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Als Ruhreisenstreit wird die grosste und folgenreichste Aussperrung wahrend der Weimarer Republik bezeichnet von der zwischen dem 1 November und dem 3 Dezember 1928 uber 200 000 Arbeiter betroffen waren Sie war zwar auf das Rheinisch Westfalische Industriegebiet beschrankt hatte aber Folgen fur das gesamte Reich Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte und Hintergrunde 2 Verlauf 3 Ende und historische Bedeutung 4 Anmerkungen 5 Literatur 6 WeblinksVorgeschichte und Hintergrunde BearbeitenDer wirtschaftliche Hintergrund fur den Konflikt war die noch gute Konjunkturlage und die damit wiedererstarkte Kraft der Gewerkschaften gerade im rheinisch westfalischen Industriegebiet In der Eisenindustrie kundigten die freien die liberalen und christlichen Metallarbeitergewerkschaften den Tarifvertrag zum 31 Oktober 1928 um eine Lohnerhohung von 15 Pfennigen pro Stunde fur alle Beschaftigten uber 21 Jahren durchzusetzen Dass der Tarifkonflikt der zunachst unauffallig begann rasch eine bislang unbekannte Dimension erreichen konnte hing in erster Linie mit Entwicklungen im Unternehmerlager zusammen Die Industrie sah ihre Konkurrenzfahigkeit nicht nur durch die gewerkschaftliche Lohnforderung bedroht sondern befurchtete zudem dass die Gewerkschaften von der sozialdemokratisch gefuhrten Regierung unter Hermann Muller Ruckendeckung fur weit reichende Forderungen erhalten konnten Damit uberschatzten sie zwar den sozialdemokratischen Einfluss in der grossen Koalition wollten diesem allerdings mit einer offensiven Vorwartstrategie entgegentreten Verlauf BearbeitenDie Lohnforderung der Gewerkschaften wurde vom Arbeitgeberverband der Nordwestlichen Gruppe des Vereins deutscher Eisen und Stahlindustrieller kurz Arbeit Nordwest mit Hinweis auf die sich verschlechternde Konjunkturlage abgelehnt Stattdessen wurde den Arbeitern vorsorglich zum 1 November 1928 gekundigt Die von den Gewerkschaften angeregten Schlichtungsverhandlungen scheiterten Stattdessen erliess der vom Reichsministerium fur Arbeit ernannte Schlichter Wilhelm Joetten einen Schiedsspruch Auch wenn der Spruch deutlich hinter den Forderungen der Gewerkschaften zuruckblieb akzeptierten sie ihn wahrend die Arbeitgeber ihn juristisch anfochten und in letzter Instanz schliesslich Recht bekamen Innerhalb des Kabinetts fuhrte dies zu erheblichen Konflikten Die Unternehmer bekamen innerhalb der Regierung Unterstutzung durch den Reichswirtschaftsminister Julius Curtius DVP Dagegen hielt Arbeitsminister Rudolf Wissell SPD am Schlichterspruch fest und betrachtete ihn ebenso wie die Gewerkschaften als rechtlich bindend Allerdings verfugte der Arbeitsminister nicht uber die notwendigen Sanktionsmoglichkeiten um den Schiedsspruch durchzusetzen Ohne das Schlichtungsverfahren und die Urteile der zustandigen Arbeitsgerichte abzuwarten liessen die Arbeitgeber die Kundigungen in Kraft treten und entliessen insgesamt etwa 240 000 Arbeiter Dieser Schritt war nicht nur politisch sondern auch juristisch umstritten Wahrend das Arbeitsgericht Duisburg das Vorgehen billigte verurteilte ihn die nachsthohere Instanz das Landesarbeitsgericht in Dusseldorf Uber die direkt Betroffenen hinaus hatte die Aussperrung erhebliche volkswirtschaftliche Folgen fur den Kohlebergbau und die weiterverarbeitende Industrie Die betroffenen Arbeiter gerieten bald in materielle Not da nur eine Minderheit gewerkschaftlich organisiert war und damit Anrecht auf gewerkschaftliche Unterstutzungszahlungen hatte Die Arbeitslosenversicherung durfte im Fall von Aussperrungen keine Unterstutzungen zahlen Diese Konstellation liess die Unternehmer hoffen dass die Gewerkschaften schon bald von den Belegschaften zum Nachgeben gezwungen werden wurden In der Offentlichkeit stiess das Vorgehen der Arbeitgeber weitgehend auf Unverstandnis Das Zentrum wollte die Aussperrung ruckwirkend fur rechtswidrig erklaren lassen Anfang November stellten SPD und KPD Antrage im Reichstag den Ausgesperrten staatliche Unterstutzung zukommen zu lassen die mit grosser Mehrheit gegen die Stimmen der DVP beschlossen wurden Dieser Beschluss hat zweifellos dazu beigetragen dass der Konflikt noch einige Wochen andauerte und die Gewerkschaften bei den fortgesetzten Verhandlungen ihre Position behaupteten Im Arbeitgeberlager wurde die Entscheidung als Einmischung des Staates in den Bereich der Tarifpartner gedeutet Der Verband Deutscher