Die Baureihe E 410 umfasst fünf Mehrsystemlokomotiven der Deutschen Bundesbahn, die für den grenzüberschreitenden Verkehr nach Frankreich, Belgien und Luxemburg vorgesehen waren. Sie verfügten über die Ausrüstung zum Betrieb unter mehreren verschiedenen Oberleitungsspannungen und hatte daher als charakteristisches Merkmal ursprünglich vier Stromabnehmer. Ab 1968 ordnete die Bundesbahn die Lokomotiven unter der Baureihe 184 ein.
DB-Baureihe E 410 DB-Baureihe 184 | |
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184 003 bei einer Ausstellung im September 2007 in Fürth | |
Nummerierung: | E 410 001–003, E 410 011–012 ab 1968: 184 001–003, 184 111–112 |
Anzahl: | 5 |
Hersteller: | Krupp, AEG: E 410 001–003 Krupp, BBC: E 410 011–012 |
Baujahr(e): | 1965 |
Ausmusterung: | 1981, 1983, 1993, 1994, 2002 (184 111, 112, 001, 002, 003) |
Achsformel: | Bo’Bo’ |
Spurweite: | 1435 mm (Normalspur) |
Länge über Puffer: | 16.950 mm |
Drehzapfenabstand: | 9.000 mm |
Drehgestellachsstand: | 3.100 mm |
Gesamtradstand: | 12.100 mm |
Dienstmasse: | 84 t |
Radsatzfahrmasse: | 21 t |
Höchstgeschwindigkeit: | 150 km/h |
Stundenleistung: | 3200 kW bei 89 km/h |
Dauerleistung: | 3000 kW bei 93 km/h |
Anfahrzugkraft: | 274,6 kN |
Treibraddurchmesser: | 1.250 mm |
Stromsystem: | 15 kV 16⅔ Hz ~ 25 kV 50 Hz ~ 1,5 kV = 3 kV = |
Anzahl der Fahrmotoren: | 4 sechspolige Mischstrommaschinen |
Bauart Fahrstufenschalter: | Stufenlose Zugkraftsteuerung über Thyristorstromrichter mit Phasenanschnittsteuerung sowie fünfstufiges Nockenfeinschaltwerk für Feldschwächung |
Bremse: | Druckluftbremse, elektrische Widerstandsbremse |
Entstehung und Geschichte Bearbeiten
Die frühen Jahrzehnte der Bundesbahn waren geprägt von der forcierten Elektrifizierung des Schienennetzes, die Anfang der 1960er Jahre auch das Saarland erreichte. Der grenzüberschreitende Schienenverkehr mit elektrischen Lokomotiven stieß aber durch die unterschiedlichen Oberleitungsspannungen in Frankreich und den Benelux-Staaten auf Hindernisse, so dass zeit- und arbeitsintensive Lokwechsel in den Grenzbahnhöfen erforderlich waren.
Nachdem sich die drei Versuchslokomotiven der Reihe E320 aus den Jahren 1959/60 nur eingeschränkt bewährten, vergab die Bundesbahn 1964 erneut einen Auftrag an AEG, BBC und Krupp mit dem Ziel eine Mehrsystemlok zu entwickeln.
Die vorgelegten Entwürfe führten zur Bestellung von fünf Viersystemmaschinen der Baureihe E 410 und vier Zweisystemlokomotiven der Baureihe E 310 (später: Baureihe 181).
Man entschied sich, als erstes eine Lokomotive für vier Systeme zu entwickeln. Sie sollte für das deutsche (15 kV 16,7 Hz) und das französische (25 kV 50 Hz) Wechselstromsystem sowie für den belgischen und niederländischen Gleichstrom (3 bzw. 1,5 kV) geeignet sein.
Am 25. Oktober 1966 wurde, nach umfangreichen Versuchsfahrten, E410 001 von den Vertretern der Herstellerfirmen Krupp und AEG feierlich der Deutschen Bundesbahn übergeben.
