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Der Kugel Erlass vom Marz 1944 war ein Geheimbefehl mit der Weisung aus deutschen Kriegsgefangenenlagern entwichene Offiziere sowie ranghohere Unteroffiziere nach ihrer Ergreifung vom Sicherheitsdienst SD in das KZ Mauthausen zu uberfuhren und sie dort im Rahmen der Aktion Kugel erschiessen zu lassen Eine Ausnahmeregelung galt fur wiederergriffene Offiziere der britischen und amerikanischen Streitkrafte Hierfur war vorher von Fall zu Fall eine Entscheidung beim OKW Chef Kriegsgef einzuholen Dieser Befehl verstiess gegen das Genfer Abkommen uber die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929 das bei Flucht von Kriegsgefangenen lediglich disziplinarische Strafen vorsah 1 Inhaltsverzeichnis 1 Quellenuberlieferung 2 Inhalt 3 Umsetzung des Befehls 4 Exekutionen in Mauthausen 5 Verantwortlichkeiten 6 Siehe auch 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseQuellenuberlieferung BearbeitenDas als Kugel Erlass im Nurnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher von der Anklage angesprochene Dokument das auf den 2 Marz 1944 datiert wird wurde nicht im Original aufgefunden Vielmehr handelt es sich um ein als Geheime Reichssache gekennzeichnetes Fernschreiben vom 4 Marz 1944 mit dem Heinrich Muller als Leiter der Gestapo diesen Befehl an ausgewahlte Staatspolizeileitstellen und Inspekteure des SD weitergab 2 An der Authentizitat des Erlasses konnen keine Zweifel bestehen da Ernst Kaltenbrunner seine Kenntnis davon einraumte 3 und weitere Dokumente sich darauf beziehen 4 Als konkreter Anlass fur den Befehl wird die Flucht von 140 niederlandischen Offizieren vermutet die wahrend eines Transports aus dem Stalag 371 Stanislau zu fliehen versuchten Nachweisbar wurden neun von ihnen in Mauthausen ermordet 5 Inhalt BearbeitenDas Fernschreiben vom 4 Marz 1944 nennt als Betreff Massnahmen gegen wiederergriffene fluchtige kriegsgefangene Offiziere und nichtarbeitende Unteroffiziere mit Ausnahme britischer und amerikanischer Kriegsgefangener Mit dem Ausdruck nichtarbeitende Unteroffiziere wird eine Gruppe hoherrangiger Unteroffiziere umschrieben die nach den Bestimmungen der Genfer Ubereinkunft in der Kriegsgefangenschaft von einer Arbeitsleistung freizustellen und damit den Offizieren gleichgestellt waren 6 Das Schreiben beginnt mit den Worten Das OKW sic hat folgendes angeordnet 1 Jeder wiederergriffene Offizier oder nichtarbeitende Unteroffizier mit Ausnahme britischer und amerikanischer Kriegsgefangener ist dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD mit dem Kennwort Stufe III zu ubergeben Zweitens durfe diese Uberstellung unter keinen Umstanden offiziell bekannt werden An die Wehrmachtauskunftstelle seien diese Kriegsgefangenen als geflohen und nicht wiederergriffen zu melden bei Anfragen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz solle dieselbe Auskunft gegeben werden Im dritten Punkt wird fur britische und amerikanische Staatsangehorige davon abweichend eine Sonderregelung getroffen Diese seien zunachst ausserhalb des Kriegsgefangenenlagers und ggf in Polizeigewahrsam ausser Sicht von Kriegsgefangenen festzusetzen Umgehend solle dann von Fall zu Fall uber ihre etwaige Ubergabe an den SD beim OKW Chef Kriegsgef entschieden werden Unter der Uberschrift Hierzu befehle ich Folgendes werden dann Ausfuhrungsbestimmungen angefugt Die Uberstellten sollten nach dem bisher ublichen Verfahren in das KZ Mauthausen