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Ruodlieb ist ein lateinisches Versepos des beginnenden Hochmittelalters das etwa Mitte des 11 Jahrhunderts vermutlich von einem Tegernseer Monch in guten Leoninischen Hexametern verfasst wurde Das Werk von dem etwa 2300 Verse in achtzehn Bruchstucken uberliefert sind kann als ein fruher Vorlaufer des hofischen Romans des 12 Jahrhunderts angesehen werden Es fand offenbar keinerlei Verbreitung Textfragment aus der einzigen Abschrift des Ruodlieb Clm 19486 11 JahrhundertIn der Geschichte des Ritters Ruodlieb der in die Welt zieht um sein Gluck zu suchen werden Motive von Marchen und Heldensagen mit realistischen Schilderungen des Lebens sowohl des Adels als auch der Bauern im oberbayerischen Dorf verbunden Eine grosse Rolle spielen Lebensweisheiten die von den Figuren entweder befolgt oder zu ihrem Schaden nicht befolgt werden Die Erzahlung hat neben ihrer teils marchenartigen farbigen Stimmung auch eine nuchterne moralisch didaktische Absicht Inhaltsverzeichnis 1 Entdeckung Edition und Hintergrund 2 Abriss des Handlungsablaufs 3 Gattungsfrage 4 Handlung 5 Fazit 6 Ausgaben und Ubersetzungen teilweise mit Kommentar 7 Literatur 8 Weblinks 9 AnmerkungenEntdeckung Edition und Hintergrund Bearbeiten So habe ich noch unlangst ein Fragment aus einem Rittergedicht in leoninischen Reimen entdeckt wo die Namen Rudlieb Immunch und der Kampf des Ersten mit dem Zwerge nanus vorkommt Mit dieser lapidaren Bemerkung des Bibliothekars Bernhard Joseph Docen der mit der Sichtung der durch die Sakularisation 1803 erworbenen Bucher der Koniglichen Hof und Staatsbibliothek Munchen betraut war beginnt 1807 die Geschichte der Erforschung dieses von seiner Art her einzigartigen Werkes der mittellateinischen Literatur Der Gelehrte fand insgesamt wohl 15 Doppelblatter die als Bindematerial diverser in der Klosterbibliothek Tegernsee aufbewahrter Codices gedient hatten die er aber noch nicht in eine logische Reihenfolge bringen konnte In der Folgezeit wurden noch weitere Blatter entdeckt die soweit man das noch nachweisen kann ebenso in der zweiten Halfte des 15 Jahrhunderts zweckentfremdet wurden Seit der Entdeckung der letzten Fragmente 1981 liegen 21 durch Beschnitt mehr oder minder stark beschadigte Teile von Doppelblattern aus ehemals Tegernseer Bestanden vor die uns 2320 Verse oder Versfragmente uberliefern und einstmals ein zusammengehorendes Konvolut von Pergamentblattern gebildet haben das niemals gebunden war Das im Jahr 1830 in der oberosterreichischen Stiftsbibliothek St Florian entdeckte Doppelblatt mit 140 Versen jedoch stellt das Uberbleibsel einer zweiten Handschrift dar die sich so der palaographische Befund durch grossere Buchstaben regelmassige Verszahlen auf jeder Seite Rubrizierungen Paragrapheneinteilung und einen anderen Schreiber vom Clm 19486 unterscheidet Die vergleichsweise unsauberen Munchener Fragmente scheinen teilweise nur eine Rohfassung des Ruodlieb darzustellen wahrend das Blatt aus St Florian das wohl auch aus dem Kloster Tegernsee stammt als Teil einer Reinschrift betrachtet werden kann Da die Korrekturen im Text der Munchener Fragmente in erster Linie aus prosodischen Grunden erfolgten und wahrscheinlich nur von einer Hand ausgefuhrt wurden liegt hier mit einiger Sicherheit ein Autograph des Ruodlieb vor Ca 40 des Werkes durften verloren sein wenn man die vorhandenen Inhaltslucken einkalkuliert und dabei den Verlust ausschliesslich von Doppelblattern annimmt Die erste halbwegs zufriedenstellende Edition und Kommentierung des Textes gelang nach der ersten Ausgabe von Jacob Grimm und Johann Andreas Schmeller 1838 schliesslich Friedrich Seiler im Jahr 1882 doch blieben viele Fragen zu Konjekturen