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Das Gesprach eines Lebensmuden mit seiner Seele auch Gesprach eines Mannes mit seinem Ba oder einfach Lebensmuder ist ein poetischer Text aus dem alten Agypten dessen Autor unbekannt ist Es wurde in der Epoche der 12 Dynastie um 1900 v Chr verfasst also in der Zeit des Mittleren Reichs Papyrus Berlin 3024 Neues Museum Berlin Der Dialogpartner des lebensmuden Mannes ist seine Ba Seele einer der Aspekte des Seelischen in der altagyptischen Mythologie In der Zeit des Alten Reichs wurde eine solche Seele anscheinend nur dem Konig zugeschrieben dieser Text ist einer der fruhesten Belege fur eine Ba Seele bei einem Privatmann Verschiedene Beschadigungen im Manuskript einige Schreibfehler und das Auftreten von einigen seltenen und unklaren Wortern erschweren eine Gesamtauffassung des Texts Bis heute fand keine der Beurteilungen zum Lebensmuden allgemeine Zustimmung Inhaltsverzeichnis 1 Textuberlieferung 2 Literarische Einordnung 3 Aufbau 4 Inhalt 5 Interpretationen 6 Der Preis des Todes 7 Literatur 7 1 Editionen 7 2 Ubersetzungen 7 3 Allgemeine Literatur und Einzelbeitrage 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseTextuberlieferung BearbeitenDas Gesprach ist zusammen mit der Hirtengeschichte nur in einem einzigen Textzeugen uberliefert dem Papyrus Berlin 3024 bei dem es sich um ein Palimpsest handelt Fragmente des Anfangs des Gesprachs sind teilweise im Papyrus Amherst III erhalten 1 Der Papyrus Berlin 3024 wird palaographisch um die Mitte der 12 Dynastie datiert Richard Lepsius kaufte den Papyrus im Jahr 1843 in Agypten er veroffentlichte den Text erstmals 1859 Die Textuberlieferung ist unvollstandig der Anfang fehlt zum Teil Fragmente des Anfanges wurden 2017 publiziert nachdem sie in einer Sammlung auf Mallorca identifiziert wurden 2 Daher sind Anlass und aussere Umstande des Gesprachs unbekannt 3 Literarische Einordnung BearbeitenDie Frage nach der Gattungszugehorigkeit ist nicht leicht zu beantworten da sowohl Verbindungen zur Klageliteratur zur Weisheitsliteratur und zur didaktischen Literatur bestehen Katherina Lohmann ordnet den Text zur didaktischen Spruchliteratur zu unter dem Eindruck dass die Belehrung das auslosende Moment fur die Abfassung des Textes ist 4 Jan Assman ordnet den Lebensmuden der Literaturgattung Klagen zu Der Text bezieht sich auf die Vision einer Welt aus der die Maat verschwunden ist und in der folglich auch die traditionellen Vorstellungen einer Fortdauer im Diesseits durch Grab Kult und Kommemoration hinfallig geworden sind 5 Man findet beide Formen der Klageliteratur die Diesseits und die Jenseitsklagen Beide Formen sind mit ganz bestimmten Todesvorstellungen verbunden Die Diesseitsklage zielt auf die Veranderung der Welt die Jenseitsklage auf die Veranderung des Seins Der Mann beklagt das Diesseits da er sich den Tod als Idealzustand eines versorgten Lebens denkt und der Ba preist das Leben weil er den Tod als jenseitige Gotteswirksamkeit sieht Als Anlass fur die Entstehung der Jenseitsklagen wird der Zerfall der Solidargemeinschaft gesehen die letztlich zur Abkehr vom Glauben der Pyramidenzeit fuhrte Mit dem Bewusstsein dass eine irdische Fortexistenz im Tode nur im Hinblick auf diesseitige Vorkehrungen gewahrleistet ist entwickelte sich die Vorstellung eines osirianischen Erlosungstodes der das Jenseitsschicksal allein von der Lebensfuhrung des Menschen abhangig macht 6 Aufbau BearbeitenDer erhaltene Text kann wie folgt gegliedert werden 7 unvollstandige erste Rede des Ba erste Rede des Mannes zweite Rede des Ba zweite Rede des Mannes dritte Rede des Ba zwei Gleichnisse Parabeln des Ba vier Lieder des Mannes Schlusswort des Ba Der Text besteht aus drei Reden des Ba und drei Reden des Mannes die zueinander im Dialog stehen Des Weiteren findet man im ganzen Text drei Bitten drei Gebete und drei Klagen Auffallig ist die Dreiteiligkeit der