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Gesang der Geister uber den Wassern ist ein sechsstrophiges Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe aus dem Jahr 1779 Es entstand wahrend Goethes Aufenthalt in Lauterbrunnen im Rahmen seiner zweiten Schweizreise Es wird zur lyrischen Gattung der Gedankenlyrik gezahlt Der Staubbachfall im Lauterbrunnental diente Goethe als Inspiration fur das Gedicht Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Text des Gedichts 3 Form und Inhalt 4 Interpretation 5 Vertonungen Auswahl 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseEntstehung BearbeitenDas Gedicht entstand auf Goethes zweiter Reise in die Schweiz 1779 Vom 9 bis 11 Oktober hielt sich der Autor mit anderen Reisenden im Gebiet von Lauterbrunnen im Berner Oberland auf Unter dem Eindruck des 300 Meter hohen Staubbachfalls der zwischen Lauterbrunnen und Stechelberg liegt sandte Goethe das sechsstrophige Gedicht unter dem Titel Gesang der lieblichen Geister in der Wuste an Charlotte von Stein In diesem Titel zeigt sich eine deutliche Parallele zum ein paar Jahre zuvor entstandenen Gedicht Mahomets Gesang welches ebenfalls einen Fluss ins Zentrum stellt der sich seinen Weg durch Felsen zu bahnen versucht Die Wustenthematik tritt in Gesang der Geister uber den Wassern in Form der Berge in Erscheinung da alpine Regionen gemass der vorherrschenden zeitgenossischen Meinung nichts Anderes als unwirtliches Land waren und viele Gefahren bargen Diese erste Fassung sah eine Aufteilung der Verse auf zwei geisterhafte Stimmen wie folgt vor Erster Geist Verse 1 4 8 17 23 24 28 29 sowie 32 33 Dem zweiten Geist sind demnach die Verse 5 7 18 22 25 27 sowie 30 31 zugeordnet Diese Steinsche Fassung beinhaltet zudem einige kleinere Abweichungen von der Druckfassung aus dem Jahr 1789 So verzichtet der Autor im elften Vers auf das Wort Dann im funfzehnten heisst es lediglich schleiernd anstatt verschleiernd und im einunddreissigsten heisst es Alle die Wogen anstelle von Schaumende Wogen 1 Die dialogische Aufteilung findet sich ebenfalls in einer unbetitelten Abschrift Johann Gottfried Herders genauso wie in der Abschrift Luise von Gochhausens die den Titel Vor m Staubbach tragt Unter dem bis heute aufgefuhrten Titel wurde das Gedicht erstmals im achten Band der Schriften 1789 gedruckt Im Vergleich zur Version die Goethe an Charlotte von Stein sandte finden sich hier die genannten Abwandlungen Spater wurden vom Autor keine Anderungen mehr vorgenommen so dass es sich hierbei um die Ausgabe letzter Hand handelt Peter Hartling stellt die Entstehung des Gedichts in den Kontext einer Art Flucht Goethes vor der Beziehung zu Charlotte von Stein und beschreibt dies wie folgt Er wendete sich ab und liess sich mitreissen Nicht um zu vergessen Das konnte er nie Doch er wollte was ihn bedrangte und fortdrangte mit neuen Bildern und Erfahrungen beantworten sich fur eine Weile von einer Liebe befreien die ihm noch nicht zur Last aber gewiss lastig geworden war Peter Hartling Gesang der Geister uber den Wassern 2 Text des Gedichts BearbeitenNachstehend sind die Fassung der Handschriften links mit der Verteilung des Textes auf zwei Sprecher bzw Sanger singende Geister und die Endfassung der Drucke seit 1789 einander gegenubergestellt 3 1 Geist Des Menschen Seele Gleicht dem Wasser Vom Himmel kommt es Zum Himmel steigt es 2 Geist Und wieder nieder Zur Erde muss es Ewigwechselnd 1 Geist Stromt von der hohen Steilen Felswand Der reine Strahl Staubt er lieblich Zu Wolken Wellen Zum glatten Fels Und leicht empfangen Wallt er schleirend Leisrauschend Zur Tiefe nieder 2 Geist Ragen Klippen Dem Sturz entgegen