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Das Gebot der Rucksichtnahme oder Rucksichtnahmegebot dient im offentlichen Nachbarrecht dem Ausgleich kollidierender Privatinteressen bei der Zulassung einander storender Bauvorhaben Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich bei dem Gebot der Rucksichtnahme nicht um ein das gesamte Baurecht umfassendes eigenstandiges Gebot welches etwa weitergehende Anforderungen an die Zulassigkeit von Vorhaben zur Folge hat Vielmehr kommt ihm der Status eines einfachrechtlichen Rechtsinstituts zu mit dessen Hilfe die jeweiligen einfachrechtlichen Normen auszulegen sind Inhaltsverzeichnis 1 Planungsebene 2 Zulassigkeit einzelner Vorhaben 2 1 Planbereich 2 2 Innenbereich 2 3 Aussenbereich 3 Moglicher Abwehranspruch 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweisePlanungsebene BearbeitenNach 1 Abs 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitplane die offentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwagen Die in 1 Abs 6 BauGB in der Form von Voraussetzungen Schranken Zielen und Leitsatzen aufgestellten Grundregeln der Bauleitplanung stellen eine Bindung des gemeindlichen Planungsermessens dar deren Einhaltung sowohl der Aufsicht der hoheren Verwaltungsbehorde bei der Plangenehmigung 6 Abs 1 10 Abs 2 BauGB als auch der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte im Wege der Normenkontrolle 47 Abs 1 Nr 1 VwGO oder Inzidentprufung unterliegt 1 Das Gebot der Konfliktbewaltigung ist Folge des Abwagungsgebots aus 1 Abs 7 BauGB und verlangt dass im Wege eines gerechten Ausgleichs der beruhrten Belange die durch die Festsetzungen des Bebauungsplans zurechenbar verursachten Nutzungskonflikte durch den Bebauungsplan selbst gelost werden Der Bebauungsplan darf jedoch planerische Zuruckhaltung uben und einzelne Problemlosungen auf die nachgelagerte Vollzugsebene verlagern sofern sie sich im Baugenehmigungsverfahren sachgerecht bewaltigen lassen 2 3 Zulassigkeit einzelner Vorhaben BearbeitenBei der Losung von Nutzungskonflikten zwischen einzelnen Bauvorhaben auf benachbarten Grundstucken kommt dem Gebot der Rucksichtnahme besondere Bedeutung zu So kann ein nach den massgeblichen Vorschriften grundsatzlich zulassiges Vorhaben im Einzelfall unzulassig sein wenn von ihm unzumutbare Beeintrachtigungen wie Larm oder Geruchsbelastigungen ausgehen und dadurch die gebotene Rucksichtnahme vermissen lasst Damit erfahren die Vorgaben der Bauleitplanung eine im Hinblick auf das grundrechtlich geschutzte Eigentum verfassungsrechtlich gebotene Flexibilisierung im Einzelfall Im Ergebnis sollen die verschiedenen Nutzungsarten in einer Weise einander zugeordnet werden die auf die jeweils andere Grundstucksnutzung Rucksicht nimmt und so zu miteinander vertraglichen Nutzungen kommt Somit ist das Gebot der Rucksichtnahme als ein feinsteuerndes Instrument zu begreifen Planbereich Bearbeiten Als besondere Auspragung des Gebotes der Rucksichtnahme wird 15 Abs 1 BauNVO eingeordnet Er bestimmt dass im Geltungsbereich eines Bebauungsplans grundsatzlich zulassige Vorhaben im Einzelfall unzulassig sind wenn sie nach Anzahl Lage Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen oder wenn von ihnen Belastigungen oder Storungen ausgehen konnen die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder dessen Umgebung unzumutbar sind oder wenn sie sich solchen Belastigungen oder Storungen aussetzen 15 Abs 1 Satz 2 BauNVO ist eine zulassige Inhalts und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG Sie soll gewahrleisten Nutzungen die geeignet sind Spannungen und Storungen hervorzurufen einander so zuzuordnen dass Konflikte moglichst vermieden werden Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben hangt massgeblich davon ab was dem Rucksichtnahmebegunstigten einerseits und dem Rucksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist 4 Innenbereich Bearbeiten Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulassig wenn es sich nach Art und Mass der baulichen Nutzung der Bauweise und der Grundstucksflache die uberbaut werden soll in die Eigenart der naheren Umgebung einfugt Ob sich ein Vorhaben in diesem Sinne einfugt und mit der Umgebungsbebauung vertraglich ist beurteilt sich im Einzelfall nach dem Gebot der Rucksichtnahme 5 In