Funktionsgruppen die vermutlich sehr bedachtvoll gewahlt wurde 8 Inhalt BearbeitenDa die Erschliessung des Texts entscheidend von der Auffassung einiger Worter und Zeilen abhangt ist eine Inhaltsangabe frei von Interpretationen kaum moglich 9 Es ist nicht klar wie viel vom Anfang des Texts fehlt Aus den verbliebenen Worten scheint sich aber das Wesentliche der Rede zu erschliessen Die entscheidenden Worte sind nicht parteiisch ist ihre Zunge 10 Diese Worte deuten auf eine der Maat verpflichtete Rechtsprechung hin Jan Assmann weist auf den Bezug zum Totengericht hin da der Gesprachsinhalt um die Frage des Jenseitsschicksals geht In dieser Frage gibt sich vermutlich der Ba als Sachverstandiger zu erkennen 11 Die Einleitung der Rede des Mannes ist an eine unbestimmte Horerschaft gerichtet Er erlautert den Wert des Sprechens und Horens und richtet sich dann als Bittsteller an seinen Ba Mein Ba toricht ist es die Sorgen uber das Fortleben gering zu schatzen fuhre mich einem Tode zu der so ist dass ein Unwillkommenes meiner dabei nicht moglich wird Mache mir den Westen angenehm Ist nicht das Ungluck nur ein Lebensabschnitt Baume sind so sie werfen ab 12 Der Mann beendet seine Rede mit der Aufforderung sich dem Bedrangten zuzuneigen und fugt ein Gebet an Das Gebet steht ausserhalb des Argumentationsvorgangs und wurde vermutlich spater eingefugt In seiner zweiten Rede wirft der Ba dem Mann vor dass er das Leben nicht achte und Vorsorge treffe wie ein Herr von Schatzen Der Mann verteidigt sich gegenuber den Vorwurfen des Ba Er sei nicht fortgegangen aus dem Leben und eine Vorsorge sei nicht moglich da er aller Schatze beraubt sei In der anschliessenden Bitte aussert der Mann den Wunsch nach einem Begrabnis wie in der Pyramidenzeit mit einem Erben am Grabe Nach einem Gebet fur seinen Ba folgt eine Drohung Der Ba fande keinen Ort der Ruhe im Westen falls er einen unheilvollen Todeszustand in dieser Gestalt zulasse Mit der Bitte um einen Erben der die postmortale Existenz garantiert wird das allgemein formulierte Verlangen nach dem versorgten Tod konkretisiert In seiner dritten Rede streitet der Ba die Aussicht auf eine Wiedergeburt ab Selbst die Graber der beruhmtesten Manner seien aus Mangel an Hinterbliebenen in Vergessenheit geraten was eine Abkehr vom Glauben der Pyramidenzeit bedeute Der Mann soll dem schonen Tag folgen und die Sorgen um das Fortleben vergessen In seinem ersten Gleichnis wirft der Ba dem Mann vor dass er nicht die Verganglichkeit des Lebens beklage sondern den Untergang einer vagen Aussicht auf ein Zukunftsdasein Im zweiten Gleichnis wird an die Vernunft des Mannes appelliert sich den Gegebenheiten des Lebens anzupassen und ein offenes Ohr fur Worte der Aufklarung zu bewahren wenn ein Wunsch nicht erfullt wird Der Mann antwortet mit drei Klageliedern Das erste handelt von der Beschadigung des Namens im zweiten werden die Auswirkungen einer zerfallenen Ordnung beschrieben und im dritten wird der Tod als Ort der Erfullung beschrieben der das Elend der Welt nicht kennt Der Mann beendet seine Rede mit einem Gebet in dem der Tod als gottliche Seinsform im Jenseits geschildert wird In seiner vierten Rede fordert der Ba den Mann nochmals auf das Wehklagen aufzugeben und sich dem Leben anzuschliessen Lasse das Wehklagen auf sich beruhen dieser du der zu mir gehort mein Bruder Lege auf das Feuerbecken und schliesse Dich dem Lebenskampf wie Du geschildert hast an Sei mir hier zugetan und stelle fur dich den Westen zuruck Wunsche erst dann in den Westen zu gelangen wenn sich Deine Glieder dem Boden zuneigen Nach Deinem Ermatten werde ich mich niederlassen und wir werden eine Wohnstatt zusammen machen 13 Interpretationen BearbeitenNach den wichtigsten Bearbeitern kommt der Interpretation und Ubersetzung des Wortes jhm in der Zeile 18 eine Schlusselrolle fur das Verstandnis des Textes zu Das Schwierige an der Passage ist dass das