Die anderen Maschinen wurden dann bis März 1967 im Testbetrieb erprobt und erhielten ihre Zulassungen für die Streckennetze.
Aufbau der Lokomotive Bearbeiten
Die knapp 17 Meter langen, 84 Tonnen schweren Lokomotiven erreichen bei Dauerleistungen von 3000 Kilowatt Geschwindigkeiten von bis zu 150 km/h.
Mechanischer Teil Bearbeiten
Die gesamte mechanische Konstruktion zielte damals auf die Senkung der Betriebskosten ab, im Gegensatz zu den bisherigen Serienloks. So wurde die Maschine möglichst wartungsfrei und verschleißarm geplant.
Ausgerüstet waren die Lokomotiven mit vier neuentwickelten Einholm-Stromabnehmern SBS 66 mit Dreipunktbefestigung, die mit vier unterschiedlichen Wippen ausgerüstet waren.
Lokkasten Bearbeiten
Da in der Lok bei gleicher Leistungsfähigkeit, sowie innerhalb der gültigen Raum- und Gewichtsgrenzen vier verschiedene Bahnstromsystem untergebracht werden mussten, wurde von Anfang an auf Leichtbau gesetzt. Auch musste, um einen Betrieb mit der geringeren Fahrdrahthöhe in Frankreich zu ermöglichen, die Bauhöhe des Lokkastens dem französischen Umgrenzungsprofil angepasst werden.
Auf dem in Pufferebene geraden, gestreckten Brückenträger sind die gummigefassten Aluminium-Hauben mit gesickten Wänden vor elastischen Verformungen des Trägers geschützt. Durch diese Art der Konstruktion sind die Hauben nur mit wenigen Schrauben befestigt und somit zur Unterhaltung der vielen Ausrüstung einfach abzunehmen. Die beiden Führerstandsaufbauten sind im Gegensatz zu den dreiteiligen Hauben fest mit dem Brückenrahmen verbunden.
Der Brückenrahmen stützt sich ohne Gleitflächen mit vier Flexicoil-Schraubenfedern auf den Längsträger des Drehgestells ab. Gedämpft werden die Bewegungen jeweils an jeder Abstützung durch parallel zu den Federn verlaufende hydraulische Dämpfer.
Drehgestell Bearbeiten
Der für diese Zeit kleine Achsstand von 3,1 Meter wurde durch die kleineren Mischstrommaschinen ermöglicht. Um das Gewicht der Lok weiter zu mindern wurde der Drehgestellrahmen verkürzt und die einzelnen Komponenten genau bemessen. Erstmals wurden Drehgestelle mit Lemniskatenanlenkung für besseren Kurvenlauf angewendet.
Zugkraftübertragung Bearbeiten
Die Kraftübertragung der in beiden Drehgestellen sitzenden 4 Fahrmotoren erfolgt mittels Gummiring-Kardanantrieb. Als Achsfedern, dienen an beiden Seiten der Achslager Gummirollfedern („Clouth“-Federn), diese stellen eine elastische Bewegung der Radsätze im Drehgestellrahmen sicher.
Über einen tiefangelenkten Mitnehmerzapfen erfolgt die Übertragung der Zugkräfte vom Drehgestell zum Rahmen der Lok.
Elektrischer Teil Bearbeiten
Da die Baureihe 184 sowohl mit Wechsel- als auch mit Gleichstrom betrieben werden sollte, wurden Mischstrommotoren benötigt. Die Lösung fand man in fremdbelüfteten sechspoligen Motoren für Spannungen bis 1500 V.
Nicht nur hier wurde damals hochmoderne Technik verwendet, aus den Mischstrommotoren ergaben sich auch besondere Anforderungen an die Steuer- und Stromrichterelektronik: so mussten Thyristoren eingebaut werden, die eine stufenlose Phasenanschnittsteuerung ermöglichten. Mechanische Schaltwerke entfielen somit und zusammen mit dem guten Kraftschluss zwischen Schiene und Rad wurde eine ebenso gute Regelbarkeit von Geschwindigkeit und Zugkraft erreicht.