ausgefallenen Textpassagen oder der Semantik mancher Begriffe bis in die 1990er Jahre hinein Streitpunkte der Forschung Die Verfasserschaft des Ruodlieb hat sich bis heute nicht klaren lassen Die Vermutung dass es sich bei dem Autor um Froumund von Tegernsee handeln konnte erwies sich schon aus chronologischen Grunden als unhaltbar da der Duktus der Reinschrift die wohl kurz nach der Rohfassung entstanden sein durfte auf das spate oder ausgehende 11 Jahrhundert datiert wird und sich vereinzelt Korrekturen darin befinden die wahrscheinlich dem Autor selbst zuzuschreiben sind Denn durch die Vielzahl der Tegernseer Handschriften aus dieser Zeit und der damit gegebenen Vergleichsmoglichkeiten ist man in der Lage ziemlich genaue Datierungen vorzunehmen womit fruhere Ansatze die das Werk in der ersten Halfte des Jahrhunderts oder seiner Mitte ansiedelten an Plausibilitat eingebusst haben Man hatte als Datierungsargument ins Feld gefuhrt dass die Darstellung des Konigshofes und des diplomatischen Gebarens nur auf Autopsie des Autors beruhen konnte wobei ein Treffen Kaiser Heinrichs II mit dem franzosischen Konig Robert im Jahr 1023 oder der glanzvolle Hof Heinrichs III 1039 1056 auf den Anonymus eingewirkt haben sollen Diese Uberlegungen sind jedoch allzu vage und daher keinesfalls zwingend Ebenso unklar ist ob der unbekannte Epiker sein Werk uberhaupt vollendet hat Denn auf der Ruckseite des letzten Blattes und auf einer Seite des ersten Doppelblattes des ganz uberwiegend von einer Hand geschriebenen Munchener Codex finden sich elf von derselben Person niedergeschriebene Epigramme Daher ist es hochst unwahrscheinlich dass der Clm 19486 uber die von Docen schon erwahnte unvermittelt abbrechende Zwergenszene hinaus fortgefuhrt wurde Das Fragment aus St Florian konnte jedoch von einer durchaus vollendeten Gesamtfassung des Ruodlieb stammen da eine erste Textfassung auf Wachstafeln nicht unwahrscheinlich sein durfte und daher der Clm 19486 als alleinige Vorlage nicht vorausgesetzt werden muss Dass dem Werk in seiner Entstehungszeit keine grosse Bedeutung beigemessen wurde zeigt neben dem Ausbleiben einer Buchbindung nicht so sehr die dadurch ermoglichte schamlose materielle Ausschlachtung vier Jahrhunderte nach der Niederschrift sondern vielmehr die Tatsache dass auf den Textblattern keinerlei Notizen spaterer Benutzer vorhanden sind eine intensive Rezeption also ausgeschlossen werden muss Dies wird durch das Faktum gestutzt dass eine Dichtung wie der Ruodlieb der gemeinhin als Roman bezeichnet wird in lateinischer Sprache keinen Nachfolger fand und auch volkssprachliche Erzeugnisse von vergleichbarer Natur erst in der Mitte des 12 Jahrhunderts im franzosischen Sprachraum auftraten Ob der Ruodlieb uberhaupt am Tegernsee entstanden ist lasst sich zwar nicht beweisen doch spricht bislang nichts dagegen Auffallig ist dass der hochstwahrscheinlich dem klerikalen Stande angehorige Dichter nur ausserst geringes Interesse an der direkten Verwertung antiker Autoren besass So wird zwar als einziger Autor uberhaupt Plinius der Altere namentlich genannt und scheinbar zitiert doch bis auf eine Aeneisstelle die dazu naturlich noch in einen leoninischen Vers verwandelt werden musste liegen wohl keine Zitate vor Es darf jedoch die Kenntnis diverser Autoren und Werke angenommen werden Darunter fallen neben Vergil und den Etymologiae des Isidor von Sevilla mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit Ovid das Waltharius Epos oder auch die Vita Udalrici des Gerhard von Augsburg Gleiches gilt zumindest fur die Gesta Apollonii Tyri eine hexametrische Version des Romans Historia Apollonii Regis Tyri Auch der Alexanderromanstoff durfte unserem Dichter bekannt gewesen sein