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Der Tugendpfeil war eine speziell geformte Haarnadel fur eine Haartracht die oft mit dem sogenannten Ohreisenmutzchen bis Ende des 19 Jahrhunderts in der weiteren linksrheinischen Umgebung von Koblenz getragen wurde Tragerinnen waren katholische Madchen von der Pubertat bis zu ihrer Hochzeit Inhaltsverzeichnis 1 Beschreibung 2 Verbreitungsgebiet 3 Geschichte 4 Literatur und Bildquellen 5 EinzelnachweiseBeschreibung Bearbeiten nbsp Haarnadel genannt Tugendpfeil aus der Umgebung von Kaisersesch Moseleifel zweite Halfte des 19 Jahrhunderts nbsp Eine Weinlese im Stil der Rheinromantik gemalt von Adolph Richter 1842 Das Madchen in der Bildmitte tragt die Haartracht mit silbernem Tugendpfeil und bestickter Ohreisenmutze Eine breite silbern oder goldfarbene Haarnadel war der auffalligste Schmuck einer weiblichen Haartracht mit der geflochtene zu einem Nackenknoten gewundene Zopfe zusammen gesteckt wurden Noch erhaltene Exemplare zeigen die Haarnadel als versilbertes oder vergoldetes Messingblatt mit daran angelotetem gegossenem Griffstuck Beides ist haufig mit eingravierten floralen Motiven verziert Die Haarnadeln sind zwischen 18 und 22 cm lang an der Lotstelle zum Griff knapp 3 cm breit Das Blatt rundet sich zu einer stumpfen Spitze Bei dieser Haartracht bedeckte eine kleine eng anliegende bestickte Kappe oder ein breites Band aus Samt oder Seide den Hinterkopf gehalten von einem U formig gebogenen schmalen Messingbugel der in den Saum des Kappchens eingenaht war Diese Art der Befestigung befand sich erkennbar in Gemalden alter Meister des 16 und 17 Jahrhunderts schon an Hauben niederlandischer und flamischer Frauen 1 Im rhein und moselfrankischen Dialekt des hier beschriebenen Verbreitungsgebietes wurde beides Hoarnohl Haarnadel und Ooreisemotsch Ohreisenmutze genannt Darstellungen dieser Haartracht mit dem Tugendpfeil finden sich ab dem fruhen 19 Jahrhundert in vielen Bildern der Rheinromantik und in der Genremalerei mit religiosen Motiven Seit den 1860er Jahren ist sie auch in Familien und Portratfotos zu sehen 2 Eine verwandte Haartracht wurde wohl auch in Mittelitalien getragen Christian Mehlis verglich in seinen 1880 in Leipzig herausgegebenen Bilder aus den Landschaften des Mittelrheins die Haartracht der jungen Madchen mit an romische Muster erinnernden Haarpfeilen Gestutzt wird dieser Vergleich und einer moglichen Ursprungserklarung von einer klassizistischen Marmorbuste eines Bauernmadchens aus Frascati die von Jean Antoine Houdon nach einem vor 1768 angefertigtem Gipsmodell 1774 modelliert wurde Sie zeigt eine Frisur bei der die langen Haarflechten am Hinterkopf mit einer grossen Nadel vermutlich an den Enden abgebrochen schmuckvoll zusammengesteckt sind Im Unterschied zur rheinischen Frisur flochten die Italienerinnen vermutlich keine Zopfe sondern umwickelten zwei dicke Haarstrahnen mit Stoff Auch ein Portrat von zwei Italienerinnen in Landestracht um 1830 zeigt eine Frisur mit einer am verzierten Haarnadel zum Halt des geflochtenen Nackenknotens 3 Eine ahnliche Zopfknoten Haarnadel Version wie Zeichnung Hurter 1902 zeigte bereits der spatromantische Maler August Lucas 1803 1863 in mehreren Zeichnungen italienischer junger Frauen aus seinem mehrjahrigen Italienaufenthalt 4 Im Volksmund kam im Rheinland gegen Ende des 19 Jahrhunderts der Begriff Tugendpfeil oder auch