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Selina oder Das andere Leben ist der Titel eines 2005 publizierten Romans von Walter Kappacher 1 Erzahlt wird der Versuch des Salzburger Gymnasiallehrers Stefan in einer abgeschiedenen italienischen Region mit kultureller Tradition seinem Leben die lang erhoffte Wendung zu geben und es neu zu orientieren sowie in Auseinandersetzung mit Jean Pauls Gedanken uber die Unsterblichkeit uber die existentiellen Fragen nachzudenken Verbunden mit dieser Phase der Selbstbesinnung sind die Tagesablaufe eines einfachen Lebens die Sanierung eines alten Bauernhauses sowie die Pflege des Gelandes die Bekanntschaft mit der landlichen Gesellschaft kreative und kontemplative Beschaftigungen und die Hoffnung an Literatur und Kunst interessierte seelenverwandte Freunde zu finden Inhaltsverzeichnis 1 Handlungsubersicht 2 Interpretation 2 1 Italien Sehnsucht 2 2 Das einfache Leben 2 3 Toskanische Impressionen 2 4 Jean Pauls Gedanken uber die Unsterblichkeit der Seele 2 5 Heinrich Seifferts Gesprach mit Stefan uber den Tod 2 6 Kosmisches Naturerlebnis 2 7 Stefans Erfahrungen 3 Sekundarliteratur 4 EinzelnachweiseHandlungsubersicht Bearbeiten nbsp Wie ein Grenzwall wirkt das Pratomagno Gebirge vom Arno Tal aus In diese im Vergleich zur westlichen Chianti Toskana fur den Tourismus abgelegene Region des Valdarno mit Eichen und Kastanienwaldern und dazwischen teilweise verwilderten terrassierten Oliven Wein und Gemusegarten haben sich Heinrich Seiffert und Stefan zuruckgezogen Ursachen fur Stefans Ausstieg und die einjahrige Befreiung von seinen beruflichen Pflichten sind die Unzufriedenheit mit seiner Arbeit als Lehrer und die Entfremdung von seiner zwolf Jahre alteren Freundin und Kollegin Monika Schneider Er ist ca 40 Jahre alt gilt in der Schule als Sonderling und kann sich zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen bis zur Pensionierung Schuler zu unterrichten In der Mitte seines Lebens stellt er sich die Fragen nach Sinnerfullung und nach einem Neubeginn als Schriftsteller in einem anderen Umfeld Ausloser seiner Entscheidung fur eine Besinnungsphase in raumlicher Distanz zu Wohnort Familie und Bekannten ist in den Osterferien 1985 die zufallige Begegnung mit dem in antiker Literatur belesenen Heinrich Seiffert der seit siebzehn Jahren in einem kleinen Dorf im Hugelland des Pratomagno Gebirges zwischen Florenz und Arezzo lebt und ihm das Angebot macht sich ein vom Zerfall bedrohtes Bauernhaus auf seinem Anwesen als Sommerferiensitz herzurichten Die Haupthandlung begleitet den Protagonisten von Mai bis September 1987 und wird in kleinen Kapiteln die jeweils einzelne Situationen und Erlebnisse enthalten im Wesentlichen chronologisch nur durch einige Ruckblicke unterbrochen entwickelt Z B die erste Autofahrt nach Moro 2 der Besuch mit Mario bei dessen Schwester Eva in Arezzo 3 die kurze Beziehung zu Loretta Heinrichs Besuch mit Selina und ihrem Mann in Moro der Bus Ausflug mit dem Burgermeister zum Lago Trasimeno 4 Eingerahmt sind diese Stationen von zwei Abschnitten in denen Stefan in der Ich Form Heinrich vorletztes Kp 5 und dessen Nichte Selina 1 Kp 6 anspricht Das letzte Kapitel verweist auf den Hintergrundtext Jean Pauls 1827 veroffentlichtes Romanfragment Selina oder uber die Unsterblichkeit der Seele 7 Interpretation BearbeitenItalien Sehnsucht Bearbeiten nbsp Die Piazza Grande in Francesco Petrarcas Geburtsstadt Arezzo ist ein haufiges Ausflugsziel Stefans Hier kauft er auf dem Antiquitaten Markt