www.wikidata.de-de.nina.az
Gerda von Zobeltitz geboren als Georg Ernst Hans von Zobeltitz am 9 Juni 1891 in Rixdorf bei Berlin 1 gestorben 29 Marz 1963 in Berlin war eine deutsche Damenschneiderin und eine der ersten anerkannten Transpersonen im spaten Kaiserreich und der Weimarer Republik Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Rezeption postum 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseLeben Bearbeiten nbsp Gerda von Zobeltitz auf einem Pressefoto von 1913Zobeltitz stammte aus dem gleichnamigen Adelsgeschlecht allerdings aus einer Linie die in den letzten Generationen in sozialer Hinsicht etwas abwarts gestiegen war 2 Sie wuchs in Berlin Weissensee auf und lebte dort fast ihr ganzes Leben mit ihrer Familie zusammen Ihr Vater war Sattler wie schon ihr Grossvater ihre Mutter wird in Adressbuchern zeitweise als Marktmeisterin ansonsten als Witwe gefuhrt Ein alterer Bruder starb im Kindesalter eine zwei Jahre jungere Schwester blieb der Familie eng verbunden 3 1912 wird sie erstmals als Gerda fassbar Sie schrieb Magnus Hirschfeld an einen Berliner Arzt der 1910 eine bedeutende Forschungsarbeit Die Transvestiten Eine Untersuchung uber den erotischen Verkleidungstrieb veroffentlicht und damit fur Personen die Kleidung des anderen Geschlechts tragen den Begriff Transvestit gepragt hatte Hirschfeld und sein Kollege Ernst Burchard betrieben eine Praxis in der sie als Pioniere der Sexualmedizin wirkten und aus der 1919 das Institut fur Sexualwissenschaft hervorging Sie untersuchten Zobeltitz und stellten ihr ein Gutachten aus das ihr zu einem der ersten so genannten Transvestitenscheine verhelfen sollte Mit diesem Dokument sollten Menschen deren Kleidung nicht dem amtlichen Geschlecht entsprach vor polizeilicher Verfolgung geschutzt werden Wahrend die Exploration bei Hirschfeld und Burchard noch lief wurde Gerda von Zobeltitz im Februar 1912 erstmals festgenommen und auf die Polizeiwache in Weissensee gebracht Sie wurde alsbald wieder entlassen weil sich zeigte dass es sich nicht um groben Unfug handelte sondern man es mit einem Transvestiten zu tun hatte wie das Berliner Tageblatt berichtete Das Gutachten entsprach Hirschfelds damaliger Ansicht uber transvestitisches Verhalten und bescheinigte Gerda eine nicht unterdruckbare Neigung von fruhester Jugend an nach Art des anderen Geschlechts zu leben insbesondere sich als Madchen zu kleiden und in Spiel und Arbeit zu beschaftigen Gerda sei auch zur Musterung beim kaiserlichen Heer in Frauenkleidung angetreten Ebenfalls bescheinigten sie ihr dass bei ihr keine Neigung zur strafrechtlich verfolgten Homosexualitat vorliege Die Darstellungen im Gutachten sind mit Vorsicht zu betrachten weil sie moglicherweise zugunsten des Zwecks ausgerichtet sind Im November 1912 beantragte von Zobeltitz mit Hilfe des Gutachtens beim Berliner Polizeiprasidenten Traugott von Jagow die Ausstellung eines Transvestitenscheins und erhielt ihn am 5 Marz 1913 Es handelte sich um die dritte nachgewiesene derartige Bescheinigung Mindestens sechs Berliner Zeitungen berichteten uber den amtlichen Ausweis teilweise mit Foto und weiteren Details Auch im deutschsprachigen Ausland fand der Vorfall Beachtung so etwa meldete eine Wiener Wochenzeitung Kurzlich hat der Regierungsprasident in Potsdam dem 20 Jahre alten Georg von Zobeltitz in Weissensee bei Berlin die Erlaubnis erteilt dauernd Frauenkleider tragen zu durfen Der junge Mann war wiederholt in