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In der Zeit des Nationalsozialismus gewannen die Devisenstellen auch Stellen fur Devisenbewirtschaftung genannt eine massgebliche Rolle bei der Uberwachung und fiskalischen Ausplunderung der deutschen Juden Verordnung uber die Errichtung der Devisenstelle Wien vom 19 Marz 1938Devisenstellen waren an der Einleitung von Ausburgerungsverfahren mit nachfolgendem Vermogensverfall beteiligt sie konnten Passe einziehen Geldstrafen verhangen die Verfugungsmoglichkeit uber individuelles Vermogen beschranken oder entziehen das Umzugsgut auswanderungswilliger Juden uberprufen lassen und mit hohen Sonderabgaben belegen sowie den Kapitaltransfer einschranken Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Organisation der Devisenstellen 3 Aufgabenbereich 3 1 Ausburgerungsverfahren 3 2 Mitnahmebeschrankungen 3 3 Sicherungsanordnungen 3 4 Arisierung 4 Widerspruchlichkeit 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseHintergrund BearbeitenWegen der Weltwirtschaftskrise und Ruckzahlungsforderungen internationaler Kreditgeber beschrankte die Prasidialregierung unter Heinrich Bruning den freien Kapitalverkehr Sie erliess 1931 mehrere Verordnungen zur Devisen Zwangsbewirtschaftung 1 und fuhrte eine Reichsfluchtsteuer ein Andere europaische Schuldnerlander versuchten auf ahnliche Weise Devisenbestande zu schutzen und ihre Zahlungsbilanz auszugleichen Die nationalsozialistische Handelspolitik verband damit jedoch weitere Ziele Die Autarkie sollte gefordert und Devisen sollten zugunsten einer Aufrustung der Wehrmacht zum Import notwendiger Rohstoffe verwendet werden Es entstand ein selbst fur Fachleute kaum noch zu uberschauendes Gestrupp aus Gesetzen und Verordnungen 2 und die Devisenbehorden wurden zu einem umfassenden Lenkungs und Kontrollorgan ausgebaut Organisation der Devisenstellen BearbeitenIm Jahre 1933 bestanden 29 Devisenstellen von denen 23 unmittelbar bei den Landesfinanzamtern angebunden waren In ihnen waren 3350 Angestellte und Beamte tatig 3 Die Devisenstellen waren gegliedert in eine Genehmigungsabteilung und eine Uberwachungsabteilung letztere wurde spater personell stark ausgeweitet Die Dienstaufsicht lag beim Reichsfinanzministerium fachliche Weisungen erteilte bis 1938 eine Reichsstelle fur Devisenbewirtschaftung beim Reichswirtschaftsministerium In den besetzten Gebieten wurden wahrend des Zweiten Weltkrieges zudem Devisenschutzkommandos tatig um Devisen Gold und Diamanten aus Privatbesitz zu beschlagnahmen oder zwangsweise anzukaufen Diese Beamten der Zollfahndungsstellen der Reichsfinanzverwaltung wirkten zumindest in Belgien fortwahrend bei der Deportation von Juden mit 4 Aufgabenbereich BearbeitenDie Devisenstellen setzten nicht allein die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der Machthaber um sondern beteiligten sich auch in vielfacher Weise an der wirtschaftlichen Verdrangung Uberwachung und Ausplunderung deutscher Juden von denen bis zum Oktober 1941 rund 270 000 vertrieben wurden Ausburgerungsverfahren Bearbeiten Nach dem Gesetz uber den Widerruf von Einburgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehorigkeit vom 14 Juli 1933 konnten deutsche Staatsangehorige die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt hatten ausgeburgert werden Schon die ungenehmigte Ausreise eines Juden galt als Verstoss gegen die Pflicht zur Treue zu Reich und Volk Nach einem geheimen Erlass Heinrich Himmlers vom 30 Marz 1937 stellte eine rassenschanderische Betatigung oder die Nichtentrichtung von Steuern und Abgaben eines judischen Fluchtlings ein volksschadigendes Verhalten dar das zum Entzug der Staatsangehorigkeit und Vermogensentzug fuhren sollte 5 An der Einleitung des Ausburgerungsverfahrens und der folgenden Vermogensbeschlagnahme waren die Devisenstellen regelmassig beteiligt 6 Mitnahmebeschrankungen Bearbeiten Bis Ende 1933 bewilligten die Devisenstellen auswandernden Juden noch die Mitnahme von Barbetragen bis 15 000 Reichsmark fur grossere Vermogen wurden Sonderregelungen getroffen um eine Ubernahme von Betrieben zu beschleunigen 7 