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Als Konnektom englisch connectome bezeichnet man die Gesamtheit der Verbindungen im Nervensystem eines Lebewesens Seinem Studium auf verschiedenen Skalen widmet sich die Konnektomik englisch connectomics ein Teilgebiet der Neurowissenschaften Die weisse Substanz in einem menschlichen Gehirn visualisiert durch MRT Da die Verbindungen einer Nervenzelle bei der Bestimmung ihrer Funktion eine zentrale Rolle spielen ist ihre Untersuchung ein traditioneller Gegenstand biologischer Forschung Das Begriffspaar Konnektom und Konnektomik gibt es jedoch erst seit 2005 Zu seiner Etablierung trug das im September 2010 bewilligte Human Connectome Project bei in dessen Rahmen die National Institutes of Health die Erforschung des menschlichen Konnektoms mit insgesamt knapp 40 Millionen US Dollar fordern Inhaltsverzeichnis 1 Pragung des Begriffs 2 Das Konnektom auf verschiedenen Skalen 2 1 Mikroskala Das Konnektom als Netzwerk von Nervenzellen 2 2 Mesoskala Kortikale Saulen und Schichten 2 3 Makroskala Verbindungen zwischen Hirnarealen 3 Das Konnektom im Kontext funktioneller Spezialisierung und Integration 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweisePragung des Begriffs BearbeitenDer Begriff Konnektom geht auf die Neurowissenschaftler Olaf Sporns Indiana University und Patric Hagmann Ecole polytechnique federale de Lausanne zuruck die ihn im Jahr 2005 unabhangig voneinander vorgeschlagen hatten 1 2 Durch bewusste Anlehnung an die bestehenden Begriffe Genom und Proteom die die Gesamtheit der Erbinformation beziehungsweise der Proteine in einem Lebewesen bezeichnen soll der Name Konnektom zum Ausdruck bringen dass die einzelnen Verbindungen nur in ihrer gegenseitigen Beziehung zueinander verstanden werden konnen ahnlich wie einzelne Gene oder Proteine im Organismus miteinander wechselwirken 2 Ahnlich wie das Proteom ist das Konnektom nicht statisch sondern aufgrund der neuronalen Plastizitat standigen Veranderungen unterworfen Fur die synaptischen Verbindungen zwischen den Neuronen wird der aus der Elektrotechnik entlehnte Begriff Verdrahtung genutzt Das Konnektom auf verschiedenen Skalen BearbeitenDie Konnektom Forschung konzentriert sich auf die Netzwerkeigenschaften des Nervensystems Das zu untersuchende Netzwerk wird hierbei meist durch einen Graphen im Sinne der Graphentheorie dargestellt das heisst als abstrakte Menge so genannter Knoten die durch Kanten verbunden sind Welche konkrete Bedeutung die Knoten und Kanten haben hangt von der Grossenordnung ab auf der das Nervensystem betrachtet wird Die moglichen Grossenordnungen werden grob in Mikroskala Mesoskala und Makroskala unterteilt Mikroskala Das Konnektom als Netzwerk von Nervenzellen Bearbeiten Auf feinster Ebene der Mikroskala besteht ein Nervensystem aus Neuronen die durch Synapsen miteinander verbunden sind Eine Untersuchung des Nervengewebes auf dieser Skala erfordert seine Darstellung mit einem Auflosungsvermogen im Mikrometer Bereich Die Knoten im Netzwerkgraphen entsprechen in diesem Fall den einzelnen Neuronen Eine vollstandige Rekonstruktion des Konnektoms auf Mikroebene ist 1986 erstmals bei den Hermaphroditen des Fadenwurms Caenorhabditis elegans gelungen Ihr Nervensystem besteht aus 302 Neuronen die rund 5000 Synapsen 2000 neuromuskulare Endplatten sowie 600 Gap Junctions bilden Es wurde 1986 auf Grundlage einer elektronenmikroskopischen Untersuchung serieller Schnitte durch ein Team um den Biologen John White beschrieben 3 Eine ahnlich umfassende Untersuchung komplexerer Organismen ist beim derzeitigen Stand der Technik nicht moglich da die Anzahl ihrer Neurone typischerweise in die Milliarden geht Aufgrund von Hochrechnungen ist davon auszugehen dass beispielsweise das menschliche Gehirn rund 10 Milliarden Neurone enthalt die rund 100 Billionen Synapsen bilden 4 im Vergleich dazu umfasst das menschliche Genom nur wenig mehr als 3 Milliarden Basenpaare In diesem Massstab ist es nicht mehr moglich alle Axone in aufeinander folgenden elektromikroskopischen Schnittbildern manuell nachzuverfolgen Daher werden fur diese Aufgabe spezialisierte Methoden des maschinellen Sehens entwickelt deren Qualitat bislang jedoch noch nicht ganz die einer manuellen Segmentierung erreicht 5 Zudem stellt bereits die Speicherung und Verarbeitung der anfallenden Datenmengen eine