fur die Moblierung des Ferienhauses zwei Stuhle die ihm Loretta mit ihrem Renault nach Mora transportiert 8 Mit der Bekanntschaft Heinrich Seifferts im Bahnhof beginnt das Toskana Experiment des Salzburger Lehrers ware ich vor zwanzig bis funfundzwanzig Jahren zum ersten Male und dann ofter nach Italien gekommen so ware auch aus mir etwas geworden Adalbert Stifter Heinrich Seiffert liest als Experte fur antike Literatur und Kulturgeschichte u a Horaz Vergil Lukrez und schreibt eine Petrarca Studie 9 Sein Freund und Kollege professore Alberto ist Prasident der Societa Francesco Petrarca in Arezzo wo Seiffert fruher in jedem Jahr einen Vortrag gehalten hat Vor allem dieser Dichter war es der mit der Pflege der romischen republikanischen Literatur und ihrer moralischen Werte des selbstverantwortlichen Menschen zum antiken Lebens und Kulturideal der Renaissance beitrug das er mit der christlichen Offenbarung verband Seit der Zeit der Renaissance 10 interessierte man sich in Europa wieder fur die antike Kunst und Philosophie und wahlte sie zum Vorbild fur das neue individualistische und kosmopolitische Menschenbild Darauf beziehen sich die Bildungsreisen sowohl deutscher Dichter wie Johann Wolfgang Goethe 11 und Maler als auch die Grand Tour der jungen Adligen Viele Entwicklungsromane z B aus der Zeit der Klassik und Romantik greifen das Motiv der Italiensehnsucht auf und gestalten die Schemata einer idealen Natur Kultur Landschaft Arkadien Z B Mignons Lied in Goethes Wilhelm Meisters theatralische Sendung 12 Ludwig Tiecks Franz Sternbalds Wanderungen 13 oder Joseph von Eichendorffs Marmorbild 14 In dieser Tradition stehen die als erster Leitspruch zu Kappachers Roman in Adalbert Stifters Worten formulierten Vorteile von Italienreisen fur die Personlichkeitsbildung und die Sehnsucht Stefans sich dem Mythos Italien zu nahern 15 wobei ihm allerdings vor 1985 das Land erst sudlich von Rom reizvoll erschien 16 Seiffert gibt ihm kulturhistorische Informationen und Reisetipps u a Geburtsorte der Renaissance Maler Fra Angelico Leonardo da Vinci Michelangelo und leiht ihm Bucher Seneca Nach den Vorschlagen seines Mentors macht Stefan Ausfluge in die historischen Zentren besucht beispielsweise eine Etrusker Ausstellung und die Galleria Nationale in Perugia 17 das Geburtshaus Raffaels in Urbino 18 den Palazzo Pitti in Florenz 19 und skizziert die ihn beeindruckenden Kunstwerke aber auch die ihn storende museale Atmosphare Kordeln waren in einer Entfernung von zwei Metern vor den Bildern gespannt 20 Das Haupt Augenmerk seiner Beschreibungen richtet sich allerdings auf die gegenwartige Durchmischung des Stadtbildes und das larmende Leben ausserhalb der Museen und Kirchen Neben dem Eingang zum Geburtshaus von Raffael ein kunsthandwerklich gefertigtes Kachel Schild Tattoo Center 21 Das einfache Leben Bearbeiten Zentrum der Selbstreflexionen des Protagonisten in der Toskana ist ein einfacher aktiver Lebensstil Sein Tagesablauf auf dem an einem verwilderten terrassierten Berghang gelegenen ehemaligen kleinen Landgut Mora zweieinhalb Kilometer von Gello Biscardo entfernt 22 addiert sich aus z T spontan entwickelten Verrichtungen und fuhrt zu einem vollig anderen gedehnten Zeitgefuhl 23 Er repariert das Dach flickt das Mauerwerk weisselt die Wande lackiert die neuen Fensterladen mobliert die Wohnung schneidet das Brombeergestrupp um die Olivenbaume und auf der steil abfallenden Zufahrt zum Grundstuck bespricht mit Mario Sanierungsmassnahmen holt Wasser vom Bona Brunnen