Ab Oktober 1934 wurde keinerlei Erlaubnis mehr zur Mitnahme von Bargeld erteilt 8 lediglich Reisedevisen bis zu zehn Reichsmark durften mitgefuhrt werden Die Einkunfte aus Renten und Pensionen Versicherungszahlungen und Dividenden durften nicht ins Ausland transferiert werden Das Geldvermogen wurde auf ein Sperrmark Konto eingezahlt Ein Devisenumtausch war nur uber die Deutsche Golddiskontbank moglich die den ohnehin ungunstigen Umtauschkurs mit einem hohen Disagio belegte Diese Dego Abgabe betrug im Januar 1934 rund 20 Prozent und stieg bis zum September 1939 auf 96 Prozent an 9 Auch das Umzugsgut der zur Auswanderung genotigten Juden wurde ab 1938 durchmustert und genehmigungspflichtig Nur ein Minimum durfte mitgenommen werden sogar uberzahlige Leibwasche musste zuruckbleiben Als neuwertig wurden Gegenstande eingestuft die seit 1933 gekauft worden waren Die Mitnahme dieser Sachen genehmigte die Devisenstelle nur gegen Zahlung einer hohen Dego Abgabe Sicherungsanordnungen Bearbeiten Ende 1936 bekamen die Devisenstellen durch das Gesetz zur Anderung des Gesetzes uber die Devisenbewirtschaftung RGBl I S 1000 die Befugnis Sicherungsanordnungen zu treffen Damit wurde den betroffenen Personen die freie Verfugung uber ihr eigenes Vermogen entzogen Fortan fahndeten die Devisenstellen in enger Zusammenarbeit mit Banken Grundbuchamtern Polizei und Zollbehorden nach Anhaltspunkten fur eine geplante Flucht einen Verkauf von Immobilien Mobeln und Teppichen Ankaufe von Schmuck und Edelsteinen oder ausstehende Exportguthaben Regional unterschiedlich gingen die Devisenstellen mit Sicherungsanordnungen bei Mischehen vor teilweise blieb der deutschblutige Ehepartner verschont 10 Im August 1939 schliesslich verfugte das Reichswirtschaftsministerium dass Juden alle Barmittel auf ein beschrankt verfugbares Sicherungskonto 11 einzahlen mussten Von diesem Konto durften die Eigentumer monatlich einen Freibetrag abheben und weitere Zahlungen wie Steuern und Arztrechnungen begleichen Fur andere Verfugungen war die Genehmigung der Devisenstelle erforderlich die auch Ordnungsstrafen verhangte wenn etwa Barzahlungen nicht gemeldet wurden 12 Arisierung Bearbeiten Devisenstellen spielten eine wichtige Rolle bei der Arisierung judischer Unternehmen wenn sie bei Verstossen gegen eine der zahlreichen Devisenbestimmungen fundig wurden oder wegen eines Verdachts ein Verfahren einleiteten Sie setzten gegebenenfalls einen ihnen genehmen Treuhander ein Das Reichswirtschaftsministerium veranlasste die Devisenstellen 1937 dazu den Anteil judischer Geschafte zuruckzudrangen Verzogerte Genehmigungen konnten die Geschaftsabwicklung im Im und Export erheblich schadigen 13 Der Historiker Frank Bajohr weist auf die enge Zusammenarbeit der Devisenstellen mit den Zollfahndungsamtern hin die beide unter dem Dach der Landesfinanzamter arbeiteten Devisenstellen und Zollfahndung waren bei der Arisierung in ihrer alltaglichen Handlungspraxis kaum voneinander zu unterscheiden 14 Widerspruchlichkeit BearbeitenDie nationalsozialistische Politik zur so genannten Judenfrage war lange Zeit widerspruchlich Einerseits gehorte es nachweisbar bis 1941 zu den Zielen die deutschen Juden moglichst umfassend und zugig aus dem Staatsgebiet zu vertreiben Organisatorische Hemmnisse wurden zum Beispiel durch die Schaffung einer Reichszentrale fur judische Auswanderung beseitigt Andererseits turmten steuerliche Benachteiligungen Reichsfluchtsteuer Judenvermogensabgabe und konfiskatorische Abgaben sich als Hindernisse auf und schreckten die rassisch Verfolgten von einer Abwanderung in eine vollig ungesicherte Existenz ab Manche Historiker sehen dahinter die Absicht durch die spatere massenhafte Auswanderung pauperisierter Juden den Antisemitismus in die Fluchtlander exportieren zu konnen 15 In einer nationalsozialistischen Denkschrift zur Aussenpolitik von 1939 heisst es Je armer und damit belastender fur das Einwanderungsland der einwandernde Jude ist desto erwunschter ist die Wirkung im deutschen propagandistischen Interesse 16 Siehe auch BearbeitenDevisenfahndungsamtLiteratur BearbeitenSusanne