Unschuldsnadel fur diese Art Haarnadel auf Vielleicht beeinflusst vom vorausgegangenen Kulturkampf oder auch Genrebildern mit religioser Thematik und dem Tugendpfeil als unubersehbarem Bildelement sahen manche darin nicht nur den Haarschmuck sondern ein Zeichen von Sitte und Moral nbsp Kurtrierische Tracht in einer Sammlung deutscher Trachtenabbildungen des 19 Jahrhunderts Albert Kretschmer 1892 nbsp Zeichnung einer Haartracht mit Tugendpfeil und besticktem Band statt Mutzchen Zeichnung von Anton Hurter 1902 nbsp Wallfahrer aus dem Maifeld vor Trier 1844 In der Gruppe vier Tugendpfeiltragerinnen Gemalt von August Gustav Lasinsky 1847 nbsp Tugendpfeiltragerin in einer Ausschnittvergrosserung des nebenstehenden Wallfahrtbildes nbsp Haartracht eines Madchens aus Frascati Marmorbuste von Jean Antoine Houdon 1774 nbsp Portrat einer Italienerin 1843 J A N Settegast Stadtmuseum Simeonstift TrierVerbreitungsgebiet BearbeitenVermutlich die alteste Erwahnungen dieser Haartracht finden sich in einer franzosischen Beschreibung der Bevolkerung des Departement de Rhin et Moselle des Prafekten Boucqueau von 1803 04 La coiffure nationale des filles des bords du Rhin est un fort petit bonnet de soie les cheveux tournees autour d une large aiguille d argent 5 Etwas fruher beschreibt ein im Raum Aachen Julich Koln stationierter Sergeant Fricasse der franzosischen Revolutionsarmee die Tracht der Frauen dort Als Kopfbedeckung tragen sie kleine samtartige Hauben in verschiedenen Farben Ihre Haare flechten sie zu mehreren Zopfen die hinter der Haube wie eine Schnecke zusammengerollt und von einer grossen zwei Finger breiten Silbernadel gehalten werden 6 Mitte des 19 Jahrhunderts wurde nach einer Beschreibung des Historikers August von Cohausen im Jahrbuch der Freunde der Altertumsforschung des Rheinlandes 1852 der Tugendpfeil linksrheinisch sudlich der Ahrgegend rheinaufwarts bis jenseits Boppard und moselaufwarts bis in die Gegend von Cochem getragen Mit Fotografien beginnend in der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts ist diese Haartracht auch fur das Maifeld und den vorderen Hunsruck belegt Der Tugendpfeil wurde von den katholischen Madchen ab der Pubertat bis zur Hochzeit getragen Oft war er das Geschenk der Patin zur Firmung Vereinzelt trugen die Braute auch zur Trauung noch den Tugendpfeil Das hier zuletzt beschriebene uberlieferte Verbreitungsgebiet liegt weitgehend in den Grenzen des Unteren Erzstifts im Bistum Trier Die Charakterisierung katholische Tracht trifft durchaus zu denn sie wurde nicht in der evangelischen Enklave Winningen getragen Und die Grenzen des Verbreitungsgebietes waren offensichtlich rhein und moselaufwarts die Gebiete der reformierten fruheren Hinteren Grafschaft Sponheim Von jungen Frauen aus Koblenz wurde der Tugendpfeil vermutlich nicht getragen weder in alten Fotografien noch in Portrats katholischer Burgerstochter ist er dokumentiert In einer von Carl Jugel 1832 in Frankfurt am Main herausgegebenen Sammlung deutscher Trachten ist eine Tugendpfeiltragerin auf dem Blatt Coblentz abgebildet Moglicherweise bedeutet aber die Ortsangabe Koblenz nicht die Stadt sondern steht fur die Umgebung So sind in Landschafts und Stadtansichten beispielsweise von Johann Baptist Bachta Johannes Jakob Dietzler oder William Turner oft im Vordergrund Madchen mit dieser Haartracht als ein romantisierendes Klischee zu