sog faktischen Baugebieten die zwar nicht uberplant sind ihrer Eigenart nach aber tatsachlich einem in der BauNVO bezeichneten Baugebiet entsprechen beurteilt sich die zulassige Art eines Vorhabens Qualitat allein nach 15 Abs 1 Satz 2 BauNVO 34 Abs 2 BauGB Hinsichtlich des Masses der baulichen Nutzung Quantitat ist die BauNVO hingegen nicht anwendbar 6 Aussenbereich Bearbeiten Im Aussenbereich ist ein Vorhaben nur zulassig wenn offentliche Belange nicht entgegenstehen 35 Abs 1 BauGB Eine Beeintrachtigung offentlicher Belange liegt insbesondere vor wenn das Vorhaben schadliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird 35 Abs 3 Nr 3 BauGB Ein Aussenbereichsvorhaben kann daher im Einzelfall aufgrund der konkreten ortlichen Verhaltnisse zu erheblichen Belastigungen der Nachbarschaft fuhren und damit das in 35 Abs 3 Nr 3 BauGB enthaltene baurechtliche Rucksichtnahmegebot verletzen 7 Moglicher Abwehranspruch BearbeitenNach neuerer Rechtsprechung sind die Normen der BauNVO generell nachbarschutzend sofern sie sich mit der Art der baulichen Nutzung befassen Hieraus entstehende Restriktionen in Bezug auf die Nutzung der Grundstucke von Planbetroffenen werden dadurch ausgeglichen dass auch die anderen Grundeigentumer derartigen Beschrankungen unterliegen 8 Das gilt auch in faktischen Baugebieten 9 Bei der baurechtlichen Nachbarklage ist auf die Art des Vorhabens sowie die Auswirkungen auf die Umgebung im konkreten Einzelfall abzustellen 10 Auf das Kriterium der raumlichen Nahe kommt es nicht an 11 Die Grundstucke von Klager und Nachbarn mussen also nicht zwingend aneinander angrenzen Die baurechtliche Nachbarklage ist zudem grundstucks und nicht personenbezogen 12 Der Klager muss also eine dingliche Berechtigung an dem betroffenen Grundstuck nachweisen Ausser dem Eigentum kann das beispielsweise auch ein Wohnrecht gem 1093 BGB sein Das Gebot der Rucksichtnahme ist im Einzelfall verletzt und die betreffende Baugenehmigung rechtswidrig wenn von dem betreffenden Vorhaben Belastigungen oder Storungen ausgehen die im eigenen oder angrenzenden Baugebiet unzumutbar sind 13 Fur die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt es auf eine Abwagung zwischen dem an was einerseits dem Rucksichtnahmebegunstigten und andererseits dem Rucksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist 14 Dafur gibt es keine allgemeingultige Definition Vielmehr ist dies in einer Gesamtschau des konkreten Einzelfalls zu bestimmen 15 Literatur BearbeitenMark Seibel Das Rucksichtnahmegebot im Baurecht BauR 2007 183 Andreas Vosskuhle Ann Katrin Kaufhold Grundwissen Offentliches Recht Das baurechtliche Rucksichtnahmegebot JuS 2010 497 Nicole Wolf Drittschutz im Bauplanungsrecht Zur Weiterentwicklung eines stagnierenden Prozesses NVwZ 2013 247 ff Weblinks BearbeitenKatharina Jann 4 Besprechungsfall Die unleidigen Nachbarn Verwaltungsgerichtliche Praxis Veranstaltungsreihe des Verwaltungsgerichts Freiburg 19 Marz 2012Einzelnachweise Bearbeiten grundlegend BVerwG Urteil vom 12 Dezember 1969 Az IV C 105 66 Volltext BVerwG Urteil vom 12 September 2013 Az 4 C 8 12 Volltext BVerwG Gebot der Konfliktbewaltigung Planerhaltung und Rucksichtnahmegebot im Bauplanungsrecht Memento des Originals vom 15 Januar 2016 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot hrn jura uni hamburg de Hamburger Rechtsnotizen 11 Dezember 2013 BVerwG Urteil vom 29 November 2012 Az 4 C 8 11 Volltext zum Nebeneinander von Mehrfamilienhaus und larmintensivem Holzverarbeitungsbetrieb BVerwGE 148 290 NVwZ 2014 370 BVerwG Urteil vom 16 Marz 1995 Az 4 C 3 94 BRS 57 Nr 175 Fickert Fieseler BauNVO 11 Aufl 2008 15 Rn 8 1 Konig Roeser Stock Roeser BauNVO 2 Aufl 2003 15 Rn 8 BVerwG Beschluss vom 28 Juli 1999 Az 4 B 38 99 Volltext fur eine Kleinfeuerungsanlage Niere DVBl 1997 65 Mampel DVBl 1994 1053 1055 Konrad JA 1997 505 506 m w N BVerwGE 67 334 338 NJW 1984 138 139 BRS 40 Nr 4 Schoch Jura 2004 317 f Brohm Offentliches Baurecht 3 Aufl 2007 18 Rn 24 BVerwG DVBl 1987 1276 f Kopp Schenke VwGO 15 Aufl 2007 Rn 70 Konig Roeser Stock Roeser BauNVO 2 Aufl 2003 15 Rn 28 BVerwGE 51 15 30 NJW 1976 1760 1763 NVwZ 1993 1184 1185 UPR 1993 221 Sarninghausen NVwZ 1996 110Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gebot der Rucksichtnahme amp oldid 187515840