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Das Kasan Phanomen russisch Kazanskij Fenomen ist ein in den 1980er Jahren entstandener Begriff zur Beschreibung der delinquenten straftatigen Jugendbewegung in der tatarischen Hauptstadt Kasan Bereits in den 1960er und 1970er Jahren formierten sich dort mehrere kriminelle Jugendbanden die von anfangs territorialen Platzkampfen gegnerischer Banden zu grosseren Straftaten ubergingen Diese Gruppen fanden immer grosseren Zuwachs und bildeten im weiteren Verlauf uberregional agierende Organisationen Die Grunde dafur lagen in dem politischen und gesellschaftlichen Wandel der sozialen Ungleichheit sowie in der uberregionalen medialen Anteilnahme Inhaltsverzeichnis 1 Begriff 2 Entstehung 3 Merkmale und Aktivitaten 4 Ausmass und Entwicklung 5 Mediale Darstellung und gesellschaftliche Rezeption 6 Siehe auch 7 Literatur 8 EinzelnachweiseBegriff BearbeitenIn den 1980er Jahren formte sich dieser Begriff zur Beschreibung krimineller Aktivitaten von Jugendbanden im Kasaner Stadtgebiet aber auch in vielen anderen Unionsstadten Die Herkunft des Begriffs lasst sich auf die von den Medien geschaffene Aufmerksamkeit zuruckfuhren Durch das besondere Interesse lokaler und anderer nationaler Journalisten fand das Phanomen von Kasan auch Einzug in die auslandische Literatur zur Beschreibung von straffalligen Strassenbanden in der ehemaligen Sowjetunion 1 Entstehung BearbeitenDas Problem krimineller Jugendbanden gilt in Kasan im Vergleich zu anderen ehemaligen Unionsstadten als besonders gut erforscht Die generelle Kriminalisierung der sowjetischen Gesellschaft und die kriminelle Chronik der Stadt gelten als eine der zahlreichen Faktoren die Kasan zum Zentrum der kriminellen Jugendbewegung machten Dazu kamen die Migration und das Stadtewachstum im Zuge der Industrialisierung seit 1950 die sich besonders in einigen Stadten der Wolgaregion vollzog Durch die neu geschaffenen Arbeiterviertel entstand ein territorialer Zusammenhalt vor allem unter den Jugendlichen der einzelnen Bezirke 2 Der Mangel an einer sozialen Infrastruktur war besonders in den provinziellen Ballungszentren anzutreffen Soziale und politische Einrichtungen wie der Komsomol entsprachen nicht den Bedurfnissen der Jugendlichen und hatten demnach kaum Einfluss 3 Die Wirtschaftsreformen in den 60er Jahren begunstigten den informellen Sektor und zogen die Schattenwirtschaft nach sich Dadurch entstanden die sogenannten Racketeer ing Banden zumeist bestehend aus Jugendlichen eines bestimmten Gebiets 4 Ein weiteres Problem war die hohe Anzahl an Strassenkindern Besprisorni 3 welche sich ebenfalls in Strassenbanden zusammenschlossen Durch den gesellschaftlichen Wandel in den letzten Jahren der UdSSR wurden die psychischen Prozesse der Heranwachsenden und ihre Identitatskrise verstarkt Die Unsicherheit der Jugendlichen war besonders in den Regionen zu spuren die sich zusatzlich mit ethnischen Identitatsfragen auseinandersetzen mussten wie beispielsweise die Tataren Tschuwaschen oder Kasachen 3 Neben den allgemeinen Werteverfall gesellten sich die Generationskonflikte die sich aus der Konfrontation der landlichen und stadtischen Wertevorstellungen im Zusammenhang mit der industriellen Migration ergaben Viele der Migranten hielten aber an einigen ihrer Traditionen fest wie die stark territorial bedingten Kampfe derewnja na derewnju Dorf gegen Dorf welches Prinzip sie in ihre neuen Wohnorte trugen 2 Diese territorialen Kampfe wurden im Verlauf zu der bedeutendsten Tatigkeit der kriminellen Jugendbanden 1 Der gesellschaftliche und politische Wandel die mangelnde soziale Infrastruktur in der Peripherie des Landes die Versaumnisse der Regierung und die psychischen Prozesse der Jugend sorgten