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Die Deggendorfer Gnad war eine jahrlich stattfindende sogenannte Hostienwallfahrt die auf einer mittelalterlich judenfeindlichen Hostienfrevel Legende bzw Judenmord beruht Die antijudische Wallfahrt Deggendorfer Gnad fuhrte zur Heilig Grabkirche St Peter und St Paul bis sie im Marz 1992 vom damaligen Regensburger Bischof Manfred Muller mit einer Bitte um Vergebung aufgelost wurde Die Heilig Grab KircheInhaltsverzeichnis 1 Historischer Hintergrund und Quellenlage 2 Legendenbildung Ablass und Wallfahrt 2 1 Die Legende am Beispiel der Erzahlungen von Pfarrer Klampfl 2 2 Darstellungen aus einem Gebetbuch Deggendorf 1776 2 3 Das Volkslied Die Juden zu Deggendorf 3 Kritik und Ende der Wallfahrt 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseHistorischer Hintergrund und Quellenlage BearbeitenEiner zeitgenossischen Quelle von 1338 zufolge wurden im Herbst desselben Jahres Juden in Deggendorf verbrannt Dieser uberfallartige Mord mit Opfern unbekannter Anzahl stand offenbar im Zusammenhang mit der hohen Verschuldung von Deggendorfer Burgern bei den getoteten Juden Fur die darauf folgenden Tage sind wie in vielen ahnlich gelagerten Fallen in der niederbayerischen Umgebung von Deggendorf weitere pogromartige Massenmorde an Juden uberliefert Bei der Urkunde handelt es sich um eine von Herzog Heinrich XIV von Bayern unterzeichnete die als Abschrift aus dem Jahr 1609 erhalten ist Darin sichert Herzog Heinrich den christlichen Deggendorfern zu dass die Burgschaften Pfandbriefe und anderen Urkunden die die Juden von ihnen innehatten vollig getilgt seien und die Tater auf ewig ohne Bussleistung und unbehelligt sein sollen 1 In den Jahren nach dem Judenmord von 1338 begann man innerhalb der Deggendorfer Stadtmauer mit dem Bau einer Kirche welche im Jahr 1361 die damals weit verbreiteten Patrozinien des Leibes Christi und der seligen Apostel Petrus und Paulus erhielt 2 Ob sich die Kirche auf dem Platz einer ehedem vorhandenen Synagoge befindet konnte bislang nicht geklart werden Deggendorf gehorte bereits seinerzeit zum Bistum Regensburg das damals Bischof Nikolaus von Ybbs unterstand nbsp Darstellung der Vernichtung der Deggendorfer Juden in der Schedel schen Weltchronik von 1493Erst zwei Generationen nach dem Massaker spricht die Chronik von den Herzogen Bayerns 1371 1372 fur den Herbst 1338 von judenfeindlichen Pogromen in Stadten Bayerns bzw Osterreichs Als Verfolgungsgrund wird hierbei unter ausdrucklichen Vorbehalten fama bzw infamia des Chronisten der Verdacht der Hostienschandung genannt Die Ermordung der Juden wird darin als gottgewollte Strafe bezeichnet Deggendorf aber nicht explizit genannt 3 Die erste Chronik die den Deggendorfer Judenmord kausal mit dem Vorwurf des Hostienfrevels verbindet und die Legende vom Hostienfrevel ausformuliert ist die Grundungsgeschichte der Kloster Bayerns die um 1388 entstanden ist Darin heisst es im Jahr 1337 sei in Deggendorf eine Hostie der Leib des Herrn gefunden worden die angeblich die Juden gemartert haben sollen 4 Deswegen seien die Juden ein Jahr spater verbrannt worden In der Schedel schen Weltchronik aus dem Jahr 1493 werden unter dem Kapitel Das sechst alter die judenfeindlichen Erzahlungen wiederholt und die Verbrennung der Deggendorfer Juden dargestellt Legendenbildung Ablass und Wallfahrt BearbeitenIn der ersten Halfte des 15 Jahrhunderts entstand das Gedicht von den Deggendorfer Hostien das eine naiv phantastische Legende der Hostienschandung erzahlt die mit leichten Veranderungen bis zum Ende des 20 Jahrhunderts erhalten blieb Diese Legende ging von einem sogenannten Hostienwunder aus wobei man in der Volksfrommigkeit u a die Mirakelhostien welche die legendare Freveltat angeblich schadlos uberstanden hatten verehrte Den uberlieferten Ablassurkunden kam in der Begrundung und Legitimierung der Deggendorfer