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Rekristallisation ist ein Begriff aus der Metallkunde und Kristallographie und beschreibt den Abbau von Gitterfehlern in Kristalliten durch Gefugeveranderungen in Folge von Keimbildung und Kornwachstum Er geht mit einer Festigkeitsabnahme und ublicherweise einer Kornfeinung einher Voraussetzung sind durch die Umformung eingebrachte Versetzungen als Keime fur die Kristallitneubildung Verlauf der Rekristallisation bei Aluminium Im Rahmen der Kristallisation neugebildete Korner erscheinen hellWenn die Umformung oberhalb der Rekristallisationstemperatur ablauft kann dynamische Rekristallisation beobachtet werden nach Abschluss der Umformung lauft statische Rekristallisation ab Die Rekristallisation schliesst sich insbesondere bei kubisch raumzentrierten Metallen an die dynamische oder statische Erholung an die durch Umordnung von Gitterfehlern zu einem Festigkeitsabbau fuhrt Rekristallisation wird in der Rekristallisationsgluhung genutzt die nach einer Kaltumformung angewendet wird um die Verfestigung abzubauen und das angestrebte Gefuge einzustellen Dazu wird der Werkstoff oberhalb der Rekristallisationstemperatur erwarmt Inhaltsverzeichnis 1 Mechanismus 2 Kinetik 2 1 Keimbildung 2 2 Kornwachstum 2 3 Aufeinandertreffen der rekristallisierten Korner 3 Rekristallisationstemperatur 4 Riesenkornbildung 5 Sekundare Phasen 5 1 Kleine Partikel 5 2 Grosse Partikel 6 Siehe auch 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseMechanismus BearbeitenBei der Rekristallisation bilden sich innerhalb eines Kristalls neue Korner Die Keimbildung dieser neuen Korner geht von den Stellen im Gefuge aus an denen sich die meisten Versetzungen befinden Dies ist der Fall an Korngrenzen Einschlussen und statischen Versetzungen wie z B Kleinwinkelkorngrenzen wo es bei plastischer Verformung zum Versetzungsstau kommt 1 Zunachst bilden sich Subkorner die im Verlauf der Rekristallisation zusammenwachsen und sich in die Umgebung ausdehnen Die Aktivierungsenergie der Rekristallisation setzt sich aus der Kristallisationsenthalpie und der Oberflachenenergie des Kristallkeimes zusammen Die Rekristallisation findet im Gefuge nach einer Umformung statt die uber dem kritischen Umformgrad bzw dem kritischen Reckgrad liegt Dieser entspricht bei den meisten Metallen eine Dehnung von rund funf Prozent Darunter gibt es nicht genugend Versetzungen aus denen Rekristallisationskeime entstehen konnten selbst besonders hohe Temperaturen konnen in diesem Fall keine Rekristallisation bewirken 2 Liegt der Umformgrad knapp unterhalb des kritischen Umformgrades so bilden sich nur wenige Rekristallisationskeime die sich weitestgehend ungehindert ausbreiten konnen die Korngrosse nach Abschluss der Rekristallisation ist hoch Liegt vor Beginn der Rekristallisation hingegen ein hoher Umformgrad durch Kaltverfestigung vor so gibt es viele Versetzungen und somit auch viele Rekristallisationskeime die sich rasch gegenseitig stoppen Die Korngrosse ist klein Hingegen nimmt die Rekristallisationstemperatur bis auf Sonderfalle bei besonders kleinem und besonders grossem Umformgrad nur einen vernachlassigbaren Einfluss auf die mittlere Korngrosse 2 Kinetik Bearbeiten nbsp Hauptartikel Johnson Mehl Avrami Kolmogorow GleichungDie Rekristallisationskinetik lauft in drei Stufen ab der Keimbildung dem Kornwachstum und dem Aufeinandertreffen von rekristallisierten Kornern Keimbildung Bearbeiten Fur eine Rekristallisationskeimbildung mussen drei Instabilitaten gleichzeitig uberwunden werden 3 Die thermodynamische Instabilitat Erst ab einer kritischen Keimgrosse geht weiteres Wachstum mit einer Verringerung