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Superelektrophile Anionen sind eine Klasse von molekularen Ionen die trotz ihrer negativen Gesamtladung hochgradig elektrophiles Reaktionsverhalten zeigen Damit sind sie sogar in der Lage die besonders unreaktiven Edelgase oder molekularen Stickstoff bei Raumtemperatur zu binden 1 2 Die einzigen bisher bekannten Vertreter sind die aus den closo Dodecaborat Dianionen B12X12 2 abgeleiteten Fragment Ionen vom Typ B12X11 wobei X fur einen mit einem Boratom verbundenen Substituenten steht vgl Abb 1 Aus diesem Grund behandelt der folgende Artikel ausschliesslich superelektrophile Anionen dieses Typs Abbildung 1 Kugel Stab Modell Bor Kafiggerust B in Rosa und Substituenten X Halogene CN in Grau dargestellt Inhaltsverzeichnis 1 Uberblick 2 Entstehung des Begriffs 3 Prakursoren 4 Erzeugung 5 Eigenschaften 6 Reaktivitat und Bindungsbildung 6 1 Reaktionen mit Edelgasen 6 1 1 1 Begunstigte Bildung und Stabilisierung des Kollisionskomplexes 6 1 2 2 Schutz vor Substitution 6 1 3 3 Gunstige Elektrostatik und Dispersionskrafte 6 2 Reaktionen mit biatomaren Molekulen N2 CO 6 3 Reaktionen mit gesattigten Kohlenwasserstoffen 6 4 Reaktionen mit Anionen 7 Varianten 8 Theoretische Untersuchungen Computersimulationen 9 Wissenschaftliche Bedeutung und potenzielle Anwendungen 10 Forschungsstandorte 11 Weblinks 12 EinzelnachweiseUberblick BearbeitenAnionen sind negativ geladene Ionen und weisen daher in der Regel ein nukleophiles Reaktionsverhalten auf Es konnte aber gezeigt werden dass es Anionen gibt die sich trotz negativer Ladung stark elektrophil verhalten Das bedeutet dass sie bei chemischen Reaktionen Bindungen mit Reaktionspartnern ausbilden indem sie von diesen Elektronendichte aufnehmen Dabei ist ihre Affinitat zu Elektronen so gross dass sie sogar in der Lage sind sehr unreaktive kleine Molekule wie Stickstoff N2 oder Edelgasatome bei Raumtemperatur zu binden 1 2 Aus diesem Grund nennt man sie superelektrophile Anionen Weiterhin ermoglichen diese superelektrophilen Anionen eine direkte Reaktion mit ublicherweise schwer zu aktivierenden kleinen Alkanen wie Methan 3 sowie Reaktionen mit anderen Anionen was zur Bildung von hochgeladenen Ionen fuhren kann 4 nbsp Abbildung 2 Die Reaktion vom closo Dodecaborat Dianion B12X12 2 zum superelektrophilen Fragment Anion B12X11 dargestellt durch Strukturformeln Die einzigen bislang bekannten superelektrophilen Anionen sind die Fragment Ionen mit der Summenformel B12X11 welche aus den closo Dodecaborat Dianionen B12X12 2 erzeugt werden konnen Das X bezeichnet hierbei jeweils einen mit einem Boratom verbundenen Substituenten beispielsweise Cl oder Br Diese Fragment Ionen konnen aufgrund ihrer hohen Reaktivitat bislang ausschliesslich in der evakuierten Gasphase eines Massenspektrometers erzeugt werden Entsprechend wurden Reaktionen dieser Verbindungsklasse hauptsachlich in der Gasphase untersucht In der kondensierten Phase konnten in kleinem Massstab Reaktionsprodukte der superelektrophilen Anionen mithilfe der Ion Soft Landing Methode synthetisiert werden Potenzielle Anwendungen dieser Forschung beinhalten die Herstellung exotischer Verbindungen z B Edelgasverbindungen die fur chemische Grundlagenforschung von Interesse sind Wenn Synthesen mit superelektrophilen Anionen in grosserem Massstab moglich wurden konnten sie unter anderem auch fur die Entwicklung von Reagenzien fur Krebsmedikamente beispielsweise im Zusammenhang mit der Bor Neutroneneinfangtherapie englisch Boron Neutron Capture Therapy BNCT eingesetzt werden Entstehung des Begriffs BearbeitenUrsprunglich wurde der Begriff der Superelektrophilie ausschliesslich fur Dikationen verwendet Eingefuhrt wurde er von George A Olah als dieser herausfand dass sich bestimmte elektrophile Monokationen in der kondensierten Phase durch die Anwesenheit von besonders starken Sauren den