Hostienlegende bis in die 1990er Jahre eine wichtige Bedeutung zu Man ging auch von kirchlicher Seite davon aus dass der alteste erhaltene Ablass der wahrscheinlich anlasslich der Weihe eines Bauabschnittes der Grabkirche im Jahr 1361 ausgestellt worden war eine Besonderheit darstelle und sich auf den angeblichen Hostienfrevel beziehe Eder kommt in seiner Studie jedoch zu dem eindeutigen Ergebnis dass die Ablasse seit dem 14 bzw 15 Jahrhundert samt und sonders im Rahmen des zur jeweiligen Zeit Ublichen blieben und keinerlei Bezug auf die Hostienlegende haben 5 Obwohl die einst verliehenen Ablasse nach einer gewissen Zeit durch den Apostolischen Stuhl widerrufen wurden sei man in Deggendorf in Teilen falschlicherweise von ihrer Gultigkeit und Wirksamkeit ausgegangen Erst Anfang des 17 Jahrhunderts scheint die vom Stadtpfarrer und vom bayerischen Herzog protegierte Hostienwallfahrt vom 29 September bis zum 4 Oktober jeden Jahres vollends aufgebluht zu sein 6 Im Mittelpunkt der volksfrommigen Wallfahrtspraxis standen die angeblich unversehrt erhaltenen Mirakelhostien die sogenannten Marterwerkzeuge und der in diesen Tagen in Aussicht gestellte vollkommene Ablass Der Deggendorfer Hostienlegende so Eders Resumee sei in allen Teilen mit Ausnahme des Judenmordes jegliche Glaubwurdigkeit abzusprechen 7 Die Legende am Beispiel der Erzahlungen von Pfarrer Klampfl Bearbeiten Der Pfarrer und Heimatforscher Joseph Klampfl 1800 1873 schilderte 1854 in seinem Buch Der ehemalige Schweinach und Quinzingau 8 den angeblichen Hostienfrevel Dabei berief er sich auf die Tradition Demnach erhielten 1337 die Deggendorfer Juden von einer christlichen Dienstmagd gegen ihre bei ihnen versetzten Kleider 10 Hostien Die Magd hatte zur Osterzeit zehnmal kommuniziert und dabei das Allerheiligste jedes Mal unbemerkt aus dem Mund genommen und in ihrem Schweisstuch verborgen Die Juden stachen die Hostien mit Ahlen und dem Zweig eines Rosenstrauches warfen sie in einen geheizten Backofen und hammerten auf einem Amboss auf sie ein Dennoch konnten sie die Hostien nicht zerstoren So steckten sie die Hostien in einen Beutel mit Gift und versenkten diesen in einem Brunnen Daraufhin starben mehrere Personen an dem vergifteten Wasser Da sah ein Nachtwachter zur Nachtzeit einen hellen Schein uber dem Brunnen spater auch andere Burger Man leitete nun eine Untersuchung gegen die Juden ein und entdeckte den Hergang des Frevels Die Hostien wurden aus dem Brunnen geholt und in einer feierlichen Prozession in einem Kelch in die Kirche gebracht Einer Legende zufolge erhoben die Hostien sich selbst aus der Tiefe des Brunnens in den vorgehaltenen Kelch Um diesen Frevel zu rachen versammelten sich die Ratsherren und eine grosse Anzahl Burger in der Kirche von Schaching und schworen die Juden zu vertreiben Auch der herzogliche Pfleger in Natternberg Hartmann von Degenberg beteiligte sich daran Am 30 September 1338 wurde mit der Glocke der St Martins Kirche am Rathaus das Zeichen gegeben woraufhin die Burger in die Hauser der Juden eindrangen und sie vertrieben Diejenigen die sich widersetzten wurden erschlagen und viele so Klampfl zundeten selbst ihre Hauser an und verbrannten sich und ihre Angehorigen um nicht in die Hande der Christen zu fallen nbsp Gedenktafel Hussiten vor Deggendorf durch Grab Mirakel gestopptAls Herzog Heinrich in Landshut davon erfuhr lobte er dieses Vorgehen in einem eigenhandigen Schreiben und schenkte den beteiligten Burgern alle Beute und erliess ihnen alle Schulden die sie bei den Juden gemacht hatten Nun erbaute man dort wo die Entehrungen vorfielen eine Kirche Man nannte sie zum heiligen Grabe weil hier in Gestalt der Hostien gleichsam das erneuerte Leiden Christi zur Anbetung aufbewahrt wurde Klampfl berichtete von seiner eigenen Zeit dass noch immer jahrlich 40 000 bis 50 000 Glaubige aus Bayern Bohmen und Osterreich nach