Meinl Jutta Zwilling Legalisierter Raub Die Ausplunderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen Campus Verlag Frankfurt am Main New York 2004 ISBN 978 3593376127 Christoph Franke Die Rolle der Devisenstellen bei der Enteignung der Juden In Katharina Stengel Hrsg Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozialismus Frankfurt a M 2007 ISBN 978 3 593 38371 2 S 80 92 Katharina Stengel Hg Vor der Vernichtung Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozialismus Campus Verlag Frankfurt am Main New York 2007 ISBN 978 3593383712 Martin Friedenberger Fiskalische Ausplunderung Die Berliner Steuer und Finanzverwaltung und die judische Bevolkerung 1933 1945 Berlin 2008 ISBN 978 3 938690 86 4 Christoph Franke Legalisiertes Unrecht Devisenbewirtschaftung und Judenverfolgung am Beispiel des Oberfinanzprasidiums Hannover 1931 1945 Hannover 2011 ISBN 978 3 7752 6057 2 Weblinks Bearbeiten Verordnung des Reichsprasidenten uber die Devisenbewirtschaftung vom 1 August 1931 Claus Fullberg Stolberg uber die Rolle der Oberfinanzbehorden der Devisenstellen bei der Vertreibung Dokument 11 Schreiben des Reichsministers der Finanzen an die Prasidenten der Landesfinanzamter betreffend Benachrichtigung bei Auswanderungsvorbereitungen und Vordrucke fur die ortlichen Polizeibehorden 29 Dezember 1936 Dort auch Verdachtsgrunde aufgefuhrt Umzugsgutsverzeichnis fur Devisenstelle 1939 dort auch Dokument Merkblatt der Devisenstelle fur Umzugsgut zu finden 1 Legalisierter Raub Der Fiskus und die Ausplunderung der Juden in Hessen 1933 1945 Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Rundfunks Mit Unterstutzung der Sparkassen Kulturstiftung Hessen Thuringen und des Hessischen Ministeriums fur Wissenschaft und Kunst Einzelnachweise Bearbeiten VO vom 15 Juli 1931 RGBl I S 366 vom 18 Juli 1931 RGBl I S 373 und vom 1 August 1931 RGBl I S 421 Christoph Franke Die Rolle der Devisenstellen bei der Enteignung der Juden In Katharina Stengel Hrsg Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozialismus Frankfurt a M 2007 ISBN 978 3 593 38371 2 S 81 Vorschau auf Google Books Martin Friedenberger Fiskalische Ausplunderung Die Berliner Steuer und Finanzverwaltung und die judische Bevolkerung 1933 1945 Berlin 2008 ISBN 978 3 938690 86 4 S 131 Insa Meinen Die Deportation der Juden aus Belgien und das deutsche Devisenschutzkommando In Johannes Hurter Jurgen Zarusky Hrsg Besatzung Kollaboration Holocaust Neue Studien zur Verfolgung und Ermordung der europaischen Juden Munchen 2008 ISBN 978 3 486 58728 9 S 64 Hans Dieter Schmid Finanztod Die Zusammenarbeit von Gestapo und Finanzverwaltung bei der Ausplunderung der Juden in Deutschland In Gerhard Paul Klaus Michael Mallmann Hrsg Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg Darmstadt 2000 ISBN 3 89678 188 X S 143 Christoph Franke Die Rolle der Devisenstellen S 85 z B 1934 Warenhauskonzern Tietz siehe Martin Friedenberger Fiskalische Ausplunderung S 135 Alfons Kenkmann Bernd A Rusinek Verfolgung und Verwaltung Die Wirtschaftliche Ausplunderung der Juden und die Westfalischen Finanzbehorden Munster 1999 ISBN 3 00 004973 8 S 19 Frank Bajohr Arisierung als gesellschaftlicher Prozess In Claus Offe Hrsg Demokratisierung der Demokratie Frankfurt M 2003 ISBN 3 593 37286 X S 21 Beate Meyer Judische Mischlinge Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933 1945 2 Aufl Hamburg 2002 ISBN 3 933374 22 7 S 31 Hannah Ahlheim Deklassierung judischer Kunden Die Commerzbank und die beschrankt verfugbaren Sicherungskonten 1935 1945 In Jahrbuch fur Antisemitismusforschung 15 2006 ISBN 978 3 938690 46 8 S 85 112 Hans G Adler Der verwaltete Mensch Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland Tubingen 1974 ISBN 3 16 835132 6 S 681 Christoph Franke Die Rolle der Devisenstellen S 88 Frank Bajohr Arisierung in Hamburg Hamburg 1997 ISBN 3 7672 1302 8 S 211 Christoph Franke Die Rolle der Devisenstellen S 90 zitiert nach Dorothee Mussgnug Die Reichsfluchtsteuer 1931 1953 Berlin 1993 ISBN 3 428 07604 4 S 51 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Devisenstelle amp oldid 221433448