sogenannten Supersauren aktivieren lassen Dadurch werden diese Kationen deutlich reaktiver als sie es unter ublichen Bedingungen sind Diese gesteigerte Reaktivitat fuhrte er auf die Bildung zweifach positiv geladener Dikationen zuruck die er als superelektrophil bezeichnete 5 Spater wurde der Begriff der Superelektrophilie auch in Gasphasenstudien haufig auf hochgradig reaktive Dikationen angewendet die Edelgase bei Raumtemperatur binden konnen Edelgase gelten allgemein als besonders reaktionstrage und um eine stabile Bindung mit einem Edelgas Atom ausbilden zu konnen muss diesem ein Elektronenpaar entrissen werden Dazu sind nur die starksten Elektrophile in der Lage wobei es sich in der Regel um Dikationen oder seltener um Monokationen handelt da Elektrophilie mit einem Elektronenmangel einhergeht Fur Nukleophile die bei Bindungsbildungen Elektronen zur Verfugung stellen ist es hingegen unmoglich ein Edelgas stark zu binden weil Edelgase negative Elektronenaffinitaten aufweisen Es konnen sich lediglich schwache Wechselwirkungen ausbilden die bei Raumtemperatur nicht stabil sind 6 Da Anionen negativ geladen sind und formal einen Elektronenuberschuss aufweisen zeigen sie in aller Regel nukleophiles Reaktionsverhalten und durften daher nicht in der Lage sein stabile Bindungen zu Edelgas Atomen auszubilden In direktem Gegensatz zu diesem intuitiven Konzept wurde 2017 jedoch gezeigt dass das negativ geladene Gasphasen Fragment Anion B12Cl11 die Edelgase Krypton und Xenon bei Raumtemperatur binden kann und somit stark elektrophil sein muss 2 Im weiteren Verlauf konnte die Elektrophilie dieses Fragment Anions sogar noch gesteigert werden indem die Chlor Atome Cl durch Cyano Gruppen CN ausgetauscht wurden Das dabei entstandene B12 CN 11 Anion bindet auch das besonders unreaktive Edelgas Argon spontan bei Raumtemperatur und Neon bis zu einer Temperatur von maximal 50 Kelvin Somit ist es das am starksten elektrophile Anion welches bislang bekannt ist 1 7 Auch wenn Anionen also rein formal das von Olah publizierte Konzept der Superelektrophilie nicht erfullen konnen da es sich nur auf Kationen bezieht zeigen diese speziellen Anionen jedoch eine Reaktivitat welche der von superelektrophilen Dikationen in der Gasphase stark ahnelt Somit wurde der Begriff der superelektrophilen Anionen gepragt 1 Prakursoren Bearbeiten nbsp Abbildung 3 Kalotten Modell des closo Dodecaborat Dianions B12X12 2 Volumen bis zur molekularen Oberflache gefullt Farbgebung wie in Abbildung 1 Die superelektrophilen Anionen B12X11 lassen sich aus den sehr stabilen closo Dodecaborat Dianionen B12X12 2 durch Fragmentierung in der Gasphase erzeugen Die closo Dodecaborat Dianionen die dabei als Vorlaufer Prakursoren dienen bestehen aus zwolf Boratomen die in einer hochsymmetrischen kafigartigen closo Struktur angeordnet sind Alle zwolf Boratome tragen einen Substituenten z B ein Halogenatom welche gemeinsam die Aussenhulle des Ions formen vgl Abb 3 Durch ihre dreidimensionale s aromatische Struktur sind die closo Dodecaborat Dianionen ausgesprochen stabile Verbindungen und konnen zur Stabilisierung reaktiver Kationen eingesetzt werden vgl schwach koordinierende Anionen Als Prakursoren fur superelektrophile Anionen wurden bisher B12X12 2 Ionen mit den Halogenen F Cl Br I oder Cyano Gruppen CN als Substituenten X verwendet Erzeugung BearbeitenUm aus den closo Dodecaborat Dianionen B12X12 2 die superelektrophilen Anionen zu erzeugen wird im Massenspektrometer eine Fragmentierung mittels kollisionsinduzierter Dissoziation englisch Collision Induced Dissociation CID durchgefuhrt Dabei wird ein Substituent X aus dem Dianion Vorlaufer abgespalten sodass von den zwolf Boratomen anschliessend nur noch elf einen Substituenten tragen Ein Boratom weist hingegen eine freie Bindungsstelle auf vgl Abb 1 und 4 Abhangig von der Art der Substituenten kann diese