unterhalt sich mit den Ferrettis und Marinis die ihre terrassierten Oliven und Weingarten bewirtschaften und ihm gelegentlich Zucchini schenken kauft in San Giustino Valdarno und Castiglion Fibocchi Lebensmittel und Zeitungen betrachtet die Auslagen der Buchhandlungen 24 erkundet dabei der Leser kann die Wege mit Google maps verfolgen die Region die mittelalterlichen Siedlungkerne mit den einformigen Ausbauzonen und Gewerbegebieten an den Hauptverkehrsstrassen bereitet seine Mahlzeiten meistens mit Brot Salami Tomaten und Schafskase zu besucht Heinrich Seiffert in Pontenano liest die von ihm ausgeliehenen Bucher kummert sich um dessen Nichte Selina deren Ehe mit Erich in der Krise ist wahrend ihres Besuchs beim Onkel und verliebt sich in sie Von Anfang an wunscht sich Stefan das einfache Leben in Mora mit einer Frau zu teilen die ahnliche Interessen wie er hat 25 Monika ware dazu offenbar nicht bereit 26 Loretta belasst es bei einer Ubernachtung im alkoholisierten Zustand 27 Mit Selina konnte er sich ein Zusammenleben am besten vorstellen obwohl sie sich bei ihrem ersten Besuch im Juli ablehnend aussert Nichts fur mich 28 Einerseits braucht Stefan Menschen um sich mit denen er sein Erleben teilt 29 und konnte ohne die Nachbarschaftsbeziehungen die Einsamkeit auf Mora nicht ertragen Andererseits halten ihn die freundlichen Einladungen und haufigen abendlichen Besuche der Dorfbewohner die den Fortschritt der Sanierung begutachten von seinen Zielen ab dem Schreiben eines Pompeji Romans 30 bzw des Drehbuchs fur den Film seines Halbbruders Franz uber Mozarts italienische Reise dem Lesen der Briefe Plinius der Romane Pratolinis und Paveses der Kleist Briefe sowie dem kosmischen Erlebnis des die Natur uberspannenden Sternenhimmels Toskanische Impressionen Bearbeiten nbsp Antonio Ferretti fahrt mit Stefan zum Wallfahrtsort La Verna im Casentino und zeigt ihm die Hohle im Felsen des Tafelbergs Monte Penna wo 1224 Franz von Assisi nach der Uberlieferung mit den Vogeln gesprochen hat und stigmatisiert worden ist 31 Bei seinen Ausflugen beobachtet er die Lebens und Arbeitswelt der Bewohner und sammelt Impressionen wie in aneinandergereihten Schnappschussen auf Stuhlen vor den Hausern sitzende Zeitung lesende Manner vorbeialbernde Madchen und Jungen deren Gesichter ihn an Darstellungen Piero della Francescas erinnern eine Greisin die mit einem Korb voller getrockneten Krauter hausieren geh t und aus dem Verkehrsburo geworfen wird aufgewirbelte r Staub der sich vermischt mit Auspuffgasen langsam auf die Tische der Touristen legt die bei den Bestellungen im Cafe auf der Piazza della Repubblica das bisschen Gelernte anbringen wollen und deren Akzent ihn an seinen eigenen erinnert 32 In nachdenklichen Augenblicken befurchtet er auch nur ein Gaffer wie die Touristen mit ihren sparlichen italienischen Sprachkenntnissen zu sein und hier eigentlich nichts verloren zu haben 33 und erkennt dass man mit den Menschen in einer Gemeinschaft leben musse In Gello Biscardi gelingt die Integration ansatzweise und er registriert dankbar dass ihn die Bewohner nicht mehr wie im Vorjahr als Fremden behandeln und ihn teilnehmen lassen Er wird von den Nachbarn in Gello wie den Marinis zum Espresso oder einem Glas Wein eingeladen unterhalt sich mit ihnen in seinem einfachen Italienisch nimmt an religiosen Festen teil z B der Firmung von Marios Sohn Gianni und begleitet Antonio Feretti zum Franz von Assisi Wallfahrtsort La Verna 34 Im Mittelpunkt der nachbarschaftlichen Kontakte steht