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Nachtwachen ist ein satirischer Roman von August Klingemann der 1805 in Penig bei Ferdinand Dienemann mit dem Zusatz Von Bonaventura erschien Er war Teil des Journals von neuen deutschen Original Romanen in dem unter anderem auch Sophie Brentano und Christian August Vulpius publizierten In der Forschung galt die Autorschaft des von der Kritik sehr hochgeschatzten Romans lange Zeit als ungeklart bis 1987 der Fund einer Handschrift in der Universitatsbibliothek von Amsterdam den Braunschweiger Dichter und Theaterdirektor August Klingemann als Verfasser bestatigte Titelblatt der ersten Ausgabe von 1804Inhaltsverzeichnis 1 Form und Inhalt 1 1 Form 1 2 Inhalt 2 Verfasserfrage 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseForm und Inhalt BearbeitenForm Bearbeiten Der Roman gliedert sich in 16 Episoden die als Nachtwachen bezeichnet werden Unterschiedliche Textformen Rede Prolog Briefwechsel Gedicht Essay oder Bildbeschreibung die nicht zwingend der Handlung angehoren durchbrechen die erzahlende Struktur des Textes und lassen ihn insgesamt unzusammenhangend und fragmentarisch erscheinen Damit lehnt er sich an romantische Vorbilder wie Friedrich Schlegels Lucinde oder Clemens Brentanos Godwi an Inhalt Bearbeiten Die Hauptfigur ist Kreuzgang ein von der Welt verstossener Nachtwachter der nun allnachtlich durch die dunklen Gassen einer Stadt zieht und der Bevolkerung die Stunde abruft Auf seinen Streifzugen trifft er auf die unterschiedlichsten Gestalten die ihn zu Uberlegungen anregen Diese munden zumeist in eine Kritik an seiner Zeit Kern dieser Missbilligungen ist die Sinnlosigkeit des Daseins Wissenschaft Religion und Kunst werden mit grotesken Bildern aufs Korn genommen Die Ziele und Zwecke des einzelnen Menschen oder der ganzen Gesellschaft verneint Kreuzgang vehement Mit den letzten Worten spricht der Roman ein dreifaches Nichts aus was ihn stark in die Nahe des Nihilismus ruckt Versinnbildlicht wird dies vor allem mit der Metapher der Rolle Die Tragodie des Menschen bestehe darin dass letztlich alles bloss Schauspiel sei Will man zu einem Grund vordringen im Bild der Rollen Metapher gesprochen den Schauspieler hinter seiner Maske ausfindig machen fuhre dieses Unterfangen unweigerlich ins Nichts So schreibt Kreuzgang in der Vierzehnten Nachtwache in der Rolle des Hamlet Es ist Alles Rolle die Rolle selbst und der Schauspieler der darin steckt und in ihm wieder seine Gedanken und Plane und Begeisterungen und Possen alles gehort dem Momente an und entflieht rasch wie das Wort von den Lippen des Komodianten Alles ist auch nur Theater mag der Komodiant auf der Erde selbst spielen oder zwei Schritte hoher auf den Brettern oder zwei Schritte tiefer in dem Boden wo die Wurmer das Stichwort des abgegangenen Konigs aufgreifen mag Fruhling Winter Sommer oder Herbst die Buhne dekoriren und der Theatermeister Sonne oder Mond hineinhangen oder hinter den Koulissen donnern und sturmen alles verfliegt doch wieder und loscht aus und verwandelt sich bis auf den Fruhling in dem Menschenherzen und wenn die Koulissen ganz weggezogen sind steht nur ein seltsames nacktes Gerippe dahinter ohne Farbe und Leben und das Gerippe grinset die anderen noch herumlaufenden Komodianten an Vierzehnte Nachtwache Doch der Text lasst es bei dem nihilistischen Grundzug nicht bewenden Es gibt eine Rolle die das ganze Welttheater nicht hoher bewertet als es tatsachlich ist Nun erscheint der Hanswurst wieder um ihn zu besanftigen und zu trosten fuhrt auch unter andern als er es gar zu arg macht argerlich an wie albern es sei wenn es einer Marionette