Fragmentierung direkt durch CID des Prakursors B12X12 2 geschehen oder es wird zunachst ein sogenanntes anionisches Ionenpaar der Form M B12X12 2 erzeugt welches durch CID das Neutralteilchen MX verliert Das Kation M kann dabei zum Beispiel ein H Ion oder ein Alkali Kation sein Die direkte Fragmentierung des Prakursors ist moglich fur die Chlor Brom und Iod Varianten X Cl Br I wahrend die zwischenzeitliche Erzeugung des anionischen Ionenpaars fur die Prakursor Varianten mit Fluor und Cyano Gruppen als Substituenten X F CN erforderlich ist nbsp Abbildung 4 Fragmentierungsreaktion bei der das elektrophile Anion B12X11 entsteht Farblich dargestellt sind die unterschiedlich geladenen Bereiche in Edukt und Produkt Anmerkung Die Farbgebung dient nur der Veranschaulichung und steht mit der tatsachlichen Ladung weder quantitativ noch linear in einem Zusammenhang Eigenschaften BearbeitenDie bei der Fragmentierung entstehende freie Bindungsstelle an einem der Boratome tragt eine erhebliche positive Teilladung und ist daher stark elektrophil obwohl die Gesamtladung des Ions negativ ist vgl Abb 4 An diesem vakanten Boratom befindet sich das niedrigste unbesetzte Molekulorbital LUMO mit negativer Orbitalenergie und das delokalisierte s Elektronensystem ist dort unterbrochen was durch Untersuchungen mittels Electron Localization Index ELI gezeigt werden konnte 2 Das starre und sehr stabile Dodecaborat Gerust verhindert mogliche intramolekulare Umlagerungsreaktionen sodass das hochreaktive elektrophile Zentrum erhalten und chemisch zuganglich bleibt Reaktivitat und Bindungsbildung BearbeitenReaktionen mit Edelgasen Bearbeiten nbsp Abbildung 5 Veranschaulichung des elektrischen Feldes welches aus der molekularen Ladungsverteilung resultiert Die farbigen Pfeile stellen die Kraft dar die auf eine negative Punktladung wirkt Diese Kraft ist gross und anziehend in der Nahe der positiv geladenen Bindungsstelle grune Pfeile und wird in grosserer Entfernung aufgrund der negativen Gesamtladung abstossend rote Pfeile Die Richtungsanderung des elektrischen Feldes in der Nahe der Bindungsstelle fuhrt zu einer Umkehrung der bevorzugten Orientierung eines Dipols Anmerkung Fur die Farbgebung wurde dieselbe Farbskala wie in Abbildung 4 verwendet Die superelektrophilen Anionen weisen besondere Eigenschaften auf die in dieser Kombination sehr aussergewohnlich sind und die Ausbildung stabiler Edelgasbindungen ermoglichen Dazu zahlen die starke Elektrophilie und die strukturelle Stabilitat der Anionen die bereits im Abschnitt Eigenschaften erlautert wurden Daruber hinaus wurden drei weitere Aspekte diskutiert die fur die Bindungsbildung zu Edelgasen forderlich sein konnten 1 Begunstigte Bildung und Stabilisierung des Kollisionskomplexes Bearbeiten Die stark elektrophile positive Bindungsstelle innerhalb des insgesamt anionischen Rahmengerusts erzeugt ein ungewohnliches elektrisches Feld in der Nahe des reaktiven Boratoms Polare Nukleophile die sich dem Anion in der bevorzugten Ausrichtung nahern mussen ihre Orientierung andern damit die nukleophile Stelle mit dem Anion reagieren kann Dies konnte zu einer signifikanten Zentrifugalbarriere fuhren und die Anzahl reaktiver Kollisionen verringern Auf unpolare Molekule wie Edelgase hat dieser Effekt keinen Einfluss vgl Abb 5 Das grosse Molekulgerust dieser mehratomigen Kafig Anionen erlaubt eine Umverteilung der Kollisionsenergie durch den Stoss der Reaktionspartner uber die vielen insbesondere niederenergetischen Schwingungsfreiheitsgrade so dass der Kollisionskomplex langlebig genug ist um durch Kollisionskuhlung stabilisiert zu werden 2 Schutz vor Substitution Bearbeiten Nachdem das Edelgas an das Boratom gebunden hat wird sein Austausch durch ein Nukleophil im Rahmen einer typischen SN2 Reaktion durch die Kafigstruktur des Borats verhindert da die Edelgas Bor Bindung sterisch abgeschirmt ist vgl