Die Lokomotiven wiesen hierbei unterschiedliche Konstruktionsmerkmale auf. Während BBC Hochspannungs-Kommutatormotoren verwendete, die im Gleichstrombetrieb mit herkömmlichen elektropneumatischen Schützen gesteuert wurden, verwendete AEG direkt an der Oberleitungs-Gleichspannung anliegende Hochspannungs-Thyristor-Wechselrichter. Der so zerhackte Gleichstrom gelangte über den Transformator an die Fahrmotoren. Diese noch unerprobte Technik führte im Betrieb zum Ausfall überbeanspruchter Halbleiterbauteile.
Zugsicherung Bearbeiten
Auch mussten die Anforderungen an die Zugsicherung der verschiedenen Länder erfüllt werden. So wurden die Loks neben der in Deutschland üblichen Indusi I 60/ I 60R (184 003 später PZB 90) auch mit der in den anderen üblichen Anlagen ausgestattet. Für die Netze der SNCF/CFL/SNCB wurde das System KVB und BRS („crocodile“) verbaut, die dafür nötige Kontaktbürste für dieses System wurde im Drehgestell 1 untergebracht.
Einsatz Bearbeiten
Die vier möglichen Betriebsspannungen brachten dieser Baureihe schnell den Beinamen „Europa-Lok“ ein. Die ersten fahrplanmäßigen Einsätze erfolgten vor Schnellzügen zwischen Köln und dem belgischen Lüttich ab Sommer 1969. Die Weiterfahrt nach Brüssel–Oostende kam wegen befürchteter Auswirkungen auf das Signalsystem nicht zustande. Beheimatet waren die 184 im Bw Köln-Deutzerfeld.
Die Thyristor-Stromrichter, mit denen die Phasenanschnittsteuerung realisiert wurde, bereitete im Netz der belgischen Staatseisenbahnen trotzdem Probleme. Diese Stromrichtertechnik belastet nämlich das speisende Netz mit sogenannten „Oberwellen“ und einer hohen Blindleistung, wodurch es zu erheblichen Störungen in den belgischen Sicherungsanlagen (Gleisbesetztmelder) kam. Besonders die BBC-Loks mit ihrer moderneren Ausrüstung waren davon betroffen. Außerdem kam es zu häufigen Lokausfällen aufgrund plötzlich auftretender starker Spannungsschwankungen im belgischen Gleichstromnetz. Der Einsatz im belgischen Netz wurde daher zum 26. September 1971 beendet. Im Folgenden kamen die Loks im Nahverkehr rund um Köln zum Einsatz, teilweise kamen sie mit D-Zügen sogar bis nach Rheine. Weil die Lokomotiven so aber nicht wirtschaftlich eingesetzt waren, zog die Bundesbahn 1979 die Maschinen nach Saarbrücken ab und legte die Systeme für Gleichstrombetrieb einschließlich der betreffenden Stromabnehmer still.
Ausmusterung / Verbleib Bearbeiten
Nach der Überstellung nach Saarbrücken wurden die Lokomotiven bis zur Ausmusterung überwiegend im grenzüberschreitenden Verkehr von Trier nach Luxemburg und Frankreich sowie Eilzugdienst im gesamten Saarland und der Pfalz eingesetzt. 2002 endeten diese Einsätze wegen Fristablauf.
Von den ursprünglich fünf Exemplaren sind noch zwei erhalten:
- Die 184 003 ist im DB Museum, Außenstelle des Verkehrsmuseums Nürnberg in Koblenz-Lützel zu besichtigen.
- Die 184 112 ist heute ein Exponat des Deutschen Technikmuseum in Berlin. Seit Februar 2019 befindet sich die Lok als Dauerleihgabe im Rundhaus Europa des Bahnpark Augsburg und kann dort an Öffnungstagen von innen und außen besichtigt werden.
Literatur Bearbeiten
- Die deutschen Mehrsystem-Lokomotiven. Eisenbahnkurier Special 77, EK-Verlag, Freiburg 2005, ISSN 0170-5288