uberfuhrt werden Beim Transport seien die Gefangenen zu fesseln dies aber vor unbeteiligten Zuschauern zu verbergen Dem Lagerkommandanten in Mauthausen sei mitzuteilen dass die Uberstellung im Rahmen der Aktion Kugel erfolgt Das OKW sei gebeten worden die Kriegsgefangenenlager anzuweisen im Interesse der Tarnung die Wiederergriffenen nicht selbst unmittelbar nach Mauthausen zu schicken sondern der zustandigen Staatspolizeistelle zu ubergeben Umsetzung des Befehls BearbeitenIn erster Linie wurden Angehorige der Roten Armee Opfer dieses Erlasses Eine als geheim gekennzeichnete Anweisung des Wehrkreiskommandos in Soest vom 27 Juli 1944 bezieht sich auf die Uberstellung von Kriegsgefangenen an die Geheime Staatspolizei und zahlt zudem auf dass sowjetische Offiziere und Mannschaften wegen Straftaten wegen Arbeitsverweigerung oder wegen ihrer politischen Einstellung aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen und der Gestapo zu uberstellen seien 7 Auch polnische Kriegsgefangene die der Sabotage uberfuhrt worden seien sollten auf Ersuchen dem Einsatzkommando uberstellt werden In allen diesen Fallen sei eine Meldung an das OKW nicht erforderlich Bei Kriegsgefangenen aller anderen Nationen namentlich auch bei belgischen und franzosischen Kriegsgefangenen und italienischen Militarinternierten sei die Zustimmung des OKW oder des zustandigen Wehrkreiskommandos erforderlich Exekutionen in Mauthausen BearbeitenDie Aktion Kugel wird als zunehmende Radikalisierung im Umgang mit wiederergriffenen Kriegsgefangenen gesehen 8 Spektakulare Fluchten von Offizieren und Massenfluchten gaben Heinrich Himmler Anlass zu Angriffen auf das der Wehrmacht unterstehenden Kriegsgefangenenwesen und offneten dem Reichssicherheitshauptamt Handlungsspielraum Bereits 1943 waren Haftlinge aller Art uberwiegend zivile Zwangsarbeiter vom Sicherheitsdienst nach Mauthausen unter Stichwort Kugel eingeliefert und dort exekutiert worden 9 Vermutlich gab es zuerst einen K Befehl fur Zwangsarbeiter nach dem 23 Juni 1944 lassen sich keine zivilen K Haftlinge mehr in Mauthausen nachweisen 10 Im Nurnberger Hauptprozess lag eine eidesstattliche Versicherung von Zeugen vor die uber die Ermordung der nach Mauthausen transportieren Kriegsgefangenen berichteten In Mauthausen gab es mehrere Arten der Gefangenenbehandlungen unter ihnen die Aktion K oder Kugel Nach Ankunft der Transporte wurden die Gefangenen die mit K bezeichnet waren nicht registriert erhielten keine Nummer und ihre Namen blieben allen mit Ausnahme der Beamten der politischen Abteilung unbekannt Die K Gefangenen wurden direkt in das Gefangnis gebracht entkleidet und in die Duschraume geschickt Diese Duschraume in den Kellern des Gefangnisses neben dem Krematorium waren fur Exekutionen bestimmt 11 Bis etwa Ende Mai 1944 wurden solche Exekutionen durchgefuhrt Danach wurden K Haftlinge im Block 20 untergebracht Statt die eingelieferten Gefangenen umgehend zu toten liess man sie meist verhungern 12 Am 2 Februar 1945 gelang 419 K Haftlingen die Flucht in den folgenden Tagen und Wochen wurden fast alle von ihnen bei der so genannten Muhlviertler Hasenjagd ergriffen und ermordet Es sind keine Unterlagen erhalten geblieben aus denen sich die Anzahl der aufgrund des Kugel Erlasses getoteten Kriegsgefangenen einwandfrei ermitteln lasst Die im Prozessverlauf von einem Zeugen gemachte Zahlenangabe von 1 300 ist in sich selbst unschlussig 13 und wurde dort angezweifelt 14 Nach