Abb 6 3 Gunstige Elektrostatik und Dispersionskrafte Bearbeiten nbsp Abbildung 6 Das Edelgas Atom bindet an die positive Bindungsstelle liefert Elektronendichte koordinative Bindung dunkelgrau und wird dadurch schwach positiv Dies ermoglicht anziehende elektrostatische Wechselwirkungen mit der umgebenden negativ geladenen Substituentenhulle SN2 Austauschreaktionen des gebundenen Edelgasatoms werden durch das Dodecaborat Gerust verhindert Reaktionsweg rot durchgestrichen Zusatzlich ist eine grosse Kontaktflache fur Dispersionswechselwirkungen vorhanden hellblau Anmerkung Fur die Farbgebung wurde dieselbe Farbskala wie in Abbildung 4 verwendet Zusatzlich zu der koordinativen Edelgas Bor Bindung tragen Dispersionswechselwirkungen und die Elektrostatik zur Stabilisierung des Edelgaskomplexes bei Die elektrophile Bindungsstelle befindet sich innerhalb eines Kraters der durch funf teilweise negativ geladene Substituenten X definiert wird die einen grossen Wechselwirkungsbereich fur die Ausbildung anziehender London Dispersionskrafte bieten Das gebundene Edelgas Atom hingegen liefert dem benachbarten Boratom Elektronendichte und wird somit schwach positiv wodurch eine anziehende und stabilisierende elektrostatische Wechselwirkung zu den umgebenden Substituenten eine Rolle spielen konnte vgl Abb 6 Zu den Reaktionen der einzelnen Fragment Ion Varianten mit den verschiedenen Edelgasen siehe auch Abschnitt Varianten Reaktionen mit biatomaren Molekulen N2 CO Bearbeiten Die Bindung der biatomaren Molekule CO und N2 an superelektrophile Anionen wurde mithilfe von Massenspektrometrie Infrarotphotodissoziations IRPD Spektroskopie und theoretischen Berechnungen untersucht CO bindet uber seinen nukleophilen Kohlenstoff an das vakante Boratom des elektrophilen Anions Im Gegensatz zur Reaktion mit Edelgasen erfolgt die Bindung jedoch nicht nur durch eine s Hinbindung der Nukleophile CO und N2 Das elektrophile Anion schiebt uber eine p Ruckbindung Elektronendichte in die antibindenden p Orbitale von N2 und CO was die Bindung zum elektrophilen Anion zusatzlich starkt nbsp Abbildung 7 Vereinfachte Darstellung der Orbitalwechselwirkungen die fur die Bindung von CO und N2 und das elektrophile Anion eine Rolle spielen Zu den Reaktionen der einzelnen Fragment Ion Varianten mit CO und N2 siehe auch Abschnitt Varianten Reaktionen mit gesattigten Kohlenwasserstoffen BearbeitenDie hohe Reaktivitat der B12X11 Anionen ermoglicht nicht nur Reaktionen mit Edelgasen sondern auch eine direkte Funktionalisierung gesattigter Kohlenwasserstoffe nbsp Abbildung 8 Schema zur Reaktion von B12Br11 mit Methan Das superelektrophile Anion spaltet ein Proton aus dem Methan ab und wirkt dann anschliessend als anionische Saure sodass Wasser protoniert werden kann Zur Aufklarung des Reaktionsmechanismus wurden Detailuntersuchungen zur Reaktivitat von B12Br11 und B12Cl11 mit Methan in der Gasphase durchgefuhrt Die Untersuchungen der Molekulstrukturen erfolgten dabei mithilfe der IR Spektroskopie Es konnte gezeigt werden dass das elektrophile Boratom mit der wenig polaren C H Bindung reagiert Der Kohlenstoff stellt den partiell negativen nukleophilen Teil der Bindung dar Es kommt zu einer heterolytischen Bindungsspaltung der C H Bindung was formal zu einem Carbanion CH3 und einem Proton H fuhrt Das Carbanion bindet an das elektrophile Boratom des B12X11 sodass sich das Dianion B12X11CH3 2 bildet wahrend das H Ion in der Gasphase elektrostatisch an dieses Dianion gebunden bleibt Das insgesamt einfach geladene Ion B12X11CH3 2 H ist eine Bronsted Saure Bei Kontakt mit Wasser bildet sich B12X11CH3 2 H3O welches durch die charakteristische Regenschirmschwingung des koordinierten Hydronium Ions H3O nachgewiesen werden kann vgl Abb 8 und 9 3 Daruber hinaus wurden die Fragment Ionen B12Br11 und B12Cl11 mit der Ion Soft Landing Methode auf Oberflachen deponiert und