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Mit dem Ausdruck Bildungsparadox on oder Qualifizierungsparadox on wird die Erscheinung bezeichnet dass durch eine Erhohung des Bildungsniveaus einer Gesellschaft eine damit unter anderem angestrebte Erhohung der Berufschancen nicht erreicht wird sondern traditionell vorhandene Privilegien bessergestellter Kreise erhalten bleiben und sogar verstarkt werden Inhaltsverzeichnis 1 Bildungsexpansion 2 Landervergleiche 2 1 Deutschland 2 2 Frankreich 3 Erklarende Thesen 4 Bildung und Bildungsabschlusse als notwendige Bedingungen 5 Bildungsparadox und Chancengleichheit 6 Siehe auch 7 Literatur 8 EinzelnachweiseBildungsexpansion BearbeitenDer Begriff der Bildungsexpansion bezeichnet in diesem Zusammenhang das Phanomen dass mehr Kinder eine langere Ausbildung geniessen und hohere Bildungsabschlusse erzielen konnen als es ihren Eltern moglich war Diese so genannte Bildungsexpansion wird in vielen Landern beobachtet Umstritten ist dabei welche Ursachen und Folgen sie hat 1 Dabei geht es unter anderem um die Frage wie sie mit einem anderen Effekt namlich einer zunehmenden Ungleichverteilung von Berufschancen zusammenhangt Lothar Bohnisch bestimmte 1994 das Bildungsparadox wie folgt In den Sozialwissenschaften ist aber seit Jahren jener als Bildungsparadoxon betitelte Umstand bekannt dass in der Krise der Arbeitsgesellschaft schulische Bildungsabschlusse langst nicht mehr entsprechende berufliche Chancen garantieren dass aber andererseits wiederum diejenigen eher mit Arbeitslosigkeit beruflicher Dequalifizierung und sozialem Abstieg zu rechnen haben die nur niedrige Bildungsabschlusse vorzuweisen haben 2 Dies gilt analog auch fur bestimmte Hochschulabschlusse siehe Uberakademisierung Landervergleiche BearbeitenDeutschland Bearbeiten Ulrich Beck hat 1986 in seinem Buch Risikogesellschaft darauf hingewiesen dass der Trend zu hoheren Bildungsabschlussen im Nachkriegsdeutschland nicht zu einer Erhohung der Berufschancen fur alle Gesellschaftsgruppen gefuhrt hat sondern dass sich die Wahrscheinlichkeit des Zugangs zu statushoheren Positionen erheblich verschlechtert hat 3 Frankreich Bearbeiten Hier wurde beobachtet dass die Bildungsreform in Frankreich zwar die Zugange benachteiligter Bevolkerungsgruppen zu hoheren Bildungsabschlussen verbessert hatte und mehr Personen dieser Bevolkerungsgruppen hohere Abschlusse erlangten dass sich aber deren berufliche Chancen nicht verbesserten 4 Erklarende Thesen BearbeitenDer Soziologe Pierre Bourdieu erklart den Effekt damit dass die okonomisch und kulturell herrschenden Klassen ein Interesse daran haben den Zugang zum Erfolg zu erschweren Fur ihn sind Bestandteile eines so genannten vererbten kulturellen Kapitals wie Geschmacksauspragung Habitus Stil usw wichtiger 4 Der Soziologe Ulrich Beck begrundet das Auftreten eines Bildungsparadoxon damit dass aufgrund der Bildungsexpansion das Bildungssystem seine statusverteilende Funktion verliert 3 Nach Beck ubernehmen andere Kriterien die statusverteilende Funktion beispielhaft werden personliches Auftreten Beziehungen und Netzwerke Eloquenz und Loyalitat genannt Diese Kriterien sind ebenfalls nicht gleichmassig verteilt und fuhren so zu dem Effekt des Bildungsparadoxons 5 Der Erziehungswissenschaftler Rudolf Tippelt weist darauf hin dass die kulturelle Herkunft die Grosse des elterlichen Haushalts die soziookonomischen Verhaltnisse das soziale Geflecht im Familien und Bekanntenkreis und die Nachbarschaft das Wohnumfeld sowie geschlechtsspezifische Faktoren die Bildungsmotivation und die Bildungsvoraussetzungen beeinflussen 6 Insbesondere auf die informelle Bildung ausserhalb der Schulinstitution hatten soziale und familiare Bedingungen einen grossen Einfluss 7 Daruber hinaus ist vermutet worden dass das Bildungsparadoxon nur auftritt wenn geburtenstarke Jahrgange betrachtet werden 8 Bildung und Bildungsabschlusse als notwendige Bedingungen BearbeitenIn der Diskussion