Frauenkleidern von der Polizei verhaftet worden und musste in Anbetracht seiner femininen Veranlagung stets wieder freigegeben werden Nicht wenig Aufsehen erregte es als er bei der Stellung vor der Aushebungskommission in Frauenkleidern erschien und durchaus nicht zu bewegen war sich in diesem Fall der Mannerkleidung zu bedienen Da er sich nun die behordliche Erlaubnis zum Tragen der Frauenkleidung errungen hat wird er auch einen weiblichen Beruf ergreifen und die Naherei erlernen um einen Modensalon zu eroffnen Artikel in Das interessante Blatt vom 3 April 1913 4 Im Juni 1914 wurde von Zobeltitz erneut kurzfristig festgenommen und Ende Sommer 1914 von den Behorden verwarnt weil sie ausserordentlich auffallige Kleidung trage und es mehrfach zu grossen Auflaufen gekommen sei Sie war als Damenschneiderin tatig und trug eigene Entwurfe nach neuester Mode in extravaganter Aufmachung Im August 1916 berichteten erneut zwei Zeitungen uber Gerda von Zobeltitz Sie habe eine Schauspielerin geheiratet vor dem Standesbeamten seien beide im Brautkleid aufgetreten 5 6 7 Tatsachlich verheiratete von Zobeltitz sich am 29 August 1916 mit der siebenunddreissig Jahre alten aus Berlin Schoneberg geburtigen Privatiere Charlotte Valeska Theophila Paulig 8 Im Oktober 1916 stellte der entfernte Verwandte Hanns von Zobeltitz einen Antrag Gerda die Erlaubnis zum Tragen von Frauenkleidung wieder zu entziehen Er warf ihr vor ein offentliches Argernis zu sein und verwies auf das offentliche Aufsehen der Eheschliessung und einen nicht nachweisbaren Vorfall in einem nicht naher genannten Lokal in der Nahe des Nollendorfplatzes womit wohl eine Anspielung auf die Homosexuellenszene verbunden war Insbesondere seien die Voraussetzungen zur Ausstellung des Ausweises mit der Hochzeit entfallen Hanns von Zobeltitz gehorte der einflussreichen Linie der Familie an war Hauptmann ausser Diensten und sein Schreiben machte Eindruck Nach einigen internen Behordenschreiben erging Mitte Dezember 1916 eine Anordnung nach der der Amtsvorsteher in Weissensee eine Verfugung gegen den Transvestitenschein erlassen solle Uber die tatsachliche Umsetzung ist nichts bekannt Fur die 1930er und erneut die 1940er Jahre sind amtliche Bestatigungen uber eine Genehmigung zum Tragen von Frauenkleidern nachgewiesen Die erste Ehe wurde bereits nach wenigen Monaten am 29 Mai 1917 durch das konigliche Landgericht III in Berlin geschieden Es folgten bis 1921 mehrere weitere kurzzeitige Ehen die nie langer als elf Monate hielten 9 In den 1920er Jahren war Gerda von Zobeltitz sichtbarer Teil der Berliner Subkultur Sie erscheint im Dezember 1920 in einer Anzeige des Lokals Pan Diele in der zum Tanztee ein Auftritt der Freifrau Gerd von Zobeltitz das Phanomen Berlins angekundigt wird Bei einem Kostumball Das Fest der Phantasie im City Hotel trug sie Das lila Lied vor die erste deutsche Hymne der Homosexuellen Bewegung Nachweislich war sie am 5 Juli 1930 bei einer Schlagerei in Rauchfangwerder am Zeuthener See anwesend Dabei handelt es sich um die erste bekannte Gegenwehr von Homosexuellen und anderen sexuellen Minderheiten gegen Polizeigewalt fast 40 Jahre vor dem Stonewall Inn in der Christopher Street New York City Die Ortsgruppe Berlin des Bundes fur Menschenrecht hatte eine Dampferfahrt zu einem beliebten Ausflugslokal organisiert und dort fur mehrere hundert Schwule und Lesben einen Saal gemietet Im selben Lokal feierte die Berliner Polizeisportgruppe Mitte