dort mit den Alkylketten von organischen Verbindungen zur Reaktion gebracht Die Anbindung an die unpolaren Alkylketten geschah selektiv in Gegenwart von deutlich reaktiveren funktionellen Gruppen wie Aromaten und Estergruppen Diese erstaunliche Bevorzugung von C H Gruppen als Reaktionspartner konnte damit zusammenhangen dass in solchen Oberflachenschichten hydrophobe Alkylgruppen in Richtung Vakuum ausgerichtet sind Die superelektrophilen Anionen reagieren direkt an der Grenzflache zum Vakuum mit C H Gruppen der Phthalat Alkylgruppen nach dem in Abbildung 8 dargestellten Mechanismus fur Methan 3 nbsp Abbildung 9 IRPD Spektrum des Reaktionsproduktes von B12X11 und Methan Animiert sind die Schwingungsbewegungen der stark IR aktiven Moden einschliesslich der charakteristischen Inversionsschwingung des koordinierten Hydronium Ions Fur bewegte Animation der Abbildung bitte darauf klicken Reaktionen mit Anionen Bearbeiten In der Gasphase konnen Ionen Ionen Reaktionen in der Regel nur zwischen Ionen mit entgegengesetzter Polaritat also zwischen Anion und Kation stattfinden Die Reaktionspartner ziehen sich dann durch die Coulomb Kraft mit langer Reichweite an und die komplementaren Reaktivitaten des nukleophilen Anions und des elektrophilen Kations bewirken die Ausbildung einer stabilen Bindung Auf der anderen Seite hat ein Anion fur gewohnlich keine Affinitat zu anderen Anionen da zum einen die grosse Coulomb Barriere Ionen gleicher Polaritat auf Abstand halt und zum anderen zwischen zwei Nukleophilen die thermodynamische Triebkraft fehlt eine Bindung auszubilden Durch die starke Elektrophilie der B12X11 Ionen entsteht jedoch eine solche Triebkraft sodass es moglich sein musste zu einigen Anionen stabile Bindungen aufzubauen und hochgeladene Ionen zu bilden Allerdings haben die abstossenden elektrostatischen Wechselwirkungen eine lange Reichweite und konnen daher in der Gasphase nicht von diesen elektrophilen Anionen uberwunden werden Die Anionen werden somit auf Abstand gehalten und konnen nicht miteinander reagieren Um dieses Problem zu umgehen wurden die entsprechenden Anionen mithilfe der Ion Soft Landing Methode auf geerdeten Oberflachen gezielt zusammengefuhrt So konnte beispielsweise aus dem hochreaktiven Fragment Anion B12I11 und dem stabilen Dianion B12I12 2 das Trianion B12I11 I B12I11 3 erzeugt werden 4 Varianten Bearbeiten nbsp Abbildung 10 Struktur der experimentell untersuchten elektrophilen Fragment Anionen B12X11 mit den verschiedenen Substituenten X Durch Austausch der Substituenten X lassen sich verschiedene Varianten der closo Dodecaborat Vorlaufer und somit auch der Fragment Anionen erzeugen Experimentell wurden bislang funf Varianten in der Gasphase hergestellt und deren Reaktivitat untersucht Die Fragment Anionen B12X11 mit den Substituenten X F Cl Br I und CN Die Art der Substituenten beeinflusst massgeblich die Elektrophilie des Fragment Anions Dabei scheint die thermodynamische Stabilitat des Vorlaufer Dianions eine wichtige Rolle zu spielen Als grobe Faustregel gilt Je elektronisch stabiler das Vorlaufer Dianion ist desto starker elektrophil istdas entsprechende durch Gasphasenfragmentierung erzeugte Monoanion Tabelle 1 liefert eine Ubersicht zu den bei Raumtemperatur moglichen Reaktionen zwischen den verschiedenen Edelgasen und experimentell zuganglichen Varianten der superelektrophilen Anionen Des Weiteren zeigt sie wie die Reaktivitat der Varianten mit der elektronischen Stabilitat des Prakursors und mit der berechneten atomaren Ladung des vakanten Bors einhergeht Tabelle 1 Reaktionen der Varianten mit den verschiedenen Edelgasen bei Raumtemperatur in Zusammenhang mit der Prakursor Stabilitat und der atomaren Ladung des vakanten Bors letzteres mithilfe der Natural Population Analysis NPA Methode ermittelt B12F11 B12I11 B12Cl11 B12Br11 B12 CN 11 Ne Ar Kr Xe Elektronische Stabilitat des