle les Plombs in Form eines Abenteuerromans seine Flucht aus den sogenannten Bleikammern Das Buch erschien im Jahr 1788 8 Siehe auch BearbeitenVerfassung der Republik VenedigLiteratur BearbeitenKarl Benrath Geschichte der Reformation in Venedig Halle 1886 Bartolomeo Cecchetti La Repubblica di Venezia e la Corte di Roma nei rapporti della Religione Venedig 1874 Kurt Heller Venedig Recht Kultur und Leben in der Republik 697 1797 Wien Koln Weimar 1999 Karl Hopf Venedig der Rath der Zehn und die Staatsinquisition In Friedrich von Raumer Hrsg Historisches Taschenbuch 6 Jg 4 Folge Leipzig 1865 Lars Cassio Karbe Venedig oder die Macht der Phantasie Die Serenissima ein Modell fur Europa Munchen 1995 Heinrich Kretschmayr Geschichte von Venedig in 3 Banden Gotha 1905 1920 1934 Darmstadt 1964 2 Neudruck der Ausgabe Gotha 1920 Aalen 1986 Reprint des 1 und 2 Bandes o O o J 2010 Stefan Oswald Die Inquisition die Lebenden und die Toten Venedigs deutsche Protestanten Sigmaringen 1989 G Mohnike Versuch zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts die Reformation in Venedig einzufuhren etc Konigsberg 1832 Brian Pullan The jews of Europe and the inquisition of Venice 1550 1670 Oxford 1983 Leopold von Ranke Ueber die Verschworung gegen Venedig im Jahre 1618 Berlin 1831 2 Auflage 1837 Jorg Reimann Venedig und Venetien 1450 bis 1650 Politik Wirtschaft Bevolkerung und Kultur Mit zwei Fussen im Meer den dritten auf dem platten Land den vierten im Gebirge Hamburg 2006 Gabriel Rein Paolo Sarpi und die Protestanten Ein Beitrag zur Geschichte der Reformationsbewegung in Venedig im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts Helsingfors 1904 Reprint o O o J 2010 Samuele Romanin Storia documentata di Venezia Venedig 1853 61 Cesar Vichard de Saint Real Die Verschworung der Spanier gegen Venedig 1618 hgg und ubersetzt von Peter Weiss Wien Leipzig 1990 James E Shaw The Justice of Venice Authorities and Liberties in the Urban Economy 1550 1700 Oxford University Press 2006 Johann Philipp Siebenkees Versuch einer Geschichte der Venetianischen Staatsinquisition Nurnberg 1791 Reprint o O o J 2010 Weblinks BearbeitenUbersicht uber den Bestand Inquisitori di Stato im Staatsarchiv VenedigEinzelnachweise Bearbeiten Soweit sie als Zeugen in Urkunden des 12 13 Jahrhunderts vorkommen sind sie aufgefuhrt bei Gerhard Rosch Der venezianische Adel bis zur Schliessung des Grossen Rates Sigmaringen 1989 S 91 98 Johann Philipp Siebenkees Versuch einer Geschichte der Venetianischen Staatsinquisition Nurnberg 1791 Reprint o O O J 2009 S 2 Rainer Graf Die Feste der Republik Venedig Klagenfurt 1866 Reprint o O o J 2010 S 27 f Rainer Graf Die Feste der Republik Venedig Klagenfurt 1866 Reprint o O o J 2010 S 29 Helmut Dumler Venedig und die Dogen Dusseldorf Zurich 2001 S 30 Alvise Zorzi Venedig Die Geschichte der Lowenrepublik Deutsch von Sylvia Hofer Dusseldorf 1985 S 174 f Oliver Thomas Domzalski Politische Karrieren und Machtverteilung im venezianischen Adel 1646 1797 Sigmaringen 1996 S 64 Jacques Casanova de Seingalt Histoire de ma fuite des prisons de la Republique de Venise qu on appelle les Plombs Ecrite a Dux en Boheme l annee 1787 Schonfeld Leipzig 1788 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Venezianische Staatsinquisition amp oldid 213177917