deren Mitglieder im Zuge der fortschreitenden Alkoholisierung von Beleidigungen zur offenen Gewalt ubergingen Ein Teil der Homosexuellen wehrte sich und schlug im Rahmen einer grossen Schlagerei die Polizisten in die Flucht Gerda von Zobeltitz war mitten in der Versammlung ob sie an der Schlagerei beteiligt war lasst sich nicht nachweisen Aus der Zeit des Nationalsozialismus lassen sich kaum Dokumente finden es liegen aber Zeitzeugenaussagen von Nachbarn und Bekannten vor Sie arbeitete als Schneiderin im eigenen Atelier in ihrer Wohnung in Weissensee und wird als stets elegant gekleidete Erscheinung beschrieben Zeitzeugen erzahlen von Befurchtungen uber Verfolgung durch das Regime es gibt aber keinen Hinweis dass sie je Schwierigkeiten hatte Moglicherweise schutzte sie ihr Familienname und sie galt als exzentrisch und ungefahrlich Bekannt ist dass sie oft und laut die verbotenen BBC Ubertragungen horte zudem hatte sie ihre drei Bernhardiner Hunde Voralarm Alarm und Entwarnung genannt und machte sich einen Spass daraus sie weithin horbar vom Balkon zu rufen Im Gegensatz zur ausseren Erscheinung stand ein Teil ihres Verhaltens Sie wird als haufig und derb fluchend beschrieben und liess sich nichts gefallen wenn ihr weibliches Auftreten in Frage gestellt wurde Ein Teil der Zeitzeugen machte Andeutungen uber Beziehungen zu Mannern harte Belege liegen nicht vor Spatestens nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zogen ihre Schwester und deren Tochter in ihre Wohnung ein vermutlich aufgrund der Wohnungsnot in Folge der Kriegszerstorungen Gerda fertigte weiterhin Damenkleidung die ihre Schwester auf dem Markt verkaufte Im Jahr 1944 10 heiratete Gerda erneut und zog erstmals aus Weissensee fort nach Berlin Charlottenburg Ihre Frau betrieb dort einen Blumenladen und war vermutlich finanziell besser gestellt als sie Im amtlichen Adressbuch fur 1957 wurde sie als Tanzer eingetragen ein Beruf der sonst nur in der Heiratsurkunde der Heirat vom 30 Dezember 1919 als Schauspieler und Tanzer in Verzeichnissen erfasst ist Gerda von Zobeltitz starb am 29 Marz 1963 bei einem Verkehrsunfall Sie hatte einen Teil ihres Augenlichts verloren und wurde auf dem Kurfurstendamm angefahren und todlich verletzt Ihre Ehefrau ist bis Januar 1985 in der alten Wohnung nachgewiesen Rezeption postum BearbeitenKurze Erwahnungen fand Gerda von Zobeltitz seit Anfang des 21 Jahrhunderts immer wieder Mehr Aufmerksamkeit erfuhr sie als sie 2009 eine der ausfuhrlich vorgestellten Personen in einer Darstellung der Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Prenzlauer Berg Pankow und Weissensee wurde Die Historikerin Katja Koblitz vom Verein Spinnboden hat dafur eine biografische Studie aus Archivmaterialien und Zeitzeugeninterviews verfasst 11 Sie wurde 2015 in einer Recherche der Berliner Landesstelle fur Gleichstellung gegen Diskriminierung erfasst in der Personen aus der lesbischen schwulen bisexuellen trans und intergeschlechtlichen Kultur darauf untersucht wurden ob sie sich fur kunftige Ehrungen insbesondere die Benennung von Strassen und anderen Orten eignen Die Landesstelle kam zum Schluss dass von Zobeltitz eine Vorreiterinnen Rolle im Kampf um Anerkennung und Selbstbestimmung eingenommen habe und ihr Selbstbewusstsein ihr Mut und ihre Beharrlichkeit zu ehren seien Zum Abschluss heisst es Gerda von Zobeltitz steht des Weiteren beispielhaft fur erlittene Diskriminierung und die Nichtanerkennung der eigenen