Prakursors in eV 1 9 2 9 3 0 3 2 5 3Atomare Ladung des vakanten Bors in e 0 45 0 66 0 64 0 64 0 82Es zeigt sich dass die Reaktivitaten von B12Cl11 und B12Br11 als ahnlich eingestuft werden konnen wahrend B12F11 und B12I11 weniger reaktiv sind Die reduzierte Edelgasbindungsstarke kann im Fall von X F auf ein weniger elektrophiles vakantes Boratom zuruckgefuhrt werden denn die mithilfe der Natural Population Analysis NPA Methode berechnete atomare Ladung des vakanten Bors betragt 0 45 e wahrend sie fur die anderen Halogene deutlich grosser ist fur X Cl beispielsweise 0 64 e Im Fall von X I ist das Boratom zwar ahnlich elektrophil wie fur X Cl und X Br allerdings sind die sterisch sehr anspruchsvollen Iod Liganden hinderlich fur die Bindungsbildung 8 nbsp Abbildung 11 Visualisierung des elektrostatischen Potentials auf der molekularen Oberflache der verschiedenen superelektrophilen Anionen Positives Potential ist rot neutrales Potential grun und negatives Potential blau dargestellt vgl Farbskala rechts Einheit a u Anmerkung Die Skala verlauft linear allerdings hat das Gefalle im negativen Bereich von Grun nach Blau einen zehnmal so grossen Betrag wie die Steigung im positiven Bereich von Grun nach Rot Im B12 CN 11 hingegen ist das vakante Boratom mit einer atomaren Ladung von 0 82 e signifikant elektrophiler als diejenigen der halogenierten Varianten vgl Abb 11 Abbildung 11 zeigt das elektrostatische Potential auf der molekularen Oberflache der verschiedenen B12X11 Varianten und veranschaulicht damit die unterschiedlichen Reaktivitaten der vakanten Boratome die zum einen durch die Starke des Elektronenmangels positives elektrostatisches Potential in Rot dargestellt und zum anderen durch die Zuganglichkeit des elektrophilen Zentrums beeinflusst werden Letzteres hangt massgeblich von der Grosse der Substituenten X ab da diese zu einer raumlichen Abschirmung des vakanten Boratoms beitragen Bei den Reaktivitaten ist jedoch zu beachten dass diese massgeblich von der Art des verwendeten Reaktionspartners abhangen Vereinfacht ausgedruckt haben die Varianten also unterschiedliche Vorlieben was ihre nukleophilen Reaktionspartner angeht Das bedeutet dass eine Variante die sich bestimmten Reaktionspartnern gegenuber reaktiver verhalt als eine andere Variante nicht universell reaktiver ist sondern nur bezogen auf bestimmte Reaktionspartner So bindet zum Beispiel B12Cl11 Edelgase starker als B12F11 letzteres bindet dafur starker CO und N2 Dieser Unterschied lasst sich dadurch erklaren dass die Bindungsstarke zu Edelgasen durch die Elektrophilie des vakanten Boratoms dominiert wird wahrend die Bindung zu N2 oder CO erheblich durch die Ausbildung von p Ruckbindungen beeinflusst wird vgl Abschnitt Reaktionen mit biatomaren Molekulen Bei der p Ruckbindung kommt es zu einem Elektronentransfer aus besetzten Molekulorbitalen des B12X11 in die antibindenden p Orbitale des N2 beziehungsweise CO Da eine geringere Elektrophilie des vakanten Boratoms aber mit energetisch hoher liegenden besetzten Orbitalen und somit auch mit einer gesteigerten Fahigkeit einhergeht Elektronendichte abzugeben ist der schwachste Edelgasbinder gleichzeitig der starkste N2 und CO Binder unter den superelektrophilen Anionen und umgekehrt 8 Theoretische Untersuchungen Computersimulationen BearbeitenErganzend zu den beschriebenen experimentellen Untersuchungen wurde die Reaktivitat der superelektrophilen Anionen auch durch theoretische Computational Chemistry Methoden umfangreich untersucht Die Edelgas Bor Bindung wurde dabei sowohl in kombiniert experimentell theoretischen Studien 1 2 8 7 als auch in unabhangigen Theoriestudien analysiert 9 Hierfur wurden Methoden wie Quantum Theory Of Atoms In Molecules QTAIM und Energy Decomposition Analysis EDA eingesetzt Auch die Moglichkeit Verbindungen der superelektrophilen Anionen mit Edelgasen in der kondensierten