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Sowjetische Schachschule bezeichnet einerseits die Gesamtheit der von der Sowjetunion hervorgebrachten Schachmeister und die von ihnen erarbeiteten Erkenntnisse andererseits das in der Sowjetunion praktizierte System der Talentforderung im Schach Der Begriff ist ideologisch besetzt und wird heute zum Teil nicht mehr gern gebraucht sondern man spricht z B lieber von der russischen bzw ukrainischen Schachschule oder verknupft die Schachschulen mit ihren Leitern wie etwa die Botwinnik Schachschule in Moskau Zwischen den einzelnen Schulen und Trainern gab es dabei starkes Konkurrenzdenken Daher betonen noch heute viele der Spieler in welcher der verschiedenen sowjetischen Schachschulen sie ausgebildet wurden Inhaltsverzeichnis 1 Volkssport 2 Popularisierung durch Offentlichkeitsarbeit 3 Schach als Beruf 4 LiteraturVolkssport BearbeitenIn den 1920er Jahren wurde Schach unter aktiver Forderung der herrschenden KPdSU zum Volkssport Als Vorbild galt dabei unter anderem Michail Tschigorin Ausgehend von einem Zitat Lenins Schach ist Gymnastik des Verstandes sah man darin ein Mittel das intellektuelle Niveau der Bevolkerung zu heben Wichtige Rollen bei der Etablierung des Schachspiels in Gesellschaft und Politik spielten der Schachmeister Alexander Iljin Schenewski und der hochrangige Funktionar Nikolai Krylenko Die bereits in der Zarenzeit bestehende Allrussische Schachfoderation wurde 1924 in eine straff gefuhrte und staatlich kontrollierte Organisation umgewandelt die seit Ende der 1920er Jahre anhand von Funfjahrplanen die Entwicklung vorantrieb Starke Spieler wurden vom Staat bezahlt genossen hohes Ansehen und konnten sich voll dem Schach widmen Einige wie Anatoli Karpow bekleideten auch politische Amter Als Aushangeschild der Sowjetischen Schachschule galt ab Mitte der 1930er Jahre Michail Botwinnik Es wurde versucht einen spezifisch sowjetischen Spielstil zu definieren der analog zu marxistischen Prinzipien dialektisch sein sollte Meilensteine der Entwicklung waren die Ausrichtung bedeutender internationaler Turniere Moskau 1925 und 1936 und der Gewinn des Weltmeistertitels durch Botwinnik im Jahr 1948 Um Einfluss auf die Organisation von Weltmeisterschaftskampfen nehmen zu konnen war die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg der FIDE beigetreten die sie zuvor als bourgeoise Organisation abgelehnt hatte In der Folgezeit bis 1972 und seit 1975 bis dem Ende UdSSR war dieser Titel fest in sowjetischer Hand und wurde wahrend des Kalten Krieges zu einem Prestigeobjekt Auch alle Herausforderer waren in dieser Zeit Vertreter der sowjetischen Schachschule und die Schacholympiaden wurden uber Jahrzehnte von der sowjetischen Mannschaft dominiert Bereits 1945 kam es zu einem aufsehenerregenden Radiowettkampf an 10 Brettern gegen die Mannschaft der USA den die Sowjetunion deutlich gewann ebenso wie im folgenden Jahr einen Revanchekampf in Moskau Diese Erfolge wurden propagandistisch verwertet und sogar als Beleg fur eine kulturelle Uberlegenheit der Sowjetunion angefuhrt Nur die besten Spieler die gleichzeitig ein Mindestmass an politischer Zuverlassigkeit besassen durften im westlichen Ausland spielen Durch die grosse Zahl guter Spieler waren aber auch die nationalen Turniere sehr gut besetzt Die Landesmeisterschaft und die Stadtmeisterschaften grosser Stadte wie Moskau oder Leningrad waren hochkaratiger besetzt als die meisten internationalen Turniere Popularisierung durch Offentlichkeitsarbeit BearbeitenIn der Sowjetunion erschienen zahlreiche Publikationen zum Schach insbesondere zur Eroffnungstheorie Der US