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Im deutschen Bundesland Hessen legte Kultusminister Ludwig von Friedeburg 1972 neue Rahmenrichtlinien fur Gesellschaftslehre vor die in eine klassisch gewordene Kontroverse uber die politische Bildung mundeten Die Facher Sozialkunde Geschichte und Erdkunde wurden dabei im Lernzielbereich Gesellschaftslehre integrativ zusammengefasst Der erste Entwurf der Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre wurde im Herbst 1972 vorgelegt und loste wie auch die Richtlinien fur den Deutschunterricht einen Sturm der bildungspolitischen Entrustung aus Inhaltsverzeichnis 1 Verlauf 2 Nachwirkung und Einordnung 3 Literatur 4 EinzelbelegeVerlauf BearbeitenIn Hessen wurden 1970 Fachgruppen eingesetzt um moglichst rasch Rahmenrichtlinien fur die einzelnen Facher auszuarbeiten Die neue Gesellschaftslehre war in vier Lernfelder gegliedert Sozialisation Wirtschaft Offentliche Aufgaben Intergesellschaftliche Konflikte Sie wurden in Lernzielzusammenhange Lernzielschwerpunkte und Lernzielebenen differenziert und fur die drei Jahrgangsstufen 5 6 7 8 9 10 in insgesamt 123 verbindlichen Lernzielen ausformuliert Was jedoch die Kritik provozierte war die zugrunde liegende Vorstellung von politischer Bildung Die Richtlinien formulierten als oberstes Richtziel Selbst und Mitbestimmung und zwar als eine politische Entscheidung die sich am Demokratiegebot des Grundgesetzes orientiere Die optimale Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen sei an die Aufhebung ungleicher Lebenschancen geknupft und daraus wurde gerechtfertigt die jeweilige situationsbezogene Konkretisierung des allgemeinen Lernziels vor allem an Konflikten vorzunehmen diese wurden damit zum Selektionsfilter fur Unterrichtsthemen Konfliktpadagogik die Lernziele betonten oft den notwendigen Widerstand Politische Bildung und Schule sollten so zu Instrumenten der Gesellschaftsveranderung werden Im damaligen politischen Klima richtete die CDU Hessen scharfe Angriffe gegen das Konzept und gewann bei der Landtagswahl 1974 deutlich hinzu Auch prominente und wissenschaftlich ausgewiesene Sozialdemokraten trugen gravierende Kritik vor So kritisierten Hermann Lubbe und Thomas Nipperdey die misslungene Integration der tradierten Schulfacher vor allem der Geschichte die Theoriediskussion der Geschichtswissenschaft sei unzureichend rezipiert eine bestimmte Geschichtstheorie werde aus politisch ideologischem Interesse monopolisiert Friedrich Minssen sah einen Mangel an Offenheit fur wissenschaftliche Kontroversen eine Bevorzugung einzelner Grundgesetzartikel zu Lasten anderer sowie ein verzerrtes Gesellschaftsbild der Bundesrepublik Er befurchtete eine emotionale und intellektuelle Uberforderung der Schuler und bescheinigte den Richtlinien sie verbanden in bestrickender Weise die Vorzuge eines Gebetbuches mit denen einer Felddienstordnung Der Ruckzug der politisch Verantwortlichen uber eine schon 1973 vorgelegte veranderte zweite Auflage spater dann eine dritte die auf ein Drittel des ursprunglichen Umfangs reduziert war signalisierte das Scheitern der Reform Ein Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs vom 30 Dezember 1981 erklarte speziell die Integration des Fachs Geschichte in die Gesellschaftslehre als verfassungswidrig und schrieb einen kontinuierlichen eigenstandigen und uneingeschrankten Geschichtsunterricht bis zum Abitur fest Damit war die Abschaffung des selbststandigen Geschichtsunterrichts und die Eingliederung des Fachs Geschichte in eine neue kritische Gesellschaftslehre endgultig gescheitert 1 In seinen Erinnerungen erwahnte Willy Brandt sein Unverstandnis fur diese Reform Dass auf der Ebene der zustandigen Lander unter der Verantwortung von Parteifreunden Geschichte aus den Lehrplanen verschwand will mir noch heute nicht gefallen Erinnerungen 1989 S 279 2 Nachwirkung und Einordnung BearbeitenDas Zusammenfuhren der Einzelfacher der gesellschaftswissenschaftlichen Bildung zu einem integrativen oder additiven Gesamtlernbereich ist bis in die Gegenwart umstritten Heute ubliche Bezeichnungen sind Gesellschaftslehre oder Gesellschaftswissenschaften Die Auseinandersetzungen um die Hessischen Rahmenrichtlinien fur Gesellschaftslehre war Teil einer Auseinandersetzung um die Schulpolitik die auch weitere Felder umfasste Umstritten war die Einfuhrung der Gesamtschule als Einheitsschule die Einfuhrung der Mengenlehre im Mathematikunterricht sowie die Rahmenrichtlinien fur das Fach Deutsch mit einem gesellschaftskritischen Auftrag an die Literaturarbeit Literatur BearbeitenBernhard Sutor Politische Bildung im Streit um die intellektuelle Grundung der Bundesrepublik Deutschland Die Kontroversen der siebziger und achtziger Jahre in Aus Politik und Zeitgeschichte Beilage zu Das Parlament B 45 2002 BPB Bonn Rolf Schorken Geschichte in der Schule in Susanne Miller Wilhelm van Kampen Horst Schmidt Hrsg Geschichte in der demokratischen Gesellschaft Eine Dokumentation Dusseldorf 1985 S 27 36 Einzelbelege Bearbeiten Rolf Schorken nach Dingliang Fan SPD und Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland1959 1989 Die Kommunikation zwischen einer politischen Partei und professionellen Historikern Trier 2012 S 126 hbz nrw de PDF Willy Brandt Erinnerungen Propylaen 1989 ISBN 978 3 549 07353 7 google de abgerufen am 20 Dezember 2020 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Hessische Rahmenrichtlinien fur Gesellschaftslehre 1972 amp oldid 224648650