Verb jhm sowohl die Ubersetzung nachfolgen bzw geleiten als auch zuruckhalten zulasst und somit auch gegensatzliche Interpretationen bezuglich der Intention des Lebensmuden Adolf Erman ubersetzte die Passage mit geleite mich zum Sterben 14 Alexander Scharff und Raymond O Faulkner bevorzugten die Bedeutung zuruckhalten holdest me back from death ere I come to it 15 Der schwierige Charakter des Texts lasst so viel Spielraum fur Interpretationen zu dass eine Interpretation nicht einfach durch eine andere widerlegt werden kann Adolf Erman sieht in dem Mann jemanden der am Leben verzweifelt und Selbstmord begehen will Er wird davon nur zuruckgehalten weil er keinen Nachkommen besitzt der die notigen Bestattungsriten vollziehen wird Sein Ba als Teil seiner Personlichkeit rat ihm sich ins Feuer zu sturzen da ein Leichnam der zu Asche verbrannt ist durch seine Nichtexistenz keine Fursorge mehr benotige 16 Alexander Scharff halt den Mann fur einen gelehrten Priester und fur den Dichter des Gesprachs der auf Grund der revolutionaren Zeitumstande nicht mehr als frommer Agypter leben und der Gottheit nach altem Brauche opfern kann Er will sich nicht mit den neuen Anschauungen der Zeit abfinden Aus Ekel am Leben beabsichtigt er Selbstmord durch Verbrennen zu begehen mit der Hoffnung auf Unsterblichkeit im Jenseits Sein Ba versucht ihn als Vertreter der Lebensfreude am Freitod zu hindern und fordert als boser Versucher zum Lebensgenuss auf 17 Helmuth Jacobsohn ein Anhanger der Tiefenpsychologie nach C G Jung halt das Gesprach fur ein einzigartiges personliches Erlebnis Ein am Leben verzweifelnder Mensch der durch die furchtbaren Geschehnisse seiner Zeit das Grauen der Gottesferne und des Gottesverlustes kennenlernt steht in seiner Qual am Rande des Selbstmords Seinem traditionellen Denken gemass muss er den Freitod aber als schwere Sunde ansehen In dieser Situation in der sich Erlosungssehnsucht und traditionelles Gesetz unvereinbar gegenuberstehen gerat der Mann in Widerspruch zu seinem innersten Wesenskern zu seinem eigenen Ba den H Jacobson als psychischen Archetypus auffasst 18 Der Preis des Todes BearbeitenDer Mann stellt seinen Standpunkt in vier Liedern dar Eines davon lautet Der Tod steht heute vor mir wie wenn ein Kranker gesund wird wie das Hinaustreten ins Freie nach dem Eingesperrtsein Der Tod steht heute vor mir wie der Duft von Myrrhen wie das Sitzen unter einem Segel an einem windigen Tag Der Tod steht heute vor mir wie der Duft von Lotusblumen wie das Sitzen am Ufer der Trunkenheit Der Tod steht heute vor mir wie das Abziehen des Regens oder wie ein betretener Weg wie wenn ein Mann von einem Feldzug heimkehrt Der Tod steht heute vor mir wie wenn sich der Himmel enthullt wie wenn ein Mensch die Losung eines Ratsels findet Der Tod steht heute vor mir wie ein Mann sich danach sehnt sein Heim wiederzusehen nachdem er viele Jahre in Gefangenschaft verbracht hat 19 Literatur BearbeitenEditionen Bearbeiten Winfried Barta Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba Papyrus Berlin 3024 In Munchener Agyptologische Studien MAS Band 18 Berlin 1969 Adolf Erman Gesprach eines Lebensmuden mit seiner Seele Aus dem Papyrus 3024 der Koniglichen Museen Berlin 1896 Raymond O Faulkner The Man Who Was Tired of Life In Journal of Egyptian Archaeology JEA Band 42 1956 S 21 40Ubersetzungen Bearbeiten Winfried Barta Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba Papyrus Berlin 3024 In Buchreihe Munchener Agyptologische Studien MAS Band 18 Berlin 1969 Miriam Lichtheim Ancient Egyptian Literature Volume 1 The Old and Middle Kingdoms 1973 S 163 169 Richard B Parkinson The Tale of Sinuhe and other Ancient Egyptian Poems 1940 1640 BC 1997 S 151 165Allgemeine Literatur und Einzelbeitrage Bearbeiten James P Allen The Debate Between a Man and His Soul A Masterpiece of Ancient Egyptian Literature Brill Leiden 2010 Jan Assmann Tod und Jenseits