anderen Angaben verloren durch die Aktion K in Mauthausen 4700 K Haftlinge das Leben Die gangigste Angabe summiert 5040 Personen von denen mit 4 300 rund 85 sowjetische Kriegsgefangene waren 15 Verantwortlichkeiten BearbeitenDie UdSSR war der Haager Landkriegsordnung von 1907 nicht aber dem Genfer Kriegsgefangenenabkommen von 1929 beigetreten 16 Dennoch waren auch die Exekutionen der sowjetischen Kriegsgefangenen zweifellos illegal Durch den bereits beschriebenen Umstand dass hauptsachlich Angehorige der Roten Armee dem Kugel Erlass zum Opfer fielen hatte er eine erganzende Wirkung zum Kommissarbefehl vom 6 Juni 1941 17 Hermann Goring bestritt vor Gericht entschieden vom Kugel Erlass gewusst zu haben Ernst Kaltenbrunner stellte dar er habe erst zufallig davon erfahren und nachgefragt Wiederum einige Tage spater erschien Muller bei mir im Auftrag Himmlers und gab mir Einsicht in einen Erlass der aber nicht von Hitler sondern von Himmler stammte und in welchem Himmler erklarte er gabe mir einen mundlichen Fuhrerbefehl weiter Ich habe auf das hin Himmler geantwortet dass ich in diesem Fuhrererlass naturlich feststellen musse dass die primitivsten Prinzipien der Genfer Konvention gebrochen seien wenn schon zu einer Zeit die lange vor meiner Tatigkeit und nach Setzung spaterer Rechtsbruche geschehen sei Ich bate ihn dagegen beim Fuhrer vorstellig zu werden und habe diesem Schreiben den Entwurf eines Schreibens Himmlers an Hitler beigelegt in welchem Himmler den Fuhrer bittet a diesen Erlass aufzuheben b auf jeden Fall die nachgeordneten Dienststellen von dieser seelischen Belastung zu entlasten Der Erfolg war positiv Es ist zwar nicht der Kugel Erlass aufgehoben worden und nicht eine Reihe anderer ebenso bedruckender Befehle es ist aber insofern positiv gewesen als mir im Februar 1945 zum ersten Male uberhaupt von Hitler die Fuhlungnahme mit dem Internationalen Roten Kreuz gestattet wurde die bis dorthin strengstens verboten gewesen 18 Wilhelm Keitel sagte im Kreuzverhor Ich habe bestimmt diesen Befehl nicht unterschrieben nicht gesehen daruber besteht kein Zweifel 19 Er konne es nicht aufklaren nur Vermutungen aussern wie es zu diesem Befehl und den Worten Das OKW hat folgendes angeordnet beim Reichssicherheitsamt sic gekommen sei Er erwahnte in seiner Aussage verschiedene Moglichkeiten und schloss sich Kaltenbrunners Deutung an dass Adolf Hitler ohne Rucksprache mit ihm dem Angeklagten Keitel und ohne sein Wissen einen mundlichen Befehl an Heinrich Himmler gegeben habe Nach Deutung von Christian Kretschmer sprechen alle Indizien dafur dass der Befehl aus dem Kreis Hitler Himmler Muller kam es bleibt ungeklart wieweit Hans von Graevenitz als Chef des Kriegsgefangenenwesens an der Ausarbeitung beteiligt war Einen schriftlichen Befehl seitens des OKW der explizit von der Ermordung der an die Gestapo ausgelieferten Offiziere sprach halt Kretschmer fur unwahrscheinlich Allerdings konne allein schon die Ubergabe an die Gestapo den Gedanken an eine Exekution nahelegen 20 Siehe auch BearbeitenKommandobefehl Fliegermorde Stalag Luft III Nacht und Nebel ErlassLiteratur BearbeitenChristian Kretschmer Gelungene Flucht Stufe III Hintergrunde Entstehung und Opfer der Aktion Kugel In Christoph Dieckmann Babette Quinkert Hrsg Kriegfuhrung und Hunger 1939 1945 Zum Verhaltnis von militarischen wirtschaftlichen und politischen Interessen Beitrage zur Geschichte des Nationalsozialismus 30 Gottingen 2015 ISBN 978 