dafur dass viele Heranwachsende Schutz in territorialen Peergroups suchten die zu kriminellen Gangs heranwuchsen Merkmale und Aktivitaten BearbeitenIn Kasan entwickelte sich ein bestimmter Typ einer Jugendbande Kasanski Tip welcher auch oft zur Beschreibung traditioneller Jugendbanden im russischsprachigen Raum verwendet wird 4 Zu den bekanntesten Banden zahlten die Tjap Ljap Chadi Taktas Zilka Pervaki und Boriskovy Die Gruppen umfassten mehrere Generationen und bestanden teilweise uber mehr als 20 Jahre 5 Eines der Merkmale war die territoriale Pragung Ausgehend von ihren Wohnblocken bildeten die Jugendlichen durch freien Willen oder Zwang 6 grossere Zusammenschlusse die sich uber ganze Mikrorayons erstrecken konnten 3 Nach Eintritt war nur noch ein Freikauf moglich 1 Dazu kamen die multiethnische Zusammensetzung und die unterschiedliche familiare Herkunft der Mitglieder die meist als Gopniki bezeichnet wurden 7 Hauptsachlich handelte es sich um mannliche Mitglieder zwischen 10 und 30 Jahren Ferner verfugten die Gruppen uber eine hierarchische Struktur nach Alter und krimineller Erfahrung Die Jungeren 10 13 wurden als Schtscheluchi salagi bezeichnet welchen die supery 14 16 molodje 17 19 und stariki 20 35 folgten An der Spitze standen die sogenannten awtoritety Autoritaten dedi oder karolja Konige Die obschtschije dewotschki waren Madchen die unter dem Gesetz der Gruppe standen Als tschuschpan wurden Jugendliche ohne Bandenzugehorigkeit bezeichnet 1 Zu ihren Hauptaktivitaten zahlten die territorialen Kampfe gegen andere Gruppen sowie die Geldbeschaffung fur die Kollektivkasse obschtschak zur finanziellen Unterstutzung 8 Im spateren Verlauf kamen noch andere kriminellere Aktivitaten dazu Alkohol und andere Drogen wurden vor allem den Jungeren untersagt Ferner gab es ein striktes Bestrafungssystem 3 Ausmass und Entwicklung BearbeitenDie politischen und gesellschaftlichen Veranderungen hatten Einfluss auf die strukturelle Entwicklung der jugendlichen Gruppierungen In der Zeit der Industrialisierung bildeten die Jugendlichen Peergroups in den Wohnsiedlungen mit einem territorialen Bewusstsein Mit der darauffolgenden Entwicklung der Schattenwirtschaft bis zum Einleiten der Perestroika wandelten sich diese zu organisierteren Banden mit teils wirtschaftlichen Zielen In den 1980er Jahren war der mannlichen Jugendlichen Mitglied einer Jugendbande 9 wobei Kasan unter mehr als 100 Gruppen aufgeteilt worden sein sollte 10 In der Zeit des politischen Umschwungs wurde der informelle Sektor gestarkt was die Strassenkriminalitat und vor allem die Entstehung von territorialen Racketeer Banden begunstigte Jegliche Formen von Geschaften auf ihrem Gebiet beanspruchten diese Vereinigungen fur sich 9 Durch die Ubereinkunft 1992 we don t divide up the asphalt 10 stabilisierte sich die Situation jedoch wurden Ende der 90er Jahre noch mehr als 20 grossere Gangs in Kasan verzeichnet 10 Noch heute wird in Russland und in anderen ehemaligen Unionsstadten von kriminellen Jugendbewegungen berichtet die sich aus den Ereignissen des Kasaner Phanomens entwickelt hatten oder mit diesen vergleichbar sind So wurde Mitte der 80er Jahre oftmals von einem Ubergreifen des Kasan Phanomens auf andere Regionen der UdSSR berichtet Darunter befanden sich nicht nur Stadte entlang der Wolga Uljanowsk Wolschski Tscheboksary Dserschinsk Joschkar Ola sondern auch andere Stadte der RSFSR Morschansk Workuta Ljuberzy Petrosawodsk Leninsk Kusnezki Komsomolsk am Amur Tscheljabinsk Lipezk sowie anderer Sowjetrepubliken Stepjanka Minsk in der belarussischen SSR und Schesqasghan in der kasachischen SSR 11 Davon wurden jedoch einige schon vor 1980 erwahnt 1 Neben Kasan formierte sich besonders in Ljuberzy eine starke kriminelle