Die Neutronendiffusion (lat. diffundere ‚ausgießen‘, ‚verstreuen‘, ‚ausbreiten‘), ein Spezialfall in der rechnerischen Behandlung des allgemeinen Neutronentransports, ist hauptsächlich wichtig in der Berechnung von Kernreaktoren. Diffusion meint zwar auch hier einen ohne äußere Einwirkung eintretenden Vorgang, aber nicht nur den Ausgleich von Anzahldichteunterschieden; bei der Neutronendiffusion sind die Vorgänge vielgestaltiger, denn freie Neutronen können durch Kernreaktionen neu entstehen und durch Absorption verschwinden.
Vereinfachte Neutronen-Diffusionsgleichungen Bearbeiten
Ein Raumbereich sei homogen mit Material gefüllt, das sowohl Neutronen durch Kernspaltung erzeugen als auch Neutronen absorbieren kann.
Der Neutronenfluss lässt sich durch Lösung der Differentialgleichung der Neutronendiffusion gewinnen:
Es bedeuten
Die Neutronen-Diffusionsgleichungen sind Größengleichungen, also von Einheiten unabhängig. Aber es gibt übliche Einheiten in der Reaktorphysik, die in der zweiten Spalte der Tabelle angegeben worden sind. Jeder Term des obigen Differentialgleichungssystems, der als Produkt von makroskopischem Wirkungsquerschnitt und Neutronenfluss gebildet wird, z. B.
besitzt als physikalische Größe die Einheit
Das ist die Einheit einer Kernreaktionsratendichte.
Eindimensionale Neutronen-Diffusionsgleichungen Bearbeiten
In einem Medium, das durch zwei parallele Flächen mit unendlicher Oberfläche begrenzt ist, dem sogenannten Plattenreaktor, ergibt sich die vereinfachte Neutronen-Diffusionsgleichung zu
In zylindrischer Geometrie, einem Reaktor in der Form eines Zylinders von unendlicher Länge (Polarkoordinaten), lautet die vereinfachte Neutronen-Diffusionsgleichung
In sphärischer Geometrie entsprechend
Im stationären Zustand ist die zeitliche Änderung der Neutronenanzahldichte Null, . Von dieser Annahme gehen wir auch bei den stationären Vielgruppen-Neutronen-Diffusionsgleichungen aus (siehe unten).
Zeitunabhängige Neutronen-Diffusionsgleichung Bearbeiten
In einem Reaktor wird im stationären Zustand der Quellterm S durch beschrieben.
Dabei ist der Neutronenmultiplikationsfaktor im unendlich ausgedehnten Medium.
ist das Quadrat der Diffusionslänge . Da im kritischen Reaktor sein muss, kann man die Größe
einführen; sie heißt in der Reaktorphysik Buckling, eingedeutscht Flusswölbung. Die vereinfachte Form der Neutronen-Diffusionsgleichung lautet damit
Diese Gleichung ist vom Typ Helmholtz-Gleichung.
Stationäre Vielgruppen-Neutronen-Diffusionsgleichungen Bearbeiten
Der reale Fall eines heterogenen Reaktors wird durch die stationären Vielgruppen-Neutronen-Diffusionsgleichungen beschrieben. Der stationäre Neutronenfluss für die Energiegruppe am Ort genügt den homogenen, zeitunabhängigen Vielgruppen-Neutronen-Diffusionsgleichungen
mit der Quellratendichte , einer Summe von Spaltraten- und Streuquelldichten, in der Form
und alle Orte im Raumbereich, für die diese Differentialgleichungen zu lösen sind.
Diese Gleichungen bilden ein System von partiellen, elliptischen Differentialgleichungen 2. Ordnung. In der hier dargestellten Form wurde die kontinuierliche Energievariable bereits in Intervalle, in Energiegruppen, unterteilt. Die sog. Gruppenkonstanten, die in die Koeffizienten des Gleichungssystems eingehen, sind (bis auf Ausnahmen) material-, orts- und energieabhängig. Bevor man mit der Lösung der Vielgruppen-Neutronen-Diffusionsgleichungen beginnen kann, müssen diese Koeffizienten mit einem Zellprogramm berechnet worden sein und zahlenmäßig als Eingabedaten vorliegen.
Es bedeuten
Jede einzelne der Stück Gleichungen des Systems ist die differentielle Form einer Erhaltungsgleichung für die Anzahl der Neutronen im Raum am Ort , deren Energien in dem Intervall liegen, das durch die Grenzen der Energiegruppe festgelegt ist.
Das Differentialgleichungssystem wird vervollständigt durch zwei Stetigkeitbedingungen und eine Bedingung für alle Punkte, die auf äußeren Randflächen liegen. Ist das System symmetrisch, besitzt es zum Beispiel Spiegelebenen, dann kommen spezielle Randbedingungen an diesen Ebenen hinzu.
Anmerkungen und Einzelnachweise Bearbeiten
- Der Schnitt kann parallel zu allen Außenflächen des Quaders geführt werden. Das Maximum des Neutronenflusses liegt im Mittelpunkt des Quaders. Wird der Schnitt nicht durch den Mittelpunkt geführt, verringert sich der Neutronenfluss gegenüber dem durch den Mittelpunkt geführten nur um eine Konstante, die mit dem Abstand des Schnitts vom Mittelpunkt kleiner wird.
- Da die Neutronendiffusionsgleichung eine homogene lineare Differentialgleichung ist, ist mit einer Neutronenfluss-Lösung auch der mit einer beliebigen Konstanten multiplizierte Neutronenfluss eine Lösung der Neutronendiffusionsgleichung.
- Samuel Glasstone, Milton C. Edlund: The elements of nuclear reactor theory. MacMillan, London 1952 (VII, 416 S.).[1]. Volltextsuche ist möglich. Neutronendiffusion ist auf S. 106 behandelt. Diese Monografie hat wie keine andere die damals junge Generation der Reaktorphysiker in West und Ost und die späteren Lehrbuchschreiber geprägt. Ihr 6. Druck vom Februar 1957 ist vollständig online einsehbar.
- C. W. J. McCallien: SNAP, Multigroup 3-D Neutron Diffusion in XZ, R-Theta-Z, Hexagonal-Z, Triangular-Z Geometry. AEA-RS-1214, 1993.
- Paul Reuss: Neutron physics. EDP Sciences, Les Ulis, France 2008, ISBN 978-2-7598-0041-4 (xxvi, 669, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). Reuss behandelt die Neutronendiffusion u. a. auf S. 650.