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Als Taktierendes Versprinzip oder kurz Taktmetrik von lateinisch tactus Beruhrung wird in der Verslehre ein Versprinzip bezeichnet bei dem der Takt die grundlegende Einheit des Verses bildet Es kann als eine spezifische Form des akzentuierenden Versprinzips gesehen werden bei dem die Hebungen bestimmendes Merkmal des Verses sind Ein Takt erstreckt sich dabei von einer Hebung Iktus bis zur nachsten und gliedert sich in den aus der Hebung betonte Silbe bestehenden guten oder schweren Taktteil dem eine oder mehrere Senkungen unbetonte Silben folgen die den schlechten oder leichten Taktteil bilden Im Unterschied zur akzentuierenden Metrik im Allgemeinen wird hier ahnlich wie beim Takt in der Musik den Takten eine jeweils gleiche Zeitdauer zugemessen Inhaltsverzeichnis 1 Begriffsgeschichte 2 Heuslersche Taktmetrik und Notation 2 1 Notation 2 2 Versbestandteile 2 3 Taktreihen und Taktgeschlechter 2 4 Anpassungen 2 5 Kadenz 3 Rezeption und Kritik 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseBegriffsgeschichte BearbeitenDie Grundannahme der Taktmetrik dass der zeitliche Abstand von Iktus zu Iktus gleich gross sei wobei dem Iktus die Lange in der antiken quantitierenden Metrik und die Hebung in der akzentuierenden Metrik entspricht geht auf Karl Philipp Moritz zuruck der in seinem Versuch einer deutschen Prosodie Takt und Metrum gleichsetzend 1786 schrieb Der Takt aber oder das Metrum war einmal durch die naturliche Lange und Kurze der zusammengestellten Silben festgesetzt und war also die festeste Grundlage worauf die Melodie gebildet werden konnte da uberdem diess Metrum oder dieser Takt an sich schon mit dem Inhalt ubereinstimmend gewahlt wurde bei den Alten war die Musik des Verses in den Vers hineingewebt bei den Neuern schmiegt sie sich nur von aussen an ihn hinan 1 Ebenso setzt Johann Heinrich Voss 1802 Takt und Versfuss gleich und spricht von dem Versfuss oder des Verses gleichgemessenen Schritt der auch Takt in der Sprache des Musikers heisst 2 Aber schon im 19 Jahrhundert warnte man vor der Vermengung musikalischer und des poetisch sprachlicher Konzepte So schrieb Wilhelm Hebenstreit 1843 In der Poesie jedoch wo schon Regelmassigkeit und Symmetrie die ordnende Regel ausmacht findet wohl ein Zeitmass aber kein Takt Anwendung 3 Dennoch haben zu Ende des 19 und zu Beginn des 20 Jahrhunderts Rudolf Westphal 4 Franz Saran 5 und dann vor allem ganz massgeblich Andreas Heusler mit seiner dreibandigen deutschen Versgeschichte 6 eine sehr stark sich an musikalische Begrifflichkeiten anlehnende Taktmetrik entwickelt Heuslersche Taktmetrik und Notation BearbeitenNotation Bearbeiten Heusler hat zur Darstellung von Versformen eine eigene sich stark an die musikalische Notenschrift angelehnte metrische Notation entwickelt Dabei werden einzelne Takte wie in der Musik durch Taktstriche voneinander getrennt Der Vers wird stets durch einen doppelten Taktstrich abgeschlossen Der Auftakt wird gelegentlich statt mit auch mit einsilbig bzw zweisilbig notiert Fur die Dauer der einzelnen Silben hat Heusler eine differenzierte Symbolik verwendet wobei die Einheit der Dauer die Mora ist die musikalisch einer Viertelnote entspricht Im Einzelnen gibt es die folgenden Symbole Zeichen Notenwert Moren 1 5 1 4 3 4 3 1 2 2x 3 8 3 2x 1 4 1 1 8 1 2 1 16 1 4Haufiger verwendet werden allerdings nur die Symbole fur zwei Moren eine More und halbe More Fur Silben unbestimmter Lange wird als Zeichen verwendet Weiter wird zu