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Der geodatische Effekt oder die geodatische Prazession nach Willem de Sitter auch de Sitter Effekt bzw de Sitter Prazession genannt ist ein Effekt der allgemeinen Relativitatstheorie auf die Rotationsachse eines Kreisels auf einer Umlaufbahn im Schwerefeld einer zentralen Masse Man beobachtet die Prazession eines im Gravitationsfeld frei fallenden Kreisels 1 es gibt dazu keine klassische Entsprechung 2 Da dieser Effekt von der newtonschen Theorie nicht vorausgesagt wird ist er ein Test der allgemeinen Relativitatstheorie Der etwas kleinere Lense Thirring Effekt wirkt ebenfalls auf die Rotationsachse eines Kreisels hat aber seine Ursache in der Rotation der zentralen Masse 3 Der geodatische Effekt dagegen erklart sich allein aus dem Vorhandensein der zentralen Masse Beide Effekte zusammen ergeben die allgemeinrelativistische Gesamtwirkung Inhaltsverzeichnis 1 Theoretischer Hintergrund 2 Experimentelle Bestatigung 2 1 Die geodatische Prazession des Mondes 2 2 Gravity Probe B Experiment 2 3 PSR J1915 1606 3 EinzelnachweiseTheoretischer Hintergrund BearbeitenDas aussere Schwerefeld einer zentralen Masse wird in der allgemeinen Relativitatstheorie durch die Schwarzschild Metrik beschrieben das heisst in 4 dimensionalen Kugelkoordinaten c t r 8 ϕ displaystyle ct r theta phi nbsp hat man die Metrik g m n 1 r S r 0 0 0 0 1 r S r 1 0 0 0 0 r 2 0 0 0 0 r 2 sin 2 8 displaystyle g mu nu begin pmatrix 1 frac r mathrm S r amp 0 amp 0 amp 0 0 amp 1 frac r mathrm S r 1 amp 0 amp 0 0 amp 0 amp r 2 amp 0 0 amp 0 amp 0 amp r 2 sin 2 theta end pmatrix nbsp Dabei steht c displaystyle c nbsp fur die Lichtgeschwindigkeit und r S displaystyle r mathrm S nbsp fur den Schwarzschild Radius der zentralen Masse also r S 2 G M c 2 displaystyle textstyle r mathrm S frac 2GM c 2 nbsp wobei G displaystyle G nbsp die Gravitationskonstante und M displaystyle M nbsp die Masse des felderzeugenden zentralen Korpers ist In manchen Darstellungen werden sogenannte naturliche Einheiten verwendet d h es ist c 1 displaystyle c 1 nbsp und oft auch G 1 displaystyle G 1 nbsp gesetzt was wir hier aber nicht tun wollen Fur den relativistischen Drehimpulsvektor s m displaystyle s mu nbsp gilt bei ausschliesslicher Wirkung der Gravitation die Bewegungsgleichung D s m d t 0 displaystyle frac mathrm D s mu mathrm d tau 0 nbsp bzw d s m d t G k n m s k u n displaystyle frac mathrm d s mu mathrm d tau Gamma kappa nu mu s kappa u nu nbsp wobei D displaystyle mathrm D nbsp fur die kovariante Ableitung nach der Eigenzeit t displaystyle tau nbsp steht deren Nullsetzung gerade die Abwesenheit anderer Krafte ausdruckt Bei der Ruckubersetzung auf gewohnliche Ableitungen erscheinen wegen der Raumzeitkrummung wie ublich die Christoffel Symbole G k n m displaystyle Gamma kappa nu mu nbsp die sich aus der Metrik g m n displaystyle g mu nu nbsp und deren Ableitungen zusammensetzen siehe Artikel Christoffel Symbol u n displaystyle u nu nbsp schliesslich ist die Vierergeschwindigkeit des frei fallenden Kreisels Betrachtet man eine Kreisbahn in der Ebene 8 p 2 displaystyle textstyle theta frac pi 2 nbsp so ist u n u 0 0 0 w 0 displaystyle u nu u 0 0 0 omega 0 nbsp mit einer Konstanten w 0 displaystyle omega 0 nbsp Man beachte dass wegen der Wahl der 4 dimensionalen Kugelkoordinaten die letzte Komponente die zeitliche Anderung von ϕ displaystyle phi nbsp ist also die Winkelgeschwindigkeit des Korpers Ferner verschwinden fur eine Bahn in dieser Ebene viele der Christoffel Symbole was die Bewegungsgleichungen erheblich vereinfacht Letztlich fuhrt die Losung dieser Gleichungen auf einen s m displaystyle s mu nbsp Vektor der sich periodisch mit einer Kreisfrequenz w displaystyle omega nbsp andert die sich in erster Naherung bzgl Potenzen von r S r displaystyle textstyle frac r mathrm S r nbsp zu w w 0 1 3 r S 2 r displaystyle omega omega 0 sqrt 1 frac 3r mathrm S 2r nbsp ergibt Nach der vollen Umlaufzeit 2 p w 0 displaystyle