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Dieser Artikel befasst sich mit dem Einsatzgruppen Prozess von 1958 in Ulm Zum Einsatzgruppen Prozess von 1947 48 in Nurnberg siehe dort Der Ulmer Einsatzgruppen Prozess begann am 28 April 1958 vor dem Schwurgericht Ulm und richtete sich gegen zehn Gestapo SD und Ordnungspolizeiangehorige Teile des Einsatzkommandos Tilsit das zwischen Juni und September 1941 laut einem Bericht Walter Stahleckers 5 502 judische Kinder Frauen und Manner im litauisch deutschen Grenzgebiet ermordet hatte Der Prozess gilt als erster Wendepunkt in der justiziellen und offentlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus 1 Inhaltsverzeichnis 1 Gerichtsverfahren und Urteile 2 Folgen 3 Literatur 4 Medien 5 Siehe auch 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseGerichtsverfahren und Urteile BearbeitenDie Angeklagten waren nach dem Krieg zunachst in ein burgerliches Leben zuruckgekehrt und erst als der SS Oberfuhrer Bernhard Fischer Schweder gegen das Land Baden Wurttemberg auf Wiedereinstellung klagte wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen begonnen Es war der erste grosse Prozess gegen nationalsozialistische Tater vor einem deutschen Strafgericht Vor Gericht standen der Polizeichef von Memel Bernhard Fischer Schweder sowie neun weitere Angehorige des Einsatzkommando Tilsit Hans Joachim Bohme Werner Hersmann Edwin Sakuth Werner Kreuzmann Harm Willms Harms Gerhard Carsten Franz Behrendt Pranas Lukys 2 Werner Schmidt Hammer Insgesamt sagten 184 Zeugen aus darunter auch der SS Standartenfuhrer Martin Sandberger oder es wurden Protokolle ihrer Aussagen verlesen darunter einige Augenzeugen die uberlebt hatten Zu den Beweismitteln gehorte auch die Weisung Nr 21 und seine Ausfuhrungsbefehle soweit sie die Einsatzgruppen betrafen Samtliche Angeklagten wurden wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 315 bis 3907 Fallen zu Haftstrafen zwischen 3 und 15 Jahren verurteilt Ausserdem verloren sie fur eine gewisse Zeit ihre burgerlichen Ehrenrechte 3 Obwohl die Staatsanwaltschaft die hohe Eigeninitiative bei den Mordaktionen herausgestellt hatte und fur mehrere ehemalige SS Fuhrer eine lebenslange Strafe gefordert hatte wurden die Angeklagten am 29 August 1958 nur als Gehilfen verurteilt und damit so als ob die Tater die Tat nicht selbst gewollt hatten Dies entsprach in der damaligen Zeit der Vergangenheitsbewaltigung der Rechtsprechung bis hinauf zum Bundesgerichtshof der Hitler Himmler oder Heydrich als Haupttater galten Darauf zielte auch die Verteidigungsstrategie im Prozess So folgte das Gericht der Darstellung Bohmes ihm sei vor der ersten Mordaktion in Gargzdai vom 24 Juni 1941 von Walter Stahlecker mit Bestatigung des RSHA befohlen worden alle judischen Manner Frauen und Kinder zu ermorden Dies erscheint der jungeren Forschung unwahrscheinlich Ein Bericht Bohmes vom 1 Juli 1941 spricht lediglich von einer Genehmigung und Einverstandnis durch Stahlecker eine Weisung zur systematischen Ermordung judischer Frauen und Kinder ist fur diese Zeit nicht sicher nachgewiesen und dem entspricht auch die Praxis der systematischen Morde die erst ab August 1941 Frauen und Kinder miteinschlossen 4 5 Angeklagter gemeinschaftliche Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord Zuchthausstrafe Verlust der burgerlichen EhrenrechteHans Joachim Bohme in 3907 Fallen 15 Jahre 10 JahreWerner Hersmann in 1656 Fallen 15 Jahre 10 JahreBernhard Fischer Schweder in 526 Fallen 10 Jahre 7 JahrePranas Lukys in 315 Fallen 7 Jahre 5 JahreWerner Kreuzmann in 415 Fallen 5 Jahre 4 JahreHarm Willms Harms in 526 Fallen 3 Jahre 2 JahreFranz Behrendt in 1126 Fallen 5 Jahre 3 Monate 3 JahreGerhard Carsten in 423 Fallen 4 Jahre 3 JahreEdwin Sakuth in 526 Fallen 3 Jahre 6 Monate 2 JahreWerner Schmidt Hammer in 526 Fallen 3 JahreFolgen BearbeitenDie Medien berichteten ausfuhrlich uber den Prozessverlauf und weckten ein ausserordentliches Interesse der Offentlichkeit Etliche Schlagzeilen wie Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte In Ulm steht eine ganze Epoche vor Gericht und Endlich kam die Wahrheit an den Tag hoben im Sommer 1958 die Bedeutung des Prozesses hervor der als Zasur im Umgang der bundesdeutschen Justiz mit nationalsozialistischen Gewaltverbrechern gilt und zugleich den Holocaust in die breite Offentlichkeit ruckte 1 Es wurde nun offensichtlich dass ein Grossteil der Massenverbrechen bislang nicht untersucht und geahndet worden war und dass unklare Zustandigkeiten eine zielgerichtete Ermittlungsarbeit behinderten Anfangs hatten die Besatzungsmachte Prozesse gegen solche Tater vorangetrieben die sich der Verbrechen an alliierten Militar und Zivilpersonen schuldig gemacht hatten oder wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wurden So hatte es bereits 1947 einen