Bezeichnung von nicht aufgefullten Takten insbesondere am Versende als Zeichen fur eine Pause von einer More Dauer verwendet Bei den betonenten Silben wird unterschieden zwischen Haupthebung markiert durch Akut Akzent z B und Nebenhebung markiert durch Gravis Akzent z B Versbestandteile Bearbeiten Als Beispiel sollen die bekannten Anfangszeilen des Armen Heinrich von Hartmann von Aue dienen Ein ritter so geleret was daz er an den buochen las Der erste Vers beginnt mit einer unbetonten Silbe Dieser Teil wird Auftakt genannt und umfasst alle Silben bis zur ersten Haupthebung Der Teil von der letzten Haupthebung bis zum Versende wird als Versschluss oder Kadenz bezeichnet wobei verschiedene Formen der Kadenz unterschieden werden siehe unten Der Teil des Verses zwischen Auftakt und Versschluss bildet das Versinnere Auftakt Versinneres und Kadenz sind bei Heusler die drei Versgegenden Taktreihen und Taktgeschlechter Bearbeiten Heusler unterscheidet entsprechend dem Tempo eines Verses vier Taktgeschlechter zweiteiliger oder Zweivierteltakt z B x x oder x dreiteiliger oder Dreivierteltakt z B x x x oder x oder x x vierteiliger oder Viervierteltakt z B x x x x schweren dreiteiligen oder Dreihalbetakt z B oder x x Da Heusler von einer grundsatzlichen Viertaktigkeit des deutschen Verses ausgeht entsprechen diesen Taktgeschlechtern jeweils die Idealtypen bestimmter Versformen Taktreihen in der Heuslerschen Terminologie So entspricht dem Viervierteltakt das Grundmuster der althochdeutschen Langzeile wie man sie beispielsweise im Hildebrandslied findet x x x x x x x x x x x x x x x x Die Zasur trennt hier die beiden Halbverse An und Abvers der Langzeile Dem Zweivierteltakt wiederum entspricht der mittelhochdeutsche Reimpaarvers wie er in den epischen Gedichten Hartmann von Aues und Gottfried von Strassburgs sich vielfach findet x x x x x x x x Anpassungen Bearbeiten Es ist allerdings keineswegs so dass die Verse der mittelalterlichen Dichter sich dem Schema stets ohne weiteres fugen wie in dem oben angefuhrten Beispiel Man sieht das etwa hier 7 diu in an lobe zierte daz er vunfstunt tjostierte Betrachtet man den zweiten Vers so ergibt sich aus dem Reim eine Haupthebung auf der vorletzten Silbe bei regelmassigem Wechsel von betont und unbetont ware Metrisierung dann x x x x x x x Diese hat allerdings nur drei Takte weshalb man die letzte Silbe zur Nebenhebung ernennt und die vorletzte zur sogenannten beschwerten Hebung macht also eine doppelt lang dauernde betonte Silbe So kann sie in den vorletzten Takt geschoben werden und der letzte Takt wird mit einer Pause aufgefullt x x x x x x Tritt der umgekehrte Fall ein dass nicht zu wenige sondern zu viele Silben vorhanden sind kann zunachst ein unbetontes e am Wortende elidiert werden was durch einen unter das e gesetzten Punkt markiert wird in folgendem Beispiel 8 bei enwurdẹ so en wurdẹ er strites niht ver miten x x x x x x Umgekehrt kann auch ein schwacher Vokal im Anlaut getilgt werden was als Apharese bezeichnet wird Beispiel nu ẹnist do ịch Ist Elision nicht moglich so kann eine Hebung anders als im neuhochdeutschen Vers auch als zweisilbig aufgefasst werden vorausgesetzt dass die erste der beiden Silben kurz und offen ist Man nennt dies Hebungsspaltung Beispiel 9 daz mir der sige be li be x x x x x Hier wird im zweiten Takt sige als zweisilbige Hebung aufgefasst Umgekehrt ist auch Senkungsspaltung moglich Beispiel 10 wir namen in sinem lan de x x x x x Hier ist im ersten Takt na die Hebung und men in die zweisilbig