Die Schöpfungsgeschichte des Jahwisten ist die im Bibeltext zweite, vermutlich aber ältere der beiden voneinander verschiedenen Schöpfungsgeschichten der Genesis. Sie umfasst den Text Gen 2,4b–25 EU. Im Bibeltext geht die sogenannte priesterschriftliche Schöpfungsgeschichte, Gen 1,1–2,4a EU voraus.
Die Zitate in diesem Artikel sind der Einheitsübersetzung entnommen (Text: EU).
Ältere Datierungsversuche Bearbeiten
Mit dem Begriff Jahwist bezeichnete die historisch-kritische Bibelwissenschaft eine der vermuteten Quellenschriften, die in den fünf Büchern Mose mit editionswissenschaftlicher Methode erschließbar sei. Die traditionelle Datierung von Gen 2,4b–25 EU lautete: der Text sei etwa im 10. Jahrhundert v. Chr. niedergeschrieben worden, vermutlich von einem Theologen am Hof König Salomos. Werner H. Schmidt, einer der profilierten Vertreter der Neueren Urkundenhypothese, hatte die Datierung des Jahwisten in die „Blütezeit Salomos“ wie folgt begründet:
- Es gebe eine innere Nähe zu den Erzählungen von Davids Aufstieg und Thronfolge (1. Sam 16 – 1. Kön 2);
- Der Jahwist interessiere sich für die Nachbarvölker, welche in der Ära Davids und Salomos politisch relevant gewesen seien;
- Die Erzählung von Noach dem Weinbauern (Gen 9, 18–25) mit der Unterwerfung Kanaans unter die Herrschaft Sems passe genau auf das davidische Großreich.
Heute ist die Datierung des „Jahwisten“ (mit diesem Namen werden unterschiedliche literarische Größen bezeichnet) in die frühe Königszeit aufgegeben, weil das Bild, das die Forschung vom 10. Jahrhundert v. Chr. hat, nicht zu den Texten passt, die dem Jahwisten zugerechnet werden (Beispiel: Alleinverehrung JHWHs).
Verfasserfrage Bearbeiten
Da hinsichtlich des Jahwisten in der aktuellen Forschung alles zur Disposition steht, beschränkt sich der Kontext von Gen 2,4b–25 EU auf die Urgeschichte (Gen 1–11), die innerhalb des Pentateuch eine gewisse Eigenständigkeit hat. Jan Christian Gertz sieht hier eine vor-priesterschriftliche Geschichte von Schöpfung und Flut, die mit Gen 8,20–22 endete und von einer nach-priesterschriftlichen Redaktion überarbeitet wurde. Die eigentliche Paradiesgeschichte des „weisheitlichen Erzählers“ umfasste den Text Gen 2,4b–3,24. Das Interesse am guten, lebensförderlichen Handeln und damit die Frage nach der Möglichkeit gelingenden Lebens trotz Ambivalenzerfahrungen sind typisch weisheitlich. Der Verfasser kennt Bildungsgut der Nachbarkulturen. Man kann ihn sich vielleicht als einen Schreiber am Hof des Königs Manasse von Juda vorstellen.
Inhaltliche Charakterisierung Bearbeiten
Der Verfasser stützte sich auf eine Reihe von Erzählungen, die im Umfeld Israels überliefert wurden: Unter anderem die Motive des Leben schenkenden Schöpfers sowie die Erschaffung eines Paradieses lehnen sich an damalige Vorstellungen des Alten Orients an. Der Text beantwortet die Frage der im Kulturland sesshaft gewordenen Wüstennomaden, wer als Herr des fruchtbaren Bodens zu verehren ist, nämlich JHWH.
In dem jahwistischen Schöpfungsbericht überwiegt die Anthropogonie, da zu dessen Beginn die Welt bereits erschaffen wurde und im weiteren Verlauf der Mensch und dessen Entstehungsgeschichte folgt. Damit wird der Schwerpunkt im Vergleich zur priesterschriftlichen Schöpfungserzählung eher auf die Geschöpflichkeit und im Folgenden auf die Fehlbarkeit des Menschen gelenkt.
Die Schöpfung Bearbeiten
Gegenüberstellung mit dem Schöpfungsbericht der Priesterschrift in Genesis 1 Bearbeiten
Die priesterschriftliche und die nicht-priesterschriftliche Schöpfungsgeschichte sind zwei voneinander unabhängige Erzählungen vom Anfang der Welt, die in ihrer Grundform (abzüglich kleiner Bearbeitungen) keine gegenseitige Kenntnis oder Bezugnahme erkennen lassen.