im Alten Agypten Beck Munchen 2001 ISBN 3 406 49707 1 S 496 500 Jan Assmann Agypten Eine Sinngeschichte 1996 Jan Assmann Maat Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Agypten 1990 Jan Assmann Der leidende Gerechte im alten Agypten Zum Konfliktpotential der agyptischen Religion in Christoph Elsas u Hans G Kippenberg Hg Loyalitatskonflikte in der Religionsgeschichte Festschrift fur Carsten Colpe Wurzburg 1990 S 203 224 S 208 ff II Der agyptische Text des Lebensmuden der agyptische Hiob Gunter Burkard Heinz J Thissen Einfuhrung in die altagyptische Literaturgeschichte I Altes und Mittleres Reich 2008 Adolf Erman Die Literatur der Alten Agypter 1923 S 122 130 Hans Goedicke The Report about the Dispute of a Man with his BA Papyrus Berlin 3024 1970 Helmuth Jacobsohn Das Gesprach eines Lebensmuden mit seinem Ba 1951 Katherina Lohmann Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba In Studien zur altagyptischen Kultur SAK Band 25 1998 S 207 236 hinsichtlich der Datierungsfrage Aussenseitermeinung Richard B Parkinson Poetry and Culture in Middle Kingdom Egypt A Dark Side to Perfection 2002 Richard B Parkinson The Missing Beginning of The Dialogue of a Man and His Ba P Amherst III and the History of the Berlin Library In Zeitschrift fur Agyptische Sprache und Altertumskunde ZAS Band 130 2003 S 120 133 Odette Renaud Le dialogue du Desespere avec son Ame Une interpretation litteraire In Cahiers de la Societe d Egyptologie Band 1 1991 Weblinks BearbeitenDebate between a man tired of life and his soul 1 2 Faksimile aus Carl Richard Lepsius Denkmaler aus Aegypten und Aethiopien Tafelwerke Band III Adolf Erman Gesprach eines Lebensmuden mit seiner SeeleEinzelnachweise Bearbeiten Gunter Burkard Heinz J Thissen Einfuhrung in die altagyptische Literaturgeschichte I S 155 Marina Escolano Poveda New Fragments of Papyrus Berlin 3024 in Zeitschrift fur agyptische Sprache und Altertumskunde 2017 144 1 S 16 54 Klaus Koch Geschichte der agyptischen Religion Stuttgart 1993 S 252 261 Gerhard Fecht Die erste Zwischenzeit im Spiegel der pessimistischen Literatur In Jaarbericht van het Vooraziatisch Egyptisch Genootschap Ex Oriente Lux 24 1975 76 S 50 61 vgl Katherina Lohmann Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba In SAK 25 S 210f Jan Assmann Maat Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Agypten S 116 vgl Katherina Lohmann Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba S 211 Burkard amp Thissen Literaturgeschichte I S 155 vgl Katherina Lohmann Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba S 234ff Im Folgenden wird weitestgehend der Ubersetzung und den Kommentaren von Katherina Lohmann gefolgt Lohmann Katherina Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba S 211ff vgl Katherina Lohmann Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba S 213 vgl Jan Assmann Agypten Eine Sinngeschichte S 199 Katherina Lohmann Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba S 215 Katherina Lohmann Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba S 225 Adolf Erman Die Literatur der Agypter S 123 Dieser Interpretation sind auch Gardiner Suys Weill Sethe A Hermann S Herrmann Thausing und M Lichtheim gefolgt Raymond O Faulkner The Man Who was tired of Life S 27 vgl Winfried Barta Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba Papyrus Berlin 3024 S 101 102 vgl Winfried Barta Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba Papyrus Berlin 3024 S 102 103 vgl Winfried Barta Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba Papyrus Berlin 3024 S 107 Ubersetzung nach Assmann Tod und Jenseits im Alten Agypten S 498f leicht verandert vgl die Ubersetzungen von Barta Das Gesprach eines Mannes mit seinem Ba Papyrus Berlin 3024 S 27f Lichtheim The Old and Middle Kingdoms S 168 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gesprach eines Lebensmuden mit seiner Seele amp oldid 225533824