einfiele uber sich selbst zu reflektiren da sie doch blos der Laune des Direktors gemass sich betragen musse der sie wieder in den Kasten lege wenn es ihm gefiele Dann sagt er auch manches Gute uber die Freiheit des Willens und uber den Wahnsinn in einem Marionettengehirne den er ganz realistisch und vernunftig abhandelt alles das um der Puppe zu beweisen wie toll es eigentlich von ihr sei dergleichen Dinge sehr hoch zu nehmen indem alles zulezt doch auf ein Possenspiel hinausliefe und der Hanswurst im Grunde die einzige vernunftige Rolle in der ganzen Farce abgabe eben weil er die Farce nicht hoher nahme als eine Farce Vierte Nachtwache Kreuzgang will damit nicht nur die Rolle des Hanswurstes rehabilitieren diese war von Johann Christoph Gottsched und Friederike Neuber von den Buhnen des 18 Jahrhunderts verbannt worden siehe hierzu Hanswurst er weist mit der Aufwertung des Hanswurstes auch auf die einzig mogliche Einstellung hin die er der allgegenwartigen Maskerade gegenuber einnimmt Ein anderes Beispiel ebendieser weltumspannenden Verstellung ist die Metapher von der Welt als Irrenhaus Die Menschheit organisirt sich gerade nach Art einer Zwiebel und schiebt immer eine Hulse in die andere bis zur kleinsten worin der Mensch selbst denn ganz winzig stekt So baut sie in den grossen Himmelstempel an dessen Kuppel die Welten als wunderheilige Hieroglyphen schweben kleinere Tempel mit kleinern Kuppeln und nachgeafften Sternen und in diese wieder noch kleinere Kapellen und Tabernakel bis sie zulezt das Allerheiligste ganz en miniature wie in einen Ring eingefasst hat da es doch ringsum gross und machtig um Berge und Walder schwebt und in der glanzenden Hostie der Sonne am Himmel emporgehoben wird dass die Volker davor niederfallen In die allgemeine Weltreligion die die Natur mit tausend Schriftzeichen geoffenbart hat schachtelt sie wieder kleinere Volks und Stammreligionen fur Juden Heiden Turken und Christen ja die leztern haben auch daran nicht genug sondern schachteln sich noch von neuem ein Eben so ist es mit dem allgemeinen Irrhause aus dessen Fenstern so viele Kopfe schauen theils mit partiellem theils mit totalem Wahnsinne auch in dieses sind noch kleinere Tollhauser fur besondere Narren hineingebaut Neunte Nachtwache Der Protagonist ist in diesem Ragout seiner Aufzeichnungen aber auch auf der Suche nach seiner eigenen Identitat Er ist namlich ein Findelkind das von einem Schuhmacher und Alchimisten in einem Kreuzgang gefunden wurde Seine Mutter ist ein Bohmerweib Sie soll einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben und erzahlt ihm in der Sechzehnten Nachtwache von seinem richtigen Vater der sobald Kreuzgang ihn beruhren will zu Staub zerfallt Herkunft und Identitat des Findelkindes bleiben daher bis zuletzt ratselhaft Die Passage ist zugleich das Ende des Textes Wehe Was ist das bist auch du nur eine Maske und betrugst mich Ich sehe dich nicht mehr Vater wo bist du Bei der Beruhrung zerfallt alles in Asche und nur auf dem Boden liegt noch eine Handvoll Staub und ein paar genahrte Wurmer schleichen sich heimlich weg wie moralische Leichenredner die sich beim Trauermahle ubernommen haben Ich streue diese Handvoll vaterlichen Staub in die Lufte und es bleibt Nichts Druben auf dem Grabe steht noch der Geisterseher und umarmt Nichts Und der Wiederhall im Gebeinhause ruft zum leztenmale Nichts Sechzehnte NachtwacheVerfasserfrage BearbeitenDie Urheberschaft des Romans war bis in die 1980er Jahre hinein umstritten Die Germanistik hat den Text zeitweilig unter anderem Clemens Brentano E T A Hoffmann Karl Friedrich Gottlob Wetzel und Caroline Schelling zugeschrieben