textstyle frac 2 pi omega 0 nbsp hat der Spinvektor nach obiger Formel fur w displaystyle omega nbsp also nicht die Ausgangsstellung erreicht vielmehr entsteht eine Phasendifferenz von w 0 w 2 p w 0 2 p 2 p w w 0 2 p 2 p 1 3 r S 2 r p 3 r S 2 r displaystyle omega 0 omega frac 2 pi omega 0 2 pi 2 pi frac omega omega 0 2 pi 2 pi sqrt 1 frac 3r mathrm S 2r cong pi frac 3r mathrm S 2r nbsp wobei im letzten Schritt die Taylorreihe nach dem linearen Glied abgebrochen wurde Dies ist die geodatische Prazession pro Umlauf 4 Experimentelle Bestatigung BearbeitenDie geodatische Prazession des Mondes Bearbeiten Wenn man das Erde Mond System als Kreisel betrachtet der die Sonne umlauft dann muss der geodatische Effekt einen Einfluss auf die Rotationsebene dieses Kreisels das heisst auf die Ebene der Mondbahn haben Das hat bereits 1916 de Sitter erkannt und einen Effekt von ca 2 Bogensekunden pro Jahrhundert vorhergesagt Setzt man in obiger Formel den Schwarzschild Radius der Sonne r S 3 k m displaystyle r mathrm S cong 3 mathrm km nbsp ein sowie r 150 10 6 k m displaystyle r cong 150 cdot 10 6 mathrm km nbsp das ist der Abstand Erde Sonne das heisst der Abstand des betrachteten Kreisels von der Zentralmasse und multipliziert das mit 100 so erhalt man wie de Sitter ca 2 Bogensekunden Das ist zwar um viele Grossenordnungen geringer als der Einfluss der anderen Planeten eine volle Prazession nach 18 6 Jahren aber mittels LLR Daten die eine zentimetergenaue Vermessung der Mondbahn erlauben konnte dieser Effekt mit einer Abweichung von hochstens 0 6 nachgewiesen werden 5 6 Gravity Probe B Experiment Bearbeiten Mit Hilfe eines in die Erdumlaufbahn gebrachten Satelliten der mit hochprazisen Gyroskopen ausgestattet war konnte der geodatische Effekt im Rahmen des Gravity Probe B Experiments mit einer Genauigkeit von 3 10 3 displaystyle 3 cdot 10 3 nbsp bestatigt werden 5 PSR J1915 1606 Bearbeiten Das System PSR J1915 1606 eine altere Bezeichnung ist PSR B1913 16 ist ein Doppelsternsystem das aus zwei Neutronensternen besteht Dadurch dass die Rotationsachsen nicht senkrecht auf der Bahnebene stehen kommt es auch hier zu einer geodatischen Prazession Diese schlagt sich in der Anderung des Pulsarspins und damit des empfangenen Strahlungsprofils nieder Die Beobachtungen sind mit der geodatischen Prazession vertraglich Umgekehrt lassen die beobachteten Grossen Ruckschlusse auf ein geometrisches Modell von PSR PSR J1915 1606 zu Eine Vorhersage des Modells ist dass dieses System ab 2025 nicht mehr beobachtbar sein wird da der Strahlungskegel dann nicht mehr die Erde trifft 7 Einzelnachweise Bearbeiten Torsten Fliessbach Allgemeine Relativitatstheorie Springer 2016 ISBN 978 3 662 53105 1 Kapitel 29 Geodatische Prazession Wolfgang Rindler Relativitatstheorie Speziell Allgemein und Kosmologisch Wiley VHC 2006 ISBN 978 3 527 41173 3 Kapitel 11 13 de Sitter Prazession mittels rotierender Koordinaten Matthias Bartelmann Bjorn Feuerbacher Timm Kruger Dieter Lust Anton Rebhan Andreas Wipf Theoretische Physik Springer 2015 ISBN 978 3 642 54617 4 S 345 Geodatische Prazession und Lense Thirring Effekt Torsten Fliessbach Allgemeine Relativitatstheorie Springer 2016 ISBN 978 3 662 53105 1 Kapitel 29 Geodatische Prazession Die Rechnungen in diesem Lehrbuch sind etwas allgemeiner gehalten im Artikel wird nur die Schwarzschild Metrik behandelt a b Clifford M Will The Confrontation between General Relativity and Experiment Kapitel 4 4 2 Geodetic Precession arxiv 1403 7377 Jurgen Muller Liliane Biskupek Franz Hofmann Enrico Mai Lunar Laser Ranging and Relativity In Frontiers in Relativistic Celestial Mechanics de Gruyter 2014 ISBN 978 3 11 034545 2 Kapitel 4 4 Geodesic Precession Michael Kramer Determination of the Geometry of the PSR B1913 16 System by Geodetic Precession In The Astrophysical Journal Band 509 Nr 2 20 Dezember 1998 S 856 860 doi 10 1086 306535 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geodatischer Effekt amp oldid 224289930