Arbeitgeberverbande VDA und der Reichsverband der Deutschen Industrie stellten sich demonstrativ hinter Arbeit Nordwest Bis dahin hatten sie von einer offentlichen Solidarisierung mit den Arbeitgebern der Stahl und Eisenindustrie an Rhein und Ruhr abgesehen Die verharteten Fronten im Tarifkonflikt brockelten vor einem Berufungstermin am Reichsarbeitsgericht in Leipzig da beide Seiten furchteten bei einem fur sie negativen Ergebnis Schadenersatz leisten zu mussen Dies verstarkte den Willen zu einer Einigung zu kommen Die Aussperrung wurde schliesslich am 3 Dezember 1928 aufgehoben nachdem sich beide Konfliktparteien vorab bereit erklart hatten sich dem Schlichterspruch des Innenministers und Sonderschlichters Carl Severing SPD zu unterwerfen Ende und historische Bedeutung BearbeitenSeverings Sonderschiedsspruch erging schliesslich am 21 Dezember 1928 Zwar wurden die Lohne um einen bis sechs Pfennig erhoht und die Arbeitszeit von 60 auf 57 oder 52 Stunden herabgesetzt dies war fur die Gewerkschaften allerdings ein deutlich schlechteres Ergebnis als der erste Schlichterspruch Der juristische Schlusspunkt unter den Konflikt wurde aber erst vom Reichsarbeitsgericht am 22 Januar 1929 gesetzt Danach war der ursprungliche Schiedsspruch von Joetten von Anfang an rechtswidrig und alle Ein Mann Schiedsspruche generell unzulassig Somit war das Reichsarbeitsministerium der eigentliche Verlierer des Streits was die Arbeitgeber mit Genugtuung registrierten Das harte Vorgehen der Unternehmer hatte nicht nur aktuelle konjunkturelle Grunde Vielmehr wollten sie grundsatzlich auch gegen den staatlichen Einfluss auf die Wirtschafts und Sozialpolitik und insbesondere das im Ersten Weltkrieg eingefuhrte Schlichtungswesen vorgehen Dies war ein erster Schritt zur Abschaffung des seit 1918 entstandenen Systems von Tarifvertragen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbanden zugunsten von betrieblichen Vereinbarungen Nicht die Gewerkschaften sondern die vom Sozialdemokraten Hermann Muller gefuhrte Reichsregierung war der eigentliche Gegner Max Schlenker der Hauptgeschaftsfuhrer von Arbeit Nordwest sprach im Nachhinein zwar einerseits von einem normalen Arbeitskampf zu dem die Arbeitgeber gezwungen worden waren andererseits lage der tiefere Sinn der Arbeitsstreitigkeiten im Rhein Ruhrgebiet im Kampf fur die heutige Wirtschaftsform fur eine vernunftgemasse Wirtschafts und Sozialpolitik Sammlung aller gleichgestimmten Krafte zur endlichen Auseinandersetzung mit den zerstorerischen Machten des Sozialismus 1 Nach seinen Worten handelte es sich fur die Eisen schaffende und Eisen verarbeitende Industrie letzten Endes um ihr Bestehen es handelte sich fur sie darum sich gegen eine Wirtschaftsgebahrung zu stemmen die fruher oder spater zum Sozialismus wenn nicht zum Bolschewismus fuhren muss 2 Der Ruhreisenstreit markiert damit in der Weimarer Republik eine Wendemarke in der Politik der Unternehmer von der Kooperation zur Konfrontation Anmerkungen Bearbeiten zit nach Schneider S 139 zit nach Weisbrod S 455 Literatur BearbeitenAnselm Faust Ruhreisenstreit In Nordrhein Westfalen Landesgeschichte im Lexikon Red Anselm Faust u a Dusseldorf 1993 S 346f Martin Otto Die Materie war rechtlich schwierig Das Arbeitsrecht der Weimarer Republik in Wissenschaft und Praxis am Beispiel des Ruhreisenstreits In Martin Lohnig Mareike Preisner Hrsg Weimarer Zivilrechtswissenschaft Mohr Siebeck Tubingen 2014 S 23 55 ISBN 978 3 16 153325 9 Michael Schneider In voller Erkenntnis der Tragweite des jetzigen Konflikts Der Ruhreisenstreit 1928 29 In Lutz Niethammer u a Hrsg Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stucken aber sie machen sie selbst Einladung zu einer Geschichte des Volkes in Nordrhein Westfalen Essen 2006 S 136 139 Bernd Weisbrod Schwerindustrie in der Weimarer Republik Interessenpolitik zwischen Stabilisierung und Krise Hammer Wuppertal 1978 insb S 415 456 ISBN 3 87294 123 2 Heinrich August Winkler Weimar Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie 1918 1933 Munchen 1983 ISBN 3 7632 4233 3 S 341f Weblinks BearbeitenVolker vom Berg Ruhreisenstreit vom November 1928 in Verlauf und Entscheidungen PDF Datei 110 kB Volker Bahl Lohnverhandlungssystem der Weimarer Republik Von der Schlichtungsverordnung zum Ruhreisenstreit Verbandsautonomie oder staatliche Verbandsgarantie PDF Datei 122 kB Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ruhreisenstreit amp oldid 236282749