Subkultur 3 Durch die mehrstufige Entwicklung der Banden entstanden aus einfacheren Peergroups organisierte und wirtschaftlich agierenden Gruppierungen 9 welche im Russischen unter dem Begriff der Organizovannaja prestupnaja gruppa OPG erfasst werden Eine klare Grenze zwischen OPG und den Jugendbanden der 70er und 80er Jahre zu ziehen ist jedoch schwierig Bei den oftmals erwahnten Ablegern der Kasaner Banden handelte es sich aber meist schon um OPG die sich in Moskau mehr aber in St Petersburg aufgrund des lukrativen Geschafts niederliessen 10 wo sie sich aber infolge der Uberlegenheit der ortlichen Gruppierungen nicht halten konnten 12 Aufgrund der positiven boomartigen wirtschaftlichen Entwicklung seit 2005 hat sich die Kriminalitat stark reduziert 13 Kasan gilt heute als Boomtown und der fruher oft mafiose informelle Sektor hat sich zur Keimzelle von Kleinunternehmen entwickelt Mediale Darstellung und gesellschaftliche Rezeption BearbeitenKasan war aufgrund des Zusammenschlusses vieler ungunstiger Umstande eine der ersten Stadte nicht aber die einzige Stadt in der sich in den 1970er und 1980er Jahren delinquente Jugendbanden bildeten Jedoch lasst sich der Einfluss der Ereignisse von Kasan auf andere Stadte nicht verneinen Thus the middle Volga region has been not only an area where gangs are widely found but a powerful center of gang formation that influences the rest of the country 4 Die Nachrichtenformate nahmen fur die Verbreitung des Phanomens von Kasan eine bedeutende Funktion ein There is the map most likely it is incomplete and approximate of youth incidents in the country And therefore Kazan a city that is presently on everyone s lips is no special phenomenon It is just that more public attention has been drawn to it than to any other city thanks to numerous articles in the press 6 Durch die mediale Darstellung kam es zu einer Stigmatisierung der tatarischen Hauptstadt die zu einer Panik in weiten Teilen der Bevolkerung fuhrte We believe that Kazan type youth criminal gangs became largely known and widespread in other cities of the former USSR not only due to social and economic factors but also as a result of moral panics formed by the local media which published articles about youth violence in 1985 1988 14 Dadurch wurde aber auch das Interesse der Behorden und Politiker geweckt die die Bewegungen der heranwachsenden Generationen in falscher Weise oder gar nicht betrachtet hatten Violent youth groups have long been the subject of social research in the western world unlike in the former USSR where issues related to youth violence especially violent and criminal youth groups were tabooed It had been proclaimed that such activities can only be witnessed in Western Capitalist societies but not in Socialist ones thus organised youth groups were not mentioned in Russian literature on juvenile delinquency before 1980 or were considered informal groups 14 Der Anschein der Normalitat von Bandenmitgliedschaften und die gesellschaftlichen und politischen Umstande sorgten dafur dass viele der Anwohner in Kasan die Situation als stabiler und sicherer beurteilten und sich bei Problemen oftmals an die territoriale Gang ihres Bezirks wanden Dies lag zum einen auch an dem Verbot des Konsums von Alkohol und anderen Drogen fur jungere Mitglieder zum anderen an dem Kodex uber die Meidung unnotiger physischer Gewalt 9 Siehe auch BearbeitenDiebe im Gesetz Organisierte Kriminalitat Russische MafiaLiteratur BearbeitenHilary Pilkington Russia s youth and its culture a nation s constructors and constructed Routledge London 1994 Aleksandr Salagaev Aleksandr Saskin Molodeznye gruppirovki opytpilotnogo issledovanija In Sociologiceskaja issledovanie Nr 9 2004 S 50 58 Ljubov Ageeva Kazanskij