Abriss des Handlungsablaufs BearbeitenAus den erhaltenen Fragmenten lasst sich folgender Geschehenshergang ableiten Ein anfangs nur als quidam vir lat ein bestimmter Mann oder als miles lat Soldat bezeichneter Adliger ist gezwungen aus seiner Heimat fortzugehen Denn trotz aufopferungsvoller Pflichterfullung fur seine domini locupletes lat wohlhabende Herren erhielt er von ihnen keinen Beistand gegen andere Potentaten die er sich gerade in Ausubung seines treuen Dienstes zu Feinden gemacht hatte und sieht nun keinen anderen Ausweg als seinen Herrensitz und seine verwitwete Mutter zu verlassen und sich nur von einem Knappen begleitet ins Ausland in Sicherheit zu bringen Dort angekommen trifft der nun exul Genannte auf einen Jager des Konigs der vom Ausseren und der Wurde des berittenen Fluchtlings beeindruckt sich schnell mit ihm anfreundet und ihn bei seinem Konig einfuhrt Der Ritter stellt am Konigshofe seine Jagdkunst unter Beweis und darf in den Dienst des grosszugigen Konigs treten der ihm wegen seiner herausragenden moralischen aber auch fachlichen Qualifikation den Aufstieg zum Feldherrn und Chefunterhandler ermoglicht Als namlich ein beutelustiger Markgraf des benachbarten Konigs der oft als rex minor zur Unterscheidung vom erstgenannten Konig dem rex maior bezeichnet wird das Grenzgebiet plundert meistert der miles mit Bravour die Aufgabe den Aggressor aufzuhalten indem er den Grafen in offener Feldschlacht besiegt und mit 900 Mann gefangen nimmt Im Zuge von Verhandlungen zwischen den beiden Konigen kommt unser Ritter an den Hof des rex minor wo er ein weiteres Talent im wahrsten Sinne des Wortes ausspielt Schach Ihm gelingt es ein Treffen zwischen den beiden aussohnungswilligen Potentaten auszuhandeln das schliesslich auf einer Brucke uber dem Grenzfluss stattfindet und uberaus harmonisch verlauft Dabei wird in aller Ausfuhrlichkeit das Procedere der teils formlichen teils freundschaftlichen Hoflichkeitsbekundungen und der ausgiebige Austausch von Geschenken geschildert Kaum ist dieses Musterbeispiel an christlicher Herrschaftsauffassung und ausubung beendet uberbringt ihm ein Bote einen Brief seiner fruheren Herren und seiner Mutter in dem er instandig gebeten wird in die Heimat zuruckzukehren weil nun alle seine Gegner ausgeschaltet seien und keine Gefahr mehr drohe An dieser Stelle wird erstmals der Name Ruodlieb fur unseren Ritter eingefuhrt womit der erste Schritt zur Auflosung der bis dahin gepflegten volligen Anonymitat getan wird Der Konig entlasst seinen treuen Diener auf dessen Bitten hin und ersucht Ruodlieb als Abschiedsgeschenk zu wahlen ob er pecunna lat Geld oder sophia lat Weisheit haben wolle Sein scheidender cliens Ruodlieb entschliesst sich nach eigenem Bekunden wegen der Dauerhaftigkeit der Weisheit ohne Zogern fur diese und erhalt daher von seinem Herrn zwolf Weisheitslehren und dazu zwei Brote von denen Ruodlieb eines anbrechen soll wenn er seine Mutter wiedertrifft das andere wenn er heiratet Bei den Broten handelt es sich um Schatzbrote in deren Innern in silbernen Schalen Schmuck Juwelen und Goldstucke versteckt sind Der Ruodlieb verheimlichte Inhalt wird vor der Ubergabe in aller Ausfuhrlichkeit und Pracht dem Leser geschildert Diese auf den ersten Blick merkwurdigen Dankesgaben des rex maior sind typische Topoi in den sogenannten Ratschlagmarchen unter deren Stern der nachste Abschnitt des Epos die Heimreise steht Gleich nach seiner Abreise gesellt sich ein Rothaariger zu Ruodlieb der seinen Knappen zuruckgelassen hat aber von der Warnung vor Rothaarigen im ersten Ratschlag alarmiert sich ihm gegenuber sehr distanziert verhalt Der Charakter des rufus ist wie sich schnell erweist diametral dem seines ritterlichen Begleiters