gespaltene Senkung Trotz der genannten Anpassungen ergibt sich durch Anwendung des Schemas gelegentlich die Situation dass der gewissermassen uberzahlige Silben aufnehmende Auftakt dadurch mehrsilbig wird Beispiel 11 Do si ze Ka radi gan waren komen Oder es tritt der Fall auf dass der Auftakt sinnschwere Worte enthalt die eigentlich nach Betonung verlangen 12 Erec sage te dem al ten Kadenz Bearbeiten Die Kadenz spielt im Heuslerschen System eine wesentliche Rolle da sie bei sich reimenden Versen ubereinstimmen muss Aus dieser Ubereinstimmung ergibt sich dann die Metrisierung des Versschlusses und von da aus bestimmt die Kadenz massgeblich die Metrisierung des Verses insgesamt In der Heuslerschen Taktmetrik wird nun zunachst untersucht ob der letzte Takt realisiert ist oder nicht und ob er die Hauptbetonung tragt Es werden dabei unterschieden volle Kadenz Kadenz fullt den letzten Takt mit Haupttonsilbe klingende Kadenz Kadenz fullt den letzten Takt hochstens mit Nebentonsilbe Haupttonsilbe im vorletzten Takt stumpfe Kadenz letzter Takt ist sprachlich nicht realisiert pausiert Haupttonsilbe im vorletzten TaktWeiter wird nach Silbenzahl und nach der Form der Betonung mannlich Hauptbetonung auf kurzer Silbe weiblich Hauptbetonung auf langer Silbe differenziert so dass sich 8 verschiedene Grundtypen der Kadenz ergeben Grundtyp Silbenzahl Betonung Schema Beispielvoll einsilbig Ein ritter so geleret was daz er an den buochen las 13 zweisilbig mannlich Und erlɶse sich da mite Swer vur des andern schulde bite 14 weiblich Ich lobe got der siner guete daz er mir ie verlech die sinne 15 klingend zweisilbig Dienstman was er zẹ Ouwe er nam im manige schouwe 16 dreisilbig diu schɶne jugent diu lachende Sus ritens ir maere machende 17 stumpf einsilbig der kuneginne kunt 18 zweisilbig mannlich mit zornigen siten 19 weiblich Rezeption und Kritik BearbeitenHeuslers Ansatz wurde bis in die 1970er Jahre vielfach verfolgt und ist im Bereich der deutschen Mediavistik weiterhin prasent 20 21 Inzwischen wird er allerdings als eine den metrischen Phanomenen unangemessene Schematisierung und Vereinheitlichung weitgehend abgelehnt 22 23 24 Die Kritik an Heusler macht sich hauptsachlich an drei Punkten fest 25 Taktbegriff Die Anwendung des Taktbegriffs auf samtliche Epochen der deutschen Dichtung von der altdeutschen Stabreimdichtung bis in die Moderne ist historisch nicht begrundet Hier werden aus der Musik Konzepte ubertragen die sich in der Musik selbst erst seit dem 16 Jahrhundert etablierten Eine Mensuralnotation mit Festlegung von Zeitwerten fur einzelne Noten erscheint erst im 13 Jahrhundert Schematisierung Das von Heusler zugrundegelegte Viertaktschema ist zwar durch die Moglichkeit Pausen einzubeziehen und je nach Bedarf den Silben unterschiedliche Zeitwerte zuzuordnen durchaus flexibel die Resultate erscheinen aber eben durch diese Flexibilitat als mogliche Versuche einer rhythmischen Interpretation denen aber zumeist bis heute historisch Richtigeres nicht entgegenzustellen ist 26 In ahnlicher Richtung meint Christian Wagenknecht uber das Heuslersche System es passt sogar auf die Metrik des Deutschen nur nach Massgabe der Voraussetzung dass Verse takthaltige Rede sind Das sind sie aber allenfalls bei der Rezitation und insofern bezeichnen die Heuslerschen Symbole treffend nur gewisse Vortragsmuster 27 Textkritik Es wird als hochst problematisch empfunden insbesondere bei den zum Teil durch die Uberlieferung verderbten mittelhochdeutschen Texten metrische Gesetze aus Texten