Fenomen mif i real nost Tatarskoe Kniznoe Izdat Kazan 1991 Aleksandr Salagaev Aleksandr Saskin Irina Scerbakova Ilias Tourijanskij Contemporary Russian Gangs History Membership and Crime Involvement In Scott Decker Frank Weermann Hrsg European Street Gangs and Troublesome Youth Groups AltaMira Oxford 2005 S 169 192 Jurij Scekocichin Youth Gang Warfare Mafia Type Youth Gangs Described Article in Literaturnaja Gazeta from 10 12 In Foreign Broadcast Information Service Hrsg JPRS Report Soviet Union Political Affairs Joint publications research Service Arlington Virginia 1988 S 66 74 Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e Ljubov Ageeva Kazanskij Fenomen mif i real nost Tatarskoe Kniznoe Izdat Kazan 1991 a b Aleksandr Salagaev Aleksandr Saskin Molodeznye gruppirovki opytpilotnogo issledovanija In Sociologiceskaja issledovanie Nr 9 2004 S 50 58 a b c d e f Hilary Pilkington Russia s youth and its culture a nation s constructors and constructed Routledge London 1994 a b c Aleksandr Salagaev Aleksandr Saskin Irina Scerbakova Ilias Tourijanskij Contemporary Russian Gangs History Membership and Crime Involvement In Scott Decker Frank Weermann Hrsg European Street Gangs and Troublesome Youth Groups AltaMira Oxford 2005 S 169 192 Malcolm Klein Frank Weermann Terence Thornberry Street gang violence in Europe In European Journal of Criminology Nr 3 2006 S 413 437 a b Jurij Scekocichin Youth Gang Warfare Mafia Type Youth Gangs Described Article in Literaturnaja Gazeta from 10 12 In Foreign Broadcast Information Service Hrsg JPRS Report Soviet Union Political Affairs Joint publications research Service Arlington Virginia 1988 S 66 74 Aleksandr Salagaev Aleksandr Makarov Rustem Safin Violent Youth Groups in the Tatarstan Republic of Russia In Groups and Environment Nr 2 2010 S 175 182 Hilary Pilkington Russia s youth and its culture a nation s constructors and constructed Routledge London 1994 Aleksandr Salagaev Evolution of Delinquent Gangs in Russia In Malcolm Klein Hans Jurgen Kerner Cheryl Maxson Elmas Witekamp Hrsg The Eurogang Paradox Street Gangs and Youth Groups in the U S and Europe Springer Science Business Media Dordrecht 2001 S 195 202 Ljubov Ageeva Kazanskij Fenomen mif i real nost Tatarskoe Kniznoe Izdat Kazan 1991 Hilary Pilkington Russia s youth and its culture a nation s constructors and constructed Routledge London 1994 a b c d Svetlana Stephenson The Kazan Leviathan Russian Street Gangs as Agents of Social Order In The Sociological Review Band 59 Nr 2 2011 S 324 47 a b c d Aleksandr Salagaev Evolution of Delinquent Gangs in Russia In Malcolm Klein Hans Jurgen Kerner Cheryl Maxson Elmas Witekamp Hrsg The Eurogang Paradox Street Gangs and Youth Groups in the U S and Europe Springer Science Business Media Dordrecht 2001 S 195 202 Jurij Scekocichin Youth Gang Warfare Mafia Type Youth Gangs Described Article in Literaturnaja Gazeta from 10 12 In Foreign Broadcast Information Service Hrsg JPRS Report Soviet Union Political Affairs Joint publications research Service Arlington Virginia 1988 S 66 74 Hilary Pilkington Russia s youth and its culture a nation s constructors and constructed Routledge London 1994 Vadim Volkov Violent Entrepreneurs The Use of Force in the Making of Russian Cornell University Press New York 2002 Ramon Schack Das tatarische Modell In zenithonline 5 August 2014 online Archivierte Kopie Memento des Originals vom 20 August 2014 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www zenithonline de a b Aleksandr Salagaev Aleksandr Makarov Rustem Safin Violent Youth Groups in the Tatarstan Republic of Russia In Groups and Environment Nr 2 2010 S 175 182 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kasan Phanomen amp oldid 237069388