Jean Paul vermutete in seinen Reminiszenzen und Lizenzen zu seinem Gianozzo dass Friedrich Schelling der Autor sei Dieser hatte namlich 1802 im Musenalmanach von Schlegel und Tieck Gedichte unter dem Pseudonym Bonaventura veroffentlicht Aber auch Jean Paul selbst geriet unter Verdacht Aufgrund der Forschungen Jost Schillemeits und Horst Fleigs kam zudem August Klingemann ins Spiel Ihre Beweise grunden sich auf interpretatorische und sprachstatistische Methoden mit denen sie einzelne Worter Wortfolgen oder Motive aus den Nachtwachen mit in Frage stehenden Autoren verglichen Die grossten Gemeinsamkeiten entdeckten beide in den Schriften Klingemanns 1987 veroffentlichte schliesslich Ruth Haag in der Zeitschrift Euphorion den Artikel Noch einmal Der Verfasser der Nachtwachen von Bonaventura und berichtete von einem besonderen Fund In der Handschriften Sammlung von Pieter Arnold Diederichs die in der Universitatsbibliothek von Amsterdam lagert befindet sich eine Liste der Veroffentlichungen Klingemanns in der er handschriftlich vermerkt Nachtwachen Penig Dienemann 1804 und somit die Nachtwachen sein Eigen nennt 1 Literatur BearbeitenTextausgaben Auswahl August Klingemann Nachtwachen von Bonaventura Mit Illustrationen von Lovis Corinth Hrsg v Jost Schillemeit Insel Frankfurt am Main 2000 ISBN 3 458 31789 9 Bonaventura E A F Klingemann Nachtwachen Hrsg v Wolfgang Paulsen Reclam Stuttgart 1986 ISBN 3 15 008926 3 August Klingemann Nachtwachen von Bonaventura Freimuthigkeiten Hrsg v Jost Schillemeit Wallstein Gottingen 2012 ISBN 978 3 8353 0831 2 Sekundarliteratur Auswahl Thomas Boning Widerspruche Zu den Nachtwachen Von Bonaventura und zur Theoriedebatte Rombach Freiburg 1996 Ina Braeuer Ewers Zuge des Grotesken in den Nachtwachen von Bonaventura Schoningh Paderborn u a 1995 Manfred Engel Auf der Suche nach dem Positiven Die Kritik an Subjektivismus und romantischer Romanform in Klingemanns Nachtwachen und Immermanns Munchhausen In Gunter Blamberger u a Hrsg Studien zur Literatur des Fruhrealismus Lang Frankfurt am Main 1991 Horst Fleig Zersprungene Identitat Klingemann Nachtwachen von Bonaventura 1973 Das Typoskript erschien 1974 als Beigabe zu Horst Fleig Sich versagendes Erzahlen Fontane Goppinger Beitrage zur Germanistik Bd 145 Kummerle Verlag Goppingen 1974 Horst Fleig Literarischer Vampirismus Klingemanns Nachtwachen von Bonaventura Niemeyer Tubingen 1985 Ruth Haag Noch einmal Der Verfasser der Nachtwachen von Bonaventura 1804 In Euphorion Bd 81 1987 Peter Kohl Der Freie Spielraum Im Nichts Peter Lang Frankfurt am Main 1986 Jurgen Peters August Klingemann Tanzt nur wieder fort ihr Larven In Ders Von Dichterfursten und anderen Poeten Kleine niedersachsische Literaturgeschichte Band 1 Revonnah Verlag Hannover 1993 Walter Pfannkuche Idealismus und Nihilismus in den Nachtwachen von Bonaventura Peter Lang Frankfurt am Main 1983 Kenneth Ralston The captured horizon Heidegger and the Nachtwachen von Bonaventura Tubingen Max Niemeyer Verlag 1994 Jost Schillemeit Bonaventura der Verfasser der Nachtwachen Beck Munchen 1973 Weblinks BearbeitenLiteratur von und uber Nachtwachen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Nachtwachen Digitalisat PDF 6 0 MB nach Rahel Varnhagens Exemplar in der Arno Schmidt Referenzbibliothek der GASL 5 99 MB August Klingemann Die Nachtwachen des Bonaventura bei Zeno org Einzelnachweise Bearbeiten Abbildung des Eintrags auf der Webseite von Ruth Fleig und Horst Fleig abgerufen am 18 Mai 2021 Normdaten Werk GND 4205510 6 lobid OGND AKS VIAF 9072158792830839040007 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Nachtwachen amp oldid 229029859