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Die Automatisierte Schmerzerkennung AS ist eine Methode zur objektiven Messung von Schmerz und stellt zugleich ein interdisziplinares Forschungsfeld dar das Teile der Medizin Psychologie Psychobiologie und Informatik umfasst Der Fokus liegt in der computergestutzten objektiven Erkennung von Schmerzen welche auf der Basis maschinellen Lernens realisiert wird Die automatisierte Schmerzerkennung ermoglicht eine valide und reliable Detektion bzw Monitoring des Schmerzes bei Menschen ohne verbale Kommunikationsmoglichkeiten Die dabei zugrunde liegenden maschinellen Lernverfahren werden im Vorfeld anhand menschlicher uni oder multimodaler Korpersignale trainiert und validiert 1 Signale zur Detektion des Schmerzes konnen mimischen gestischen psycho physiologischen und paralinguistischen Charakter haben Bisher steht die Erkennung der Schmerzintensitat im Vordergrund visionar wird aber auch die Erkennung der Qualitat der Lokalisation und des zeitlichen Verlaufs des Schmerzes angestrebt Die klinische Implementierung wird im Bereich der Schmerzforschung jedoch kontrovers diskutiert Kritiker der automatisierten Schmerzerkennung vertreten den Standpunkt dass eine Schmerzdiagnostik nur subjektiv durch den Menschen erfolgen kann Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrunde 2 Vorgehen 3 Parameter 3 1 Physiologische Reaktionen 3 1 1 Physiologische Signale 3 2 Verhaltensreaktionen 3 2 1 Mimik 3 2 2 Gestik 3 2 3 Paralinguistik 4 Algorithmen 5 Datenbanken 6 Potentielle Anwendungen 7 Einzelnachweise 8 WeblinksHintergrunde BearbeitenDie Schmerzdiagnostik unter den speziellen Bedingungen des eingeschrankten verbalen Reports wie z B bei verbal und oder kognitiv beeintrachtigten Menschen oder bei Patienten die sediert sind oder maschinell beatmet werden macht sich die Verhaltensbeobachtung durch ausgebildetes Personal zunutze 2 Alle bekannten Fremdbeobachtungsverfahren z B Zurich Observation Pain Assessment ZOPA 2 Beurteilung von Schmerzen bei Demenz BESD 3 verlangen jedoch grosse fachliche Expertise Erschwerend konnen bei diesen Verfahren wahrnehmungs und interpretationsbedingte Fehleinschatzungen durch den Beobachter hinzukommen Hinsichtlich der Unterschiede in Gestaltung Methodik Stichprobe der Evaluation und Konzeptualisierung des Schmerzphanomens ist der Vergleich der Gutekriterien der Instrumente als schwierig zu bewerten Auch wenn geschultes medizinisches Personal prinzipiell mehrfach am Tage die Schmerzintensitat mit Beobachtungsinstrumenten erfassen konnte ware eine Messung im Minuten oder Sekundentakt nicht moglich Insofern verfolgt die automatisierte Schmerzerkennung das Ziel multimodal erfassbare valide und robuste Muster von Schmerzreaktionen fur ein zeitlich dynamisches hochaufgelostes automatisiertes Erkennungssystem der Schmerzintensitat zu nutzen Vorgehen BearbeitenDas Erfassen von schmerzrelevanten Parametern erfolgt bei der automatisierten Schmerzerkennung in der Regel uber nicht invasive Sensortechnik die Daten uber die physische Reaktionen der schmerzhabenden Person aufzeichnet Dies kann durch Kameratechnologie realisiert werden welche die Mimik Gestik oder Korperhaltung erfasst wahrenddessen Audiosensoren die Paralinguistik aufnehmen Psycho physiologische Informationen wie z B Muskeltonus oder Herzschlagfrequenz konnen uber Biopotentialsensoren Elektroden abgeleitet werden Das Erkennen von Schmerzen erfordert die Extraktion bedeutsamer Merkmale bzw Muster aus den gesammelten Daten Dies wird durch den Einsatz von maschinellen Lernverfahren bewerkstelligt die in der Lage sind nach erfolgtem Training Lernen eine Einschatzung der Schmerzen zu liefern z B kein Schmerz leichter Schmerz oder starker Schmerz Parameter BearbeitenObwohl das Phanomen Schmerz sich aus unterschiedlichen Komponenten zusammensetzt sensorisch diskriminativ affektiv emotional kognitiv vegetativ und psycho motorisch 4 stutzt man sich in der automatisierte Schmerzerkennung momentan auf die messbaren Parameter der Schmerzreaktionen