Deggendorf stromten um den Ablass zu gewinnen In Schaching erinnerte eine Steinsaule die noch im 19 Jahrhundert erneuert wurde an den Bund zur Vertreibung der Deggendorfer Juden Sie trug die Aufschrift Hier an diesem Ort schwuren Herr Hartmann von Degenberg aus uralt adeligem Geschlecht bayerischer Landherr in dem furstlichen Schlosse Natternberg residirend Kammerer und Rath dann die Burger von Deggendorf zu Gott einen feierlichen Eid jene Schmach und Misshandlung an den gottlosen Juden zu rachen so sie den heiligen Hostien angethan im Jahre 1337 den 30 September Bernhard Grueber Adalbert Muller Der bayrische Wald 1846 Reprint 1993 S 95 Darstellungen aus einem Gebetbuch Deggendorf 1776 Bearbeiten nbsp nbsp nbsp nbsp nbsp nbsp Das Volkslied Die Juden zu Deggendorf Bearbeiten Die Juden zu Deggendorf 9 ist ein niederbayerisches Volkslied das auf Andre Summer zuruckgeht in das Jahr 1337 datiert und im Das Bayernbuch eines Joseph Maria Mayer 1869 in Munchen herausgegeben veroffentlicht ist Hier ein Auszug aus dem Text Als man zahlt dreizehnhundert Jahr und sieben und dreissig das ist wahr hat sich ein Sach begeben zu Deggendorf im Bayerland manchem Biedermann bekannt das sollt ihr merken eben Da sassen der Juden viel mit Haus die lebten strafiglichen die machten z samm ein Bund durchaus zuwegen brachten Christi Leib das heilige Sakramente zu singen ich das schreib Ein Anschlag hatten sie gemacht ein Christenweib zuwegen bracht mit der ha n sie paktiret 10 nbsp Inschrift aussen an der Grabkirche 1993 Kritik und Ende der Wallfahrt BearbeitenBereits in der Zeit der Aufklarung wurde deutliche Kritik sowohl am Anlass Gnadlegende und Judenpogrom Ablass wie auch am Ausmass der Wallfahrt laut So schrieb Johann Pezzl 1784 11 Aus halb Sudbayern kamen die Wallfahrer im Jahr 1766 uber 60 000 Dann folgt die Polemik im Stil des Josephinismus dass bei einem anzunehmenden Mittel von jahrlich 40 000 Pilgern und einer Dauer von drei Tagen der wirtschaftliche Schaden erheblich sei die wunden Fusse die durch Hitze und Schwelgerei verdorbene Gesundheit und das unnutz verschwendete Geld noch nicht mitgerechnet Bis der Wunsch des Autors fur ein Ende der Wallfahrt Wenn doch ein wohlthatiger Patriot einst auf den Einfall kame durch ein geschicktes Strategem die Hostien auf die Seite zu raumen und dadurch der Gnade ein Ende zu machen da es die Regierung nicht thut in Erfullung ging brauchte es noch uber zwei Jahrhunderte Auf die Verflechtung der Wallfahrt mit dem Pogrom wiesen dann im 19 Jahrhundert u a Johann Christoph von Aretin und danach Ludwig Steub hin Kurz nachdem der Theologe Rudolf Graber zum Bischof von Regensburg berufen worden war und internationale Kritik langst auf die Einstellung der Deggendorfer Gnad gedrangt hatte verurteilte Graber zur Wallfahrtseroffnung im Jahr 1962 die grausamen Judenverfolgungen seit dem Mittelalter Die Wallfahrt aber so Graber diene nicht der Verherrlichung des Judenmordes und deshalb werden wir nie und nimmer einigen Artikel und Briefschreibern zulieb die Deggendorfer Gnad einstellen 12 Damals wandelte Bischof Graber die Deggendorfer Gnad in eine eucharistische Veranstaltung um die Suhne leisten solle fur all die Verbrechen die unser Volk begangen hat im fruhen Mittelalter im spaten Mittelalter vor allem in der jungsten Vergangenheit 12 Die Kritik an der fortbestehenden Wallfahrt war mit der Neuausrichtung nicht beendet Im Herbst 1991 wurde die Hostienfrevellegende die der Deggendorfer Gnad zugrunde liegt im Rundbrief der Regensburger Gesellschaft fur Christlich Judische Zusammenarbeit als handfeste religiose und politische Luge die Antijudaismus produzierte bezeichnet 13 Erst nach Abschluss der einschlagigen Doktorarbeit des Kirchenhistorikers Manfred Eder die von der katholischen Fakultat der Universitat Regensburg betreut wurde hat Bischof Manfred Muller der Nachfolger Grabers die Wallfahrt im