entgegengesetzt und entspricht ganz dem im ersten Ratschlag entworfenen Bild Diebisch aufbrausend lustern gewalttatig und rucksichtslos treibt er sein Unwesen und wird fur sein ungezugeltes Verhalten bestraft indem er fur das Betreten der Saatfelder entgegen dem zweiten ihm naturlich unbekannten Ratschlag prompt von den betroffenen Bauern verprugelt wird Auf die Spitze wird sein Fehlverhalten getrieben als er sich angewidert von der Vorstellung mit Ruodlieb bei einer alten wohlhabenden Frau mit einem jungen tugendhaften Ehemann zu nachtigen sich bei einer jungen unglucklich mit einem alten geizigen Mann verheirateten Bauerin einquartiert Er redet ihr ein sie aus ihrer Lage befreien zu konnen indem er sie seinem angeblichen Herrn Ruodlieb auf dessen Geheiss zufuhrt Als er sich den von ihr dafur im Voraus versprochenen Liebeslohn abholt ertappt der greise Ehemann das Paar in flagranti worauf der Rotschopf ihn todlich verletzt Gelautert verzeiht der Ehemann auf dem Sterbebett den beiden die sich nach seinem baldigen Ableben vor Gericht verantworten mussen wo der skrupellose rufus ganz nach gewohnter Manier lugend die Schuld auf die Ehefrau abzuwalzen sucht Sie hingegen reut das Geschehen dermassen dass sie die schlimmsten Formen der Busse auferlegt bekommen mochte so dass ihr gewahrt wird fortan ein Leben als Einsiedlerin mit strengsten Reglementierungen zu fuhren wahrend der verschlagene Rothaarige fur seine Tat wohl mit seinem Leben zu bussen hat Nach diesem Exkurs steht nun Ruodlieb wieder im Vordergrund des Geschehens Wir treffen ihn in Begleitung seines Neffen wieder den er aus der Abhangigkeit von einem leichten Madchen zu befreien versucht Mit ihm trifft er auf einem unmittelbar vor der Grenze zu seiner Heimat gelegenen Adelssitz einer noch um ihren Mann trauernden Witwe ein die wie sich spater herausstellt eine enge Verbindung zu Ruodliebs Mutter pflegt die sogar die Patin commater ihrer jugendlichen hinreissenden Tochter ist Unser Anonymus schildert diesen uberaus angenehmen Aufenthalt Ruodliebs in kleinadliger Gesellschaft besonders detailreich Erwahnt seien neben den noch genauer zu untersuchenden Abendunterhaltungsszenen der erneute Einsatz von buglossa Ochsenzunge insbesondere wohl Gemeine Ochsenzunge als sogenannter Tollkoder 1 beim Fischfang die lebendige Darstellung eines wachsamen Hundes und eine unterhaltsame Volierenszene mit pater noster krachzenden Vogeln Seine unmittelbar darauf folgende Ruckkehr aus der Fremde in der er zehn Jahre zugebracht hat verlauft nicht zuletzt durch die Schatzbrotoffnung besonders freudig Jetzt erfahrt der Leser dass sich Ruodlieb die ganze Zeit uber erstaunlicherweise bei den Afri aufgehalten hat Nun werden der Neffe und das adlige Madchen in entspannter Atmosphare verheiratet was Ruodliebs Mutter zum Anlass nimmt uber ihr Alter zu rasonieren und Ruodlieb zum Heiraten aufzufordern Zuvor jedoch sohnt sich Ruodlieb mit seinen ehemaligen Herren aus und wird umfangreich belehnt Bei der Brautwerbung lasst er sich von Freunden und Verwandten beraten um die Einhaltung der siebten Weisheitslehre zu gewahrleisten Eine anfangs aussichtsreiche Kandidatin wird der Unzucht mit einem Kleriker uberfuhrt was Ruodlieb zum Anlass nimmt ihr eine Lektion zu erteilen Indem er ihr die Kleidungsstucke als Geschenk getarnt uberbringen lasst die als corpora delicti fungierten erteilt er ihr eine Abfuhr ohne sie offentlich zu kompromittieren Eine uberraschende Wendung im Handlungsgang tritt ein als die Mutter ihrem Sohn Ruodlieb von ihren uberaus allegorischen Traumen erzahlt in denen eine enorme Standeserhohung ihres Sohnes namlich die Heirat mit einer Konigstochter und die Erlangung der Konigswurde in Aussicht gestellt wird