Diese lassen sich grob in die 2 Hauptkategorien Physiologische Reaktionen und Verhaltensreaktionen unterteilen Physiologische Reaktionen Bearbeiten Schmerz leitet in einem Menschen fast immer autonom nervose Prozesse ein die sich messbar in verschiedenen physiologischen Signalen widerspiegeln Physiologische Signale Bearbeiten Ublicherweise werden die elektrodermale Aktivitat EDA auch Hautleitwert Elektromyografie EMG Elektrokardiogramm EKG Blutvolumenpuls BVP Elektroenzephalogramm EEG Respiration und Korpertemperatur 5 6 7 abgeleitet welche Regulationsmechanismen des Sympathikus und Parasympathikus darstellen Die Aufzeichnung der physiologischen Signale erfolgt hauptsachlich uber spezielle nicht invasive Oberflachenelektroden fur EDA EMG EKG und EEG einen photoplethysmographischen Sensor BVP einen Atemgurt Respiration und einen Thermalsensor Korpertemperatur Weiterfuhrend konnen auch endokrinologische und immunologische Parameter erfasst werden was jedoch teilweise invasive Massnahmen z B Blutabnahme erfordert Verhaltensreaktionen Bearbeiten Verhaltensreaktionen auf Schmerzen erfullen zwei Funktionen Schutz des eigenen Korpers z B durch Schutzreflexe und Kommunikation des Schmerzes nach aussen z B als Aufforderung zur Hilfe Die Reaktionen zeigen sich insbesondere in Mimik Gestik und Paralinguistik Mimik Bearbeiten Als Verhaltenssignale werden Muster mimischer Aktivitat expressives Ausdrucksverhalten erfasst die technisch mithilfe von Videosignalen gemessen werden Die Mimikerkennung basiert auf der klinischen Alltagsbeobachtung dass Schmerz sich oft in der Mimik des Patienten zeigt 8 aber nicht zwangslaufig zeigen muss da die mimische Expressivitat durch Selbstkontrolle gehemmt werden kann Trotz der Moglichkeit der Mimikbeeinflussung stellt das expressive mimische Verhalten eine wesentliche Quelle der Schmerzdiagnostik dar und ist damit auch eine Informationsquelle fur einen automatisierten Erkenner 9 10 Ein Vorteil der videobasierten Mimikerkennung ist die kontaktfreie Messung des Gesichts sofern dieses videoerfasst werden kann was nicht in jeder Korperhaltung moglich ist beispielsweise Bauchlage bzw z B durch Bandagen im Gesicht beschrankt sein kann Fur die Mimikanalyse sind schnelle spontane und temporare Anderungen in der neuromuskularen Aktivitat relevant die zu visuell detektierbaren Veranderungen im Gesicht fuhren Gestik Bearbeiten Auch hier erfolgt die Erfassung meist durch kontaktfreie Kameratechnologie Motorische Schmerzreaktionen sind vielfaltig und stark abhangig von der Art und Ursache des Schmerzes Sie reichen von abrupten Schutzreflexen z B spontanes Ruckziehen von Extremitaten oder Zusammenkrummen uber Agitation krankhafte Unruhe bis hin zu Schonverhalten zogerliche vorsichtige Bewegungen Tendenziell erfolgt eine Kopfbewegung in Richtung der Schmerzlokalisation 11 bzw es erfolgt eine Beruhrung des schmerzenden Korperteiles Paralinguistik Bearbeiten Schmerz fuhrt u a zu einem nonverbalen Sprachverhalten dass sich in Laute wie Seufzen Keuchen Stohnen Jammern etc aussert 12 Die Aufzeichnung der Paralinguistik geschieht meist uber hochsensible Mikrofone Algorithmen BearbeitenNach Aufnahme Vorverarbeitung z B Filterung und Extrahieren relevanter Merkmale kann optional eine Informationsfusion durchgefuhrt werden Hierbei werden Modalitaten aus unterschiedlichen Signalquellen miteinander verschmolzen um neues oder praziseres Wissen zu generieren 13 Die Klassifizierung des Schmerzes erfolgt anhand maschineller Lernverfahren Die Wahl des Verfahrens hat dabei signifikanten Einfluss auf die Erkennungsrate und hangt stark von der Qualitat und Granularitat der zugrunde liegenden Daten ab Ahnlich wie im Bereich des Affective Computing kommen momentan vorwiegend nachfolgend genannte maschinelle Lerner zum Einsatz Support Vector Machine SVM Das Ziel einer SVM liegt im Auffinden einer eindeutig bestimmten optimalen Hyperebene die zu zwei oder mehr zu trennenden Klassen einen moglichst grossen minimalen Abstand aufweist Die Hyperebene fungiert als