Nachfolgend werden die beiden Schöpfungsberichte im Buch Genesis anhand verschiedener Kriterien miteinander verglichen:
Jahwist | Priesterschrift | |
---|---|---|
Entstehungszeit | traditionell ca. 900 v. Chr., heute umstritten | ca. 550 v. Chr. |
Entstehungsort | Israel | Babylon (im Exil) oder nach dem Exil in Jerusalem |
Urzustand | Ackerboden, Wüste, trockenes Land | Leere, Finsternis, Urflut |
Dauer | 1 Tag/unklar | 6 Tage |
Wasser | belebend, fruchtbar | Urflut, drohend (?) |
Erschaffung des Menschen | am Anfang einen Mann, am Ende eine Frau aus der Rippe des Mannes | unbestimmte Anzahl, Männer und Frauen zeitgleich, am Ende der Schöpfung |
Mensch | Mann als Bebauer und Hüter, dann Frau als Hilfe. Erst Körper, dann Lebensatem | Männer und Frauen als Herrscher über Tiere |
Tiere | als Gegenüber des Menschen | sollen von den Menschen genutzt werden |
Gestirne | (keine genaueren Angaben) | trennen Tag und Nacht, ermöglichen Kalender |
Schöpfung durch | die handwerkliche Tat | Wort und Tat |
Literatur Bearbeiten
- Jan Christian Gertz: Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1–11 (= Das Alte Testament Deutsch. Band 1, Neubearbeitung). V&R, Göttingen 2018, ISBN 978-3-525-57055-5.
- Werner H. Schmidt: Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift. Zur Überlieferungsgeschichte von Gen 1,1-2,4a und 2,4b-3,24 (= Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament. Band 17). 3. Auflage, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1973, ISBN 3-7887-0054-8.
- Bernd Janowski: Schöpfung, Altes Testament, Inhaltliche Schwerpunkte. In: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 4. Auflage. Band 7, Mohr-Siebeck, Tübingen 2004, Sp. 970–971.
- Richard Friedli: Schöpfung, Religionsgeschichtliche Modelle. In: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 4. Auflage. Band 7, Mohr-Siebeck, Tübingen 2004, Sp. 967–970.
Einzelnachweise Bearbeiten
- ↑ Jörg Sieger: Zwei Berichte vom Werden des Menschen. Private Homepage, abgerufen am 18. September 2018. Als einzige Quelle für seine Ausführungen nennt Sieger: Alfons Deissler, Wer bist du, Mensch? Die Antwort der Bibel. Herder, Freiburg 1985, S. 11–16.
- ↑ Horst Heinemann: Schöpfung. Zur Vorbereitung von Unterrichtsprojekten in der Grundschule. In: Dieter Baltzer (Hrsg.): Lehren und Lernen mit dem Alten Testament: Unterrichtsentwürfe für Primarstufe und Sekundarstufe I. Eine Auswahl. 2. Auflage. LIT Verlag, Münster / Hamburg / London 2003, ISBN 3-8258-5542-2, S. 3–5 (Der Artikel von Heinemann wurde bereits 1980 verfasst. Mit dem Schöpfungsbericht des Jahwisten befasst sich ein Abschnitt auf Seite 4.).
- Werner H. Schmidt: Einführung in das Alte Testament. 4. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin / New York 1989, S. 73–74.
- Jan Christian Gertz (Hrsg.): Grundinformation Altes Testament. 5. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2016, S. 209.
- Jan Christian Gertz: Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1–11. V&R, Göttingen 2018, ISBN 978-3-525-57055-5, S. 14–15.
- Jan Christian Gertz: Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1–11. V&R, Göttingen 2018, ISBN 978-3-525-57055-5, S. 16.
- Werner H. Schmidt: Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift. Zur Überlieferungsgeschichte von Gen 1,1-2,4a und 2,4b-3,24. 3. Auflage, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1973, S. 196–197.
- Bernd Janowski: Schöpfung, Altes Testament, Inhaltliche Schwerpunkte. In: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 4. Auflage. Band 7, Mohr-Siebeck, Tübingen 2004.
- Jan Christian Gertz: Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1–11. Göttingen 2018, S. 12.
- Werner H. Schmidt: Einführung in das Alte Testament. 4. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin / New York 1989, S. 77.
- ↑ Sara Japhet: Ebenbild Gottes oder Rippe Adams? Die Stellung der Frau nach biblischem Denken in der Sicht der beiden Schöpfungsberichte. In: Manfred Oeming (Hrsg.): Theologie des AT aus der Perspektive von Frauen. LIT, Münster 2002, S. 77–85, hier S. 77.
- Gen 2,7 EU
- Gen 1,3 EU