der freien Enthalpie einher die mechanische Instabilitat Eine Bewegungsrichtung kann z B durch einen Defektdichtegradienten gegeben werden die kinetische instabilitat Grosswinkelkorngrenzen haben eine hohere Mobilitat aber auch eine hohere Oberflachenenergie Kornwachstum Bearbeiten Mathematisch kann das Kornwachstum in Naherung mit konstanter Kornwachstumsrate beschrieben werden Kolmogorov beschrieb dieses Modell 1937 Aus einem Punkt wachst nach der Keimbildungszeit t 0 displaystyle t 0 nbsp mit der Rate G displaystyle G nbsp uber die Zeit t displaystyle t nbsp eine Kugel mit Radius R displaystyle R nbsp R G t t 0 displaystyle R G t t 0 nbsp Der Volumenanteil f displaystyle f nbsp des rekristallisierten Gefuges wird dann zusammen mit der Keimbildungsrate N displaystyle dot N nbsp berechnet f 4 3 p N G 3 0 t t t 0 3 d t p 3 N G 3 t 4 displaystyle begin aligned f amp frac 4 3 pi dot N G 3 int 0 t t t 0 3 dt amp frac pi 3 dot N G 3 t 4 end aligned nbsp Diese Gleichung gilt in den fruhen Stadien der Rekristallisation wenn f 1 displaystyle f ll 1 nbsp ist und die wachsenden Korner nicht aufeinanderstossen Aufeinandertreffen der rekristallisierten Korner Bearbeiten Sobald die Korner in Kontakt kommen verlangsamt sich die Wachstumsrate und wird durch die Johnson Mehl Gleichung mit dem Anteil des nicht rekristallisierten Gefuges 1 f displaystyle 1 f nbsp in Beziehung gesetzt 4 f 1 exp p 3 N G 3 t 4 displaystyle f 1 exp left frac pi 3 dot N G 3 t 4 right nbsp Diese Gleichung liefert zwar eine bessere Beschreibung des rekristallisierten Gefugeanteils setzt aber immer noch voraus dass die Korner kugelformig sind die Keimbildungs und Wachstumsraten konstant sind die Keime zufallig verteilt sind und die Keimbildungszeit t 0 displaystyle t 0 nbsp klein ist In der Realitat sind nur wenige dieser Annahmen tatsachlich gultig weshalb modifizierte Modelle verwendet werden Rekristallisationstemperatur BearbeitenAls Rekristallisationstemperatur wird diejenige Temperatur bezeichnet bei der ein Werkstoff innerhalb einer Betrachtungszeit vollstandig rekristallisiert Sie wird haufig als Faustregel mit 40 5 oder 50 2 der absoluten Schmelztemperatur s homologe Temperatur abgeschatzt Ein hoherer Umformgrad senkt die Rekristallisationstemperatur Im Stahl kann sie bei thermomechanischer Behandlung durch die Mikrolegierungselemente Titan und Niob heraufgesetzt werden die wahrend der Warmumformung als feine Partikel ausscheiden Bsp 0 1 Niob erhohen die Rekristallisationstemperatur um 300 K Findet Umformung oberhalb der Rekristallisationstemperatur statt so spricht man von Warmumformung darunter handelt es sich um Kaltumformung bzw Halbwarmumformung wenn das Metall angewarmt wird aber die Rekristallisationstemperatur nicht uberschreitet Riesenkornbildung BearbeitenEin Sonderfall liegt bei hohen Rekristallisationstemperaturen und gleichzeitig hohem Umformgrad vor Hierbei entsteht ein Gefuge aus vielen sehr kleinen Kornern und einzelnen deutlich grosseren Riesenkornern Der Grund Je grosser die Anzahl an Rekristallisationskeimen desto hoher die Wahrscheinlichkeit dass einige nebeneinanderliegende Korner ein Kristallgitter gleicher Orientierung haben Diese Korner wachsen zusammen haben durch ihre Grosse einen Wachstumsvorteil und zehren in der Folge kleine in der Nachbarschaft liegende Korner auf Riesenkorner sind technisch unerwunscht da sie die Zahigkeit eines Werkstoffs verringern Beim Rekristallisationsgluhen wird daher der kritische Bereich in dem sich Riesenkorner bilden konnen gemieden Fur Aluminium liegt dieser Bereich bei Umformgraden oberhalb von etwa 60 Prozent und gleichzeitiger Rekristallisationstemperatur