Eine grosse Lucke lasst nur vage Spekulationen bezuglich dessen zu was sich ereignet hat bis uns Ruodlieb im Zwiegesprach mit einem von ihm gefangenen Zwerg begegnet der ihm fur seine Freilassung die entscheidende Hilfe zur Erlangung des Reiches von Konig Immunch anbietet Dieser wurde ebenso von Ruodliebs Hand fallen wie sein Sohn Hartunch und dann musste er nur noch die heres tunc sola superstes lat allein die Erben uberleben die Konigstochter Heriburg ehelichen um in den Besitz der Konigsherrschaft zu gelangen Nach einer Schmahrede des Zwerges gegen die Treulosigkeit der Menschen endet die Geschichte abrupt mit der instandigen Bitte der Zwergengattin um Auslosung ihres Mannes Es folgen auf der Ruckseite nur noch sieben in leoninischer Versform verfasste Epigramme die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Ruodlieb stehen Gattungsfrage BearbeitenDie Diskussion welchen Typus Literatur man mit dem Ruodlieb nun vor sich hat ist so alt wie seine moderne Rezeptionsgeschichte Seiler fallte schon im Titel seiner Edition ein klares Urteil RUODLIEB DER ALTESTE ROMAN DES MITTELALTERS Betrachtet man neuere Forschungsmeinungen so entsteht ein differenzierteres Bild in dem das Werk von vielem etwas zu sein scheint doch letztendlich eine klare Zuweisung nicht moglich ist Man gesteht ihm bei der Betrachtung dieser Frage heute zumindest zu von allen lateinischen Werken des Mittelalters der Gattung Roman am nachsten zu stehen Marchen Heldensage Heiligenvita Ritterspiegel und Abenteuerroman All diese Literaturtypen haben den Ruodlieb gepragt und ihm eine unverwechselbare eigenstandige Form gegeben und dominieren jeweils bestimmte Teile des Werks Am deutlichsten wird dies in den letzten beiden Fragmenten in denen Versatzstucke des in mehreren Varianten uberlieferten Ruodliebsagenstoffs Verwendung finden Daher durfte partiell das Urteil Hans Naumanns zutreffen der Ruodlieb stehe dem Norden erzahlungstypisch naher als der sudlichen Welt Da er vermutlich so gut wie uberhaupt keine Wirkung entfalten konnte ist es wenig erhellend chronologisch nach ihm einzuordnende Werke mit ihm in Verbindung zu bringen um eine Entwicklungslinie zu konstruieren Doch kann man beispielsweise an den altfranzosischen chansons des gestes oder den hochmittelalterlichen Ritterepen mittelhochdeutscher Sprache viele Ahnlichkeiten feststellen die auf einen gemeinsamen Fundus an Geschichten hinweisen Doch fallen die vielen Unterschiede mindestens genauso auf Trotz Fragmentierung kann man sicher sagen dass keine Gattung auch nur annahernd uber das ganze Werk hinweg durchgehalten wird Selbst die Hauptfigur Ruodlieb steht in zu vielen Szenen nicht im Mittelpunkt sondern ist allenfalls Beobachter auch wenn ihm am Ende ein herausragendes Schicksal zuteilwird All diese Faktoren liessen vor allem die ob des literarischen Wertes eher skeptischen Forscher dem Ruodlieb am liebsten die Bezeichnung gescheitertes Experiment zukommen Man mag von einem Scheitern sprechen wenn man die kaum als solche zu bezeichnende Wirkungsgeschichte betrachtet Die Sprache des Ruodlieb ist schwierig weil der Dichter aus prosodischen Grunden bisweilen an die Grenzen der verstandlichen Formulierung geht Auch stellt der Autor kaum unter Beweis dass er als homo eruditus bezeichnet werden kann Aber darf man ihm die Bildung deswegen absprechen weil er das Ausschreiben anderer Autoren unterliess und eigene wenn auch oft ungelenke Verse schmiedete Erwiesenermassen gibt es eine Vielzahl von Uberschneidungen mit anderen Autoren die kaum auf Zufall oder nur auf einen ahnlichen Erfahrungshintergrund allein zuruckgefuhrt werden konnen Ihn als genialen Kopf zu sehen der bar jeder Vorbilder einen eigenen Stoff konstruierte welcher zufallig