Mario der die Hauptarbeiten bei der Haus Sanierung ubernommen hat und ihn mit seiner Verwandtschaft bekannt macht u a mit seinem Schwager Vittorio 35 Dieser hat in seiner Jugend Gedichte geschrieben und als Autodidakt eine kleine Bibliothek aufgebaut fur die sich Stefan interessiert Es ist im Allgemeinen eine hilfsbereite und gastfreundliche Gesellschaft trotz vieler familiarer und finanzieller Probleme Mario muss nach dem Tod seiner Frau Francesca im Februar die drei Kinder Gianni Davide und Lena versorgen Daniela und Maurizio sind arbeitslos bzw davon bedroht und leben auf engem Raum zusammen mit den Eltern Vittorio und Eva in einer Gemeindewohnung Loretta erhalt Sozialunterstutzung fur sich und ihren Sohn Enzo weil ihr Mann Tommaso wegen Betrugs im Gefangnis sitzt Jean Pauls Gedanken uber die Unsterblichkeit der Seele Bearbeiten Ein ewiges Wesen zusehend einem Wesen das uber seine Vernichtung nachsinnt JEAN PAUL Nicht nur die Titelvariation das Motto Ein ewiges Wesen zusehend einem Wesen das uber seine Vernichtung nachsinnt und das letzte Kapitel verweisen auf Jean Pauls Romane Das Kampaner Tal 1797 36 und die nicht fertiggestellte Fortsetzung Selina oder uber die Unsterblichkeit beide Werke sind auch explizit in die Handlung eingearbeitet und dienen als personale und thematische Bezugstexte Erstens schwarmte Selinas Mutter fur Jean Paul und gab deshalb ihrer Tochter den Namen der Titelheldin 37 Zweitens erinnert die Personenkonstellation mit der Mentorenrolle Heinrichs Jean Paul und der Affinitat zwischen Stefan und Selina Karlson und Gione die sich jedoch noch nicht von ihrem Mann Erich Giones Brautigam und Gemahl Wilhelmi trennen will 38 an die in den Pyrenaen angesiedelte Kampaner Gesellschaft im ersten Jean Paul Roman 39 wobei allerdings die seelische Liebe zu Gione 40 von Karlsons Freundschaft mit Wilhelmi an dessen Hochzeitstag die Haupthandlung spielt aufgefangen und in ihr gegenseitiges Verstandnis einbezogen wird Auf den zweiten Jean Paul Roman beziehen sich Seiffert und Stefan mehrmals bezuglich der gegenuber dem Kampaner Tal erweiterten Diskussion In Selina oder uber die Unsterblichkeit trifft sich 30 Jahre spater die nun aus zwei Generationen bestehende Gesellschaft erneut diesmal in Deutschland In einer idyllischen arkadischen Parklandschaft 41 wohnen die beiden befreundeten an Literatur Kunst Philosophie und Religion interessierten Familien Karlson und Wilhelmi Sie haben Jean Paul eingeladen um den fruheren Gedankenaustausch wieder aufzugreifen Wahrend im Kampaner Tal die Gesprache in eine Wanderung der Hochzeitsgesellschaft durch das Tal zum Ort des Festes einbezogen sind wird in Selina die Diskussionen zwischen dem Verfasser und Karlsons Sohn Alexander uber die Seelenunsterblichkeit und den Vernichtglauben ohne Himmel und Holle argumentativ ausgeweitet Beide versuchen ihre Ansichten in langen theoretischen Ableitungen unter Einbeziehung theologischer philosophischer psychologischer und naturwissenschaftlicher Hypothesen der Zeit darzulegen Merkmale und Eigenschaften der Seelen 42 Seelenwanderung 43 Zusammenhang zwischen Schlaf Traum und Alter 44 Verhaltnis zwischen Leib und Geist 45 Aufbau des Gehirns 46 Instinkte bei Tieren und Menschen 47 Unbewusstes 48 und Magnetismus 49 Hintergrund dieser intensiven Erorterungen ist die grosse Sorge um Karlsons zweiten Sohn Henrion der in Griechenland vor der Festung Napoli di Romania fur die Freiheit des Landes kampft Selina die Tochter Wilhelmis und der inzwischen verstorbenen Gione ist