Schaumt er unmutig Stufenweise Zum Abgrund 1 Geist Im flachen Bette Schleicht er das Wiestal hin 2 Geist Und im glatten See Weiden ihr Antlitz Alle Gestirne 1 Geist Wind ist der Welle lieblicher Buhler 2 Geist Wind mischt von Grund aus Alle die Wogen 1 Geist Seele des Menschen Wie gleichst du dem Wasser 2 Geist Schicksal des Menschen Wie gleichst du dem Wind Gesang der Geister uber den Wassern Des Menschen Seele Gleicht dem Wasser Vom Himmel kommt es Zum Himmel steigt es Und wieder nieder Zur Erde muss es Ewig wechselnd Stromt von der hohen Steilen Felswand Der reine Strahl Dann staubt er lieblich In Wolkenwellen Zum glatten Fels Und leicht empfangen Wallt er verschleiernd Leisrauschend Zur Tiefe nieder Ragen Klippen Dem Sturze entgegen Schaumt er unmutig Stufenweise Zum Abgrund Im flachen Bette Schleicht er das Wiesental hin Und in dem glatten See Weiden ihr Antlitz Alle Gestirne Wind ist der Welle Lieblicher Buhler Wind mischt vom Grund aus Schaumende Wogen Seele des Menschen Wie gleichst du dem Wasser Schicksal des Menschen Wie gleichst du dem Wind Form und Inhalt BearbeitenDas Gedicht besteht aus sechs unterschiedlich langen Strophen wobei die zweite mit zehn Versen die langste bildet Bezuglich des Versmasses kann von freien Rhythmen gesprochen werden wobei die meisten Verse eine zweihebig alternierende Struktur aufweisen Jedoch finden sich insbesondere gegen Ende des Werkes vermehrt unregelmassige Verse beispielsweise Schleicht er das Wiesental hin oder Wind mischt vom Grund aus Die Versenden besitzen zumeist eine weibliche Kadenz Inhaltlich zieht Goethe einen Vergleich zwischen den Naturelementen und dem menschlichen Dasein konkret stellt er der menschlichen Seele das Element Wasser gegenuber und nennt Ahnlichkeiten zwischen beidem Als Hauptthema tritt dabei die Verganglichkeit des menschlichen Lebens auf Der Wind verkorpert das Vorherbestimmtsein des Lebens Wahrend die Seele des Menschen dem unausweichlichen Lebensende entgegengeht ist auch das Schicksal fremdbestimmt und jeder Versuch der Menschen es selbst in die Hand nehmen zu wollen kann nur scheitern In der ersten Strophe stellt der Autor die Ahnlichkeiten zwischen der menschlichen Seele und dem Element Wasser fest da beides vom Himmel kommt wieder aufsteigt und zwangslaufig wieder auf die Erde kommt Es ergibt sich also ein unendlicher Kreislauf Die zweite und dritte Strophe beschreiben wie der reine Strahl die hohe Klippe herunterfliesst wo er jedes Hindernis umgeht um schliesslich leisrauschend wieder im Bachbett anzukommen In der vierten Strophe hat sich der Lauf des Baches wieder beruhigt und mundet schliesslich in einen See der so klar ist dass die Sterne darin gespiegelt werden Die funfte und sechste Strophe behandeln den Einfluss des Windes der hier die aussere Kraft des Schicksals darstellt Ihm ist es moglich den vorubergehend ruhigen Zustand des Wassers aufzuschaumen und so bestimmte Entwicklungen in Gang zu setzen denen die menschliche Seele ausgeliefert ist Interpretation Bearbeiten nbsp Grabskulptur mit der letzten Strophe auf dem Friedhof OhlsdorfDas Gedicht zieht einen Vergleich zwischen dem menschlichen Dasein und dem Element Wasser In der kritischen Werkausgabe zu Goethe wird die Intention des Autors in Anlehnung an den Kulturhistoriker Victor Hehn folgendermassen beschrieben Wie das Wasser in ewigem Steigen und Niederfallen zwischen Himmel und Erde hin und herschwebt so die Menschenseele zwischen Realem und Idealem zwischen Notdurft und Begeisterung zwischen Gemeinem und Ewigem oder wie man die Gegensatze sonst fassen soll Und wie das fliessende Element von Klippen im Sturz aufgehalten unmutig zischt und