ist wiederholt darauf hingewiesen worden dass das Bildungsparadox Bildungsabschlusse nicht uberflussig macht Ihre Erlangung reicht nicht mehr dazu aus bestimmte Positionen zu erreichen ihr Besitz wird aber fur das Innehaben der jeweiligen Position selbst notwendig 9 10 Bildungsparadox und Chancengleichheit BearbeitenAls Konsequenz des Bildungsparadoxes ist darauf hingewiesen worden dass Chancengleichheit im Sinne gleich verteilter Chancen zu einem bestimmten Bildungsabschluss zu kommen nicht automatisch zu Gleichheit im Sinne von gleichem beruflichem Erfolg fuhrt 11 Helmut Heid zieht aus seinen diesbezuglichen Analysen den Schluss dass die Chancengleichheit eine Voraussetzung fur Herstellung von Ungleichheit und deren Legitimation darstellt Die idealistische Forderung nach Chancengleichheit im Zusammenhang mit mehr hoheren Bildungsabschlussen beruht auf einem Ideal von Gleichheit das die Notwendigkeit der Ungleichheit als vorausgesetztes Ergebnis ebendieser Konkurrenz assimiliert und ignoriert Er argumentiert solange es nicht mehr Arbeitsstellen gebe sanken mit einem Anstieg des Bildungsniveaus die Chancen eine dem Bildungsniveau entsprechende Stelle zu bekommen 12 Siehe auch BearbeitenBegabtenforderung Bildungsbenachteiligung Inklusive PadagogikLiteratur BearbeitenPierre Bourdieu Die verborgenen Mechanismen der Macht VSA Hamburg 1997 ISBN 3 87975 605 8 Pierre Bourdieu Jean Claude Passeron Die Illusion der Chancengleichheit Klett Cotta Stuttgart 1971 Pierre Bourdieu Homo academicus Suhrkamp Frankfurt 1992 ISBN 3 518 28602 1 Ulrich Beck Risikogesellschaft Auf dem Weg in eine andere Moderne Suhrkamp Frankfurt a M 1986 Mechtild Gomolla Frank Olaf Radtke Institutionelle Diskriminierung Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule Leske Budrich Opladen 2002 ISBN 3 8100 1987 9 Andreas Hadjar Rolf Becker Hrsg Die Bildungsexpansion Erwartete und unerwartete Folgen Verlag fur Sozialwissenschaften Wiesbaden 2006 Helmut Heid Zur Paradoxie der bildungspolitischen Forderung nach Chancengleichheit In Zeitschrift fur Padagogik 1988 S 1 17 Einzelnachweise Bearbeiten eine Ubersicht uber die Diskussion liefert z B Andreas Hadjar Rolf Becker Hrsg Die Bildungsexpansion Erwartete und unerwartete Folgen Verlag fur Sozialwissenschaften Wiesbaden 2006 Lothar Bohnisch Gespaltene Normalitat Lebensbewaltigung und Sozialpadagogik an den Grenzen der Wohlfahrtsgesellschaft Weinheim Munchen Juventa 1994 S 79 a b Ulrich Beck Risikogesellschaft Auf dem Weg in eine andere Moderne Frankfurt a M Suhrkamp 1986 S 243 a b Serhat Karakayali Paranoic Integrationism In Sabine Hess Jana Binder Johannes Moser No integration kulturwissenschaftliche Beitrage zur Integrationsdebatte in Europa Bielefeld transcript Verlag 2009 S 98 Ulrich Beck Risikogesellschaft Auf dem Weg in eine andere Moderne Frankfurt a M Suhrkamp 1986 139 Rudolf Tippelt Bildung als soziales Anliegen In Werner Lindner Werner Thole Jochen Weber Hrsg Kinder und Jugendarbeit als Bildungsprojekt Opladen Leske amp Budrich 2003 39 Rudolf Tippelt Bildung als soziales Anliegen In Werner Lindner Werner Thole Jochen Weber Hrsg Kinder und Jugendarbeit als Bildungsprojekt Opladen Leske amp Budrich 2003 40 Frank Benseler Wilhelm Heitmeyer Dietrich Hoffmann Hrsg Risiko Jugend Leben Arbeit und politische Kultur Votum 1988 109 Ulrich Beck Risikogesellschaft Auf dem Weg in eine andere Moderne Frankfurt a M Suhrkamp 1986 S 244 f Rudolf Tippelt Bildung als soziales Anliegen In Werner Lindner Werner Thole Jochen Weber Hrsg Kinder und Jugendarbeit als Bildungsprojekt Opladen Leske amp Budrich 2003 S 39 Serhat Karakayali Paranoic Integrationism In Sabine Hess Jana Binder Johannes Moser No integration kulturwissenschaftliche Beitrage zur Integrationsdebatte in Europa Bielefeld transcript Verlag 2009 99 Martin Greive PISA oder wo die Chancengleichheit zuhause ist Norderstedt Grin 2008 7 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Bildungsparadox amp oldid 216158269