mit ihm verbunden Beide sind edle Seelen 50 und glauben fest an die Unsterblichkeit Zeugnisse davon sind die Briefe Henrions an Selina 51 und deren Visionen Sie sieht den schwer verwundeten Freund auf dem Krankenlager bevor die ihre Bilder bestatigenden Briefe eintreffen 52 In dem Magnetismus Ferngesprach beider kulminiert die irdische Entwicklung der edlen Seelen 53 Alexander ubernimmt in der Debatte die Rolle des advocatus diaboli wahrend im Kampaner Tal sein Vater in seiner Trauer uber den vermeintlichen Tod Giones entsprechende Gedanken der Vernichtung des Lebens formuliert 54 Alex argumentiert der sichtbare Zerfall des menschlichen Korpers und Geistes stehe im Gegensatz zur Vorstellung einer Veredelung in einem zweiten ewigen Leben und spreche eher fur einen Doppeluntergang 55 Er fragt gegenuber der These die Schopfung habe Zweck und Ziel ob denn uberhaupt der Unendliche Zwecke habe und ob wir ihn so genau kennen 56 Seine Gesprachsanteile sind allerdings viel kleiner als die des dominierenden Kontrahenten und dienen diesem zu wortreichen Erwiderungen und Ableitungen die von dem Wunsch und der Hoffnung getragen sind dass das Leben nicht endlich ist Das Herz sage Du kannst nicht vergehen 57 die Materie sei nur die Haut des eigentlichen inneren Lebens nur der Korper sei verganglich nicht jedoch Geist bzw Seele und das ungeheure Reich des Unbewussten uns seien Triebe und Seufzer nach einer hoheren Welt nach einer hohern Liebe die Ideen der Gottheit und der Sittlichkeit eingepflanzt und das konne keine Tauschung sein 58 Gegen den Vernichtglauben an das endliche physische und geistige Leben in einem leeren Raum 59 wenden sich fast alle Kampaner mit der ganzen rhetorischen Kraft ihres Glaubens und Hoffens Angesichts der ungeheuere n Weltholle voll Menschenqualen musse das menschliche Auge uber den Erdball hinausschauen 60 Denn der Mensch konne den Gedanken der endgultigen Vernichtung nicht ertragen 61 62 Daraus wird in beiden Romanen die Forderung abgeleitet dass ein Schopfer das irdische Gluck und Leid der Menschen nicht mit deren Vernichtung beenden durfe sondern es im zweiten Leben weiterfuhren bzw ausgleichen musse 63 Der unsterbliche Geist konne nicht auf die stille Kugel niederschauen und die zerschmolzen en und verraucht en Schatten und Traume und Wachsgestalten der Brandstatte betrachten der zerstochene Wurm durfe sich emporkrummen und gegen den Schopfer sagen Du hast mich nicht zum Leiden schaffen durfen 64 Die Fulle der Schonheit der Welt musse ein hoheres Ziel haben was nicht erreicht werde wenn der ewig saende und niemals erntende einsame Weltgeist nur eine Ewigkeit die andere betrauern sieht 65 Jean Pauls ganzheitliche 66 romantische Weltvorstellung bezieht die gesamte Natur mit ein die sich als erste Welt in der zweiten Weltkugel des Universums als steigende Gluckseligkeitsinsel vollendet 67 Dieser kosmische Glaube wirke zuruck auf die Lebenseinstellung Selig sei wer sich seine Welt ganz mit der zweiten organisch verbunden und durchdrungen ha be die Wuste des Lebens zeigt ihm uber den heissen Sandkornern des Tages die kuhlenden Sterne grosser und blitzender jede Nacht 68 Der Blick auf die Welt werde ein anderer Wie ganz anders sieht ein Geist die bluhende Natur an der mit ihr und hinter ihr fortzubluhen glaubt 69 Seine Ausfuhrungen werden trotz der Skepsis einiger Mitglieder von der Kampaner Gesellschaft gerne gehort beziehen sie sich doch auf den Wunsch einer Wiederbegegnung mit Gione und Henrion Heinrich Seifferts Gesprach mit