Lebensweise auch durch Teile der Herkunftsfamilie 12 Seitdem wird Gerda von Zobeltitz immer wieder in Darstellungen zur Rolle fruher Transpersonen in der Weimarer Republik genannt so etwa in einer Ausstellung TO BE SEEN queer lives 1900 1950 des NS Dokuzentrums Munchen 2022 23 13 Literatur BearbeitenJens Dobler Von anderen Ufern Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain Bruno Gmunder Verlag Berlin 2003 ISBN 978 3 86187 298 6 S 75 Katja Koblitz In ihm hat die Natur das beruhmte dritte Geschlecht geschaffen Gerda von Zobeltitz ein Transvestit aus Weissensee In Sonntags Club Hrsg Verzaubert in Nord Ost Die Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Prenzlauer Berg Pankow und Weissensee Bruno Gmunder Verlag Berlin 2009 ISBN 978 3 86787 135 8 S 58 80 Landesstelle fur Gleichstellung gegen Diskriminierung Gerda von Zobeltitz In Personlichkeiten in Berlin 1825 2006 S 82 f auch online Weblinks BearbeitenLili Elbe Bibliothek Gerda von ZobeltitzEinzelnachweise Bearbeiten siehe Geburtsregister des Standesamts Rixdorf Nr 895 1891 bei ancestry com Abgerufen am 29 Marz 2023 So im Gutachten von Magnus Hirschfeld und Ernst Burchard zitiert nach Koblitz 2009 S 63 Soweit nicht anders dargestellt bezieht sich die Lebensbeschreibung auf die biographische Studie Koblitz 2009 Der Jungling in Frauenkleidern In Das interessante Blatt Wiener Illustrierte 3 April 1913 S 5 online bei ANNO Vorlage ANNO Wartung dib Ein weiblicher Brautigam In Deutsches Volksblatt Deutsches Volksblatt Radikales Mittelstandsorgan Telegraf Radikales Mittelstandsorgan Deutsches Volksblatt Tageszeitung fur christliche deutsche Politik 7 September 1916 S 3 online bei ANNO Vorlage ANNO Wartung dvb Der Brautigam in Frauenkleidern In Oesterreichische Kronen Zeitung Illustrirtes Tagblatt Illustrierte Kronen Zeitung Wiener Kronen Zeitung 7 September 1916 S 9 online bei ANNO Vorlage ANNO Wartung krz Der Brautigam im Brautkleide In Pester Lloyd 4 Oktober 1916 S 9 online bei ANNO Vorlage ANNO Wartung pel siehe Heiratsregister des Standesamts Schoneberg II Nr 358 1916 bei ancestry com Abgerufen am 29 Marz 2023 20 Dezember 17 bis 12 November 1918 Heiratsregister des Standesamts Berlin Wilmersdorf Nr 792 1917 bei ancestry com 14 Februar 1919 bis 25 Juni 1919 Heiratsregister des Standesamts Berlin III Nr 76 1919 bei ancestry com 30 Dezember 1919 bis 3 August 1920 Heiratsregister des Standesamts Berlin III Nr 1199 1919 bei ancestry com eine weitere Heirat am 5 April 1921 in Berlin Tiergarten kann nicht mit weiteren Daten belegt werden Randvermerk H 1 des Geburtsregisters des Standesamts Berlin Rixdorf Nr 895 1891 bei ancestry com Alle Dokumente abgerufen am 29 Marz 2023 siehe Randvermerk H 2 des Geburtsregisters des Standesamts Berlin Rixdorf Nr 895 1891 bei ancestry com Abgerufen am 29 Marz 2023 Koblitz 2009 Landesstelle fur Gleichstellung gegen Diskriminierung Gerda von Zobeltitz In Personlichkeiten in Berlin 1825 2006 S 82 f auch online NS Dokuzentrum Munchen Ausstellungen To be SeenNormdaten Person GND 1284737462 lobid OGND AKS VIAF 7709168049008138410002 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Zobeltitz Gerda vonALTERNATIVNAMEN Zobeltitz Georg Ernst Hans von Geburtsname KURZBESCHREIBUNG deutsche Damenschneiderin und TranspersonGEBURTSDATUM 9 Juni 1891GEBURTSORT Rixdorf bei BerlinSTERBEDATUM 29 Marz 1963STERBEORT Berlin Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gerda von Zobeltitz amp oldid 237601920