amerikanische Grossmeister Bobby Fischer brachte sich selbst Russisch bei nur um die Partien und Analysen der sowjetischen Spieler studieren zu konnen Manches wurde aber auch geheim gehalten so spielte Botwinnik einige Trainingswettkampfe die erst Jahrzehnte spater veroffentlicht wurden Talentierte Jugendliche wie beispielsweise Boris Spasski oder spater Anatoli Karpow wurden bereits fruh gefordert erhielten hauptamtliche Trainer zur Seite gestellt und waren daher besser ausgebildet als westliche Spieler In den 1970er Jahren wurden die begabtesten Junioren wie etwa Garri Kasparow von Ex Weltmeister Botwinnik betreut Auch Wladimir Kramnik gilt noch als Produkt dieser Talentschmiede Andere bekannte Trainer waren Wladimir Sak Juri Rasuwajew Wjatscheslaw Tschebanenko Alexander Koblenz und Mark Dworezki Schach als Beruf BearbeitenDie enorme Bedeutung die Schach in der Sowjetunion einnahm zeigte sich eindrucklich an den bis zu vier Millionen aktiven Spieler zu Beginn der 1970er Jahre Im Zuge der Professionalisierung des Schachsports in den 1960er Jahren erhielten Grossmeister ein festes Einkommen das ungefahr demjenigen eines Arztes entsprach Die Spieler an der Weltspitze verdienten ungefahr das Dreifache Trotzdem waren die meisten sowjetischen Grossmeister offiziell Amateure und gingen einem durchschnittlichen Beruf nach Die Erlangung des Meistertitels war mit einem hohen sozialen Status dem Privileg der Auslandreisen und in einigen Fallen der Verleihung hochster Orden verbunden Grossmeister wurden wie Kosmonauten gefeiert und selbst Politiker in hochsten Amtern kummerten sich um die Belange der Spitzenspieler Erstmals in der Geschichte eroffnete 1966 in Moskau an der Zentralen Hochschule fur Korperkultur eine Fakultat fur Schach Auf der anderen Seite war der Aufstieg zum Schachmeister auch mit Pflichten verbunden So gehorten das Unterrichten von Nachwuchsspielern und das Spielen von Simultanpartien mitunter auch in weit abgelegenen Gegenden zu den Aufgaben der Meisterspieler Weil sie viele Sonderrechte genossen und die sowjetische Kultur nach aussen hin vertraten sollten Grossmeister ihren Mitburgern nicht nur im Schach sondern auch politisch ein Vorbild sein Unzuverlassigen Spielern versagten die verantwortlichen Institutionen die Unterstutzung die Betroffenen mussten mit Repressalien rechnen Der sowjetische Geheimdienst KGB wusste durch seine Informanten stets Bescheid was sich in der Schachszene abspielte und gab Empfehlungen ab welche Spieler gefordert und welche sanktioniert werden sollten Als unzureichend eingestufte Leistungen konnten mit dem Verlust von Privilegien bestraft werden Literatur BearbeitenEdmund Bruns Das Schachspiel als Phanomen der Kulturgeschichte des 19 und 20 Jahrhunderts Hamburg 2003 Michael A Hudson Chess in Russia In Bruce F Adams Hrsg The modern encyclopedia of Russian Soviet and Eurasian history Supplement 5 Academic International Press Gulf Breeze 2004 ISBN 0 87569 142 0 S 241 248 Alexander Kotow und Michail Judowitsch Schach in der UdSSR Verlag Harri Deutsch Thun 1982 ISBN 3 87144 400 6 Helmut Pfleger Gerd Treppner Brett vorm Kopf Leben und Zuge der Schachweltmeister Munchen 1994 David John Richards Soviet Chess Chess and Communism in the U S S R Oxford 1965 Andrew Soltis Soviet Chess 1917 1991 McFarland amp Company Jefferson 2000 ISBN 0 7864 0676 3 Rolf Voland Strategen im Hinterland Das UdSSR Schach 1941 45 Schachverlag Kania Schwieberdingen 1998 ISBN 3 931192 10 5 Rolf Voland Betrachtung zur Schachgeschichte in Russland In Schach 1998 Heft 10 S 39 47 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sowjetische Schachschule amp oldid 227563382