Phase zu stabilisieren wurde diskutiert und theoretisch untersucht 10 Daruber hinaus befassen sich andere theoretische Studien mit der Reaktivitat gegenuber H2 11 oder mit bisher experimentell nicht zuganglichen elektrophilen Anionen Hierzu gehoren Beryllium haltige superelektrophile Dianionen 12 sowie die Anionen B12 BO 11 und B12 OBO 11 13 Wissenschaftliche Bedeutung und potenzielle Anwendungen BearbeitenDie aussergewohnliche Reaktivitat der superelektrophilen Anionen ermoglicht es ihnen Bindungen zu grundsatzlich sehr unreaktiven Atomen oder Molekulen aufzubauen Solche Reaktionen zwischen superelektrophilen Anionen und unreaktiven Substanzen sind in vielerlei Hinsicht von Interesse Erforschung neuer Reaktionsmechanismen fur die direkte Funktionalisierung unreaktiver Ressourcen Viele naturliche Ressourcen wie N2 CO2 oder kleine Kohlenwasserstoffe sind sehr reaktionstrage aufgrund der stabilen Bindungen innerhalb der Molekule Dies steht einer effizienten Nutzung dieser Ressourcen im Wege die jedoch von ausserst grossem okologischem und wirtschaftlichem Interesse ware Mithilfe der superelektrophilen Anionen konnen neue Kenntnisse uber Mechanismen der direkten Funktionalisierung solch unreaktiver Verbindungen gewonnen werden die in Zukunft moglicherweise bei der gezielten Suche nach Methoden zur Nutzung unreaktiver Ressourcen hilfreich sein konnten Herstellung exotischer Verbindungen fur die chemische Grundlagenforschung Reaktionen mit B12X11 Anionen ermoglichen die Herstellung einer ganzen Reihe von exotischen Verbindungen die fur die chemische Grundlagenforschung interessant sind Dazu gehoren zum Beispiel edelgashaltige molekulare Anionen oder hochgeladene Clusterionen die auf anderem Wege synthetisch nicht zuganglich sind Zu den edelgashaltigen molekularen Anionen gab es zwar bereits einige Forschungsarbeiten doch die meisten von ihnen sind rein theoretischer Natur Demgegenuber lassen sich edelgashaltige Anionen des Typs B12X11 EG EG Edelgas tatsachlich experimentell herstellen und das nicht nur bei Temperaturen in der Nahe des absoluten Nullpunktes 0 Kelvin sondern auch bei Raumtemperatur 298 Kelvin Daruber hinaus sind sie vergleichsweise robust gegenuber Angriffen durch Nukleophile wie zum Beispiel Wasser Bei Raumtemperatur lassen sich kleine Mengen davon in Vakuuminstrumenten kaum vermeiden sodass das vorhandene Wasser dazu neigt die entstandenen edelgashaltigen Reaktionsprodukte durch Substitutionsreaktionen wieder zu zerlegen Dieses Problem spielt bei den hier beschriebenen edelgashaltigen Anionen des Typs B12X11 EG jedoch keine grosse Rolle Herstellung neuartiger Substanzen als Prototypen fur potenzielle Medikamente B12X11 Ionen konnen direkt an grossere organische Strukturen gebunden werden um auf diese Weise ganz neue borhaltige organische Molekule herzustellen Solche neuartigen Molekule konnten in Zukunft interessante Reagenzien zum Beispiel fur Krebsmedikamente im Rahmen der Bor Neutroneneinfangtherapie darstellen Dafur mussten allerdings zunachst die Synthesemethoden dahingehend verbessert werden dass deutlich mehr Ausbeute in der kondensierten Phase zu erreichen ist Erzeugung permanenter Ionen fur Analysen mit der Elektrospray Massenspektrometrie Durch Anbindung von B12X11 an neutrale unpolare Molekule lassen sich diese in permanente Ionen umwandeln Das hat den Vorteil dass sich neue Perspektiven fur die Analyse dieser unpolaren Molekule mit der Elektrospray Massenspektrometrie ergeben die ohne die Anbindung an die B12X11 Ionen nicht moglich waren Forschungsstandorte BearbeitenIhren Ursprung hat die Forschung zu superelektrophilen Anionen in der Gasphase an der Universitat Bremen und am Wilhelm Ostwald Institut WOI der Universitat Leipzig Der Schwerpunkt befindet sich derzeit am WOI da dort nach wie vor die meisten experimentellen Studien stattfinden US Forschungsgruppen vom Pacific