sehen Geschichte BearbeitenEs gilt als gesichert dass der Tugendpfeil in der linksrheinischen Region um Koblenz bereits im 18 Jahrhundert getragen wurde ob alltaglich oder nur zu besonderen Anlassen und kirchlichen Feiertagen ist nicht uberliefert Ab Mitte des 19 Jahrhunderts als die regionale Tracht immer seltener getragen wurde und sich auch die Madchen vom Lande zeitgemass modisch kleideten blieb der Tugendpfeil aber weiterhin in Gebrauch Das Kappchen manchmal auch Cochemer Mutzchen und Trierisches Halbmutzchen genannt scheint dagegen zunehmend weniger getragen worden zu sein An der Wende zum 20 Jahrhundert nimmt man Fotos dieser Zeit zum Hinweis trugen nur noch altere unverheiratete Frauen zu feiertaglichen Anlassen und zum Kirchgang einen Tugendpfeil Die beginnende Verstadterung des landlichen Raums aber auch die Mode seine Haare kurzer und unbezopft zu tragen machte diese Frisur bei jungen Madchen endgultig zu einer altmodischen Erscheinung Gleichzeitig fanden Tugendpfeile allerdings ihren Weg in volkskundliche Sammlungen und wurden gemeinsam mit den bereits weitgehend verschwundenen Trachten aufbewahrt und prasentiert Tugendpfeiltragerinnen von der Untermosel fotografiert um 1890 nbsp Anna Maria Brachtendorf aus Lof geb 1876 nbsp Maria Margaretha Goebel aus Lay geb um 1870 nbsp Elisabeth Matheis aus Lof geb 1877 nbsp Elise Schunk aus Niederfell geb 1872 unverheiratet nbsp Maria Anna Etzkorn aus Lof geb um 1860 unverheiratet Literatur und Bildquellen BearbeitenPhilippe Boucqueau Memoire statistique du Departement de Rhin et Moselle adresse au Ministre de l Interieur An XII Archives Nationales Paris 1 Jacques Fricasse Journal de marche du sergent Fricasse de la 127e demi brigade 1792 1802 Paris 1882 Albert Kretschmer Das grosse Buch der Volkstrachten Rheingauer Verlagsgesellschaft Eltville 1892 Seite 32 Neuauflage als Reprint Allpart Media Verlag Berlin 2010 ISBN 978 3 86214 009 1 dd Walter Kolzer Die Haartracht mit Tugendpfeil Heimatjahrbuch des Landkreises Mayen Koblenz Koblenz 1987 https www dilibri de rlb periodical pageview 1152618 Rainer Graafen Stadt und Land 2000 Jahre an Rhein und Mosel Waanders Verlag 2000 Heft 10 ISBN 90 400 1234 2 Seite 237 Walter Kolzer und Dieter Rogge Brauchtum Gestern und Heute Moselkiesel Band 2 Volkshochschule Kobern Gondorf 2000 ISBN 3 9806059 2 2 Seiten 241 252 Alois Doring Leben im Alltag 2000 Jahre an Rhein und Mosel Waanders Verlag 2000 Heft 17 ISBN 90 400 1241 5 Seiten 399 400 Fotoarchiv und Bildsammlungen des 19 Jahrhunderts im Mittelrhein Museum Koblenz Stadtmuseum Simeonstift Trier Trachtenabteilung im Eifelmuseum Mayen Landschaftsverband Rheinland Institut fur Landeskunde und Regionalgeschichte Bonn Einzelnachweise Bearbeiten Jan van Steen 1625 1679 Prinsjesdag David Teniers 1610 1690 Boerenkermis Anthonis Mor 1519 1578 Portrat der Anne Fermely alle Rijksmuseum Amsterdam Walter Kolzer Die Haartracht mit Tugendpfeil S 50 55 Cornelis Krusemann 1797 1837 Een van zin Rijksmuseum Amsterdam z B von 1836 Italienerinnen an einem Brunnen Sammlung J P Schneider Frankfurt am Main P Bouqueau Memoire statistique du departement de Rhin et Moselle S 83 J Fricasse Journal de Marche du Sergent Fricasse de la 127e Demi Brigade 1792 1802 Avec Les Uniformes Des Armees de Sambre Et Meuse Et Rhin En Moselle S 57 58 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Tugendpfeil amp oldid 234505592