technische Herausforderung dar Mesoskala Kortikale Saulen und Schichten Bearbeiten Die Grosshirnrinde ist in kortikalen Saulen organisiert Verbanden von hunderten oder tausenden Neuronen mit einem Gesamtdurchmesser von etwa 80 Mikrometern Sie zeichnen sich durch gemeinsame afferente Nervenverbindungen aus sind untereinander besonders stark verbunden und insbesondere in den primaren sensorischen Arealen deutlich ausgepragt Sie bilden eine grundlegende Verarbeitungseinheit des Kortex Neben dieser vertikalen Organisation lassen sich histologisch daruber hinaus horizontale Schichten unterscheiden aufgrund deren Anzahl unterteilt man die Grosshirnrinde in den Isocortex sechs Schichten und den Allocortex drei bis funf Schichten Wahrend die Hirnforschung im Laufe ihrer jungeren Geschichte wesentliche Fortschritte beim Verstandnis auf Mikro und Makroskala erreicht hat gibt es noch immer nur wenige Ansatze die Funktionsweise von Neuronenverbanden auf der mittleren Ebene zu erforschen 6 Makroskala Verbindungen zwischen Hirnarealen Bearbeiten Aufgrund ihrer anatomischen Eigenschaften oder ihrer Funktion lassen sich verschiedene Hirnareale unterscheiden die bei Betrachten des Konnektoms auf Makroebene die Knoten des Netzwerkgraphen bilden Verbunden sind diese Zentren durch langere Nervenfasern die die weisse Substanz bilden Aufgrund von Erkenntnissen die mittels spezieller Praparations und Farbeverfahren gewonnen wurden ist der generelle Verlauf vieler grosser Nervenbundel auf der Makroebene bekannt 7 Ziel aktueller Forschung Stand 2012 ist es mittels bildgebender Verfahren das individuelle Konnektom lebender Probanden zu untersuchen und Einflusse genetischer Faktoren normaler Alterungsprozesse sowie von Lernprozessen und Krankheiten aufzuklaren Neben wichtigen Beitragen zahlreicher kleinerer Forschungsprojekte stellt das Human Connectome Project im Zeitraum 2010 bis 2015 das grosste koordinierte Forschungsprogramm in diesem Bereich dar Der Forschung stehen derzeit im Wesentlichen die folgenden drei Verfahren zur Verfugung Die Diffusions Bildgebung ermoglicht eine direkte Untersuchung der weissen Substanz Sie misst die brownsche Molekularbewegung von Wassermolekulen Da diese durch die Mikrostruktur der Nervenfasern eingeschrankt ist ermoglicht ihre Vorzugsrichtung eine Schatzung der lokalen Ausrichtung der Nervenfasern Traktographie Verfahren rekonstruieren aus solchen Daten algorithmisch den Verlauf der grossen Nervenbahnen Es wurden unterschiedliche Verfahren vorgeschlagen um aus den Diffusions Daten einen Netzwerkgraphen abzuleiten Eine Moglichkeit besteht darin die Hirnareale d h die Knoten des Graphen einer kortikalen Karte zu entnehmen Gong u a definieren auf diese Weise 78 Regionen 8 Eine feinere Unterteilung in 500 bis 4000 Knoten kann durch eine zufallige Gruppierung von je 8 bis 64 zusammenhangenden Voxeln erreicht werden die in diesem Fall jedoch keine anatomische Bedeutung besitzen 9 Zwei Knoten werden durch eine Kante verbunden wenn die Traktographie eine Verbindung der entsprechenden Areale rekonstruiert hat Kantengewichte konnen aus der Zahl der rekonstruierten Kurven abgeleitet werden 9 Wenn das gemeinsame Konnektom einer ganzen Gruppe von Probanden dargestellt werden soll wird eine Kante nur dann gesetzt wenn die Verbindung innerhalb der Gruppe verlasslich reproduziert wurde 8 Erganzend zu der Diffusions Bildgebung deren Netzwerkgraphen im Kontext der Konnektomik als Ausdruck einer strukturellen Konnektivitat betrachtet werden kommt auch die funktionelle Magnetresonanztomographie fMRT zum Einsatz Insbesondere werden Korrelationen im BOLD Signal das indirekter Ausdruck der Hirnaktivitat ist als Indiz fur eine Verbindung der entsprechenden Hirnregionen gewertet Besonders verbreitet sind Messungen im Ruhezustand resting state die dabei beobachteten Netzwerke werden daher als resting state networks bezeichnet Von der funktionellen Bildgebung erhofft man sich im Kontext der Konnektomik insbesondere eine Darstellung polysynaptischer Verbindungen die etwa eine Umschaltung im Thalamus enthalten und daher mit der Diffusions Bildgebung nicht zuverlassig erkannt werden Im Gegensatz zu Traktographie Verfahren zeigt die fMRT zwar die verbundenen Hirnregionen nicht aber den Verlauf der Nervenverbindung selbst im Gegenzug leidet sie weniger unter kreuzenden oder auffachernden Faserbahnen