erst ein Jahrhundert spater in veranderter Form in der literarischen Blutezeit des Hochmittelalters an verschiedenen Orten wieder auftauchte durfte ebenso an der Realitat vorbeigehen Stattdessen sollte man neben einer Nutzung der Klosterbibliothek aber vor allem von der Einflechtung oraler Erzahltraditionen ausgehen und eine zumeist geschickte und einfallsreiche Verknupfung der verschiedenen Elemente annehmen Unser klerikaler Verfasser verfugt jedoch uber eine Gabe die diese Leistung in den Schatten stellt Er ist in der Lage in kleinen Episoden sehr anschauliche Bilder und verhaltnismassig gute Charakterdarstellungen darzubieten die uber manche sprachliche Holprigkeit hinwegsehen lassen Trotz aller Ungewohnlichkeit der Erzahlelementvielfalt ist das Werk aber durchaus als Kind des fruhen Hochmittelalters zu erkennen In der idealtypischen anfangs genau aus diesem Grund anonym gehaltenen Figur des frommen und fahigen Ritters spiegelt sich die Entstehung eines Standesethos Kleriker spielen hingegen keine grosse Rolle doch wird ihre gegenuber den Adligen herausgehobene Stellung dem Leser klar vor Augen gefuhrt also keine fur die damalige Gesellschaftsordnung vollig atypische Situation fingiert Als mutmassliche Adressaten dieser moralisch padagogischen Erzahlung durften die adligen Klosterschuler zu sehen sein Trotz der weitgehenden Anonymisierung des Werkes tauchen an mindestens drei Stellen ausserhalb von Botenberichten Anzeichen einer Identifikation mit dem Reich des rex maior auf Ob es sich tatsachlich um Belege eines Realitatsbezuges handelt oder der Dichter auf eine etwas befremdliche Art den Standpunkt des miles exul venator Ruodlieb einnimmt lasst sich nicht eindeutig entscheiden Handlung BearbeitenMan kann den Handlungsverlauf folgendermassen grob unterteilen Ruodlieb als Dienender erfolgloser Dienst in der Heimat erfolgreicher Dienst im Exil als Jager Feldherr Diplomat Belohnung Weisheitslehren u Schatz im Brot Abschied I V 558 Ruodlieb auf der Heimreise in der Gesellschaft des rufus Bewahrung von drei Weisheitslehren in der Gesellschaft des contribulis Einkehr auf einem Adelssitz und Verlobung des contribulis mit der Tochter des Hauses V 559 XIII Ruodlieb als Herr Hochzeit contribulis dominella Ruodliebs Brautsuche Abweisung der falschen Braut Gewinnung einer Konigstochter XIV XVIII Eine feinere Abschnittsgliederung ergibt folgendes Bild I 1 71 luckenlos Auszug des miles Ruodlieb Vorgeschichte Ausstattungsbeschreibung Abschied von der Mutter I 72 141 Ruodlieb freundet sich mit dem venator regis an und tritt in den Dienst des rex maior IA 1 7 II 1 50 Ruodlieb dient dem rex maior 10 Jahre als Jager mit Vogelfang Fischerei mit Buglossa und Wolfsjagd II 51 65 III 1 70 IIIA 1 3 Ruodlieb als Feldherr des rex maior gegen Friedensbrecher aus dem Land des rex minor erfolgreich III A 4 7 IV 1 230 Ruodlieb in diplomatischer Mission beim rex minor Schachspielszenen IV 184 188 in seinem Bericht an den rex maior IV 231 252 V 1 221 Die Konigsbegegnung Tanzbarenszene Gefangenenfreilassung und im Gegenzug Geschenke fur den rex maior Katalog wertvoller Tiere Gebrauch des Luchskastens V 222 391 luckenlos Ruodlieb erhalt einen Brief mit der Aufforderung in die Heimat zuruckzukehren V 222 228 Der rex maior bereitet ein Abschiedsgeschenk vor Schatzbeschreibung Vorbereitung zweier mit Mehl uberzogener und mit silbernen Schalen darin Geld bzw Schmuck gefullter Abschiedsbrote V 392 584 luckenlos Die 12 Lehren des rex maior Ubergabe der erst zu Hause aufzuschneidenden Schatzbrote und Ruodliebs Abschied V 585 621 Ruodlieb begegnet einem rufus der sich ihm anschliesst Es erweist sich die Wahrheit der ersten beiden Lehren VI 8 123 Die Erzahlung von der alten Frau mit dem