Entscheidungsfunktion zur Klassifizierung eines unbekannten Musters Random Forest RF RF basiert auf der Zusammensetzung von zufalligen unkorrelierten Entscheidungsbaumen Ein unbekanntes Muster wird von jedem Baum fur sich beurteilt und einer Klasse zugeordnet Eine endgultige Klassifizierung des Musters wird vom RF anschliessend durch eine Mehrheitsentscheidung getroffen k Nearest Neighbors k NN Der k NN Algorithmus klassifiziert ein unbekanntes Objekt anhand einer Mehrheit der Klassenlabels der zu ihm nachstliegenden k Nachbarobjekte klassifiziert Seine Nachbarn werden dabei mithilfe eines gewahlten Ahnlichkeitsmasses z B Euklidischer Abstand Jaccard Koeffizient etc ermittelt Kunstliche Neuronale Netze KNN KNN sind inspiriert durch biologische neuronale Netze und modellieren deren Organisationsprinzipien und Vorgange in stark vereinfachter Weise nach Durch Anpassung der Gewichte der einzelnen Neuronenverbindungen werden Muster fur Klassen gelernt nbsp Vereinfachter Prozess der Automatisierten SchmerzerkennungDatenbanken BearbeitenUm Schmerz valide klassifizieren zu konnen bedarf es der Erstellung von reprasentativen reliablen und validen Schmerz Datenbanken die dem maschinellen Lerner als Trainingsbasis zur Verfugung stehen Eine ideale Datenbank ware ausreichend gross und aus naturlichen nicht experimentell entstandenen Schmerzreaktionen in hochwertiger Qualitat aufgebaut Naturliche Reaktionen sind jedoch schwer und nur in einem begrenzten Umfang zu sammeln meist zeichnen sie sich auch durch suboptimale Wertigkeit aus Die momentan verfugbaren Datenbanken enthalten daher experimentell bzw quasi experimentell erzeugte Schmerzreaktionen wobei je nach Datenbank unterschiedliche Schmerzmodelle zugrunde liegen Nachfolgende Liste zeigt eine Auswahl der relevantesten Schmerz Datenbanken Stand April 2020 14 UNBC McMaster Shoulder Pain 15 BioVid Heat Pain 16 EmoPain 17 SenseEmotion 12 X ITE Pain 1 Potentielle Anwendungen BearbeitenPrinzipiell kann die Automatisierte Schmerzerkennung in vielfaltigen klinischen Kontexten eingesetzt werden z B in der Intensivstation Aufwachraum Entscheidender Fokus ist jedoch jenes Verfahren im Bereich der eingeschrankten Schmerzkommunikation einzusetzen Eine weitere Moglichkeit konnte die Schmerzerkennung in einer nachtlichen Umgebung sein bei welcher die Kliniken unterbesetzt sind Entscheidend ist letztendlich jedoch eine Unter und Uberversorgung mit Analgetika zu vermeiden Chronifizierung von Schmerzzustanden und kardiovaskularen Belastungen von Risikopatienten werden tendenziell durch eine Unterversorgung verursacht wahrend eine Uberversorgung Ubelkeit Obstipation Ulzerationen und gastrointestinale Blutungen hervorrufen konnen 3 Visionar betrachtet wenn weitere Aspekte des Schmerzes erfasst werden konnen Lokalisation Qualitat Dauer kann eine automatisierte Schmerzerkennung bei der klinischen Diagnose und Therapieplanung effektiv eingesetzt werden Ein mogliches Schmerzmonitoring System konnte dabei zeitlich hochaufgelost Informationen in Echtzeit uber den Schmerzzustand eines Patienten liefern z B auf einem PC Bildschirm Tablet Handy etc siehe Abbildung unten nbsp Exemplarische Vision eines Schmerzmonitoring Screens Visionar sollte ein Schmerzmonitoringsystem in der Lage sein dem Kliniker alle relevanten Informationen Lokalisation Qualitat Intensitat Verlauf uber den aktuellen Schmerz des Patienten in effektiver Darstellung zu liefern Einzelnachweise Bearbeiten a b S Gruss et al Pain Intensity Recognition Rates via Biopotential Feature Patterns with Support Vector Machines In PLoS One Vol 10 No 10 2015 S 1 14 doi 10 1371 journal pone 0140330 a b Elisabeth Handel Praxishandbuch ZOPA Schmerzeinschatzung bei Patienten mit kognitiven und oder Bewusstseinsbeeintrachtigungen Huber Bern 2010 ISBN 978 3 456 84785 6 a b besd videos Abgerufen am 28 Januar 2019 Henrik Kessler Kurzlehrbuch Medizinische Psychologie und Soziologie 3 Auflage Thieme Stuttgart New York 2015 ISBN 978 3 13 136423 4 S 34 S 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