die die Genauigkeit und Verlasslichkeit von Traktographie Verfahren einschranken 10 Ein dritter Ansatz fuhrt systematische Korrelationen in der Dicke verschiedener Kortexregionen auf eine Verbindung der korrelierten Areale zuruck Diese Dicke lasst sich aus herkommlichen T1 gewichteten Bildern der Magnetresonanztomographie schatzen 11 Da diese Korrelationen sich nur durch den Vergleich zwischen Probanden berechnen lassen ergibt sich in diesem Fall kein individuelles Konnektom sondern ein gemeinsamer Graph fur alle Probanden der untersuchten Gruppe Das Konnektom im Kontext funktioneller Spezialisierung und Integration BearbeitenDer Theorie funktioneller Spezialisierung und Integration zufolge erfordern konkrete Funktionen des Gehirns eine Integration spezialisierter Hirnareale 12 Eine wesentliche Motivation fur die Erforschung des Konnektoms ist die Annahme dass die Verbindungen der Nervenzellen untereinander wesentlich zu beiden Aspekten beitragen So wird zum Beispiel einerseits die Funktion des visuellen Cortex primar durch seine afferente Verbindung zu den Sinneszellen im Auge bestimmt Andererseits weiss man aus Experimenten mit Split Brain Patienten dass die Faserbahnen im Corpus callosum zur Integration visueller Eindrucke des linken Gesichtsfelds mit den Sprachzentren unerlasslich sind Wahrend die funktionelle Spezialisierung durch Methoden der Elektrophysiologie und der funktionellen Bildgebung inzwischen relativ grundlich erforscht und belegt ist erhofft man sich von der Erforschung des Konnektoms insbesondere weitere Einsichten uber die bislang weniger detailliert verstandenen Mechanismen der funktionellen Integration 13 Literatur BearbeitenSebastian Seung Das Konnektom Erklart der Schaltplan des Gehirns unser Ich Springer Spektrum 2013 ISBN 978 3 642 34294 3 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Connectomics Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Jan Donges Der Schaltplan der Denkmaschine In spektrumdirekt 18 Marz 2011 Konnektom Die Verkabelung des Gehirns Themenseite auf Spektrum Mai 2011 zuletzt abgerufen am 4 Mai 2014 Olaf Sporns Connectome In Scholarpedia englisch Oliver Schmitt Peter Eipert neuroVIISAS auf neuroviisas med uni rostock de Konnektomanalyse Software englisch Oliver Schmitt Peter Eipert Rat connectome auf neuroviisas med uni rostock de Zentrales und peripheres multiskalen Konnektom der Laborratte englisch Einzelnachweise Bearbeiten O Sporns G Tononi R Kotter The Human Connectome A Structural Description of the Human Brain In PLoS Comput Biol 1 4 2005 S e42 a b P Hagmann From Diffusion MRI to Brain Connectomics Dissertation Ecole polytechnique federale de Lausanne 2005 J G White E Southgate J N Thomson S Brenner The structure of the nervous system of the nematode Caenorhabditis elegans In Phil Trans Royal Soc London B 314 1986 S 1 340 O Sporns Connectome In Scholarpedia 5 2 2009 S 5584 Revision 91162 S C Turaga J F Murray V Jain F Roth M Helmstaedter K Briggman W Denk H S Seung Convolutional networks can learn to generate affinity graphs for image segmentation In Neural Computation Band 22 Nr 2 2010 S 511 538 doi 10 1162 neco 2009 10 08 881 PMID 19922289 Das Manifest Was wissen und konnen Hirnforscher heute In Gehirn amp Geist Juni 2004 E Ludwig L Klingler Atlas cerebri humani S Karger AG Basel 1956 a b G Gong Y He L Concha C Lebel D W Gross A C Evans C Beaulieu Mapping Anatomical Connectivity Patterns of Human Cerebral Cortex Using In Vivo Diffusion Tensor Imaging Tractography In Cerebral Cortex Band 19 2009 S 524 536 doi 10 1093 cercor bhn102 PMC 2722790 freier Volltext a b P Hagmann M Kurant X Gigandet P Thiran V J Wedeen R Meuli J P Thiran Mapping Human Whole Brain Structural Networks with Diffusion MRI In PLoS ONE 2 7 2007 S e597 K R A Van Dijk T Hedden A Venkataraman K C Evans S W Lazar R L Buckner Intrinsic Functional Connectivity As a Tool For Human Connectomics Theory Properties and Optimization In Journal of Neurophysiology 103 2010 S 297 321 Y He Z J Chen A C Evans Small World Anatomical Networks in the Human Brain Revealed by Cortical Thickness from MRI In Cerebral Cortex 17 2007 S 2407 2419 K Friston Functional Integration In K Friston u a Hrsg Statistical Parametric Mapping The Analysis of Functional Brain Images Academic Press 2011 O Sporns Discovering the Human 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