jungen Mann uberaus positiv und der jungen Frau mit dem alten Mann dezidiert negativ dargestellt VII 1 25 Ruodlieb als Gast beim jungen Mann mit der alten Frau VII 26 129 VIII 1 10 Der rufus als Gast beim alten Mann mit der jungen Frau Verfuhrung der treulosen Ehefrau Totung des Mannes der den Ubeltatern noch verzeiht VIII 11 129 Das Gericht Ehefrau als reuige Sunderin die sich schwerer lebenslanger Busse unterzieht Lucke Ruodliebs Weiterreise und Begegnung mit seinem contribulis IX 1 24 Ruodlieb im Gesprach mit seinem contribulis Gemeinsame Abreise X 1 58 X 59 112 Ruodlieb und sein contribulis als Gaste auf einem Herrensitz I Ankunft Ubernachtung morgendlicher Fischfang Katalog mit 18 oberbayerischen Fischnamen 2 und Mittagsmahl Diebe witternder Hund X 113 132 XI 1 72 XII 1 32 XII 33 36 Ruodlieb und sein contribulis als Gaste auf einem Herrensitz II Volierenszene Abendunterhaltung Harfenspiel und Tanz XI 38 72 Verlobung des contribulis mit der dominella XII 22 32 Ubernachtung und Abschied XII 37 66 XII 67 90 XIII 1 9 XIII 10 81 Heimreise Botendohle Ankunft Badeszene und Freudenfest Anschneiden des ersten Schatzbrotes Zeitangabe exul denis in annis erste sicher auf den Autoren zuruckgehende Nennung des Namens Ruodlieb XIV 1 99 Die Vermahlung des contribulis mit der dominella XIV 51 87 Lucke Aussohnung mit den fruheren Dienstherren und Belehnung Ruodliebs Wirken zu Hause und im Dienste des Landes XV 1 70 XVI 1 18 Die Klage der Mutter XV 3 15 sie fordert Ruodlieb auf zu heiraten XVI 19 70 XVII 1 84 Ruodliebs Brautwerbung Einladung von Verwandten und Freunden zwecks Beratung 7 Lehre Beschamung der liderlichen Braut XII 1 14 XVII 85 128 luckenlos Die Traume der Mutter Ihr heiligmassiges Leben ermoglicht in der Vision den Aufstieg des Sohnes namlich die Heirat mit einer Konigstochter und den Erwerb eines Konigreiches Lucke Der Tod der Mutter XVIII 1 32 Ruodlieb und gefesselter Zwerg der ihm bei Befreiung einen Konigsschatz ein Konigreich und eine Konigstochter verspricht Danach Abbruch des Romans mit Beginn der Schlussphase konigliche Erhohung Fazit BearbeitenRuodlieb eine fiktionale Erzahlung von Tugend und Gluck des jungen Adligen Ruodlieb meist als Roman apostrophiert ist der erste Ritterspiegel des Mittelalters zu typischen Rittertugenden vgl das Ritter und Freundschaftsepos Engelhard des Konrad von Wurzburg aus der 2 Halfte des 13 Jahrhunderts und liegt Jahrzehnte vor den Chansons de geste des Aufruhrerzyklus z B Gormond et Isembart Im Unterschied zum antiken Roman wird jedoch die Geschichte eines kontinuierlichen Aufstiegs geschildert Ungewohnlich ist der fast vollstandige Verzicht auf Eigennamen und Ortsbezeichnungen einzige Ausnahmen Ruodlieb Immunch Hartunch Heriburg ligamina aus Lukka Lucca Goldmunzen aus Byzanz Dienst bei den Afri dient der Verfremdung Es gibt keine Hinweise auf konkrete politische Anspielungen vielmehr dominiert die Zeichnung diverser Idealbilder z B Ruodlieb rex maior reuige Sunderin diametral entgegengesetzt der rufus Auffallig ist dabei auch die besondere Rolle des Ratschlagmarchentopos Der Ruodlieb vereinigt unterschiedliche Elemente verschiedener Literaturgattungen in einem einzigartigen dichterischen Experiment dessen Quellen nur selten unmittelbar zu greifen sind Durch die Idealisierung vieler Handlungsablaufe ist eine intensive Nutzung des Werkes als kulturhistorisches Dokument problematisch aber nichtsdestoweniger ein wenn auch leider wirkungsloses Relikt eines uberaus schopferischen Geistes Ausgaben und Ubersetzungen teilweise mit Kommentar BearbeitenSeiler Ruodlieb Halle 1882 Teilubersetzung durch Paul von Winterfeld In Paul von Winterfeld Hermann Reich Hrsg Deutsche Dichter des lateinischen Mittelalters in deutschen