zu erschliessen die noch erst metrischer Herstellung bedurfen 28 Genauso erscheint es als methodisch fragwurdig metrische Regeln aufzustellen aufgrund von Texten die bereits metrisch textkritisch uberarbeitet wurden Ausserhalb der deutschen Germanistik spielt der Heuslersche Ansatz keine Rolle Literatur BearbeitenDieter Burdorf Christoph Fasbender Burkhard Moennighoff Hrsg Metzler Lexikon Literatur Begriffe und Definitionen 3 Auflage Metzler Stuttgart 2007 ISBN 978 3 476 01612 6 S 752 f Otto Knorrich Lexikon lyrischer Formen Kroners Taschenausgabe Band 479 2 uberarbeitete Auflage Kroner Stuttgart 2005 ISBN 3 520 47902 8 S 233 f Otto Paul Ingeborg Glier Deutsche Metrik 9 Auflage Hueber Munchen 1974 Gero von Wilpert Sachworterbuch der Literatur 8 Auflage Kroner Stuttgart 2013 ISBN 978 3 520 84601 3 S 810 Weblinks BearbeitenPaul Sappler Metrik Verslehre des Mittelhochdeutschen Tubingen PDF Einzelnachweise Bearbeiten Karl Philipp Moritz Versuch einer deutschen Prosodie Berlin 1786 S 84 f Digitalisat http vorlage digitalisat test 1 3D 7B 7B 7B1 7D 7D 7D GB 3DLUIHAAAAQAAJ IA 3D MDZ 3D 0A SZ 3DPA84 doppelseitig 3D LT 3D PUR 3D Johann Heinrich Voss Zeitmessung der deutschen Sprache Konigsberg 1802 S 143 f Digitalisat http vorlage digitalisat test 1 3D 7B 7B 7B1 7D 7D 7D GB 3DwtsFAAAAQAAJ IA 3D MDZ 3D 0A SZ 3DPA143 doppelseitig 3D LT 3D PUR 3D Wilhelm Hebenstreit Takt In ders Wissenschaftlich literarische Encyklopadie der Aesthetik Wien 1843 S 775 Digitalisat http vorlage digitalisat test 1 3Dhttp 3A 2F 2Fdaten digitale sammlungen de 2F db 2F0001 2Fbsb00018126 2Fimages 2Findex html 3Fid 3D00018126 26fip 3D193 174 98 30 26no 3D 26seite 3D867 GB 3D IA 3D MDZ 3D 0A SZ 3D doppelseitig 3D LT 3D PUR 3D Rudolf Westphal Theorie der Neuhochdeutschen Metrik Jena 1870 Digitalisat http vorlage digitalisat test 1 3D 7B 7B 7B1 7D 7D 7D GB 3D IA 3Dtheoriederneuho01westgoog MDZ 3D 0A SZ 3D doppelseitig 3D LT 3D PUR 3D 2 verm Aufl 1877 Franz Saran Deutsche Verslehre Munchen 1907 Andreas Heusler Deutsche Versgeschichte 3 Bde Berlin 1925 1929 Hartmann von Aue Erec v 2434 f Hartmann von Aue Erec v 502 Hartmann von Aue Erec v 514 Hartmann von Aue Erec v 555 Hartmann von Aue Erec v 1112 Hartmann von Aue Erec v 1469 Heinrich von Aue Der arme Heinrich v 1 f Heinrich von Aue Der arme Heinrich v 27 f Friedrich von Hausen Ich lobe got der siner guete In Karl Lachmann Moriz Haupt Des Minnesangs Fruhling 2 Aufl Hirzel Leipzig 1875 Nr VIII S 50 v 19 f Digitalisat http vorlage digitalisat test 1 3D 7B 7B 7B1 7D 7D 7D GB 3D IA 3Ddesminnesangsfrh00lach MDZ 3D 0A SZ 3D50 doppelseitig 3D LT 3D PUR 3D Heinrich von Aue Der arme Heinrich v 5 f Gottfried von Strassburg Tristan v 3141 f Hartman von Aue Erec v 1162 Hartman von Aue Erec v 4061 Paul Glier Deutsche Metrik Munchen 1974 Erwin Arndt Deutsche Verslehre 9 Aufl Volk amp Welt Berlin 1984 Erwin Arndt Takt In Klaus Weimar u a Hrsg Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft Berlin New York 1997 2003 Dieter Burdorf Einfuhrung in die Gedichtanalyse 2 Aufl Metzler Stuttgart u a 1997 S 76 f Christoph Kuper Sprache und Metrum Tubingen 1988 Paul Glier Deutsche Metrik Munchen 1974 S 20 f Paul Glier Deutsche Metrik Munchen 1974 S 21 Christian Wagenknecht Deutsche Metrik Eine historische Einfuhrung 5 Aufl Beck Munchen 2007 S 26 Ulrich Pretzel Deutsche Verskunst In Deutsche Philologie im Aufriss Bd 3 1957 Sp 2366 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Taktierendes Versprinzip 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