Einsatzgruppen Prozess gegeben Der deutschen Gerichtsbarkeit war es uberlassen worden die NS Verbrechen zu ahnden bei denen deutsche Staatsangehorige die Opfer waren Als die Besatzungsmachte sich zuruckzogen war nur ein Teil derjenigen NS Massenverbrechen strafrechtlich abgeurteilt worden fur die sie die Gerichtsbarkeit an sich gezogen hatten Nun wurde offenkundig dass eine systematische Ermittlungsarbeit dringend erforderlich war Die verdrangte Vergangenheit liess sich nicht langer verleugnen Der Ulmer Einsatzgruppenprozess wird daher oftmals als ein Wendepunkt in der offentlichen Wahrnehmung der Bestrafung nationalsozialistischer Verbrechen gesehen Die Nachkriegsgesellschaft die sich mit ihrer Schlussstrich Mentalitat einer freimutigen Vergangenheitsbewaltigung zu entziehen suchte wurde in der Folgezeit durch den Prozess gegen Adolf Eichmann im Jahre 1961 und dann ab 1963 durch die Auschwitzprozesse mit grauenerregenden Tatsachen konfrontiert Eine unmittelbare Folge des Ulmer Einsatzgruppen Prozesses war die Einrichtung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklarung nationalsozialistischer Verbrechen mit Sitz in Ludwigsburg kurz Ludwigsburger Zentrale Stelle Ihre Vorermittlungen legten in fast allen Fallen die Grundlage fur die bundesdeutsche strafrechtliche Verfolgung von NS Verbrechen Sie nahm am 1 Dezember 1958 ihre Arbeit auf Leiter wurde der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Erwin Schule der das Pladoyer der Anklage im Ulmer Einsatzgruppen Prozess gehalten hatte Literatur BearbeitenSabrina Muller Timo John Die Morder sind unter uns Der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958 Hrsg Haus der Geschichte Baden Wurttemberg und Stadthaus Ulm Haus der Geschichte Baden Wurttemberg Stuttgart 2008 ISBN 978 3 933726 27 8 LG Ulm 29 August 1958 In Justiz und NS Verbrechen Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Totungsverbrechen 1945 1966 Bd XV bearbeitet von Irene Sagel Grande H H Fuchs C F Ruter University Press Amsterdam 1976 Nr 465 S 1 274 Verfahrensgegenstand Massen und Einzelerschiessungen mehrerer tausend Juden und Kommunisten Manner Frauen und Kinder auf einem ca 25 km breiten Streifen im Memelland unmittelbar jenseits der damaligen ostpreussisch litauischen Grenze in den ersten drei Monaten nach dem deutschen Truppeneinmarsch in das Baltikum Folgeprozess gegen Hans Richard Wiechert und Bruno Heinrich Schulz LG Tubingen 10 Mai 1961 In Justiz und NS Verbrechen Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Totungsverbrechen 1945 1966 Band XVII bearbeitet von Irene Sagel Grande H H Fuchs C F Ruter University Press Amsterdam 1977 Nr 509 S 311 402 Tatkomplex Massenvernichtungsverbrechen durch Einsatzgruppen Medien BearbeitenDer Ulmer Prozess SS Einsatzgruppen vor Gericht Dokumentation 2006 45 Min Buch und Regie Eduard Erne Produktion SWR Erstsendung 4 Mai 2006 Inhaltsangabe von der Stadt Ulm Tonaufnahme der Urteilsverkundung Veroffentlichung des Landesarchivs Baden WurttembergSiehe auch BearbeitenAuschwitzprozesse in Frankfurt Main ab 1963Weblinks BearbeitenFindbuch zu den Prozessakten im Bestand EL 322 II Staatsanwaltschaft beim Landgericht Ulm NS Verfahren des Staatsarchivs Ludwigsburg Franziska Augstein Richter Morder und Gehilfen In Suddeutsche Zeitung 19 Mai 2008 Ausstellungs Rezension H SozKult Der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958 SWR2 24 April 2008 MP3 Datei Audio Als Westdeutschland aufwachte einestages 27 April 2008 Urteil des LG Ulm vom 29 August 1958 Ks 2 57 Volltext Archiv Bilder vom Prozess und Einschatzung des Umganges mit den Gerichtsakten ARD 1994Einzelnachweise Bearbeiten a b Sabrina Muller Zum Drehbuch einer Ausstellung Der Ulmer Einsatzgruppenprozess von 1958 In Jurgen Finger Sven Keller Andreas Wirsching Hrsg Vom Recht zur Geschichte Akten aus NS Prozessen als Quellen der Zeitgeschichte Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2009 ISBN 978 3 525 35500 8 S 205 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Karl Heinz Grafe Vom Donnerkreuz zum Hakenkreuz Die baltischen Staaten zwischen Diktatur und Okkupation Edition Organon Berlin 2010 ISBN 978 3 931034 11 5 Pranas Lukys Kurzbiographie S 436 Hauptstaatsarchiv Stuttgart Findbuch zum Bestand R 20 003 05 Tondokumente zum Urteilsspruch im NS Einsatzkommando Prozess Jurgen Matthaus Jenseits der Grenze In Zeitschrift fur Geschichtswissenschaft Band 44 Nr 2 Metropol 1996 ISSN 0044 2828 S 103 105 Christoph Dieckmann Der Krieg und die Ermordung der litauischen Juden In Ulrich Herbert Hrsg Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939 1945 Neue Forschungen und Kontroversen Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main 1998 ISBN 3 596 13772 1 S 296 298 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ulmer Einsatzgruppen Prozess amp oldid 237591756