Versen C H Beck Munchen 1913 weitere Auflagen 1917 dort S 287 361 und 1922 Christopher W Grocock The Ruodlieb Mit einer Ubertragung ins englische und Anmerkungen Warminster Chicago 1985 Walter Haug Faksimile Faksimile Ausgabe des Codex Latinus Monacensis 19486 der Bayerischen Staatsbibliothek Munchen und der Fragmente von St Florian Band I Wiesbaden 1974 Benedikt Konrad Vollmann Faksimile Ausgabe des Codex Latinus Monacensis 19486 der Bayerischen Staatsbibliothek Munchen und der Fragmente von St Florian Band II Wiesbaden 1985 Walter Haug Benedikt Konrad Vollmann Fruhe deutsche Literatur und lateinische Literatur in Deutschland 800 1150 Bibliothek des Mittelalters Band 1 Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1991 ISBN 3 618 66010 3 S 388 551 Ruodlieb Text und Ubersetzung S 1306 1406 Kommentar Fritz Peter Knapp Ruodlieb Mittellateinisch und deutsche Ubertragung Kommentar und Nachwort Reclam Stuttgart 1977 ISBN 3 15 009846 7 Karl Langosch Waltharius Ruodlieb Marchenepen Lateinische Epik des Mittelalters mit deutschen Versen Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1967 Literatur BearbeitenArno Borst Das Buch der Naturgeschichte Plinius und seine Leser im Zeitalter des Pergaments Winter Heidelberg 1994 ISBN 3 8253 0132 X Werner Braun Studien zum Ruodlieb Ritterideal Erzahlstruktur und Darstellungsstil De Gruyter Berlin 1962 P Dronke Ruodlieb The Emergence of Romance In Ders Poetic Individuality in the Middle Ages New Departures in Poetry 1000 1150 London 1986 Andreas Epe Index verborum Ruodliebianus Lang Frankfurt am Main Bern Cirencester 1980 ISBN 3 8204 6801 3 H M Gamer The Earliest Evidence of Chess in Western Literature The Einsiedeln Verses In Speculum 29 1954 S 734 750 H M Gamer Studien zum Ruodlieb In Zeitschrift fur deutsches Altertum und deutsche Literatur 88 1958 S 249 266 H M Gamer Der Ruodlieb und die Tradition In Karl Langosch Hrsg Mittellateinische Dichtung Darmstadt 1969 S 284 329 C Gellinek Marriage by consent 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Heidelberg 1952 S 307 324 Peter Stotz Formenlehre Syntax und Stilistik Handbuch der Altertumswissenschaft Abt 2 Teil 5 Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters Band 4 Beck Munchen 1998 ISBN 3 406 43447 9 Peter Stotz Bedeutungswandel und Wortbildung Handbuch der Altertumswissenschaft Abt 2 Teil 5 Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters Band 2 Beck Munchen 2000 ISBN 3 406 45836 X S Stricker Volkssprachliches im Ruodlieb In Sprachwissenschaft Teil 16 1991 S 117 141 Benedikt Konrad Vollmann Ruodlieb Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1993 ISBN 3 534 09073 X H J Westra Brautwerbung in the Ruodlieb In Mittellateinisches Jahrbuch Teil 18 1983 S 107 120 H J Westra On the Interpretation of the Dominella s Speech in the Ruodlieb In Mittellateinisches Jahrbuch Teil 22 1987 S 136 141 Weblinks BearbeitenRuodlieb hochauflosendes Digitalisat im Kulturportal bavarikon Die Ruodlieb Fragmente in der Bibliotheca Augustana Fragmente des Ruodlieb Digitlisat Bayerische Staatsbibliothek Clm 19486 Anmerkungen Bearbeiten Heinrich Grimm Neue Beitrage zur Fisch Literatur des XV bis XVII Jahrhunderts und uber deren Drucker und Buchfuhrer In Borsenblatt fur den Deutschen Buchhandel Frankfurter Ausgabe Nr 89 5 November 1968 Archiv fur Geschichte des Buchwesens Band 62 S 2871 2887 hier S 2883 f Heinrich Grimm Neue Beitrage zur Fisch Literatur des XV bis XVII Jahrhunderts und uber deren Drucker und Buchfuhrer In Borsenblatt fur den Deutschen Buchhandel Frankfurter Ausgabe Nr 89 5 November 1968 Archiv fur Geschichte des Buchwesens Band 62 S 2871 2887 hier S 2884 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ruodlieb amp oldid 237548064