von uber 500 C 2 Sekundare Phasen BearbeitenViele Legierungen von industrieller Bedeutung haben einen gewissen Volumenanteil an Ausscheidungen oder weiteren Phasen sei es durch absichtliche Legierungszusatze oder aufgrund von Verunreinigungen Abhangig von ihrer Grosse und Verteilung konnen solche Phasen und Partikel die Rekristallisation entweder fordern oder verzogern Kleine Partikel Bearbeiten Die Rekristallisation wird bei kleinen eng beieinander liegenden Teilchen durch Zener Pinning sowohl an Klein als auch Grosswinkelkorngrenzen verhindert oder erheblich verlangsamt Dieser Druck wirkt direkt gegen die treibende Kraft die aus der Versetzungsdichte entsteht und beeinflusst sowohl die Keimbildung als auch die Wachstumskinetik Der Effekt kann in Bezug auf das Teilchendispersionsniveau F v r displaystyle F v r nbsp rationalisiert werden wobei F v displaystyle F v nbsp der Volumenanteil der zweiten Phase r displaystyle r nbsp der Radius ist Bei niedrigem F v r displaystyle F v r nbsp wird die Korngrosse durch die Anzahl der Partikel bestimmt und kann daher zunachst sehr klein sein Die Korner sind jedoch in Bezug auf das Kornwachstum instabil und werden daher wahrend des Gluhens wachsen bis die Teilchen einen ausreichenden Pinning Druck ausuben um sie zu stoppen Bei moderatem F v r displaystyle F v r nbsp wird die Korngrosse immer noch durch die Anzahl der Kerne bestimmt aber jetzt sind die Korner stabil in Bezug auf normales Wachstum Bei hohem F v r displaystyle F v r nbsp ist die nicht rekristallisierte verformte Struktur stabil die Rekristallisation wird unterdruckt Grosse Partikel Bearbeiten Die Spannungsfelder um nicht verformbare grosse Partikel lt 1 mm sind durch hohe Versetzungsdichten und grosse Orientierungsgradienten gekennzeichnet und damit ideale Orte fur die Entwicklung von Rekristallisationskeimen Dieses Phanomen das als partikelstimulierte Keimbildung bezeichnet wird bietet eine der wenigen Moglichkeiten die Rekristallisation uber die Partikelverteilung zu steuern Siehe auch BearbeitenUmkristallisation ein Verfahren zur Reinigung chemischer Substanzen Literatur BearbeitenG Gottstein Physikalische Grundlagen der Materialkunde 2 Auflage Springer Berlin u a 2001 ISBN 3 540 41961 6 Springer Lehrbuch F J Humphreys M Hatherly Recrystallization and Related Annealing Phenomena 2 edition Elsevier Amsterdam u a 2004 ISBN 0 08 044164 5 B Ilschner R F Singer Werkstoffwissenschaften und Fertigungstechnik Eigenschaften Vorgange Technologien 4 neu bearbeitete und erweiterte Auflage Springer Berlin u a 2005 ISBN 3 540 21872 6 Springer Lehrbuch Weblinks BearbeitenPhysikalische Werkstoffeigenschaften Ausfuhrliches Vorlesungsskript TU Dresden davon insbesondere Kapitel 14 und 15 relevant Einzelnachweise Bearbeiten Werkstoffkunde Springer Lehrbuch Springer Berlin Heidelberg Berlin Heidelberg 2012 ISBN 978 3 642 17716 3 doi 10 1007 978 3 642 17717 0 springer com abgerufen am 16 September 2020 a b c d Christoph Broeckmann Paul Beiss Werkstoffkunde I Institut fur Werkstoffanwendungen im Maschinenbau der RWTH Aachen Aachen 2014 S 220 239 Gottstein Gunter Materialwissenschaft und Werkstofftechnik Physikalische Grundlagen 4 neu bearb Aufl 2014 Berlin Heidelberg ISBN 978 3 642 36603 1 S 340 Oettel Heinrich Schumann Hermann Metallografie mit einer Einfuhrung in die Keramografie 15 uberarb und erw Auflage Weinheim ISBN 978 3 527 32257 2 S 499 Rainer Schmidt Ausscheidungsphanomene in Werkstoffen Eine Einfuhrung in die mathematische Modellierung 1 Auflage Deutscher Verlag fur Grundstoffindustrie Leipzig 1991 S 130 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Rekristallisation amp oldid 230259871