Northwest National Laboratory PNNL in Richland und von der Purdue Universitat in West Lafayette konnten durch Kooperationen mit dem WOI ebenfalls wichtige experimentelle Beitrage zur Erforschung superelektrophiler Anionen leisten Die Prakursoren welche zur Erzeugung der elektrophilen Anionen Verwendung finden werden grosstenteils an der Bergischen Universitat Wuppertal synthetisiert Theoretische Untersuchungen zu dieser Verbindungsklasse wurden bereits von vielen Gruppen in aller Welt wie zum Beispiel in den USA in China Indien oder Deutschland durchgefuhrt Weblinks BearbeitenHomepage der NFG von Dr Jonas Warneke Wilhelm Ostwald Institut an der Universitat Leipzig Homepage der AG von Prof Carsten Jenne Universitat WuppertalEinzelnachweise Bearbeiten a b c d e Martin Mayer Valentin van Lessen Markus Rohdenburg Gao Lei Hou Zheng Yang Rudiger M Exner Edoardo Apra Vladimir A Azov Simon Grabowsky Sotiris S Xantheas Knut R Asmis Xue Bin Wang Carsten Jenne Jonas Warneke Rational design of an argon binding superelectrophilic anion In Proceedings of the National Academy of Sciences 23 April 2019 abgerufen am 6 Dezember 2021 englisch a b c d e Markus Rohdenburg Martin Mayer Max Grellmann Prof Dr Carsten Jenne Dr Tobias Borrmann Florian Kleemiss Dr Vladimir A Azov Prof Dr Knut R Asmis Prof Dr Simon Grabowsky Dr Jonas Warneke Superelectrophilic Behavior of an Anion Demonstrated by the Spontaneous Binding of Noble Gases to B12Cl11 In Angewandte Chemie International Edition 31 Mai 2017 abgerufen am 6 Dezember 2021 englisch a b c Jonas Warneke Martin Mayer Markus Rohdenburg Xin Ma Judy K Y Liu Max Grellmann Sreekanta Debnath Vladimir A Azov Edoardo Apra Robert P Young Carsten Jenne Grant E Johnson Hilkka I Kenttamaa Knut R Asmis Julia Laskin Direct functionalization of C H bonds by electrophilic anions In Proceedings of the National Academy of Sciences 22 September 2020 abgerufen am 6 Dezember 2021 englisch a b Fangshun Yang K Antonio Behrend Harald Knorke Dr Markus Rohdenburg Dr Ales Charvat Prof Dr Carsten Jenne Prof Dr Bernd Abel Dr Jonas Warneke Anion Anion Chemistry with Mass Selected Molecular Fragments on Surfaces In Angewandte Chemie International Edition 14 September 2021 abgerufen am 6 Dezember 2021 englisch George A Olah Superelektrophile In Angewandte Chemie 1 Juli 1993 abgerufen am 6 Dezember 2021 Jana Roithova Superelectrophilic chemistry in the gas phase In Pure and Applied Chemistry 4 April 2011 abgerufen am 6 Dezember 2021 englisch a b Martin Mayer Markus Rohdenburg Valentin van Lessen Marc C Nierstenhofer Edoardo Apra Simon Grabowsky Knut R Asmis Carsten Jenne Jonas Warneke First steps towards a stable neon compound observation and bonding analysis of B12 CN 11Ne In Chemical Communications 10 Marz 2020 abgerufen am 6 Dezember 2021 englisch a b c Dr Martin Mayer Dr Markus Rohdenburg Sebastian Kawa Francine Horn Harald Knorke Prof Dr Carsten Jenne Prof Dr Ralf Tonner Prof Dr Knut R Asmis Dr Jonas Warneke Relevance of p Backbonding for the Reactivity of Electrophilic Anions B12X11 X In Chemistry A European Journal 20 Mai 2021 abgerufen am 6 Dezember 2021 englisch Kevin Wohner Toshiki Wulf Nina Vankova Thomas Heine Strong Binding of Noble Gases to B12X11 A Theoretical Study In The Journal of Physical Chemistry A 26 Mai 2021 abgerufen am 6 Dezember 2021 englisch Markus Rohdenburg Vladimir A Azov Jonas Warneke New Perspectives in the Noble Gas Chemistry Opened by Electrophilic Anions In Frontiers in Chemistry 13 November 2020 abgerufen am 6 Dezember 2021 englisch Toshiki Wulf Jonas Warneke Thomas Heine B12X11 H2 exploring the limits of isotopologue selectivity of hydrogen adsorption In RSC Advances 16 September 2021 abgerufen am 6 Dezember 2021 englisch Meenakshi Joshi Tapan K Ghanty Quantum chemical prediction of a superelectrophilic dianion and its binding 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