schaumt dann im Wiesentale ruhig sich ausbreitend den Mond und die Gestirne spiegelt so regen heftige Leidenschaften die Seele in truber Verworrenheit auf oder mit klarer Harmonie nimmt sie die Bilder der Welt und der ewigen himmlischen Ideen in sich auf Jene Klippen sind dann die Hindernisse an denen der begehrende Wille zersplittert 1 4 Der Mensch ist demnach sowohl Teil des himmlischen wie auch des irdischen Reiches In diesem ausseren Rahmen lauft das gesamte menschliche Dasein ab Als weitere bestimmende Macht auf individueller Ebene tritt das Schicksal auf welches immer wieder eingreift sei es in positiver oder negativer Weise Der Mensch ist diesen Einflussen vollig ausgeliefert und es liegt allein an diesen von aussen gegebenen Faktoren wie sein Dasein verlauft Eine andere Betrachtungsweise findet sich bei Terence James Reed der im schicksalshaften Eingreifen des Windes den seelischen Storfaktor Liebe auszumachen glaubt Diese These fuhrt er insbesondere auf die Bezeichnung lieblicher Buhler zuruck Dieser Vers legt nahe dass der Wind stets etwas Liebliches an sich hat wobei er relativiert dass Liebe nicht die einzige Schicksalskraft sei Und in der Tat glich Goethes Aufbruch in die Schweiz einer Art Flucht vor der Beziehung zu Charlotte Stein die ihm gemass Hartling lastig wurde Dieser sieht im Gedicht dann auch ein Gleichnis fur den inneren Zustand des Dichters in jener Zeit Vertonungen Auswahl BearbeitenFerdinand von Hiller Das hohe Lied 1847 Carl Loewe Gesang der Geister uber den Wassern 1840 Franz Schubert Gesang der Geister uber den Wassern Fragment entstanden ab 1816 posthum veroffentlicht D484 sowie D538 D704 D705 D714 Literatur BearbeitenNicholas Boyle Goethe Der Dichter in seiner Zeit Band 1 1749 90 Verlag C H Beck Munchen 1995 S 378 381 Peter Hartling Gesang der Geister uber den Wassern In Marcel Reich Ranicki Hrsg Frankfurter Anthologie 12 Frankfurt am Main 1989 S 35 39 Terence James Reed Gesang der Geister uber den Wassern In Regine Otto Bernd Witte Hrsg Goethe Handbuch Band 1 Gedichte Stuttgart Weimar 1996 S 195 198 Willi Schuh Goethe Vertonungen Ein Verzeichnis Zurich 1952 Gero von Wilpert Goethe Lexikon Kroners Taschenausgabe Band 407 Alfred Kroner Verlag Stuttgart 1998 ISBN 3 520 40701 9 S 373 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Staubbachfall Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien nbsp Wikisource Gesang der Geister uber den Wassern Quellen und VolltexteEinzelnachweise Bearbeiten a b Erich Trunz Hrsg Goethes Werke 8 Auflage Hamburg 1966 S 535 Peter Hartling Gesang der Geister uber den Wassern In Marcel Reich Ranicki Hrsg Frankfurter Anthologie 12 Frankfurt am Main 1989 S 37 Johann Wolfgang von Goethe Gesang der Geister uber den Wassern In Karl Eibl Hrsg Johann Wolfgang von Goethe Gedichte Band 1 Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1998 S 318 319 1030 1033 Originalausgabe Band I 1 der Frankfurter Ausgabe Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1987 Die ursprungliche Fassung ist dort wiedergegeben nach Goethes Handschrift fur Barbara Schulthess heute in der Zentralbibliothek Zurich Das Autograph ist abgebildet zum Beispiel in Johann Wolfgang von Goethe Gedichte in Handschriften Funfzig Gedichte Goethes ausgewahlt und erlautert von Karl Eibl Insel Taschenbuch Nr 2175 Insel Verlag Frankfurt am Main Leipzig 1999 ISBN 3 458 33875 6 S 116 119 269 Victor Hehn Gesang der Geister uber den Wassern In Goethe Jahrbuch 15 Jahrgang Rutten amp Loening Frankfurt am Main 1894 S 125 126 archive org Abgerufen von archive org Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gesang der Geister uber den Wassern amp oldid 237262582