Marz 1992 eingestellt Im Hirtenwort des Bischofs von Regensburg an die Katholiken in Deggendorf heisst es dazu Da jetzt die Haltlosigkeit judischer Hostienschandungen auch fur den Deggendorfer Fall endgultig bewiesen ist ist es ausgeschlossen die Deggendorfer Gnad noch dazu als Eucharistische Wallfahrt der Diozese Regensburg weiterhin zu begehen 14 Eine geistige Aufarbeitung und Bewaltigung des Komplexes der Deggendorfer Gnad stehe noch aus 15 Literatur BearbeitenManfred Eder Die Deggendorfer Gnad Entstehung und Entwicklung einer Hostienwallfahrt im Kontext von Theologie und Geschichte Passavia Verlag Passau 1992 ISBN 3 86036 005 1 zugl Dissertation Universitat Regensburg 1991 Bjorn Berghausen Das Lied von Deggendorf Fiktion eines Hostienfrevels In Ursula Schulze Hrsg Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters Religiose Konzepte Feindbilder Rechtfertigungen Niemeyer Tubingen 2002 ISBN 3 484 10846 0 S 233 253 Franz Krojer Deggendorf Hostie Maus In Aufschluss des Gaubodens Differenz Verlag Munchen 2006 pdf 151 kB Friedrich Lotter Aufkommen und Verbreitung von Ritualmord und Hostienfrevelanklagen In Judisches Museum der Stadt Wien Hrsg Die Macht der Bilder Antisemitische Vorurteile und Mythen Wien 1995 Oskar Frankl Der Jude in der deutschen Dichtung des 15 16 und 17 Jahrhunderts Diss phil Universitat Wien Papauscheck Mahrisch Ostrau 1905 Verlag Robert Hoffmann Leipzig 1905 S 125 ff Scan der Universitat Toronto 16 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Grabkirche Deggendorf Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Gerhard Langer Die altbewahrte Mar vom Gottesmord Hostienfrevel In judentum org 1 Juli 2001 abgerufen am 27 Januar 2019 aus einem Vortrag von 1998 Die Grabkirche in Deggendorf Massenwallfahrt brachte der Stadt eine gute Einnahmequelle In judentum org 1 Juli 2001 abgerufen am 27 Januar 2019 Richard Utz Deggendorf and the Long History of Its Destructive Myth In The Public Medievalist 31 August 2017 abgerufen am 27 Januar 2019 englisch Einzelnachweise Bearbeiten Zitiert nach Eder 1992 S 198 199 Die von der Diozese Regensburg 1992 beschlossene Aufhebung der Wallfahrt basiert auf der Arbeit Eders die fur dieses Thema grundlegend ist und im Jahr 1991 vom Regensburger Lehrstuhl fur Kirchengeschichte als Dissertation angenommen wurde Alle historischen Angabe stammen daraus Eder 1992 S 289 Eder 1992 S 222 Zitiert nach Eder 1992 S 226 Eder 1992 S 354 Eder 1992 S 449 Explizit genannt werden Stadtpfarrer Johannes Satorius 1599 1609 und der Bayerische Herzog Albrecht 1584 1666 Eder 1992 S 449 Joseph Klampfl Der ehemalige Schweinach und Quinzingau Verlag Neue Presse Passau 1993 ISBN 3 924484 73 2 Nachdr d Ausg Passau 1855 2 Auflage Robert Schlickewitz Die Juden zu Deggendorf Ein niederbayerisches Volkslied In haGalil 31 Marz 2009 abgerufen am 27 Januar 2019 AndreSummer Die Juden zu Deggendorf Abgerufen am 27 Januar 2019 mit Verweisen Aus Alexander Schoppner Sagenbuch der Bayerischen Lande Band 2 Munchen 1852 S 66 68 Auf zeno org abgerufen am 27 Januar 2019 Johann Pezzl Reise durch den Baierschen Kreis Faksimileausgabe der 2 erweiterten Auflage von 1784 Suddeutscher Verlag Munchen 1973 ISBN 3 7991 5726 3 S 14 a b Rudolf Graber Predigt vom 3 Oktober 1962 In Ders Hrsg Verkunde das Wort Predigten Ansprachen Vortrage Pustet Regensburg 1968 S 110 Andreas Angerstorfer Der lange Streit Die sudbayerischen Gesellschaften Augsburg Munchen Regensburg und die Degendorfer Gnad In Gesellschaft fur christlich judische Zusammenarbeit Hrsg 50 Jahre Gesellschaft fur christlich judische Zusammenarbeit S 73 Zitiert nach Eder 1992 S 700 Eder 1992 S 698 Die gleichzeitigen Volkslieder von der Vertreibung der Juden in Passau und in Regensburg 48 831694444444 12 962411111111 Koordinaten 48 49 54 1 N 12 57 44 7 O Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Deggendorfer Gnad amp oldid 232178026