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Tatfrage auch Tatsachen oder Sachfrage und Rechtsfrage bilden in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis ein Begriffspaar bei der Anwendung des Rechts auf einen bestimmten Lebenssachverhalt was in der Methodenlehre als juristischer Syllogismus bezeichnet wird Nur bei geklarter Tatfrage ist die Rechtsfrage zu beantworten Inhaltsverzeichnis 1 Bedeutung 2 Praktische Anwendung 3 Beispiel 4 Siehe auch 5 Literatur 6 EinzelnachweiseBedeutung BearbeitenDie Tatfrage fragt nach dem tatbestandlich relevanten Geschehensablauf der juristisch bewertet werden soll Der ihr zu Grunde liegende Sachverhalt wird insbesondere in der Straf und Verwaltungsgerichtsbarkeit von Amts wegen ermittelt Amtsermittlungsgrundsatz im Zivilprozess hingegen von den Parteien dargelegt Beibringungsgrundsatz Zu unterscheiden sind innere Tatsachen wie der Rechtsbindungswille oder der Vorsatz und aussere Tatsachen wie die bewegliche Sache ausserdem die empirische Wahrheit als unmittelbare Feststellung von Erfahrungswerten und die Indizien als bloss mittelbare Feststellungen die von einer empirischen Wahrheit auf eine andere schliessen lassen Praktische Anwendung BearbeitenTatfragen sind der Beweiserhebung zuganglich und grundsatzlich auch beweisbedurftig Das Prozessrecht kennt neben den allgemein oder zumindest gerichtsbekannten Tatsachen die gemass 291 ZPO ausnahmsweise keiner weiteren Beweiserhebung bedurfen als Beweismittel die Parteivernehmung Zeugenaussagen Sachverstandigengutachten Inaugenscheinnahme durch das Gericht sowie Urkunden Im Wege der Sachverhaltsermittlung werden die tatbestandserheblichen Fakten und Geschehensablaufe rekonstruiert und daraus fur den zu entscheidenden Einzelfall eine singulare Hypothese gebildet im Unterschied zu allgemeinen Hypothesen in den Naturwissenschaften 1 Beim Indizienbeweis wird eine Fallhypothese entworfen zu der sich die schon bekannten Tatsachen nach Erfahrungsgesetzen zusammenfassen lassen Wenn die unmittelbar tatbestandserhebliche Tatsache z B die vermutete Totungshandlung des mutmasslichen Taters als conditio sine qua non enthalten ist d h nicht hinweggedacht werden kann ohne dass der tatbestandliche Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele ist die fragliche Tatsache durch Indizien bewiesen 2 Die Beweiserhebung erfolgt in den Tatsacheninstanzen I Instanz und Berufung nicht hingegen in der Revision als sogenannte reine Rechtsinstanz die an die tatsachlichen Feststellungen der Tatsacheninstanzen gebunden ist Der erforderliche Gewissheitsgrad mit dem die fraglichen Tatsachen feststehen mussen variiert in den einzelnen Verfahren Nur im Zivilprozess gibt es zugestandene Tatsachen die keines weiteren Beweises bedurfen und als wahr unterstellt werden 138 ZPO 288 ZPO Der Glaubhaftmachung 294 ZPO d h der wohlbegrundeten Moglichkeit des Vorliegens bedurfen Tatsachen einerseits bei nur vorlaufigen Entscheidungen z B bei Erlass einer einstweiligen Anordnung die noch in einem Hauptsacheverfahren eingehend gepruft wird andererseits bei blossen Vorentscheidungen ohne unmittelbaren Rechtsnachteil z B bei der Entscheidung uber das Vorliegen der von einem Zeugen behaupteten Grunde fur sein Zeugnisverweigerungsrecht Im Ubrigen bedurfen tatsachliche Behauptungen des sog Vollbeweises d h sie mussen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wahr sein Eine letzte 100 ige Gewissheit gibt es freilich nicht Nach dem Grundsatz der freien Beweiswurdigung hat das Gericht gemass 286 ZPO unter Berucksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Uberzeugung zu entscheiden ob eine tatsachliche Behauptung fur wahr oder fur nicht wahr zu erachten sei In dem Urteil sind die Grunde anzugeben die fur die richterliche Uberzeugung leitend gewesen sind Uber das Ergebnis der Beweisaufnahme im Strafprozess entscheidet das Gericht gemass 261 StPO nach seiner freien aus dem Inbegriff der Verhandlung geschopften Uberzeugung Dabei tragt im Zivil und Verwaltungsprozess diejenige Partei die sich auf die Wahrheit bestimmter tatsachlicher Behauptungen beruft zugleich die Beweislast d h die Nichterweislichkeit geht zu ihren Lasten Im Strafprozess wirkt die Nichterweislichkeit belastender Tatsachen hingegen zugunsten des Angeklagten in dubio pro reo Die Rechtsfrage bewertet sodann den festgestellten Geschehensablauf und fragt normativ nach dessen Rechtsfolge Die Rechtsfrage wird beantwortet durch Anwendung des juristischen Syllogismus mittels Auslegung und Subsumtion Die gegebenenfalls ausgelegte Rechtsnorm bildet den Obersatz und der mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit feststehende Sachverhalt den zu subsumierenden Untersatz Als Schlusssatz Conclusio lasst sich sodann ableiten ob die gesuchte Rechtsfolge gilt oder nicht gilt Beispiel BearbeitenPerson A hat Person B getotet Die wertende Rechtsfrage lautet Ist Person A wegen Totschlags oder wegen Mordes zu bestrafen Der Obersatz gemass 211 StGB Mord lautet 1 Der Morder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft 2 Morder ist wer aus Mordlust zur Befriedigung des Geschlechtstriebs aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggrunden heimtuckisch oder grausam oder mit gemeingefahrlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermoglichen oder zu verdecken einen Menschen totet Um die Tatfrage beantworten zu konnen ist die Aufklarung des Sachverhaltes erforderlich namlich ob Person A die Person B ermordet hat Dazu musste das Handeln von Person A eines der sog Mordmerkmale wie beispielsweise Habgier erfullen Unter Habgier verstehen Rechtsprechung und Lehre das rucksichtslose Streben nach Vermogensmehrung oder Besitzerhaltung um jeden Preis 3 Als relevante Tatumstande den subsumtionsfahigen Untersatz bestatigt die gerichtliche Beweisaufnahme das Ergebnis der Vorermittlungen namlich dass Person A Person B getotet hat um sich deren Vermogen anzueignen Als Rechtsfolge Conclusio ergibt sich dass Person A als Morder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen ist Siehe auch BearbeitenRechtsfrageLiteratur BearbeitenReinhold Zippelius Juristische Methodenlehre 15 11 Auflage Munchen 2012 ISBN 978 3 406 63668 4 Helmut Russmann Zur Abgrenzung von Rechts und Tatfrage Erstveroffentlichung in Hans Joachim Koch Hrsg Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie Ausgabe 1976 S 242 271 Einzelnachweise Bearbeiten Reinhold Zippelius Einfuhrung in die juristische Methodenlehre 2 neubearb Auflage Munchen 1974 Reinhold Zippelius Juristische Methodenlehre 11 Auflage 2012 15 II BGH Urteil vom 2 September 1980 Az 1 StR 434 80 Volltext Memento des Originals vom 31 Oktober 2018 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www jurion de BGHSt 29 317 ff Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Normdaten Sachbegriff GND 4184500 6 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Tatfrage amp oldid 230002970