Stefan uber den Tod Bearbeiten nbsp Heinrich Seiffert beschreibt Stefan den Blick von seinem turmformigen Haus in Pontenano hinunter ins Arnotal des Casentino 70 In einem spateren Gesprach auf Mora sinniert er es ist wirklich schon hier zu sitzen man konnte meinen es gabe noch ein Arkadien 71 In Auseinandersetzung mit beiden Romanen die Heinrich Seiffert gut kennt entwickelt sich im letzten Teil von Kappachers Selina in Pontenano das zentrale existentielle Gesprach mit Stefan 72 uber die Frage was nach dem Tod mit dem Menschen geschehen konnte ahnlich wie bei Jean Paul Henrion aus einer lebensgefahrlichen Bedrohung Ausloser ist ein Druck von Giorgiones Die drei Alter des Menschen den Stefan als Geschenk aus Florenz mitgebracht hat Seiffert identifiziert sich unter dem Eindruck seiner sich immer mehr abzeichnenden Krankheit mit dem dargestellten Greis und tragt seine Uberlegungen uber die Undenkbarkeit Gottes vor denen Stefan prinzipiell zustimmt Die Religionen wurden lediglich die Angste der Menschen spiegeln das Universum aber sei den Menschen radikal fremd doch sie hatten eine Ahnung davon dass uber unserem Bewusstsein etwas existiert etwas Unvorstellbares 73 Auch Stefan ist der Gedanke eines Wiedersehens mit Verstorbenen mit lang vermissten geliebten Seelen fremd und er glaubt nicht dass man in einer anderen Welt ewig so weitermachen konne wie bisher 74 In diesem Zusammenhang bezeichnet Seiffert Selina als seltsame n Text uber den er sich mit Stefan unterhalten mochte 75 d h dass er mit seinen Uberlegungen noch nicht zu einem Ergebnis gekommen ist Ihn irritiert wohl an Jean Pauls Vorstellungen die Ableitung der Unsterblichkeit als Ziel der Schopfung aus der prinzipiellen Schonheit und Harmonie der Natur Andererseits beklagt er bei seinem Besuch zusammen mit Selina und Erich den Nihilismus der traditionslosen Moderne In Mora konne man fur einen Moment einen Sinn in der Schonheit der Natur erblicken aber dieses Arkadien sei nur eine Fata Morgana 76 Im Gesprach mit Stefan in Pontenano verweist er auf Holderlin dem er die grossten Antennen fur Ubersinnliches zuspricht 77 im Besonderen auf dessen Hyperion Diese Bemerkung bezieht sich vermutlich auf Hyperions ambivalente Haltung seine euphorische Hoffnungen und enttauschten Absturze wenn ihm seine naturmystischen Versuche vergeblich erscheinen mit allem Lebendigen und mit der unzerstorbaren Schonheit der Natur eins zu sein und sie dadurch zu fixieren viel der leeren Worte haben die Wunderlichen d h die Menschen gemacht 78 Kosmisches Naturerlebnis Bearbeiten Die von Seiffert angesprochene Harmonie aber auch den Zweifel daran erlebt Stefan in Mora Wenn er allein vor dem Haus sitzt fuhlt er sich im mystischen Einklang mit dem Mikrokosmos der Natur vergleichbar mit Jean Pauls arkadischem Pyrenaental dem Tempel der Natur 79 Er lauscht dem Zirpen der Zikaden den Hummeln beobachtet eine Ringelnatter der er ihr Wohnrecht in Hohlungen der Hausmauer zugesteht 80 und fragt sich Wie viele Menschen kennst du mit denen du hier sitzen konntest ohne dass es die Stimmung storte Ob er es jemals satt bekame hier zu verweilen den Wechsel des Lichts der Farbungen der Gerausche zu erleben Er entdeckt immer wieder Niegesehene s 81 glaubt das Wesen der Olivenbaume zu verstehen Sie schienen sich ihm mitzuteilen ohne dass er es in Worte ubersetzen konnte 82 Er bezeichnet sie als seine Gesellschaft hier und ist uberzeugt davon dass sie ihn auf ihre Weise wahrnehmen 83 Und uber dieser kleinen Welt betrachtet er den Nachthimmel