3 8353 1492 4 S 227 262 Weblinks BearbeitenMauthausen Memorial K HaftlingeEinzelnachweise Bearbeiten Convention relative to the Treatment of Prisoners of War Geneva 27 July 1929 Art 50 Abgedruckt als Dokument 1650 PS IMT Hrsg Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem internationalen Militargerichtshof Band XXVII Dokumentenband 3 Nachdruck Munchen 1989 ISBN 3 7735 2522 2 S 424 428 Auszug in Bd III S 564 565 IMT Der Nurnberger Prozess Bd XI S 303 Donnerstag 11 April 1946 z B Dokument 1514 PS Geheime Mitteilung des Wehrkreiskommandos VI vom 27 Juli 1944 IMT Der Nurnberger Prozess Bd XXVII S 261 269 Christian Kretschmer Gelungene Flucht Stufe III Hintergrunde Entstehung und Opfer der Aktion Kugel In Christoph Dieckmann Babette Quinkert Hrsg Kriegfuhrung und Hunger 1939 1945 Gottingen 2015 ISBN 978 3 8353 1492 4 S 250 Convention relative to the Treatment of Prisoners of War Geneva 27 July 1929 Art 21 Dokument 1514 PS Geheime Mitteilung des Wehrkreiskommandos VI vom 27 Juli 1944 IMT Der Nurnberger Prozess Bd XXVII S 261 269 Christian Kretschmer Gelungene Flucht Stufe III Hintergrunde Entstehung und Opfer der Aktion Kugel In Christoph Dieckmann Babette Quinkert Hrsg Kriegfuhrung und Hunger 1939 1945 Gottingen 2015 ISBN 978 3 8353 1492 4 S 228 Alfred Streim Sowjetische Gefangene in Hitlers Vernichtungskrieg Berichte u Dokumente 1941 1945 C F Muller Juristischer Verlag Heidelberg 1982 ISBN 3 8114 2482 3 S 164 Anm 77 Christian Kretschmer Gelungene Flucht Stufe III Hintergrunde Entstehung und Opfer der Aktion Kugel In Christoph Dieckmann Babette Quinkert Hrsg Kriegfuhrung und Hunger 1939 1945 Gottingen 2015 ISBN 978 3 8353 1492 4 S 244 und 237 IMT Der Nurnberger Prozess Bd IV S 291f an der Schilderung eines zweiten Zeugen betr Schussvorrichtung sind Zweifel angebracht Christian Kretschmer Gelungene Flucht Stufe III Hintergrunde Entstehung und Opfer der Aktion Kugel In Christoph Dieckmann Babette Quinkert Hrsg Kriegfuhrung und Hunger 1939 1945 Gottingen 2015 ISBN 978 3 8353 1492 4 S 259 IMT Der Nurnberger Prozess Bd XI S 378 379 IMT Der Nurnberger Prozess Bd XI S 379f Barbara Stelzl Marx Zwischen Fiktion und Zeitzeugenschaft Amerikanische und sowjetische Kriegsgefangene im Stalag XVII B Tubingen 2000 ISBN 3 8233 4661 X S 91 Christian Kretschmer Gelungene Flucht Stufe III Hintergrunde Entstehung und Opfer der Aktion Kugel In Christoph Dieckmann Babette Quinkert Hrsg Kriegfuhrung und Hunger 1939 1945 Gottingen 2015 ISBN 978 3 8353 1492 4 S 260 Christian Streit Keine Kameraden Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941 1945 Bonn 1991 ISBN 3 8012 5016 4 S 230 Heribert Ostendorf Die widerspruchlichen Auswirkungen der Nurnberger Prozesse auf die westdeutsche Justiz in Gerd Hankel Gerhard Stuby Hrsg Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen Hamburg 1995 ISBN 3 930908 10 7 IMT Der Nurnberger Prozess Bd XI S 303 f Christian Kretschmer Gelungene Flucht Stufe III Hintergrunde Entstehung und Opfer der Aktion Kugel In Christoph Dieckmann Babette Quinkert Hrsg Kriegfuhrung und Hunger 1939 1945 Gottingen 2015 ISBN 978 3 8353 1492 4 S 247 IMT Der Nurnberger Prozess Bd XVIII S 43 Christian Kretschmer Gelungene Flucht Stufe III Hintergrunde Entstehung und Opfer der Aktion Kugel In Christoph Dieckmann Babette Quinkert Hrsg Kriegfuhrung und Hunger 1939 1945 Gottingen 2015 ISBN 978 3 8353 1492 4 S 253 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kugel Erlass amp oldid 222927068