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Konjektur lateinisch coniectura Vermutung Deutung ist ein Verfahren der Textkritik oder Editionsphilologie die wiederum ein wichtiger Teilbereich der Literaturwissenschaft ist Es wird bei der Edition von Codices Manuskripten oder Druckausgaben angewandt und bedeutet die vom Herausgeber vorgenommene Erganzung fehlender Textstellen sowie fur notwendig erachtete inhaltliche und stilistische Verbesserungen Auf Konjektur wird stets ausfuhrlich und begrundend hingewiesen Die Korrektur reiner Rechtschreib oder Druckfehler heisst Emendation Emendationen werden in modernen Editionen ebenfalls im Detail nachgewiesen konnen aber auch durch die Darlegung allgemeiner Emendationsregeln zusammengefasst werden Konjekturen werden bei der Edition von Texten dort gemacht wo der Herausgeber eine Verfalschung und Unechtheit des Textzeugen gegenuber dem zugrunde liegenden Original vermutet Das kommt vor wenn eine Stelle des Textes im Stil Reim und Versschema Satzbau Wortschatz usw nicht zum ubrigen Text zu passen scheint Konjektur beruht also auf der Idee eines vom Autor intendierten Urtextes der im Lauf seiner Textgeschichte aus mancherlei Grunden Verderbnis ausgesetzt ist Solcher beschadigter Text heisst in der Fachsprache verderbter Text Werden mehrere handschriftliche Fassungen von Texten miteinander verglichen beispielsweise die von Gedichten deren verschiedene Fassungen stark voneinander abweichen muss im klassischen Editionsverfahren ein Herausgeber von Fall zu Fall entscheiden welcher Text in die Druckfassung ubernommen wird Er kann sich fur die fruheste Handschrift entscheiden wenn er sie fur die ursprunglichere halt und von ihr aus einen Urtext konjizieren Alternativ kann er zum Beispiel auch die so genannte Ausgabe letzter Hand als wichtigsten Textzeugen verwenden das ist die letzte Druckfassung die vom Autor selbst korrigiert wurde Nicht selten uberarbeiteten manche Autoren auch fur die spaten Druckfassungen ihre fruhen Werke noch einmal selbst weil sie damit unzufrieden waren Oft sind jedoch gerade die vom Autor vorgenommenen Korrekturen und Veranderungen von Fassung zu Fassung interessant In manchen Fallen muss auch ein Urtext konjiziert werden wo er Korrekturen eines fruhen Druckers zum Opfer gefallen ist etwa bei Shakespeares Dramen die nur in mehreren Erstdrucken erhalten sind die zum Teil stark voneinander abweichen Alle durchgefuhrten Konjekturen werden bei kritischen Ausgaben im kritischen Apparat in den Anhang oder an den Fuss der Seite gedruckt So bleibt die Moglichkeit die Konjekturen des Herausgebers nachzuvollziehen Eine Moglichkeit der Textedition die die Edition mittels Konjektur in besonderen Fallen ersetzt sind zeitgenossische Ausgaben wie etwa Editionen der Lyrik Friedrich Holderlins oder Georg Trakls die etwa in der Frankfurter Ausgabe von Holderlins Werken praktiziert wird Jede Seite der Handschriften kann auch als Faksimile abgedruckt werden daneben wird eine lesbare Druckfassung eingefugt die spezielle Kennzeichnungen fur Durchstreichung Hervorhebung verschiedene Schreibwerkzeuge und andere Textmerkmale aufweist Spezialisten konnen so bei der Textinterpretation nachverfolgen wie die Texte entstanden sind und in welcher Weise ein Autor zu bestimmten Anderungen gegriffen hat Konjekturen mussen hier nur gemacht werden wenn die Handschrift unleserlich ist In der Philologie des 19 Jahrhunderts wurden Konjekturen wesentlich grosszugiger praktiziert als heute Allerdings wurde die Problematik des ubereifrigen Konjizierens schon damals erkannt so bemerkte der beruhmte klassische Philologe August Boeckh der argwohnische Sinn fuhrt den Kritiker leicht irre wenn er nicht durch Objectivitat in Schranken gehalten wird Selbst ein Bentley und Valckenaer haben haufig geirrt Im Allgemeinen kann man behaupten dass von 100 Conjecturen welche die Kritiker machen nicht 5 wahr sind 1 Ein kritischer Einwand der modernen Editionsphilologie ist dass Konjekturen oft ohne ausreichende Begrundung und nach Gefuhl vorgenommen werden der Herausgeber tritt damit gleichsam in Konkurrenz zum Autor und uberschreitet damit seine Befugnisse Das Vorhaben einen intendierten Urtext zu rekonstruieren begegnet immer grosserer Skepsis Moderne Methoden der Literaturwissenschaft beschaftigen sich daher nicht so sehr mit Mutmassungen uber eine vermutlich der Auffassung des Autors entsprechende Aussage sondern gebrauchen als Ausgangsmaterial den altesten erhaltenen Text Bei Editionen werden deshalb haufig nur noch eindeutige Schreibfehler korrigiert dennoch formulierte Konjekturen werden grundsatzlich nie im Text einer kritischen Ausgabe sondern nur im kritischen Apparat oder im Kommentar des Herausgebers vermerkt Sie haben dort von vornherein keinen textkonstituierenden sondern nur argumentierenden Charakter sind also nicht Teil der Texterrichtung sondern Beginn der Textdeutung Literatur BearbeitenOliver R Scholz Konjektur In Gert Ueding Hrsg Historisches Worterbuch der Rhetorik WBG Darmstadt 1992ff Bd 10 2011 Sp 486 496 Stephen Heyworth Nigel Wilson Textverbesserung In Der Neue Pauly 12 1 2002 Sp 230f Stephen Heyworth Nigel Wilson Textverderbnis In Der Neue Pauly 12 1 2002 Sp 231 233 Gunther Schweikle Irmgard Schweikle Hrsg Metzler Literatur Lexikon 2 Auflage Metzler Stuttgart 1990 ISBN 3 476 00668 9 Klaus Kanzog Einfuhrung in die Editionsphilologie der neueren deutschen Literatur Schmidt Berlin 1991 ISBN 3 503 03021 2 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Konjektur Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme UbersetzungenAnmerkungen Bearbeiten August Boeckh Enzyklopadie und Methodenlehre der philologischen Wissenschaften 2 Auflage Leipzig 1886 S 175 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Konjektur amp oldid 235834544