und die Sternbilder am Firmament 84 und sieht wie das schwache Mondlicht die Wiese in ein marchenhaftes Dammerblau tauchte 85 Er hat dann das euphorische Gefuhl die Gestirne befanden sich in lebendiger Bewegung von irgendeine r gottliche n Macht gelenkt 86 In seiner Jean Paul Lekture kann er ahnliche Empfindungen entdecken wie folgende Beispiele zeigen als falle von der gedruckten Brust die irdische Last als gebe uns die Erde aus ihrem Mutterarm reif in die Vaterarme des unendlichen Genius unter dem unendlichen Thronhimmel Sie Gione bei ihrem Montgolfiere Flug ging einsam wie eine Himmlische empor unter die Sterne meine Sehnsucht nach den Sternen 87 Der Sternhimmel hebt allmachtig erfassend mein Herz am meisten empor so ernst und ungeheuer schaut er herunter 88 Der in dieser Weise erlebte Makrokosmos gibt Stefan die Gewissheit einer Wesenheit an dessen Geist der Mensch jetzt und nach seinem Tod irgendeinen Anteil habe 89 bis zu jener Schreckensnacht 90 als ihn die existentielle Angst einer totalen Einsamkeit erfasst Er hat nun die Vorstellung die Sonnen und Planeten seien tote Materie in der Tiefe des Weltraums 91 und er sei der einzige Mensch auf der Welt 92 umgeben von unvorstellbaren Abgrunden von Raum und Zeit bedroht von dem Nicht mehr Sein der absoluten Vernichtung seiner selbst 93 Entsprechende Befurchtungen kann man in Karlsons nach dem vermeintlichen Tod Giones verfasster Klage ohne Trost finden 94 bzw in Jean Pauls Gedankenspiel die Unsterblichkeit einmal wegzudenken 95 In dieser Nacht wenige Tage vor Heinrichs Tod sucht er Hilfe in einem Gebet vor einem Kunstdruck der Schutzmantelmadonna Spinellos 96 Auch in der umgebenden Natur fuhlt er im zweiten Sommer Bedrohungen die sich gegen ihn aufrichtende schwarze Viper 97 Gerausche in der Nacht und er uberlegt ob ihm die Welt bloss im Licht der Sonne freundlich gesonnen lt sic gt sei Das Urvertrauen der ersten Nachte war nicht mehr gegeben 98 In solchen Augenblicken kommt ihm sein Gefuhl in Harmonie mit den Tieren und Pflanzen zu leben als Einbildung vor 99 Im letzten Kapitel reflektiert Stefan diese Erfahrungen im Zusammenhang mit seiner Selina Lekture die ihn ahnlich Seiffert irritiert aber auch fasziniert hat Die kontroverse Diskussion zwischen Jean Paul und Alexander deutet er als Selbstgesprach des Autors mit verteilten Rollen in dem Stefan seine eigenen existentiellen Fragen wiedererkennt uber die er sich gerne mit Heinrich Seiffert ausgetauscht hatte Noch fuhlt er sich im mittleren Alter und findet sich mit dem Gedanken an seine Sterblichkeit ab aber die Thematik wird ihn wohl weiterbegleiten 100 Stefans Erfahrungen Bearbeiten Stefans Erwartungen die er an seinen Aufenthalt in Moro geknupft hat haben sich nur teilweise erfullt Es war eine Zeit der Besinnung und neuer kultureller und menschlicher Erfahrungen Zu einer beruflichen und personlichen Neuorientierung ist es jedoch nicht gekommen Das Filmprojekt seines Bruders hat sich zerschlagen 101 mit dem Pompeji Roman kam er kaum voran 102 denn die Erhaltung des Anwesens nahm seine Kraft in Anspruch und brauchte seine Ersparnisse auf Er wird nach seinem Freijahr wohl wieder als Lehrer arbeiten mussen und konnte nur in den Ferien nach Mora fahren Vor allem durch Seifferts Tod im August ist die Frage der Weiterfuhrung des italienischen Experiments im nachsten Jahr offen Selina braucht Bedenkzeit uber ihre Beziehung zu Erich zwar spricht sie vor ihrer Abreise davon den nachsten Sommer in Pontenano zu verbringen und mit Stefan in Kontakt zu bleiben aber er ist auf ihre Initiative angewiesen und hofft dass sie Heinrichs Besitzungen nicht verkauft und uber Winter und im nachsten Jahr alles noch einmal uberdacht werden kann 103 Sekundarliteratur BearbeitenMonika Schmitz Emans Selinas zweites Leben Walter Kappacher in den Spuren Jean Pauls Jahrbuch der Jean Paul Gesellschaft 2011 S 147 ff Einzelnachweise Bearbeiten Kappacher Walter Selina oder Das andere Leben dtv Munchen 2009 S 67 ISBN 978 3 423 13872 7 Nach dieser Ausgabe wird zitiert Kappacher 2009 S 35 ff Kappacher 2009 S 155 ff Kappacher 2009 S 104 ff Kappacher 2009 S 245 ff Kappacher 2009 S 7 ff Jean Paul Selina oder uber die Unsterblichkeit der Seele In Werke Band 6 Munchen 1963 S 1105 ff Kappacher 2009 S 184 ff Kappacher 2009 S 68 ff Erich Lessing Die italienische Renaissance Munchen 1983 Goethe Johann Wolfgang Italienische Reise Erster und zweiter Teil In dtv Gesamtausgabe Bd 25 Munchen 1962 Dritter Teil In dtv Gesamtausgabe Bd 26 Munchen 1962 Johann Wolfgang von Goethe Wilhelm Meisters theatralische Sendung Viertes Buch S 153 In dtv Gesamtausgabe Band 14 Munchen 1962 Ludwig Tieck Franz Sternbalds Wanderungen In Fruhe Erzahlungen und Romane Munchen 1963 S 699 ff Joseph von Eichendorff Das Marmorbild In Werke Munchen 1966 S 1147 ff Kappacher 2009 S 205 Kappacher 2009 S 29 Kappacher 2009 S 102 Kappacher 2009 S 136 ff Kappacher 2009 S 163 ff Kappacher 2009 S 137 Kappacher 2009 S 137 Kappacher 2009 S 33 Kappacher 2009 S 70 Kappacher 2009 S 46 ff 92 ff Kappacher 2009 S 215 Kappacher 2009 S 28 ff 206 Kappacher 2009 S 184 ff Kappacher 2009 S 10 Kappacher 2009 S 177 Kappacher 2009 S 207 Kappacher 2009 S 189 ff Kappacher 2009 S 138 ff Kappacher 2009 S 138 Kappacher 2009 S 189 ff Kappacher 2009 S 155 ff Jean Paul Das Kampaner Tal In Werke Bd 4 Munchen 1962 S 561 ff Kappacher 2009 S 9 Jean Paul 1962 S 575 578 Jean Paul 1962 S 573 ff Jean Paul 1962 S 622 Jean Paul 1963 S 1107 ff Jean Paul 1963 S 1226 ff Jean Paul 1963 S 1146 ff Jean Paul 1963 S 1161 ff 1167 ff Jean Paul 1963 S 1172 ff 1182 Jean Paul 1963 S 1174 ff Jean Paul 1963 S 1183 ff Jean Paul 1963 S 1182 ff Jean Paul 1963 S 1172 ff 1191 Jean Paul 1963 S 1137 ff Jean Paul 1963 S 1138 ff 1216 Jean Paul 1963 S 1156 ff 1215 Jean Paul 1963 S 1218 ff Jean Paul 1962 S 616 ff Jean Paul 1963 S 1197 Jean Paul 1963 S 1164 ff Jean Paul 1963 S 1194 Jean Paul 1963 S 1209 Jean Paul 1963 S 1115 ff Jean Paul 1963 S 1206 Jean Paul 1962 S 618 ff Jean Paul 1963 S 1116 ff Jean Paul 1963 S 1197 ff Jean Paul 1962 S 618 ff Jean Paul 1962 S 621 Jean Paul 1963 S 1185 ff Jean Paul 1963 S 1207 Jean Paul 1963 S 1120 Jean Paul 1963 S 1190 Kappacher 2009 S 32 Kappacher 2009 S 220 Kappacher 2009 163 ff Kappacher 2009 S 168 Kappacher 2009 S 169 Kappacher 2009 S 170ff Kappacher 2009 S 220 222 Kappacher 2009 S 170 Friedrich Holderlin Hyperion In Samtliche Werke Bd 3 Stuttgart 1965 S 60 ff 149 165 ff Jean Paul 1962 S 580 ff 592 ff Kappacher 2009 S 118 Kappacher 2009 S 175 Kappacher 2009 S 176 Kappacher 2009 S 221 Kappacher 2009 S 133 144 225 ff Kappacher 2009 S 175 Kappacher 2009 S 226 Jean Paul 1962 S 623 ff Jean Paul 1963 S 1140 f Kappacher 2009 S 250 ff Kappacher 2009 S 248 Kappacher 2009 S 226 Kappacher 2009 S 176 226 Kappacher 2009 S 226 228 ff Jean Paul 1962 S 616 ff Jean Paul 1963 S 1195 ff Kappacher 2009 S 248 ff Kappacher 2009 S 150 Kappacher 2009 S 129 Kappacher 2009 S 230 Kappacher 2009 S 255 Kappacher 2009 S 213 Kappacher 2009 S 198 Kappacher 2009 S 11 ff 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